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samedi, 27 décembre 2014

Dschihad für den deutschen Kaiser

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Erster Weltkrieg
 
Dschihad für den deutschen Kaiser

Er war kein gewöhnlicher Diplomat: Max von Oppenheim kleidete sich wie ein Beduine und hatte gar einen eigenen Harem. Im Ersten Weltkrieg erhielt der deutsche Orient-Experte einen brisanten Auftrag. Er sollte die Araber zum Heiligen Krieg aufhetzen - gegen ihre britischen Kolonialherren.

Von Johanna Lutteroth und Ferdinand Krings

Ex: http://www.spiegel.de

Fotos

Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

opp.jpgEr war gekleidet wie ein Beduine, sprach fließend Arabisch und pilgerte von Moschee zu Moschee. Im Sommer 1915 sorgte ein Deutscher im Nahen Osten und auf der arabischen Halbinsel für Aufsehen. Er propagierte den Heiligen Krieg gegen die ungläubigen Kolonialherren in Afrika und Asien - vor allem gegen die Briten. Er zog durch Syrien, Palästina, bereiste die Halbinsel Sinai und Nordwestarabien, ließ kaum einen Landstrich aus.

 
Ein Islamist der ersten Stunde, ein früher Fundamentalist also? Im Gegenteil: Der Mann war Katholik mit jüdischen Wurzeln und im Auftrag des deutschen Kaisers unterwegs. Die geheime Mission von Freiherr Max von Oppenheim war es, Muslime von Ägypten bis Indien zum Aufstand gegen die Kolonialherren anzustacheln. Ein religiös motivierter Flächenbrand, so das Kalkül des Kaisers, würde massiv Kräfte des britischen Empire binden und so die Lage für Deutschland im Grabenkrieg in Flandern und Nordfrankreich entspannen helfen.

Der Bankierssohn Oppenheim - Diplomat, Archäologe und Entdecker der Ruinen vom Tell Halaf in Syrien - ist unter Fachleuten noch heute bekannt als profunder Kenner des Orients. Dass er sich im Ersten Weltkrieg auch als Drahtzieher eines Heiligen Krieges versuchte, weiß kaum jemand. Und das, obwohl ihn die Idee, einen Glaubenskrieg zu entfachen, sein Leben lang umtrieb. Schon lange vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte er nachdrücklich auf die politische Sprengkraft des Islam hingewiesen und noch als 80-Jähriger empfahl er Hitlers Nahost-Experten, den Dschihad als Wunderwaffe gegen England einzusetzen.

Spion des Kaisers

Wenige andere Europäer kannten die Gepflogenheiten der arabischen Welt so genau wie Oppenheim. Von 1896 bis 1910 hatte er als kaiserlicher "Beobachter der gesamten islamischen Welt" in Kairo verbracht. Dort pflegte er nicht den üblichen kolonialen Lebensstil der westlichen Ausländer, sondern lebte wie ein Araber. Statt in Kairos Diplomatendistrikt ließ er sich im altarabischen Viertel nieder, lernte Arabisch und unterhielt sogar einen eigenen Harem. Der Orient-Experte knüpfte enge Freundschaften mit lokalen Stammesfürsten und Gelehrten - und eckte mit dieser Lebensweise vielfach bei den Europäern an.

Durch den engen Kontakt zu den Einheimischen war er auf das Konzept des Heiligen Kriegs aufmerksam geworden. Die Vorstellung, diesen als Hebel gegen die Macht des britischen Empire einzusetzen, begeisterte ihn derart, dass er in seinen Berichten die Idee wieder und wieder dem Kaiser nahezubringen versuchte.

Neu war der Gedanke, den religiösen Eifer der Muslime politisch einzusetzen, zwar nicht - aber keiner formulierte ihn mit so viel Nachdruck wie Oppenheim. 1910 sollte ihm das zum Verhängnis werden. Die Briten, seit 1882 de facto Herrscher über Ägypten, hatten sein Treiben über die Jahre argwöhnisch beobachtet. Sie kamen zu dem Schluss, dass Oppenheim ein Spion des Kaisers sei und verlangten seine Abberufung. Berlin fügte sich und setzte den unwilligen Oppenheim so lange unter Druck, bis er Kairo freiwillig verließ - offiziell, um sich den Ausgrabungsarbeiten im syrischen Tell Halaf zu widmen. Die Botschaft an London aber war klar: Oppenheims Verbrüderung mit den Arabern sei nicht die Politik Berlins.

Noch nicht. Denn als im Sommer 1914 alle Zeichen in Europa auf Krieg standen, war der Reichsregierung auf einmal jedes Mittel recht, um den Briten Schwierigkeiten zu bereiten. Nichts fürchtete Berlin mehr als einen Kriegseintritt Großbritanniens.

Geheimwaffe Dschihad

Ein wichtiger Grundstein für die Dschihad-Strategie war bereits gelegt: Deutschlands Bündnis mit dem Osmanischen Reich. Es sah vor, dass das Deutsche Reich den Türken im Falle eines russischen Angriffs zu Seite stehen würde. Als Gegenleistung hatte die Regierung in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, zugesichert, dass ihr Sultan-Kalif Mehmed V. - der geistliche Führer der Muslime - den Heiligen Krieg gegen Großbritannien ausrufen werde.

Und so war plötzlich Oppenheims Stunde gekommen. Über Nacht stieg er vom ausgemusterten Legationsrat zum obersten Orient-Strategen des deutschen Kaisers auf. Schon kurz nach Kriegsausbruch legte er im Oktober 1914 in einem Strategiepapier "betreffend der Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde" dar, wie ein Heiliger Krieg anzuzetteln sei. Von kleinen Putschen und Attentaten ist da die Rede, von Sabotageakten gegen den Suezkanal und die Ölfelder in Baku und von viel Propaganda.

Warten auf den Dominoeffekt

Schon vorher, im Spätsommer 1914, waren erste deutsche Missionen nach Palästina, Iran und Afghanistan aufgebrochen, um im kolonialen Hinterland der Briten Bündnisse zu schmieden und Unruhe zu stiften. Anfang November 1914 begann schließlich die von Oppenheim geleitete "Nachrichtenstelle für den Orient" ihre Arbeit. Hier wurden Attentate und Anschläge geplant, Propagandaschriften und Flugblätter verfasst, die oft nur aus Bildern bestanden, um auch die Analphabeten zu erreichen.

Der Plan schien perfekt. Am 14. November 1914 rief Sultan-Kalif Mehmed V. tatsächlich den Heiligen Krieg aus, in deutschem Auftrag wurden etliche kleine Attentate und Sprengstoffanschläge verübt - die Lunte war entzündet. Doch die Explosion, die das britische Empire in Flammen setzen sollte, blieb aus. Die Muslime wollten keinen Dschihad an der Seite der ungläubigen Deutschen.

Der enttäuschte Oppenheim beschloss, die Sache vor Ort selbst in die Hand zu nehmen und die arabischen Stammesfürsten direkt anzuwerben. Vor allem galt es, Scharif Hussein, den Wächter über die heiligen Stätten in Mekka und Medina und Herrscher über das heute in Saudi-Arabien gelegene Hedschas, zu gewinnen. Hussein war einer der einflussreichsten Männer auf der arabischen Halbinsel - wenn er dem Dschihad-Aufruf des Sultan-Kalifen folgte, so Oppenheims Kalkül, werde das einen Dominoeffekt auslösen.

Husseins Doppelspiel

opp-coverPicture.jpgSo reiste Oppenheim im Frühjahr 1915 nach Istanbul, um Scharif Husseins Sohn, Prinz Faisal, seine Pläne darzulegen. Oppenheims Geschenke nahm Faisal gern an: ein Automobil, ein Gewehr und viel Geld. Eine feste Zusage machte er nicht. Was Oppenheim vielleicht ahnte, aber nicht sicher wusste: Scharif Hussein war auch mit den Briten im Gespräch, die eine ganz ähnliche Strategie wie die Deutschen verfolgten. Um das deutsch-türkische Bündnis zu schwächen, wollten sie einen Aufstand der Araber gegen die Türken anzetteln, unter deren Joch die Araber schon weit länger litten als unter dem britischen.

Oppenheims britischer Gegenspieler war ein gewisser Thomas Edward Lawrence, berühmt geworden als Lawrence von Arabien. Seit Dezember 1914 arbeitete Lawrence beim britischen Geheimdienst in Kairo daran, die Winkelzüge Oppenheims zu durchkreuzen.

Die Briten stellten Hussein nicht nur die Unabhängigkeit in Aussicht, sondern auch den Titel "König von Arabien". Gleichzeitig sicherten sie ihm militärische Unterstützung im Kampf gegen die türkischen Truppen zu. Ein verlockendes Angebot.

Doch auch Oppenheim ließ nicht locker. Mit einer Wagenladung voll Propagandamaterial und Geld im Gepäck bereiste er im Sommer 1915 von Damaskus aus die arabische Halbinsel, um die Massen anzustacheln. Aber auch die Briten arbeiteten mit Hochdruck daran, ihre Pläne umzusetzen. Und es war das arabische Büro der Briten in Kairo, das schließlich das Vertrauen Faisals gewinnen konnte: Am 24. Oktober 1915 garantierte Henry McMahon, der britische Hochkommissar in Kairo, Scharif Hussein in einem Brief, dass London die arabischen Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützen werde. Angeblich wollte die britische Regierung ihm dafür insgesamt elf Millionen Pfund zur Verfügung stellen - heute wären das rund 600 Millionen Euro.

Die Geburt einer Legende

Die Würfel waren gefallen: Statt zum Heiligen Krieg gegen Großbritannien rief Hussein im Sommer 1916 zum Freiheitskampf gegen die Türken auf. Weil seine Beduinenscharen zu schlecht organisiert waren, um einen konventionellen Krieg gegen türkisch-deutsche Truppen zu führen, stellten die Briten Hussein einen Militärberater an die Seite, der den Aufstand koordinieren sollte. Es war Thomas Edward Lawrence, jener Mann, der den Aufstand mit eingefädelt hatte.

Der Brite entwickelte eine Guerillastrategie, mit der die Beduinen nach und nach das türkisch-deutsche Heer zermürbten - bald wurde Lawrence als Held des arabischen Freiheitskampfes gefeiert. Als Dank schenkte Prinz Faisal dem Londoner Abgesandten im Dezember 1916 jenes Gewehr, das ihm Oppenheim eineinhalb Jahre zuvor zum Geschenk gemacht hatte.

Die Legende von Lawrence von Arabien war geboren. Oppenheim hingegen schien schon vergessen. Am 1. Oktober 1918 fiel Damaskus, die strategisch wichtige Hauptstadt Syriens, an die Rebellen. Ein Waffenstillstand wurde ausgehandelt. Die arabische Revolte hatte gesiegt - vorerst. Dass die Briten ihr Wort nicht halten würden und der Traum von einem unabhängigen Großarabien zerplatzen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Obwohl Oppenheim mit seinem Plan so grandios gescheitert war, glaubte er weiterhin daran, dass sich der Nahe Osten "dschihadisieren" lasse. Im Juli 1940, ein Dreivierteljahr nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, sprach der mittlerweile 80-Jährige erneut beim Auswärtigen Amt vor. Einmal mehr empfahl er, eine arabische Rebellion anzustiften, um die Kräfte des Kriegsgegners zu binden. Auch die Nazis ließen sich auf den Plan ein - und scheiterten wie zuvor der Kaiser. Oppenheim, in der Diktion der Nazis "Halbjude", überstand den Krieg unbehelligt. 1946 starb er, 86-jährig, bei Landshut an einer Lungenentzündung.

In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es, Oppenheim sei in Dresden gestorben. Tatsächlich verstarb er in der Nähe von Landshut in Bayern. Die Red.

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