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lundi, 19 septembre 2011

Furiose Zeitkritik aus dem Geist des Pessimismus

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Furiose Zeitkritik aus dem Geist des Pessimismus

von Jürgen W. Gansel
 
Ex: http://www.deutsche-stimme.de/

Erinnerungswürdig: Vor 50 Jahren verstarb der französische Dichter und Deutschenfreund Céline

Im Europa der 1930er Jahre, als rechtsautoritäre Bewegungen den überlebten Liberalismus fortspülten und einem neuen Leben den Weg ebneten, wollten auch viele Dichter nicht abseits stehen. In Frankreich war Louis-Ferdinand Céline einer der schroffsten Kritiker der liberalkapitalistischen Gesellschaftsordnung, die er für jüdisch durchsetzt hielt.

1894 wurde Louis-Ferdinand Destouches, der sich später Céline nannte, in kleinbürgerliche Verhältnisse hineingeboren. Achtzehnjährig meldete er sich zu einem Reiterregiment, mit dem er an der Flandernfront den Weltkrieg erlebte. Nach einem Aufenthalt in Kamerun studierte der Kriegsversehrte Medizin, dem sich in Amerika und Europa eine medizinische Gutachtertätigkeit für den Völkerbund anschloß. Ab 1927 arbeitete der Franzose in seiner Heimat als Armenarzt. Neben dem Kriegserlebnis schärfte dies seinen Wirklichkeitsblick und ließ  ihn zu einem anarchischen Melancholiker werden.
Mit seinem Erstling »Reise ans Ende der Nacht« wurde Céline 1932 zu einem der großen Erneuerer der Literatur. Die Anerkennung für sein bahnbrechendes Schaffen können ihm selbst jene nicht verweigern, die Grund haben, ihm politisch ablehnend gegenüberzustehen. So stellte der jüdisch-amerikanische Gegenwartsautor Philip Roth über den Romancier fest: »Er ist wirklich ein sehr großer Schriftsteller. Auch wenn sein Antisemitismus ihn zu einer widerwärtigen, unerträglichen Gestalt macht. Um ihn zu lesen, muß ich mein jüdisches Bewußtsein abschalten, aber das tue ich, denn der Antisemitismus ist nicht der Kern seiner Romane. Céline ist ein großer Befreier.«
Noch 1995 unterstrich Ernst Jünger die nachhaltige Wirkung, die Céline auf ihn hatte. »Sein Roman machte großen Eindruck auf mich«, erklärte der damals Hundertjährige, »sowohl durch die Kraft des Stils als auch durch die nihilistische Atmosphäre, die er hervorrief und die in vollkommener Weise die Situation dieser Jahre widerspiegelte.« Noch viel stärker mußte sich der Jünger der 1920er und 30er Jahre von dem Werk angezogen fühlen, das dem bürgerlichen Zeitalter seine erschütternde Schadensbilanz präsentierte. So positiv Jünger die literarische Leistung und illusionsfreie Lebenssicht des Romanciers bewertete, so negativ fiel die Bewertung der Person und ihres »plakativen Antisemitismus« aus.

Eine neue Ästhetik

Mit Sprache, Form und Inhalt der »Reise ans Ende der Nacht« setzte sein Autor neue Akzente: Umgangs- und Schriftsprache wurden zu einer lebendigen Einheit verschmolzen, und der umstandslose Wechsel von Zeiten und Orten sprengte das konventionelle Erzählschema. Vor allem aber zog der Inhalt in seinen Bann. Mit einer Mischung aus bösartigem Spott, grimmigem Humor und kalter Abgeklärtheit wird eine kapitalistische Welt gezeigt, die es besser gar nicht gäbe. Welt und Mensch erscheinen als abgrundtief schlecht und berechtigen weder zu romantischen Fluchtbewegungen noch zu revolutionären Aufbrüchen.


Célines erzählerische Kraft erhält der Roman durch den autobiographischen Charakter. Die »Reise ans Ende der Nacht« zeichnet den Lebensweg eines jungen Franzosen nach, der durch die Schrecknisse des Ersten Weltkrieges, den Stumpfsinn des Lebens in einem afrikanischen Kolonialstützpunkt, die menschliche Kälte in der kapitalistischen Metropolis New York und das soziale Elend der Pariser Vorstädte um jegliches Weltvertrauen gebracht wird.
Auf den nordfranzösischen Schlachtfeldern durchleidet der Protagonist Ferdinand Bardamus – in seinem erbärmlichen Leben wie das Sturmgepäck eines Soldaten (franz.: barda) hin- und hergeworfen – das »Schlachthaus« und die »Riesenraserei« des Weltkrieges.


In düsteren Worten geißelte Céline die Sinnfreiheit des Krieges einschließlich des Sadismus der Vorgesetzten und des Zynismus der Heimatfront. Diese radikal negative Sicht auf das Kriegsgeschehen übersteigerte er jedoch derart, daß Waffendienst an der Nation, Heldentum und Vaterlandsliebe generell als niederer Wahn erscheinen. Damit fiel Célines grenzenlosem Nihilismus auch alles das zum Opfer, was Millionen seiner Zeitgenossen heilig war. Im Gegensatz zu Ernst Jünger wollte er im Krieg auch keine Gelegenheit zu einem vitalisierenden Stahlbad und zur Steigerung aller Erfahrungsmöglichkeiten sehen. In seinem unnationalen und unheldischen Zug ist der Roman Célines befremdlich.


Viel eher stimmt man der Darstellung des entmenschlichten Lebensalltags im amerikanischen Kapitalismus zu. Erschreckend gegenwärtig mutet es an, wenn der Autor sezierend den modernen Herdenmenschen mustert. »Unheilbare Melancholie« ergreift Ferdinand Bardamus, mehr noch, Lebensekel packt ihn angesichts der »gräßlich feindlichen Welt«, die er in New York vorfindet. Vereinsamung, billige Zerstreuungen, »Zwangsarbeit« in den Tretmühlen der Kapitalbesitzer und Kommerz (»dieses Krebsgeschwür der Welt«) münden in die Essenz der Célineschen Weltauffassung: »Ein Scheißspiel, das Leben.«

Antikommunismus und Antijudaismus

Die »Reise ans Ende der Nacht« wurde sowohl bei radikalen Rechten als auch Linken positiv aufgenommen, weil jede Seite eigene Gesinnungselemente zu entdecken glaubte: Die Linke rühmte Célines Antimilitarismus und Ablehnung des Hurrapatriotismus, die Rechte faszinierte seine Verdammung der bürgerlichen Gesellschaft, sein illusionsloser Blick auf das menschliche Wesen und seine Resistenz gegenüber Utopie- und Fortschrittsglauben.
Das für die politische Biographie entscheidende Damaskuserlebnis war eine Reise in die Sowjetunion, die der Autor 1936 in dem Buch »Mea culpa« verarbeitete. Der Bolschewismus stellte für den Franzosen den totalen Bankrott jeder Ethik dar. In den roten Revolutionären sah er Heuchler, die eine Besserung der Welt versprechen, aber nur Verbrechen begehen. Als Antikommunist und Judengegner war dann Célines Weg in das »faschistische« Lager vorgezeichnet.


Schon 1916 fand sich in Briefen des Autors Judenkritisches, das 1938 in dem Buch »Bagatelles pour un massacre« (in Deutschland unter dem Titel »Die Judenverschwörung in Frankreich« erschienen) radikalisiert wurde. Aufgrund ihrer Überrepräsentanz in den Schaltstellen der Macht seien die Juden für Dekadenz und Elend der westlichen Welt verantwortlich. In dem Buch »L’Ecole des cadavres« (1939) vertrat Céline zudem die Auffassung, daß der Untergang Frankreichs nicht zu beweinen sei, weil sich die Franzosen der jüdischen Macht ergeben und damit alle Chancen zu einer rassischen Auslese vertan hätten. Dem nationalsozialistischen Deutschland bleibe dieses Schicksal hingegen erspart, weil die Deutschen ihr Volkstum pflegten.


Von Adolf Hitler erwartete er auch für die Masse der Franzosen Hilfe, weil der »Führer« gezeigt habe, wie man ein Volk zu Nationalbewußtsein und Selbstachtung führe – ein deutlicher Positionswechsel gegenüber früher, wo er Patriotismus als Herrschaftsmittel zu entlarven suchte.


Die Schrift »Les beaux draps« (1941) ist eine Hymne auf die militärische Niederlage Frankreichs im Juni 1940 und die Möglichkeit eines deutsch-französischen Bündnisses. Die Schuld am Scheitern dieser Perspektive gab er seinen Landsleuten, weil sie nur halbherzig mit den Deutschen zusammengearbeitet hätten. Es kam nicht die ersehnte Einheitspartei – eine »Partei der sozialistischen Arier« und nationalgesinnten (nichtjüdischen) Franzosen –, sondern das verhaßte Parteiensystem blieb auch nach der Niederlage bestehen.


In der Besatzungszeit unterhielt Céline Kontakte zu zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Damals war der Dichter längst zu einer Figur auf dem politischen Parkett geworden, der an Veranstaltungen für die Kollaboration teilnahm und die »Parti Populaire Français« des Jacques Doriot aufgrund ihres antikommunistischen und antijüdischen Programms unterstützte.


Im Dezember 1941 begegnete Ernst Jünger Céline im Deutschen Institut in Paris und hielt über dessen Forderung an die deutsche Besatzungspolitik fest: »Er sprach sein Befremden, sein Erstaunen darüber aus, daß wir Soldaten die Juden nicht erschießen, aufhängen, ausrotten – sein Erstaunen darüber, daß jemand, dem die Bajonette zur Verfügung stehen, nicht unbeschränkten Gebrauch davon mache.« – Interessante Ansichten eines Franzosen, die zeigen, wie die deutsche Besatzungspolitik in Frankreich entgegen den Behauptungen der Umerziehungshistoriker eben nicht war.


Im Juni 1944 floh Céline mit seiner Frau ins deutsche Sigmaringen, wo sich bereits die Vichy-Regierung befand. Gegen Ende des Krieges setzte er sich nach Dänemark ab, wo er einige Jahre in Gefängnissen und Krankenhäusern zubrachte. In seinem Heimatland wurde Louis-Ferdinand Céline als Landesverräter verurteilt, aber 1950 amnestiert. In der »deutschen Trilogie« verarbeitete er seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und »drückte seine subversive Freude am Untergang der westlichen Zivilisation aus« (Franz W. Seidler).

Subversive Untergangsfreude

Was kann einem Céline heute noch sagen? Der Befund einer aus den Fugen geratenen, gänzlich entwerteten Welt ist aktueller denn je. Dabei hat sich der im Juli 1961 – vor ziemlich genau 50 Jahren – Verstorbene wohl nicht vorstellen können, daß seine Zeit verglichen mit dem Hier und Heute noch beinah intakte Bestände des Menschlichen aufwies. Es dürfte für ihn unvorstellbar gewesen sein, daß die »Reise ans Ende der Nacht« erst im 21. Jahrhundert als Höllenfahrt Europas richtig an Fahrt gewinnt.


Der von Céline so erschütternd und gleichzeitig großartig beschriebenen Nacht des Niedergangs muß ein neuer Morgen folgen. Bleibt er aus, gähnt wirklich nur noch das große Nichts und der Tod der europäischen Kulturvölker.

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