Ok

En poursuivant votre navigation sur ce site, vous acceptez l'utilisation de cookies. Ces derniers assurent le bon fonctionnement de nos services. En savoir plus.

mercredi, 13 mai 2015

Das Schicksal der Deutschbalten

Riga-middelalder-med-Svarthodenes-hus-til-hoyre.jpg

Das Schicksal der Deutschbalten

von Georg Schäfer

Ex: http://www.blauenarzisse.de

baltend.jpgVor fast 100 Jahren wurden die meisten Deutschen aus dem Baltikum vertrieben. Die komplexe Vorgeschichte schildert Siegfried von Vegesacks packende Romantrilogie Die Baltische Tragödie.

Die Worte von Leutnant Kay im Roman Die Geächteten von Ernst von Salomon stoßen heute bei vielen Deutschen auf Unverständnis: „Riga. Eine deutsche Stadt immerhin, von Deutschen begründet, aufgebaut und bewohnt.“

Vielen heutigen Deutschen ist die Leidensgeschichte der Baltendeutschen unbekannt. Dabei lebten sie fast 700 Jahre im Baltikum und gehörten der zur oberen sozialen Schicht an. Die letzten Jahre der deutschen Siedlung im Baltikum und den Untergang dieser Kultur beschreibt von Vegesacks Romantrilogie von 1935.

Kindheit auf dem Blumbergshof

Der baltendeutsche Schriftsteller hat hier eine stark autobiographische Darstellung vorgelegt: Sie beginnt mit der unbeschwerten Kindheit auf einem Gutshof in Livland, das im Gebiet des heutigen Estlands und Lettlands liegt. Aurel von Heidenkampf wächst auf dem Blumbergshof, irgendwo in Livland, sorgenfrei auf. Zahlreiche lettische Diener umsorgen ihn und seine Familie von früh bis spät. Aurel spürt schon früh, dass eine unsichtbare gläserne Mauer die Welt der deutschen Herren und der lettischen Knechte trennt. Diese Mauer wird etwa dann sichtbar, wenn sich die lettischen Bauernkinder nicht trauen, die Kinder der deutschen Herren bei einer Rauferei zu stark anzugehen. Denn andernfalls müssten sie befürchten, dass ihren Vätern das gepachtete Land gekündigt wird.

Aurel bleibt bei der Bewertung dieser sozialen Verhältnisse zwiegespalten. Einerseits erkennt er das Unrecht, dass der lettischen Bevölkerung widerfährt und schämt sich für sein luxuriöses Leben. Andererseits aber kann er auch nicht aus den Traditionen seiner Familien und der deutschen Oberschicht ausbrechen. Aurels Familie besteht neben seinen drei Brüdern und einer Schwester auch aus vielen Tanten und Onkeln. Diese Tanten und Onkeln sind untereinander sehr verschieden. Zum einen ist da der „angerusste“ Onkel Jegor, der in einem hohen Posten der russischen Regierung in Sankt Petersburg dient. Denn zu dieser Zeit stand das Baltikum unter der Herrschaft des Zarenreiches.

Die Russifizierung der Baltendeutschen

Eine andere Position nimmt Aurels Onkel Rembert ein, der sich gegen den Einfluss der russischen Regierung und der russischen Nationalisten auf das Baltikum verwehrt. Auf Aurel wirkt er wie ein alter Ordensritter. Die Idylle der frühen Kindheit wird allerdings immer wieder durch die Verlusterfahrungen gestört, die Aurel macht. Alle Personen, zu denen er eine innere Bindung herstellt, versterben bald darauf. Zuerst sterben seine Betreuerin, sein Hauslehrer, sein Cousin und sein engster Freund Boris. Schließlich folgt der Vater, nachdem Aurel zu ihm ein innigeres Verhältnis aufgebaut hat.

Nach dem Tod des Vaters zieht die Familie nach Riga. Hier erlebt Aurel, die starke Russifizierungsbestrebungen der russischen Regierung in der Schule, der sich die Baltendeutschen ausgesetzt sehen. Aurel weigert sich, die Erklärung „ Ich bin ein Russe!“ des russischen Geschichtslehrers zu schreiben. Sein Widerstand wird mit Schikane bestraft. Daraufhin nimmt Aurel eine noch stärkere russland-​kritische Haltung an. In Riga wird er von den dort lebenden Verwandten aus zwei völlig unterschiedlichen Seiten kritisiert. Sein russlandfreundlicher Onkel Jegor fordert Aurel und die Balten insgesamt auf, mehr Integrationswillen gegenüber dem russischen Zarenreich zu zeigen.

Vom Baltikum nach Berlin

Seine Klavierlehrerin, Tante Arabelle, hingegen kritisiert die baltische Gemütlichkeit. Sie schätzt den Arbeitssinn der Reichsdeutschen. Aurel orientiert sich aber am stärksten an seinem Onkel Rembert. Rembert fordert für die Baltendeutschen gegenüber der russischen Regierung ihre verbrieften Rechte ein. Eine starke Belastungsprobe für die Baltendeutschen ist die Revolution von 1905. Die schwappt von Russland auch nach Livland über. Die zuvor von der russischen Regierung aufgehetzten Letten ermorden deutsche Gutsbesitzer und brennen deren Höfe nieder. Auch einige von Aurels Verwandten fallen dem lettischen Mob zum Opfer. Erst durch eine russische Militärintervention kann das Gemetzel gestoppt werden.

Doch gleichzeitig lässt die russische Regierung die Hintermänner entkommen. Es ist klar, dass die Baltendeutschen dem zwiespältigen Treiben der russischen Regierung hoffnungslos ausgeliefert sind. Sie sind Herren ohne Heer, so der Titel des zweiten Bandes. Die Weltgeschichte überrollt die gemütlichen Balten. Doch für Aurel geht das Leben weiter. Nach dem Gymnasium studiert er – nach langem Ringen – zunächst Geschichte in Dorpat im heutigen Estland, um dort wie seine Brüder Mitglied bei der Studentenverbindung Livonia zu werden. Nachdem er bei einer Mensur am Auge verletzt wird, bricht er sein Studium ab. Er studiert danach in Berlin Musik. Berlin jedoch bleibt Aurel fremd, ebenso wie die Reichsdeutschen. Er ist irritiert und auch verletzt von ihnen als „Deutsch-​Russe“ abstempelt zu werden. Haben doch gerade die Auslandsdeutschen aufgrund der Verteidigung ihres Volkstums ihr Deutschtum stärker bewahrt als die Reichsdeutschen.

Doch trotz der Ablehnung fühlt er, dass in Deutschland auch nach siebenhundert Jahren noch immer seine Wurzeln liegen. Wieder zuhause angekommen, währt das Glück nur kurz. Schon kurz darauf, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, werden die Deutschen endgültig von den Letten aus dem Baltikum vertrieben. Die deutsche Kultur im Baltikum geht in den Wirren des Russischen Bürgerkriegs und des Kampfes zwischen Freikorps und Letten unter.

Ein unheimlich aktuelles Werk

Siegfrieds von Vegesacks Roman ist ein epochales Werk. Man findet keinen besseren Roman, wenn man sich mit dem Schicksal der Deutschen im Baltikum beschäftigen möchte. Hieran ändert auch der Schreibstil von Vegesack nichts. Die zum Teil bandwurm-​artigen Sätze stören den Lesefluss aber nur leicht. Zudem wohnt seinem Werk auch eine zum Teil ungeahnte Aktualität inne. Wird unsere deutsche Kultur nicht auch immer mehr durch eine große, fremde Macht von außen beeinflusst? Und drohen uns nicht, wenn auch unter anderen Vorzeichen, ähnliche Bürgerkriegsszenarien wie im Baltikum? Die Antwort auf diese Fragen finden sich in von Vegesacks Trilogie.

Siegfried von Vegesack: Die baltische Tragödie. Reihe Die Vergessene Bibliothek. Verlag F. Sammler 2004. 520 Seiten. Gebunden. 19,90 Euro.