jeudi, 26 juin 2014
Der vielleicht letzte Nolte
Der vielleicht letzte Nolte
von Robin Classen
Ex: http://www.blauenarzisse.de
Mit Ernst Nolte wagt einer der kontroversesten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts einen Rückblick auf sein Leben und Werk.
Der 1923 geborene Historiker und Philosoph gilt als Auslöser des Historikerstreits über die Bedeutung von Holocaust und Nationalsozialismus im Gefüge der (deutschen) Geschichte. Er erreichte internationale Bekanntheit durch sein in viele Sprachen übersetztes Werk Der Faschismus in seiner Epoche.
Ein Buch für bisherige Nolte-Skeptiker
Rückblick auf mein Denken und Leben heißt das vielleicht letzte Buch des über Neunzigjährigen, in welchem er seine Erfahrungen mit dem Dasein als zeitlebens polarisierender Wissenschaftler niedergeschrieben hat. Wie ein roter Faden durchzieht das Buch das Vorhaben des Autors, seine Positionen, deren Entwicklung und sein Verhalten für den Leser nachvollziehbarer und verständlich zu machen. Man merkt, dass das Buch nicht unbedingt an seine größten Bewunderer, sondern viel eher an neutrale oder skeptische Verfolger seines Werkes gerichtet ist.
Ernst Nolte setzt wenig als bekannt voraus und erspart sich tiefgehende Abhandlungen in der Materie, sondern beschränkt sich auf die grundlegenden, einfachen Gedankengänge und Erlebnisse, die ihm den Impuls zum wissenschaftlichen Studium eines so kontroversen Phänomens wie dem Faschismus gegeben haben.
Parallelen von Nationalsozialismus und Kommunismus
Er beginnt mit einer Beschreibung seiner Kindheit. Er wuchs in bürgerlichen, katholischen Verhältnissen in der Nähe von Witten an der Ruhr auf. Sein Vater ließ durchaus Sympathien für den Kommunismus erkennen und war ein Gegner des Nationalsozialismus. Auf Grund von Berichten über die entwürdigende Behandlung von Priestern in der Sowjetunion schrieb Nolte schon in jungen Jahren eine polemische Schrift gegen den Bolschewismus, die er heute als sehr einfach, in der Stoßrichtung jedoch richtig beschreibt.
Eine einschneidende Erfahrung war für ihn die Deportation einer greisen Jüdin durch die SS, deren Zeuge er selbst wurde und welche ihn zur Erkenntnis brachte, dass auch der Nationalsozialismus in derselben Intensität abzulehnen sei wie der Kommunismus. Diese Erkenntnis war für Noltes spätere Positionen von wesentlicher Bedeutung: Er klassifizierte den Nationalsozialismus und den Kommunismus als sich ähnelnde Widerstandsbewegungen gegen die Moderne, deren Verbrechen in KZ und Gulag sehr wohl vergleichbar seien und bezeichnete den Faschismus als „linke Rechtspartei“.
Prägendstes Lebensereignis war der Historikerstreit
Der Zweite Weltkrieg ging an Nolte mehr oder minder spurenlos vorbei, da er aus gesundheitlichen Gründen und später aufgrund seiner akademischen Stellung nicht zum Wehrdienst herangezogen wurde. Nach dem Krieg prägte den Historiker die Bekanntschaft mit dem Philosophen Heidegger, zu dem er auch freundschaftliche Bande pflegte. Schon bald traf er im Rahmen seiner wissenschaftlichen Karriere an Universitäten auf die 68er, die einen erbitterten Krieg gegen ihn führten.
Nolte gründete mit anderen Wissenschaftlern schließlich den „Bund Freiheit der Wissenschaft“, in dem sie sich gegen geistige Zensur und Gesinnungsterrorismus der Neostalinisten aussprachen. Längst hatte Nolte nicht mehr nur Studenten zum Feind, sondern auch einflussreiche Personen wie den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, und andere Wissenschaftler wie Adorno. Daraus erwuchs schließlich der Historikerstreit, in welchem sich Nolte zusammen mit einigen weiteren Protagonisten einer schieren Übermacht an 68ern erwehrte, aber letztlich gegen den damaligen Zeitgeist unterlag.
Die geistige Emigration
In den 90ern wurde der Druck auf ihn schließlich so groß, dass er seine mittlerweile aufgebauten internationalen Verbindungen nutzte und geistig nach Italien und Frankreich emigrierte, wo der „deutsche Revisionist“ skurrilerweise auf mehr Resonanz stieß, als in der eigenen Heimat. Auch von einer Reise nach Asien berichtet Nolte mit Wohlwollen. Dort seien in Europa heikle Themen noch völlig normal diskutiert worden.
Schließlich überrascht Nolte mit der Feststellung, sein eigentliches Hauptwerk sei gar nicht Der Faschismus in seiner Epoche (1963), sondern das tiefergehende und weiter gefasste, aber weniger beachtete Buch Historische Existenz. Zwischen Anfang und Ende der Geschichte.
Auch wenn Rückblick auf mein Leben und Denken vornehmlich als Biographie zu verstehen ist, blitzen immer wieder Ansätze aus Noltes Arbeit und Denken hervor und er spart auch nicht mit politisch inkorrekten, konzentrierten Feststellungen. So verweist er auf den herannahenden Volkstod der europäischen Nationen und den Umstand, dass in Deutschland Geschichte per Gesetz festgelegt werde.
Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gleichheit finden
Im letzten des in drei Teile unterteilten Werkes mit dem resignierenden Titel „Der Abschwung“ behandelt Nolte dann schließlich die heute besonders einflussreiche dritte Widerstandsbewegung gegen die Moderne in Form des politischen Islams. Der Nachwelt gibt Nolte auf der letzten Seite mit auf den Weg, dass der Universalismus sich zwar durchgesetzt habe, das Ziel aber seien müsse, zwischen Freiheit und Gleichheit ein Gleichgewicht zu finden, anstatt eines der beiden durch die Herrschaft einer totalitären Ideologie absolut zu setzen.
Als Schlusswort, das bezeichnend für das Lebenswerk Noltes ist, eignet sich aber vielmehr eine Feststellung aus einem Aufsatz von ihm, die auf Seite 142 wiedergegeben wird: In Deutschland sei die Wissenschaft zur Partei geworden und das sei der Tiefpunkt in der Geschichte eines Staates, in dem es keine Höhepunkte gegeben habe.
Ernst Nolte: Rückblick auf mein Denken und Leben. 272 Seiten, Lau Verlag 2014. 27,90 Euro.
00:05 Publié dans Histoire, Livre, Livre | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : histoire, allemagne, ernst nolte, livre | | del.icio.us | | Digg | Facebook
Les commentaires sont fermés.