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samedi, 10 mai 2014

Zivilreligion und Protestantismus

Zivilreligion und Protestantismus

von Moritz Scholtysik

Ex: http://www.blauenarzisse.de

 

Luthimg3d.php.jpegDer evangelische Theologe Karl Richard Ziegert untersucht und kritisiert ausführlich die Rolle der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Entstehung der bundesdeutschen Zivilreligion.

 

Der bundesdeutsche Umgang mit der eigenen Geschichte, die Ursprünge der Bundesrepublik selbst sowie die ihr vorangegangenen dunklen zwölf Jahre sind auf eine besondere Weise religiös aufgeladen. Dieser Umstand ist kein Zufall, sondern das Ergebnis gezielter Aktionen vor allem der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), die sich damit sehr früh als eine der obersten politisch-​gesellschaftlichen Hüterinnen des sogenannten Schuldkultes etablierte.

Dies versucht der promovierte evangelische Theologe Karl Richard Ziegert in einem wahrlich ausführlichen Werk zu zeigen und weiß Erhellendes zu berichten, sowohl über die deutsche Vergangenheitsbewältigung als auch über die Entwicklung des deutschen Protestantismus seit dem späten 19. Jahrhundert, im Hinblick auf sein Verhältnis zum Staat.

Die „Stuttgarter Schulderklärung“: Geburtsstunde der Zivilreligion

Im ersten Abschnitt des Buches klärt Ziegert den Leser „über die heiligen Dinge der Bundesrepublik“ auf und erläutert Begriff und Struktur der Zivilreligion. Unter dem Eindruck von Niederlage und Besetzung sowie der alliierten Umerziehung bildete sich in Deutschland eine Öffentlichkeit heraus, die es bis heute als ihre moralische Pflicht ansieht, sich selbst und somit die eigene Identität, Geschichte und Kultur an den Altären der Zivilreligion zu opfern. Die Essenz dieser Zivilreligion ist die vermeintliche Kollektivschuld, die das deutsche Volk in den Jahren 1933 bis 1945 auf sich geladen haben soll.

Besonders wichtig ist jenes Kapitel, in dem der Autor detailliert das Zustandekommen der Stuttgarter Schulderklärung der EKD vom 18. Oktober 1945 nachzeichnet. Diese sehr spannenden Ausführungen zeigen, wie der einflussreiche protestantische Theologe Karl Barth und seine Mitstreiter unter massivem Einfluss amerikanischer und britischer Geheimdienste geschickt den innerkirchlichen Widerstand gegen eine solche Unterwerfung ausspielten und sich schließlich offiziell zur allgemeinen Schuld der Deutschen und des deutschen Protestantismus bekannten. Diese Erklärung der EKD ermöglichte laut Ziegert erst die Etablierung der Zivilreligion und des Schuldkultes.

Die politische Funktionalisierung des Religiösen

Da die deutsche Kollektivschuld nicht auf Tatsachen beruht, konnte sie Deutschland nicht einfach angehängt werden, sondern benötigte Verfechter aus den eigenen Reihen, so Ziegert. Diese fand man in den protestantischen Theologen um Karl Barth, die spätestens ab 1919 eine starke Verschränkung von Politik und Religion propagierten. Dem Dritten Reich standen sie nicht derart ablehnend gegenüber, wie sie es nach der deutschen Kapitulation 1945 behaupteten.

In den darauffolgenden Abschnitten zeigt Ziegert, wie sich die bundesdeutsche Zivilreligion im Laufe der Jahrzehnte festigte und in der politischen Kultur weiterhin gegenwärtig ist. Daran ist auch die EKD durch die politische Funktionalisierung des Religiösen maßgeblich beteiligt.

Mangelnde Trennschärfe

Ziegerts Arbeit ist sehr genau, doch ist seine Definition des Begriffes „Zivilreligion“ insofern mangelhaft, als dass er diesen nicht klar gegenüber der Politischen Theologie abgrenzt. Trotz massiver Unterschiede verschwimmen bei dem evangelischen Theologen die Bedeutungen. Beispielsweise liefert er Zitate von Wilhelm Stapel oder Franz von Papen, die sich für einen christlichen Staat aussprechen und ordnet diese in eine kontinuierliche Entwicklung in Deutschland ein, an deren Ende eben die heutige Zivilreligion steht.

Dabei ist das Hauptmerkmal der bundesdeutschen Zivilreligion die Sakralisierung des Politischen, also Profanen. Damit schafft sich unsere postchristliche Gesellschaft nicht nur eine Ersatzreligion, sondern legitimiert zudem die politischen Institutionen der BRD, beispielsweise das Grundgesetz, auf religiöse Weise. Dies steht im Gegensatz zu einer politischen Ordnung, die ihre Institutionen im Einklang mit einer religiösen beziehungsweise kirchlichen Lehre bildet, wie zum Beispiel dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.

Verhältnis von Kirche und Staat

Karl Richard Ziegert nimmt bei seiner Untersuchung eine lutherische Position ein, die in einem Zitat Martin Luthers deutlich wird, welches dem Buch vorangestellt ist. Demnach sei es hinreichend, wenn eine Regierung von der Vernunft geleitet würde. Es bestehe keine Notwendigkeit einer christlichen Überzeugung. Zu dieser Ansicht kommt hinzu, dass Ziegert eine eindeutige Trennung der Sphären von Politik und Religion befürwortet.

Im Hintergrund zur eigentlichen Thematik des Buches stellt sich somit auch die altbekannte Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche beziehungsweise Politik und Religion. Trotz der Ferne moderner Gesellschaften zu institutionalisierten Religionen (nicht Zivil– oder Ersatzreligionen), ist diese Frage dennoch grundsätzlich und birgt zumindest für heutige Konservative die Möglichkeit zur fruchtbaren Debatte.

Neue Blickwinkel und Erkenntnisse

Zivilreligion. Der protestantische Verrat an Luther bietet einen profunden Beitrag zum Thema Vergangenheitsbewältigung sowie einen detailreichen Überblick über interne kirchenpolitische Debatten des deutschen Protestantismus seit Ende des 19. Jahrhunderts. Der Zusammenhang beider Punkte dürfte den meisten Lesern weitestgehend neu sein, somit ist Ziegerts Abhandlung für das Verständnis der jüngeren deutschen Geschichte sehr wertvoll.

Das Gesamtbild wird allerdings getrübt, da die Grenzen des Begriffes der Zivilreligion verschwimmen und der Autor diesbezüglich undifferenziert vorgeht. Nichtsdestotrotz weckt diese Thematik Interesse und den Wunsch, sich damit weiter zu befassen.

Karl Richard Ziegert: Zivilreligion. Der protestantische Verrat an Luther. Wie sie in Deutschland entstanden ist und wie sie herrscht. 480 Seiten, Olzog Verlag 2013. 48,00 Euro.

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