Indien sucht Platz zwischen Russland und dem Westen
Dmitri KOSSYREW
Wer die harte Verhandlungshaltung der Inder bei Verträgen kennt, war sicherlich überrascht, was sich kurz vor der Ankunft von Indiens Premier Manmohan Singh in Moskau zutrug. Das angeblich fertige Abkommen über Russlands Beteiligung am Bau neuer Kernkraftwerke in Indien wurde zeitweilig von der Tagesordnung gestrichen.
Dabei galt gerade dieses milliardenschwere Abkommen als das Hauptereignis des Besuches des indischen Premiers. Damit sind die Aussagen jener verständlich, die von einer Krise in den russisch-indischen Beziehungen sprechen. Dazu müsste allerdings diese Krise nicht als “Verrat” oder “Abkühlung” seitens Indiens angesehen werden, sondern vielmehr als Ergebnis der sich wandelnden Lage sowohl Indiens als auch Russlands in der Welt.
In Wirklichkeit spiegeln die panischen Einschätzungen nicht so sehr Probleme zwischen Moskau und Delhi (die gibt es tatsächlich) wider, als vielmehr eine rechtzeitige und lang ersehnte Denkkrise bei jenen, die die Welt bis jetzt in der russisch-amerikanischen (oder russisch-westlichen) Konfrontation verstehen. Auch empfinden sie automatisch Indien wie auch China oder zahlreiche andere wichtige Staaten als potentielle Verbündete beim Tauziehen um den “feindlichen Westen”. Entweder sind sie “mit uns” oder “mit denen da”. Oder schließlich jenen, die Abkommen über unsere Pipelines und Atomkraftwerke unterzeichnen - oder aber dem feindlichen Druck nachgeben und die Unterzeichnung ablehnen.
Zwischen Moskau und Neu Delhi wie auch in der Welt als Ganzes geschieht jedoch nichts dergleichen.
Sehen wir uns genauer an, was Wladimir Putin und Manmohan Singh doch vereinbart haben. Wie sich zeigt entwickelt sich ihr ursprünglicher Plan erfolgreich: mehrere wichtige High-Tech-Projekte zu finden anstatt der faktischen Tauschgeschäfte (”Tee im Austausch gegen Rüstungen beziehungsweise gegen irakisches Erdöl”), die Anfang der 90er Jahre den Kollaps erlebten. In Moskau kam ein Abkommen über die Entwicklung eines Mehrzweck-Transportflugzeugs sowie die gemeinsame Monderforschung zustande. Möglich ist insbesondere der Start einer indischen Rakete vom indischen Weltraumbahnhof, die ein russisches Mondmobil ins All befördern soll. Des Weiteren werden beide Länder Forschungsgeräte entwickeln, die den Mond nach Bodenschätzen absuchen könnten. Im kommenden Jahr soll das Projekt “Testgelände Mond” präzisiert und bestätigt werden. Es ist wahrscheinlich, dass dann wieder wie bisher geringt und gefeilscht wird.
All das fügt sich in die bereits offenkundige Tendenz ein: Zwischen Russland und Indien läuft all jenes glatt, was gemeinsame Ausarbeitungen von künftigen Technologien und Projekte über die Umstrukturierung aller möglichen Produktionen in Indien betrifft. Was schief geht, ist der gewöhnliche Handel, da die Unternehmenswelt beider Länder noch immer für den europäischen oder amerikanischen Markt schwärmen. Sehr schlecht steht es um den empfindlichsten Bereich: die Energiewirtschaft. Die Inder wollen schon seit langem mehr als das Sachalin-1-Projekt und wollen Mitinhaber von russischen Öl- und Gasgesellschaften werden. Außerdem beabsichtigen sie für Indien, das einen Wirtschaftszuwachs von acht bis neun Prozent im Jahr aufweist, dabei jedoch überhaupt keine Öl- und Gasvorräte hat, stabile Lieferungen von Energieträgern zu sichern. Daran wird gearbeitet, allerdings langsam.
Langsam unter anderem deshalb, weil in Russland die Meinung weit verbreitet ist: Hier ist sowieso nichts zu erwarten, statt dessen verkaufen wir Indien lieber Atomkraftwerke.
Da rückt jedoch ein anderes Thema in den Vordergrund, das für Indien beispiellos akut ist. Es läuft keineswegs auf nur das eine berühmte indisch-amerikanische “Atomabkommen” (”Abkommen 123″) hinaus, das im Juli dieses Jahres geschlossen wurde und zur Zeit in der Washingtoner politischen Küche hochgekocht wird. Gewiss ist es für Indien von nicht geringer Bedeutung, in Bezug auf den Atomwaffensperrvertrag Sonderbedingungen für sich durchzusetzen. Um dieser Aufgabe willen kann schon die Unterzeichnung eines fertigen und von niemandem im Ernst bestrittenen Dokumentes mit Russland aufgeschoben werden. Doch am wichtigsten ist hier die gesamte erhitzte Atmosphäre, die in Indien um alles herrscht, was mit dem “Abkommen 123″ zusammenhängt. Seinetwegen scheitern dort politische Karrieren, werden gegen den Premier und seinen engen Beraterkreis radikale Vorwürfe erhoben, sie würden das große und rasant an Gewicht gewinnende Land zu einem zweitrangigen US-Verbündeten degradieren. Zumal die amerikanischen Opponenten von Bush wollen in der Tat besagtem Abkommen, das nur den nuklearen Bereich betrifft, alles Denkbare anhängen, darunter Neu Delhis “richtige” Iran- oder China-Politik.
Diese panischen Stimmungen sind auch in den politischen Kreisen in Russland zu bemerken, den Kreisen jener, die die Welt noch immer als Gegenüberstellung von “Ost” und “West” sehen. Daher das alte und beharrliche Gerede, Russland verliere Indien.
Aber Indiens strategisches Ziel besteht keineswegs darin, ein jüngerer Verbündeter der USA zu werden. Selbst trotz des Umstands, dass die heutige indische gebildete Elite mit den USA oder mit Europa durch dieselben Fäden verbunden ist, die es in den 70er Jahren mit der UdSSR verband, streben die Inder doch etwas anderes an: Sie wollen Indien zu einem Machtstaat werden lassen, das in Augenhöhe mit den USA oder China steht. Gerade dazu wurde der günstige Moment einer Abschwächung der amerikanischen und europäischen Macht und ihres Einflusses angesichts der nunmehr offensichtlichen Tatsache genutzt, dass Indien und China die Rolle als Wirtschaftsmacht real beanspruchen können. Es handelt sich nicht um die Atomkraftwerke, es geht darum, dass es jetzt für die Anwärter auf die Weltführung keinen Sinn hat, Amerika die eigenen Muskeln zu demonstrieren. Wichtiger ist, mit den Amerikanern eine neue, den heutigen Gegebenheiten angepasste gemeinsame Sprache zu finden. Was Neu Delhi denn auch tut - auf indische Art genial und auf indische Art auch laut und nervös.
Bleibt nur hinzuzufügen, dass Chinas, ja auch Russlands globale Politik im Grund nicht anders beschaffen ist. Deshalb bringt Moskau den Verzögerungen bei der Realisierung von Großprojekten Verständnis entgegen, wenn solche Verzögerungen für seine nächsten Partner in der Welt notwendig sind.
Commentaires
Existe-t'il une traduction de ça en français ou en anglais, qque part, svp ? Ou ne serait-ce qu'un petit résumé ?
Écrit par : Alceste | samedi, 08 décembre 2007
Non pas encore de traduction ni en anglais ni en français. Je vais sans doute m'y mettre dans les semaines qui suivent...
Bien à vous.
Écrit par : Steuckers R. | mardi, 11 décembre 2007
Robert Steuckers en personne ? Honoré ! :D
Tenez en ce moment je fais tourner une ébauche de mini-traité théologico-politique, encore très mauvaise et j'ai un peu honte à vous la communiquer, mais sait-on jamais, ça pourrait vous intéresser un petit peu :
http://principeontique.blogspot.com/
Et si vous traduisez ce texte sur l'Inde & la Russie, passez me faire un petit signe sur mon blog principal s'il vous plaît (www.europepuissance.blogspot.com), afin que je sois sur de ne pas le louper.
Très cordialement.
Écrit par : Alceste | mardi, 11 décembre 2007
J'imprime votre "principe ontique" et j'explore votre blog "Europe Puissance". Merci,
RS
Écrit par : Steuckers Robert | mercredi, 12 décembre 2007
D'accord. :)
A
Écrit par : Alceste | mercredi, 12 décembre 2007
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