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dimanche, 17 avril 2011

Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen - über die Wiedersprüche der demokratischen Gesinnungsethik

       

Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen - Über die Wiedersprüche der demokratischen Gesinnungsethik

Geschrieben von: Prof. Dr. Paul Gottfried (Gastautor)

Ex: http://www.blauenarzisse.de/   

 

Thomas_Mann_1937.jpgEine Vielfalt von bunten, einander verwandten Themen bilden Die Betrachtungen eines Unpolitischen, die Thomas Mann zwischen 1915 und 1918 zusammentrug und vor Kriegsende herausbrachte. Der Erstteil des Werkes erwähnt, dass der Schriftsteller ein schon angesetztes „Künstlerwerk“ beiseite schob, nämlich den Zauberberg, um sich einem zeitdringlicheren Auftrag zuzuwenden. Eine Kontinuität erschliesst sich zwischen den letzten Szenen des Romans, als Hans Castorp sich kriegsmäßig gekleidet auf dem Schlachtfeld herumtummelt, und dem tragenden Thema der Betrachtungen, die eine Verteidigung des Deutschtums in einem folgenschweren Krieg darbieten.

Als Universitätsstudent wurde mir eingehämmert, dass beides dieselbe antidemokratische Streitlust bloßlegt, die den Krieg angestossen hatte. Obendrein ist ein gradliniger Verbindungsgang vermeintlich aufzuspüren, der von Manns Empfehlung des „deutschen Sonderwegs“ in den Betrachtungen bis auf die Nazi-Gewaltherrschaft hinüberleitet. Das wurde in den relativ beschaulichen und unparteiischen USA im Jahre 1963 gelehrt. Man kann sich vorstellen, wie dröhnend dieselbe Mahnung im heutigen antifaschistischen Deutschland ertönen muss.

Der deutsche Sonderweg gegen die jakobinisch-westliche Versuchung

Dazu gehören ein paar abgrenzende Bemerkungen. Wie andere Ehrenverteidiger auf beiden Seiten versuchte Mann im Verlauf der Kriegsaktion seine Heimat vor der Propaganda ihrer Opponenten zu bewahren. Da die auf der anderen Seite ausgerichteten Polemiker wie Lord Bryce und Henri Bergson, sich als Verfechter der westlichen Demokratie mit glänzendem Erfolg ausgegeben hatten, entschied sich Mann dafür, Widerstand zu leisten und Deutschland als eine konservative, volksgemeinschaftliche Kultur vorzustellen. Im Gegensatz zu ihren Widersachern kämpften die Deutschen und ihre Verbündeten nicht für eine zivilisatorische Sendung sondern gegen die Auslöschung ihrer Lebensweise und die Verdrängung „des deutschen Wesens“ durch ein eindringende Fremdlehre, sei es das Jakobinertum oder ein getarntes Römertum im revolutionären Gewand.

Vorrangig ist die deutsche Kriegssache als ein defensiver Einsatz auszulegen, auch wenn die Deutschen gezwungen wurden, gegen die Alliierten den ersten Schlag zu richten. Auf der internationalen Ebene war es schwer, einen anderen Kurs einzuschlagen. Schon vor den Ansätzen seines Kunstwerks scharten sich Manns verhasste „Zivilisationsliteraten“ in neutralen Ländern zusammen, den anderen voran, die spanischen Literaten, José Ortega y Gasset und Azorin, um für die „liberalen Streitmächte“ die Werbetrommel zu schlagen.

250px-thomas_mann_betrachtungen_eines_unpolitischen_1918.jpgWar das deutsche Kaiserreich fortschrittlich?

Wenngleich Hermann Cohen in seiner Kampfschrift Deutschtum und Judentum (1917) die Deutschen als Vehikel einer fortschrittlichen Weltzivilization schilderte, muss zugegeben werden, dass die Alliierten die Fortschrittsargumentation wirksamer für sich vereinnahmt hatten. Zum Ausgleich dieses propagandistischen Vorsprungs wäre den deutschen Eliten geboten gewesen, eine aufklärungsfreundlichere Miene vorzuzeigen. Bestimmt vermochten die Deutschen und Österreicher ihre modernisierenden und freiheitlichen Errungenschaften hervorzuheben. Es hätte gelohnt, diesen Vorzug auszuspielen, um den Deutschfeindlichen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mann und seine Mitkämpfer gerieten somit auf den Holzweg, als sie zum Glauben gelangten, dass die deutsche Rolle als Kulturhüter auf Entfernung von mehr als dreißig Meilen von Deutschland Anklang finden würde. Die Auseinandersetzung der Deutung von „Kultur“ und „Zivilisation“ fochten sie so in kultureller Abgeschlossenheit aus.

Auch bemerkbar sind Manns vielmalige Hinweise in den ersten sechzig Seiten auf Scheinpazifisten und auf die verachteten Kosmopoliten, die Deutschlands Geisteskräfte schwächen. Anvisiert ist vor allem Manns Bruder Heinrich, mit dem er damals zerstritten war. Anfang der Kriegsereignisse erklärte sich der linksgesinnte Heinrich für neutral, und wie der französische Romanautor Romain Rolland setzte er sich für eine Einstellung der Kriegshandlung von der Schweiz aus ein. Thomas Mann befand den „widersetzlichen“ Bruder als Fürsprecher für die Alliierten (nicht ganz grundlos). Die geringschätzenden Verweise sind nicht leicht zu kontextualisieren, ohne auf den biographischen Hintergrund Bezug zu nehmen.

Thomas Mann mit seinen Betrachtungen auf dem Holzweg: Er selbst schuf damit etwas Fremdartiges

Eine durchdringende Zwiespältigkeit zeigt auch der Text, die ebensostark auf die Befindlichkeit des Autors zurückverweist. Es bleibt im Schwanken, dass sein „Künstlerwerk“ dem deutschen Gemeinnutz dienen könnte. Mann grübelt vor sich hin, ob seine Wortkunst nicht eine unterwühlende Gabe darstellt, da sie kein wahrhaftiges Erzeugnis des „deutschen Geistes“ hergibt. Im Unterschied zu der deutschen Veranlagung zum Dichtwerk und zu musikalischen Leistungen befasst er sich mit einer „undeutschen“ Kunstform, der Schriftstellerei und erst recht mit französisch anmutenden Novellen und Romanen. Obwohl Mann deswegen nicht Abbitte tut, erscheint es (ihm vielleicht selbst zu jener Zeit), dass, was er schafft, fremdartig aussieht.

Als „Eideshelfer“, um seine patriotische Sache besser zu begründen, griff er zum Russen und Slavophil Dostojewski, der die Festigkeit und Rechtschaffenheit des deutschen Wesens pries. Angesichts dieser Hinweise wird es schwer, den Eindruck zu verfehlen, dass Mann den russischen Schriftsteller trotz seiner angegebenen Vorbehalte den Deutschen gegenüber zutiefst bewundert. Zu dem Dreigestirn von Nietzsche, Schopenhauer und Wagner, deren schöpferischer Ertrag Mann mitgeprägt hat und die er auch als Zeugen zur deutschen Größe zuzieht, kehrt er Dostojewski zum selben Zweck hervor.

Versteckte Slavo- und Frankophilie: Mann zwischen Faszination und Erschrecken über das Fremde

Es fällt ebenso in den Sinn, dass Mann von der französischen Schriftstellerei und besonders von Gustave Flaubert begeistert war. Den allerzwingendesten Beweis ergibt der lange Passus im Zauberberg, in welchem Mann die Zärtlichkeiten des Hans Castorp seiner Geliebten gegenüber en français zum Ausdruck bringt. Mann machte daraus keinen Hehl, dass er den französischen Autoren bis zum Gebrauch ihrer eigenartigen französischen Ausdrucksform Ehre zollte. Hinzu kommt, dass der Gro?teil der Betrachtungen das deutschpatriotische Leitmotiv nebensächlich berühren. Sie behandeln wahlweise das europäische Literatentum oder Manns’ Eigenschriften.

Die aufsehenerregendsten Seiten sind die ungefähr ersten dreißig, in denen Mann aus allen Rohren feuernd das Deutschtum gegen die Westernisierung hochhält. Der Verfasser hält sich für „unpolitisch“, indem er die Politisierung mit dem Aufmarsch des Kosmopolitanismus gleichsetzt. Im Gegensatz zu seinen deutschfeindlichen Gegnern verrät er keineswegs einen unweigerlich „politisierten Geist“. Er beschützt sein Vaterland nicht lediglich als Mittel, um eine demokratische „Weltbekehrung“ zu vervollständigen, sondern weil sie von außen bedroht ist.

Der Pazifismus der gesinnungsethischen Literaten

Zeitrelevanter ist die von Mann getroffene Unterscheidung von „Gesinnungsmilitarismus“ und „Zweckmilitarismus“. In Abgrenzung zu dem preußischen Dienstadel mit ihrer miltärstolzen Gesittung schlagen die bewaffneten Advokaten der Zivilisationsdemokratie empört auf ihre ideologischen Gegner los. Sie stürmen mit einfallenden Armeen nicht bloß, um den Feind zurückzustoßen, sondern gegen das Böse eine Weltmission durchzuführen: „Wir beobachten da eine Art von Irrationalismus, der in Wahrheit ein vergeistigter Rationalismus ist und darin besteht, dass man den Krieg für ein Gottesgericht erklärt.“ Die Zivilisationsliteraten, die für diese bevorzugte Kriegsart eintreten, sind keineswegs gegen das Vergießen des Blutes: Diese „Menschenliebe ist nicht blutscheu; so gut wie das literarische Wort gehört die Guillotine zu ihren Werkzeugen.“

Ebensowenig sind die erklärten Pazifisten in Deutschland grundsätzlich gegen die Gewalt: „Sein Verhältnis zu diesem Krieg schwankt zwischen humanitärem Abscheu und größter Bewunderung für die soldatischen Leistungen der Feinde.“ Umso kriegslustiger ist der Scheinpazifist, der der mit Deutschland im Widerstreit stehenden Seite beitrat. „Er ist entzückt von den Leistungen der Zivilisationsmächte, er bewundert ihr Kriegsgerät, ihre Stahlplatten, Betongräbern, Fliegerpfeile, Erkrasit- und Stickgasbomben, ohne sich zu fragen,wie sich das alles mit Edelschwäche verträgt, und während er dieselben Dinge auf der deutschen Seite ekelerregend findet. Eine französische Kanone scheint ihm verehrungswürdig, eine deutsche verbrecherisch, abstoßend und idiotisch.“ Wie die Entente-Minister und -Journalisten fühlt sich der antideutsche Gemütsdemokrat nicht bemüßigt zu fragen, warum die andere Seite „gerüstet, glänzend gerüstet“ sei, wenn er uns vormachen will, dass es nur die Deutschen sind, die mit ihrer soldatischen Überlieferung über Heerscharen und Kriegsmittel verfügen.

Der Krieg für die gute Sache, der auch heute noch geführt wird

Mann ging mit den Fahnenträgern des demokratischen Internationalismus ins Gericht, ehe die amerikanische Regierung das „Junkertum“ zu bekriegen anfing. Mann rückte das Scheinwerferlicht auf das Jakobinertum und die Freimauererei, denen der französischen Feind und seine ausländischen Schwärmer verschrieben seien. In seiner Schilderung weist er jedoch über das Nahziel hinaus und trifft die heutzutage allgegenwärtige menschenrechtliche Ideologie. Beim Kriegsausbruch musste es einem Unbefangenen dämmern, dass beide Seiten ihr Scherflein beitrugen, um die Lawine loszutreten. Jedoch deutete Mann auf ein Novum hin, als er eine Art Militarismus umschrieb, der mit traditonsverbundenen Gesellschaften nichts zu tun hat. Vielmehr haftet diese Haltung spätmodernen, ausgesprochen demokratischen Ländern an, die der ganzen Welt ihre menschenfreudige Gesinnung zurschaustellen wollen.

Im Vergleich mit den alten Monarchien steht das Neumodell im Aufwind. Von den geschlagenen Mittelmächten sich abhebend, gaben sich die siegreichen Demokraten als Humanisten aus, die im Zeichen einer weltweiten Friedensmission gekämpft haben. Aus ihrem Schlag stammen die Wilsonianer und noch zeitgeistiger die Neokonservativen, die militärische Einsätze verkünden, um wesensfremde Gesellschaften zu „vermenschlichen“. Mann erhob die Fragen, warum die Humanisten der Friedsamkeit wohlgerüstet auftreten und warum der vermutlich allerletzte Kampf für die demokratische Ruhe zu immer verbisseneren Kriegsaktionen hinüberführt. Und natürlich werden die Literaten aufgebracht, wenn versucht wird, die Stellung der Antidemokraten klarzukriegen. Man wittert bei solchen Klarmachungen den Hauch einer schandhaften Aufrechnung. Die wehrhaften Demokraten gereuen sich keineswegs, dass ein Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg gegen Zivilisten geführt wurde. Blutige Ungeheurlichkeiten sind hinzunehmen, wenn eine demokratische Weltverwandlung den Kämpfern vorschwebt. Thomas Mann traf in seinen (später von ihm bedauerten und zurückgezogenen) Betrachtungen den Nagel auf den Kopf, als er die harte Anwendung von Zwangsmitteln kurz- und mittelfristig als die zweckmilitäristischen Kosten darstellt, die eine friedlich-demokratische Weltordnung zustande bringen sollten.

Commentaires

Die Vorbehalte Manns gegenüber Dostojewski waren in der Tat nicht unerheblich. Davon kann man sich auch in dem Essay "Dostojewski - mit Maßen" des Sammelbandes "Neue Studien" lebhaft überzeugen.

Écrit par : Jatman | lundi, 18 avril 2011

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