vendredi, 23 mars 2007
Der Unstaat der "natural born killers"
Heinz Müller:
Der Unstaat der »natural born killers«
Amerikanische Blicke auf Deutschland während des Zweiten Weltkriegs
Quelle : http://www.deutsche-stimme.de/
»Psychologische Kriegsführung ist nicht Propaganda, sie ist Politik.« Mit diesem Satz hat Franz Neumann – ein in die USA emigrierter Politikwissenschaftler – 1941 das Selbstverständnis seiner Arbeit auf den Punkt gebracht. Neumanns Sicht markiert zugleich den wichtigsten Unterschied zu anderen amerikanischen Autoren, die in den 1940er Jahren über Deutschland und den Nationalsozialismus geschrieben haben. Viele dieser Schriften sind in Inhalt, Stil und Niveau tatsächlich nicht mehr als Propaganda.
Wie Neumann, der uns noch beschäftigen wird, wollten auch diese Autoren das Deutschlandbild der Amerikaner nicht dem Zufall überlassen. Und ihre Vorschläge für die Behandlung Deutschlands nach dem Krieg lieferten sie meist gleich mit. Ein Beispiel hierfür ist »What to do with Germany?« von Louis Nizer aus dem Jahr 1944. In diesem Buch, das bei der Besetzung Deutschlands jeder amerikanische Offizier im Marschgepäck hatte, wird behauptet, die Deutschen hätten die kriegerische Aggressivität quasi »im Blut«. Um dies zu »belegen«, stellt der Autor die Deutschen samt ihrer germanischen Vorfahren von Arminius über die Preußenkönige bis hin zu Hitler als eine einzige Horde von kriegslüsternen, blutrünstigen Barbaren dar. Sozusagen ein ganzes Volk von »natural born killers«. Der Nationalsozialismus sei lediglich die logische und zeitgemäße Ausprägung des verbrecherischen Volkscharakters der Deutschen. Entsprechend »moderat« fielen dann auch die Vorschläge aus, wie mit diesem Hort des Bösen nach seiner militärischen Niederlage zu verfahren sei: Beseitigung der staatlichen Souveränität und Vernichtung sämtlicher Institutionen des nationalsozialistischen Systems, Durchführung von »Kriegsverbrecherprozessen«, totale Entmachtung der »Junkerklasse«, Abbau der Schwerindustrie, Vernichtung des »preußischen Kriegskults«, alliierte Kontrolle des Schulsystems usw. usf.
Nicht weniger radikal in seinen Vorschlägen für den Umgang mit Deutschland war der »Morgenthauplan« vom September 1944. Sein Namenspatron Henry Morgenthau jr., Finanzminister der Roosevelt-Regierung, schlug vor, weite Teile des Reichsgebiets an seine europäischen Nachbarn anzugliedern, den Rest Deutschlands in einen Nord- und einen Südstaat aufzuteilen, das Ruhrgebiet und die Nordseeküste zu »internationalisieren«, die Bergwerke zu zerstören, die komplette Industrie zu demontieren und somit aus Deutschland einen Agrarstaat zu machen. Mit diesen Maßnahmen – verbunden mit einer umfassenden Entmilitarisierung, »Entnazifizierung« und Kontrolle der Wirtschaft – sollte sichergestellt werden, daß Deutschland nie mehr kriegsfähig werden kann. Morgenthaus Denkschrift geriet durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit und stieß in der Regierung und bei der Bevölkerung auf so heftige Ablehnung, daß sie »offiziell« nicht weiterverfolgt wurde. Die Realität der Besatzungspolitik zeigt aber, daß der Morgenthauplan in vielen Details Pate stand.
Germany must perish
Mit solchem Kleinkram gab sich Theodore N. Kaufman in seiner Schrift »Germany must perish« (Deutschland muß zugrundegehen) gar nicht erst ab. Weshalb sich mit Landabtretungen und Industrie-Demontage befassen, wenn man die Deutschen gleich ganz ausrotten kann? Kaufman propagierte, die Deutschen mittels Massensterilisation binnen zwei Generationen vom Erdboden verschwinden zu lassen. Ein Auszug: »Angenommen, daß etwa 20.000 Ärzte eingesetzt werden und jeder von ihnen pro Tag mindestens 25 Operationen vornimmt, dauert es höchstens einen Monat, bis die Sterilisierung in den Heeresgruppen durchgeführt ist […] Die Bilanz der männlichen Zivilbevölkerung kann innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein. Da die Sterilisierung der Frauen und Kinder etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt, kann man für die Sterilisierung der ganzen weiblichen Bevölkerung Deutschlands, einschließlich der Kinder, eine höchstens dreijährige Frist annehmen.«
Kaufmans Pamphlet erschien Anfang 1941, also lange bevor sich Deutschland und die USA im Krieg befanden (deutsche Kriegserklärung am 11.12.1941). Für die deutsche Propaganda war die Schrift ein gefundenes Fressen, sie wurde als »jüdischer Vernichtungsplan« intensiv ausgeschlachtet, um den Volkszorn gegen die USA und die Juden zu mobilisieren. Allerdings hält ein Großteil der propagandistischen Kunstgriffe, die Kaufmans Bedeutung und Einfluß damals grotesk übertrieben, der historischen Überprüfung nicht stand. So war der Verfasser der widerwärtigen Schrift lediglich ein einfacher Besitzer einer New Yorker Theaterkarten-Agentur, nicht aber ein Berater Präsident Roosevelts, noch überhaupt mit irgendwelchen Kontakten zu amerikanischen Regierungsstellen ausgestattet. Die »American Federation of Peace«, als deren Vorsitzender er sich ausgab, hatte er offensichtlich selbst erfunden. Jedenfalls wollte er sich mit dem bedeutungsvoll klingenden Titel bereits 1939 bei einer Eingabe an den amerikanischen Kongreß als »Mister Wichtig« präsentieren. In dieser Eingabe forderte er, daß sich die USA entweder aus dem Krieg in Europa heraushalten sollten oder alle Amerikaner sollten sterilisiert werden, damit keine mordlustigen Ungeheuer nachwachsen. Wie das Nachrichtenmagazin Time am 24. März 1941 schrieb, hat »Sterilisierer Kaufman« im Lauf der Zeit einfach seine Grundidee auf den Feind übertragen. Aus der eindeutig ablehnenden Rezension der Zeitschrift geht außerdem hervor, daß das N. in seinem Namen für »Newman« steht, nicht für »Nathan«, wie heute noch hier und da zu lesen ist. Über den Artikel in Time hinaus wurde Kaufman, der offensichtlich ein exzentrischer, von einer fixen Idee besessener Einzelgänger war, kaum Aufmerksamkeit zuteil. Zumindest nicht in seiner Heimat.
Behemoth
Mehr Interesse erregte damals ein Werk, das allerdings heutzutage kaum noch jemand kennt: »Behemoth« von Franz Leopold Neumann, in erster Auflage 1942 erschienen. Sein Verfasser gehörte zur deutschen Emigrantenszene, er stand in Deutschland dem linken Flügel der SPD nahe, wurde 1933 verhaftet und floh kurz darauf nach London. Dort absolvierte der gelernte Jurist ein Zweitstudium der Politischen Wissenschaften. Nur drei Jahre später zog Neumann nach New York, um in Max Horkheimers Institut für Sozialforschung zu arbeiten, das von Frankfurt am Main dorthin umgesiedelt war.
»Behemoth« ist vom Inhalt, methodischen Ansatz und Anspruch her nicht annähernd mit den dubiosen Propaganda-Traktaten eines Nizer oder Kaufman zu vergleichen. Es analysiert die »Struktur und Praxis« des Nationalsozialismus, ausgehend von seinen Entstehungsbedingungen in der Weimarer Republik. Neumann kommt zu dem Ergebnis, daß im Dritten Reich vier Machtblöcke – NSDAP, Wehrmacht, Verwaltung und Wirtschaft – um die Vorherrschaft kämpften und die praktische Politik permanent untereinander neu aushandeln mußten. Seiner ideologischen Herkunft treu, stellt der Verfasser die Wirtschaft ins Zentrum seiner Betrachtungen. Aus der nach seiner Auffassung fehlenden einheitlichen Staatsgewalt folgert Neumann, daß das NS-System ein »Unstaat« sei, eine »Herrschaft der Gesetzlosigkeit und Anarchie«. So erklärt sich auch der Titel des Buches: »Behemoth« ist in der jüdischen Eschatologie [Lehre vom Endschicksal der Welt und der Menschen, die Red.] ein apokalyptisches Ungeheuer, das kurz vor dem Ende der Welt eine Schreckensherrschaft errichtet. Bereits Thomas Hobbes hatte mit dem Begriff eine Schrift betitelt, in der er das Chaos während des englischen Bürgerkriegs im 17. Jahrhundert schildert. Neumanns Buch wurde schon vor dem offiziellen Kriegsbeginn zwischen Deutschland und den USA fertiggestellt. Im Vorwort heißt es hierzu: »Da der Autor nie an die Möglichkeit einer russisch-deutschen Kollaboration glaubte, und da der Krieg mit den Vereinigten Staaten – erklärt oder nicht erklärt – seit 1939 ein Faktum war, hatten beide Ereignisse keinen Einfluß auf das Buch.«
Einfluß auf den Inhalt hatten dagegen seine Freunde (insbesondere die Kollegen am Institut für Sozialforschung), denen er namentlich dankt: Max Horkheimer, Frederick Pollock, Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer, A.R.L. Gurland, D.V. Glass, Ossip K. Flechtheim, E.J. Gumbel, M.I. Finkelstein, Norbert Guterman, Felix Weil. Und nicht zu vergessen Professor Alfred E. Cohn vom Rockefeller Institute for Medical Research, der Geld für die Druckkosten beisteuerte. Die Arbeit dieser illustren Emigranten-Denkfabrik, aber auch Neumanns ausdrücklicher Hinweis auf die Wichtigkeit der »psychologischen Kriegsführung«, haben offenbar die Aufmerksamkeit der Geheimdienste geweckt. Schon 1943 findet man Neumann als Mitarbeiter des Office of Strategic Services (OSS) wieder, einer Art Koordinierungsstelle für verschiedene Geheimdienste der USA. Dort erstellte er Expertisen, die den amerikanischen Planungen für Deutschland als Grundlage dienen sollten. Und es auch taten, zum Beispiel »wirkte er an der Konzeptualisierung der Nürnberger Prozesse mit. Daß das Rückwirkungsverbot bei der Bestrafung von NS-Verbrechen aufgehoben werden müsse, hat der Autor von ,Behemoth‘ schlüssig hergeleitet.« (Berliner Zeitung vom 5. Dezember 2000, S. 14) Dieses interessante Detail kam bei einer Tagung über Neumann in der Freien Universität Berlin zur Sprache.
Neumanns Einfluß auf die amerikanische Besatzungspolitik scheint also nicht unbedeutend gewesen zu sein. Sollte die amerikanische Politik aufgrund seiner Deutungen zur Überzeugung gelangt sein, daß der NS-Staat kein Staat war und das NS-Recht kein Recht, würde dies erklären, wie unbeschwert sich die Besatzer generell im Umgang mit Deutschland über das Völkerrecht hinweggesetzt haben. Die Wirkungsgeschichte Neumanns etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, könnte daher ein durchaus interessantes Forschungsprojekt sein...
Heinz Müller
06:30 Publié dans Affaires européennes | Lien permanent | Commentaires (0) | | del.icio.us | | Digg | Facebook
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