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mercredi, 16 mai 2007

A. Moeller van den Bruck: Über Dostojewski

Bemerkungen über Dostojewski

von Arthur Moeller van den Bruck

http://www.geocities.com/kshatriya_/dostojewski.html...

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 Die russische Dichtung ist die Dichtung eines jungen Volkes. Nicht das Alter, sondern die Glut, die Unausgebranntheit der Seele entscheidet über die Jugend der Völker. Ursprünglich sind alle Völker gleich alt und gleich jung. Ein noch heute junges Volk aber, wie das russische, ist nach wie vor der Erde und dem Chaos nahe. Für seine Seele ist noch alles Rätsel und Geheimnis in der Welt und der Mensch selbst eine dunkle Sehnsucht nach Schauen und Erkennen. Die Mystik des russischen Volkes: die ist seine Jugend, die ist seine Primitivität, aber auch seine Kraft, und die Extase, mit der und in der es sich einst hinausringen wird über sich selbst — in dieser Mystik allein liegt seine Zukunft und Bestimmung. Die innere Kultur Rußlands wird immer nur eine religiöse, und, wenn man das Wort nicht scholastisch, sondern menschlich versteht, sogar nur eine theokratische sein können. Der Germane wird vorher die vielleicht größte äußere Kultur schaffen, die je die Erde gesehen: geistig ist er der geborene Ideenträger und oft noch kann er als Leibniz oder Kant wiederkehren. Aber geborene Glaubenskünder ist heute allein der Russe, und nur eine slavische Mutter könnte, wenn es bereits Abend geworden in der westlichen Menschheit und der Germane sich ausruht, aus der östlichen Welt noch einmal Buddha oder Jesus gebären. Im Schoße des Slaventums allein ruht als Möglichkeit die Religion, die wir noch haben könnten: jene letzte, äußerste Religion, die in nichts mehr Symbol, die ganz nur Gefühl sein würde. Werden wir sie in Wirklichkeit jemals bekommen? Wir Germanen können es nicht wissen, wir können nur schaffen. Einzig der Slave selbst kann heute schon diese Religion ahnen und glauben. Jedenfalls liegt alles, was im Slaventum geistig geschaffen worden ist, auf dem Wege von seiner latenten Volksmystik zu einer bereits geoffenbarten Weltreligion: vor allem das Beste, was das Slaventum bis heute hervorgebracht hat — die russische Dichtung.

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In der Mitte der russischen Dichtung steht Dostojewski. Wenn die russische Dichtung das größte Russische ist, so ist Dostojewski der größte Russe. Er ist das zentrale Genie Rußlands: Genie im allerhöchsten schöpferischen Sinne eines Mannes, der nie vor ihm Dagewesenes aus dem Boden schlägt. In Dostojewski ist der russische Volkscharakter zum ersten Male zur verkörperten Weltanschauung, zu Wort und Sprache und als ganzes Lebenswerk zu einem einzigen großen Epos geworden. Aehnliches ließe sich freilich auch von Tolstoi sagen, aber Tolstoi ist neben Dostojewski doch mehr der Ausdruck der slavischen Ruhe, des stillen schweigenden, eben erst aufhorchenden Landes, des schweren und noch stumpfen, aber in seiner Stumpfheit urgesunden und Zukunft witternden Bauerntums. Dostojewski dagegen ist weit mehr, Dostojewski ist der Ausdruck des russischen Wahnsinns, der Tragödie im Russentum, der Fleischwerdung all seiner mystischen Verinnerlichung und hektischen Geladenheit. Dostojewski hat wie Tolstoi das Epos des russischen Lebens geschaffen, aber er hat es weit großartiger getan: er hat dieses russische Leben nicht nur ausgestattet mit einem unerhörten Gestaltenreichtum, der ganz Rußland, der das ganze Slaventum in all seinen verschiedenen Nationalitäten, Kasten und Typen, vom simplen Muschik bis zum Petersburger Aristokraten, vom Nihilisten bis zum Bureaukraten, vom Verbrecher bis zum Heiligen in tausend Nuancen umgreift — Dostojewski hat noch mehr getan und ihm auch die Offenbarung einer bewußten russischen Weltanschauung zu Grunde gelegt.

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Dostojewskis eigentliche Tat ist es, daß er Rußland eine Mythologie gegeben — dem modernen Rußland eine moderne, eine naturalistische, eine psychologische Mythologie, herausgeholt nicht aus den Nebeln der Vorwelt, sondern aus denen der Seele. Die Mythologie eines Volkes ist die Verkörperung seines Urwesens in Urfiguren: in dieser Weise mythologisch aber kann in jedem Augenblick in der Entwicklung eines Volkes geschaffen werden — es kommt nur darauf an, daß man ihm wirklich auf den Grund schafft und seine innerste Wahrheit über sich selber aus ihm herausschöpft. Auch die Götter entsprangen einstmals leibhaftig und gegenwärtig einem Menschenauge, dem ersten, das sie in innerer Phantastik erschaute, und sie lagen nicht etwa um ganze Schöpfungsringe genetisch zurück, wie die Menschen dann später glaubten. Trotzdem wird in der Regel die Mythologie eines Volkes an seinem Anfang, an der Wende von seiner vorgeschichtlichen zu seiner geschichtlichen Zeit liegen: sie ist das Erste, was es sich schafft, und sie ist zugleich die Schicht, auf der es dann weiterschafft. Fast alle großen Nationalliteraturen bauen sich denn auch auf einer derartigen mythologischen Vorarbeit auf, die einst schon die Ahnen in unbewußter Dichtung geschaffen haben. Bei dem russischen Volke ist das nicht der Fall: es besitzt nur die Geschichtsberichte seiner Chronisten und dann wohl auch reiche Sagen und Märchenwelten, aber doch kein zentrales Nationalepos im Sinne etwa der Ilias und der Nibelungen, kein grandioses Panorama seiner Vorzeit, in dem seine Ueberlieferungen und Sinnbilder, seine Nationalhelden und Nationalstoffe zusammengegossen und zusammengeschmolzen wären. Infolge dessen hat die russische Dichtung, wenn man sie auf ihre Ursprünge hin ansieht, immer etwas Basisloses, die Fundamente scheinen zu fehlen, die einzelnen Dichter stehen disparat hinter- oder nebeneinander. Das wurde dann erst von Dostojewski ab anders. Vor ihm hatte man sogar noch in romantischen Formen den russischen Ton gesucht. Jetzt holte Dostojewski, nach Puschkins und Gogols Vorgang, all das jahrhundertelang Versäumte nach, stellte breit und mächtig eine russische Typologie auf und gab so, indem er das russische Leben in seinem naturalistischen Nationalcharakter ergriff und gleichzeitig bis auf seinen mystischen Untergrund aufdeckte, auch der russischen Dichtung ein für alle Mal und endgültig ihren Nationalcharakter. Wie französische Dichtung immer skeptisch, deutsche Dichtung immer idealistisch ist, so wird russische Dichtung immer naturalistisch-mystisch sein — oder sie wird nicht russisch sein.

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Der Grund der ganzen Erscheinung, warum sich das russische Volk kein Nationalepos geschaffen, mag einmal in der überstark partikularistischen, beständig dezentralisierenden Rasseentwicklung gelegen haben: man bedenke nur, daß unter einem Dutzend anderer Städte Nowgorod, Kieff, Moskau und schließlich Petersburg die wechselnden, den Entwicklungsgang kreuz und quer durcheinander, bald nach Norden, bald nach Süden verschiebenden Entwicklungsmittelpunkte gewesen sind; und zwar unter ganz anders großen Entfernungen und tragischen Umständen, als wir sie etwa in Deutschland gehabt; denn unsere Entwicklung ist gegen die russische gehalten eine durchaus ruhige gewesen! Dann aber lag auch viel schuld vor allem im russischen Nationalcharakter selbst, in der ganzen Monotonie der slavischen Lebensstimmung. Der Russe träumt, aber handelt nicht, sein Weltbild ist monistisch, nicht dualistisch, das Sein ist für ihn Fatum, Verhängnis, nicht Wille und Gegenwille, ist Gefühl, nicht Tat. Das alles konnte dann sehr wohl im einzelnen Volkslied lyrisch ausströmen, aber niemals in wilden Szenen und unter gewaltigen Kontrasten sich plastisch zusammenballen. Gewiß weitet sich in der russischen Wirklichkeit diese Lyrik unwillkürlich zum Epos, zum Epos der Steppe, der Ferne und der Grenzenlosigkeit. Aber eben dieses Epos ist dann so riesengroß und ungeheuer, daß es alle Tragödien wie Winzigkeiten verschlingt und daß schließlich doch immer nur die Lyrik zurückbleibt. Dennoch ist auch für den Slaven wie für jeden Menschen das Leben Kampf und damit Drama: nur daß dieses Drama sich bei ihm weit kontemplativer, quietistischer, eben psychologischer abspielt. Selbst wenn es sich in rasenden und sogar gräßlichen Taten ausrollt — wie bei Dostojewski immer - , selbst dann ist noch der Hintergrund die Seele, ist das Motiv ein inneres, kein äußeres, ist das Heldentum verschwiegen und still nach innen gekehrt, und nicht etwa die starke und über sich klare Heroik des Westeuropäers. All diese Züge russischen Volkstums aber kehren im Schatten Dostojewskis wieder: Tragödie jagt Tragödie, doch die ewige Epik des Slaventums nimmt sie auf, und was schließlich am tiefsten wirkt, ist die Lyrik. Die gigantische Einheit von allen dreien ist Dostojewskis Monumentalität — und sie ist Rußlands Monumentalität.

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In der Wirklichkeitsmythologie, die Dostojewski geschaffen, ist die Mystik das Bedeutsame für Rußland, doch die Wirklichkeit, die besondere Art, in der Dostojewski Wirklichkeit gegeben hat, ist das Bedeutsame für die Welt. Dostojewskis Nichts-als-Modernität ist Dostojewskis Größe. Unter den Dichtern des neunzehnten Jahrhunderts gehört er zu den ganz Wenigen, die nur Neues, die nur nach Vorne, nur in ständigem unterirdischen Zusammenhang mit der allgemeinen Zivilisationsentwicklung geschaffen haben. Für ihn gab es keine Tradition mehr: nicht die "schöne" Tradition der Antike, noch die "wilde" irgendeiner Romantik. Die einzige Basis, auf der sein Werk ruht, ist seine Zeit. Es hätte die Möglichkeit bestanden, die Typologie, die Rußland jetzt endlich bekommen sollte, russisch-archaistisch aus den vergangenen Jahrhunderten noch nachträglich heraufzuholen. Dostojewski hat das nicht getan: gerade so wie Rußland überhaupt in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit weist, so hat er auch das bis dahin Unterlassene nicht in jener Weise allegorisch-kostümhaft nachgeholt, sondern mit sicherem Instinkt unmittelbar in seine Gegenwart hineingeschaffen und die Seele seines Volkes bloßgelegt, indem er die Seele dieser Gegenwart bloßlegte. Das Psychische seines Naturalismus war dabei das Entscheidende: dadurch ward Dostojewski zum Ersten jener Künstler, wie heute Munch etwa, in deren Kunst ein Stück Zukunft transcendental vorweggenommen und Leben und Ewigkeit psychisch verbunden scheint. Der moderne Zug allein hätte noch nicht genügt, um Dostojewski seine überragende Stellung zu geben und den großen Epikern anzureihen. Modern waren auch schon die englischen Realisten des 18. und die französischen Realisten des 19. Jahrhunderts — Defoe, Balzac, Flaubert, Zola, Maupassant. Aber es war immer noch erst eine mehr sachliche, unpersönliche, einfach berichtende Modernität. Einzig Goethe grub den Realismus mehr in das Seelische und Ewige ein, dadurch, daß er ihm den Grund der Natur und der aufkommenden Naturwissenschaften legte. Doch erst Dostojewski ist noch weiter gegangen und hat alle Naturalist gezeigt, wie auch das moderne Leben wieder seine Mystik und Phantasie hat. Realistisch von diesem modernen Leben erzählen, sogar mit noch vollerer, runderer, körperhafterer Gestaltungskraft, als sie Dostojewski besessen, der bei der Zeichnung selbst der deutlichsten Charaktere stets etwas Gespensterhaftes behielt — dabei wuchtig und breit in der Ausführung: das konnte auch Tolstoi. Aber das moderne Leben in seiner inneren Dämonie ergreifen, mit seinen neuen Schönheiten und Häßlichkeiten, seinen neuen Sittlichkeiten und Unsittlichkeiten, und den Naturalismus, statt ihn etwa gar zur Kopie zu erniedrigen, in Vision wieder auflösen — das konnte erst Dostojewski.

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Die "Dämonen" haben von dieser inneren Dämonie ihren Namen. Sie zeigen, mit welcher Macht und Unheimlichkeit sie durchschlagen kann in der Staats- und Gesellschaftsauffassung des Russen. Dostojewski hat fast in jedem seiner Bücher ein Sondergebiet russischen Seelenlebens aufgedeckt und hell gemacht. "Rodion Raskolnikoff" war sein moralkritischer und der "Idiot" sein ethisch-mystischer Band. Die Dämonen sind sein Revolutionsepos. Das politische und soziale Gebiet ist gewissermaßen das mittlere und vermittelnde, das der russische Ideologe auf seinem Wege zum religiösen und theokratischen trifft. Die Sehnsucht des Russen ist: gut zu sein und Gutes zu tun, schuldlos zu sein und alle Menschen zu lieben. Die Macht, die ihn daran hindert, ist der Staat. Andererseits, sieht er ein, könnte gerade ein vervollkommneter Staat zu diesem Ziele führen. So wird die russischen Gefühlsreligion und Liebesethik zum — Kampf um den Zukunftsstaat. Hinzu kommt zu diesem politischen Utopismus, der sich steigern kann bis zur politischen Mystik, die tatsächliche Minderwertigkeit und Unwürdigkeit desjenigen staatlichen Gefüges, in dem das Slaventum vorläufig politisch repräsentiert wird — des russischen Reiches. Nicht nur Schwärmerei, auch Freiheit und Gerechtigkeit, die unterdrückt und mißhandelt werden, der Ekel vor einer verkommenen Gesellschaft, die Unhaltbarkeit eines verrotteten Wirtschaftsleben führen die russische Jugend zur Politik. Das Fieber, mit dem sie die Menschen ergreift, hat Dostojewski in den "Dämonen" gestaltet. Zahllosen Typen heben sich ab: nihilistische Helden, sozialistische Doktrinäre, Slavophilen, Patrioten; Fanatiker, Intriganten, Maniaken, Idioten; dazu Reaktionäre, Bureaukraten, Blaustrümpfe, Dekadenten, russisches Publikum. Das Staatsleben wird zur Welt. Die Politik wird zum Menschheitsband. Als Dostojewski jung war, hat er selbst, wenn auch mehr passiv, an revolutionären Umtrieben teilgenommen. Immerhin mußte er dafür lange Jahre in Sibirien als Zwangsarbeiter zubringen. Später, als er schon längst der große russische Dichter war, als Religion und Mystik seine Seele erfüllen und seine politischen Anschauungen reif und fest geworden waren in einem ganz bestimmten russischen Nationalismus und slavischen Rassebewußtsein, erinnerten ihn neue Vorgänge an jene Zeit, da auch sein Leben das russischste aller russischen Leben, ein politisches Leben, gewesen. So schrieb er dann die "Dämonen". Sie sind stofflich sein russischstes Buch.

(Einführung zu: F. M. Dostojewski: Die Dämonen. Sämtliche Werke, Erste Abteilung: Fünfter Band. München und Leipzig: Piper, 1906.)

02:10 Publié dans Littérature, Révolution conservatrice | Lien permanent | Commentaires (1) | |  del.icio.us | | Digg! Digg |  Facebook

Commentaires

Schön, den Text online lesen zu können!

Écrit par : K´T | mercredi, 06 février 2013

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