dimanche, 02 octobre 2011
"Der Orgasmus steht rechts, das ist die Schlüsselerfahrung der Postmoderne"
Warum macht man sich eigentlich die Mühe und seziert das Gedankengut eines philosophischen Vielschreibers, wenn eigentlich alles Wesentliche in einem Satz gesagt werden kann.
Im FOCUS-Archiv bin ich auf ein Interview mit Peter Sloterdijk aus dem Jahr 1997 gestoßen, daß als ein Bericht über die Leichtigkeit von metaphorischen Gegenwartsanalysen gelesen werden muß:
FOCUS: Der heutige Sexualstil sei „medikalisiert, versportlicht, diätisch“, haben Sie geschrieben, und: „Der Orgasmus steht rechts, das ist die Schlüsselerfahrung der Postmoderne.“ Warum?
Sloterdijk: Weil Genießen etwas ist, was Menschen extrem privat und idiotisch werden läßt, und ein gewisser idiotischer Privatismus auch im Kern von reaktionärer oder rechter Politik steht. Die Unfähigkeit zur Generosität, die fanatische Entschlossenheit, eine Politik zu betreiben, die den eigenen Vorteil über alles stellt: Das sind Kriterien der ewigen Rechten.
Der Interviewer stellt nun die nachvollziehbare Frage, was dann eigentlich die 68er-Sexrevolution gewesen ist. Oder mit einem Reaktionär gesprochen: “Devise für den jungen Linken: Revolution und Fotze.” (Nicolás Gómez Dávila in: Einsamkeiten)
FOCUS: Was Sie idiotischen Genuß nennen, kann man auch mit dem im Schwange befindlichen Begriff Hedonismus bezeichnen – und das ist ein Hauptschimpfwort der Konservativen, wenn sie gegen die linksliberale Spaßkultur zu Felde ziehen.
Sloterdijk: Man muß hier unterscheiden. Es gab vor langer Zeit einmal einen asketischen Konservatismus, der hinsichtlich seiner sozialen Energie viel potenter war als die sogenannte hedonistische Linke. Es gab eine aus dem alten Adel herkommende Gesinnung, sich für den Staat zu verbrauchen und dabei die eigenen Genußansprüche zurückzustellen. Aber diese Selbstopferkultur ist untergegangen. Im Augenblick führen alle Begründungen von Lebensentwürfen letztendlich in den Selbstgenuß der letzten Menschen. Die Orgasmusdebatte, wenn sie auch skurril anfängt, ist in letzter Instanz sinnvoll, weil sie den Horizont einer projektlosen Gesellschaft beschreibt, die keine Zukunft kennt, sondern nur die Vorspannung auf die nächste Entladung. Die letzten Menschen sind an der Macht.
Oh, Nietzsche also …
FOCUS: Die letzten Menschen haben, laut Nietzsche, das kleine Glück für jedermann erfunden – und das sollen tendenziell Rechte sein?
Sloterdijk: Insofern als die anthropologische Wette der hedonistischen Linken, daß der sexuell und kulinarisch genießende Mensch der sozial nützlichere sei, verloren ist. Die Lebensverbesserung der einzelnen hat keinen Überlauf ins Allgemeine. Die Vermehrung der Privatvergnügen macht die Gesellschaft als ganze nicht froh – auch das war ein Teil der alten linken Utopie. Es entsteht vielmehr eine Frustrationsklassengesellschaft, eine rasende Neidgesellschaft.
Wir lernen: Die hedonistische Frustrationsklassengesellschaft ist gescheitert und trotzdem verbleiben wir in diesem Modus, weil wir keinen Ausweg wissen. Aber der Sloterdijk, der Philosoph, weiß doch sicher einen … Oder doch nicht? Na dann machen wir weiter im Fragebogenstil.
FOCUS: War Ernst Nolte taktlos?
Sloterdijk: Er hat intuitiv exakte Taktlosigkeiten begangen und damit gegen ein linksliberales Kartell verstoßen. Wer überhaupt einen Sinn für die Funktion eines intellektuellen Feldes besitzt, der muß mit Bestürzung beobachten, daß man gegenüber einer Person wie Nolte nicht argumentative, sondern exorzistische Methoden anwendet. Es wäre mir übrigens lieber, man müßte solche Plädoyers für Linke halten statt für Rechtsintellektuelle. Was auf dem Spiel steht, ist die Würde des intellektuellen Feldes im ganzen. Darum müßten jetzt auch die deutschen Intellektuellen eine Amnestie für Toni Negri* fordern!
FOCUS: Würden Sie bitte zu den folgenden Personen je einen Satz sagen: Michael Jackson.
Sloterdijk: Der erste perfekte Mutant. Ich bin von ihm fasziniert, weil er wie noch nie jemand vor ihm es fertiggebracht hat, für eine absolute Lächerlichkeit vergöttert zu werden.
FOCUS: Ernst Jünger.
Sloterdijk: Ich bin bereit, ihn auf einer kalten Ebene bedeutend zu finden.
FOCUS: Joseph Ratzinger.
Sloterdijk: Auf die Gefahr hin, daß das hochmütig klingt: Er gehört zu den Menschen, die mir auf eine bestimmte Art leid tun. Er spielt in einer Komödie mit, wo Männer in Frauenkleidern durch große Gebäude laufen und so tun, als würden sie kochen. Der Priester ist ja ein Koch des Heils, der an einem Tisch steht, ein Gericht zubereitet und einer angeblich hungrigen Menge verabreicht – aber er versteht nie, daß das kein Drei-Sterne-Restaurant ist.
00:10 Publié dans Philosophie | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : philosophie, orgasme, peter sloterdijk, allemagne | | del.icio.us | | Digg | Facebook