von Konrad Gill
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Napoleons Ende gehört, mehr noch als sein Aufstieg zur Macht, zu den historischen Episoden, für deren Erzählung ein Romanautor als unglaubwürdiger und theatralischer Phantast gescholten würde. Es sei kurz an die wesentlichen Eckdaten erinnert:
Der Offizier aus bescheidenen Verhältnissen, der nach einem Aufstieg als republikanischer Revolutionsgeneral sich selbst zum Kaiser gekrönt und nahezu ganz Europa unterjocht hatte, scheiterte zuerst an Rußland, das soeben noch sein (unfreiwilliger) Bundesgenosse gewesen war. Scheinbar endgültig besiegt war er dann in der gewaltigen „Völkerschlacht“ bei Leipzig worden, deren Ergebnis der mit gigantischem Aufwand zur Neuordnung Europas geführte Wiener Kongreß [1] war.
Den Diktator glaubten die Sieger endgültig befriedet auf der Insel Elba, die ihm Sympathisanten als Fürstentum erhandelt hatten. Dieweil man zu Wien konferierte, wurde Napoleon der Miniaturparaden und Entwicklungsmaßnahmen auf dem Eiland überdrüssig und setzte ungehindert mit den ihm verbliebenen 1000 Soldaten nach Frankreich über. (Sein britischer Bewacher weilte gerade auf dem Festland bei seiner Geliebten.) In einem Gewaltmarsch, schwankend zwischen schier übermenschlicher, heldischer Größe und nacktem Wahnsinn, durchquerte Napoleon Provence und französische Alpen und erreichte schließlich Paris. Der bis heute als „Adlerflug“ in Erinnerung gehaltene Siegeszug gelang gegen manche Wahrscheinlichkeit, sämtliche (schußbereiten!) Soldaten, die ihn aufhalten sollten, liefen nach kurzen Ansprachen zu ihm über, der König floh.
Doch die folgenden hundert Tage zweiter napoleonischer Herrschaft nahmen kein gutes Ende für die Franzosen: Die in Wien verbundenen Großmächte waren zu keiner Verhandlung bereit und rüsteten sofort für einen neuen Krieg, der heute vor 200 Jahren in der Schlacht bei Belle-Alliance (nebst flankierenden Schlachten bei Ligny und Quatre-Bras) sein Ende fand. Nord- und westdeutsche (vor allem preußische), britische und niederländische Truppen schlugen Napoleons letztes, aber imposant schlagkräftiges Aufgebot endgültig und vernichtend, während Russen und Österreicher noch auf dem Marsch waren. Diese „vielleicht berühmteste Schlacht der Weltgeschichte“ (Marian Füssel) hatte neben der auf Jahrzehnte hinaus nicht mehr überholbaren Entscheidung über das Machtgleichgewicht in Europa vor allem eine ausufernde, interessenpolitisch bedeutsame Erinnerungskultur zur Folge.
Wie geschichtspolitisch bedeutsam der Sieg über Napoleon wurde, zeigt schon die Benennung der Schlacht im folgenden Jahrhundert: „La Belle Alliance“ in deutscher Zunge (traditionsgemäß vom Sieger so benannt, und das war Blücher), „Waterloo“ im britischen Sprachgebrauch (weil dort Wellingtons Hauptquartier war), „Mont Saint Jean“ nach französischer Übung (was geographisch am meisten überzeugt). Heute freilich spricht alle Welt von „Waterloo“, die britische Sichtweise hat sich – wie so oft – durchgesetzt.
Die Briten, die nur knapp und durch preußische Rettung eine drohende Niederlage in einen verlustreichen Sieg hatten wenden können, stellten sich so der Nachwelt gegenüber als strahlende Sieger dar, denen deutsche Truppen nur Hilfsdienste geleistet hätten. So wird in oberflächlichen Darstellungen bis heute Wellington, und nicht Gneisenau, als strategischer Kopf hinter dem Sieg präsentiert; Wellington, nicht Blücher, gilt als erfolgreichster Feldherr. Dieser Ruf, Napoleon besiegt zu haben, verschaffte – neben dem tatsächlichen „Sieg“ im diplomatischen Ringen in Wien – den Briten die Stellung als „Erster unter Gleichen“ in der Pentarchie des 19. Jahrhunderts. Als „Balancer from Beyond“ sah man sich selbst, und war doch allzu oft lediglich der lachend am Feldrand stehende Dritte, der von der Schwäche der einander, und nicht das britische Reich, bekämpfenden Kontinentalmächte profitierte.
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