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vendredi, 22 août 2008

Die Memoiren von Jaruzelski

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Die Memoiren von Jaruzelski: bemerkenswerte Notizen über die Rolle des Staatsmannes

 

Analyse: Wojciech Jaruzelski, Hinter den Türen der Macht. Der Anfang vom Ende einer Herrschaft,  Militzke Verlag, Leipzig, 1996, 479 S., ISBN 3-86189-089-5.

 

Im Frühsommer 1992 publizierte der polnische General Jaruzelski ein Buch, wo er seine politische Erinnerungen darstellte. Er schilderte die Ereignisse in Polen ab dem 13. Dezember 1981, wenn das Kriegsrecht ausgerufen wurde. Moskau fürchtete, daß das destabilisierte Polen das sowjetische Herrschaftssystem wankeln ließ. Deshalb sollte die kommunistische Moskau-treue Ordnung wiederherstellt werden. Jaruzelski hatte als Aufgabe bekommen, sein Land sowjettreu zu erhalten, eben durch Mittel der Gewalt, wenn nötig. Die Kapitel seines Buches enthüllen wenig bekannte Sachlagen der polnischen Zeitgeschichte in den Jahren 1980-1985. Obwohl “Sozialist” und Anhänger des damals “realexistierenden” Sozialimus sowjetischer Prägung, erscheint uns nach diesen tumultvollen Ereignissen der Militär Jaruzelski als eine Art konservativer “Katechon”, d. h., um die Definition von Carl Schmitt zu wiederholen, als ein Staatsmann, der als Aufgabe hat, die Ordnung zu herstellen und sein Staatswesen vom Chaos und Zerfall zu retten.

 

Selbstverständlich bleibt in unseren Augen der Kommunismus ein Fremdkörper am Leibe der polnischen Nation und die Solidaritätsbewegung Walesas ein spontaner Ausdruck des Volkzornes. Nichtdestoweniger muß heute der neutrale Beobachter doch wohl annehmen, daß fremde Geheimdienste “Solidarnosc” manipuliert haben, genau um das schon morsche Sowjetsystem zu sprengen, am Ort wo es am weichsten war, d. h. zwischen dem sowjetischen Großraum und der DDR (Thüringisches Bollwerk und Speerspitze der Warschauer-Pakt-Verbände). Konservative und militärische Kräfte innerhalb des Sowjetsystems konnte eine solche zwar demokratische aber doch “abenteuerische” Entwicklung in den damaligen Kräftenverhältnissen nicht dulden. Jaruzelski wurde als Retter der Lage eingesetzt: als Militär hat er den Befehlen seiner politischen Vorgesetzten gefolgt. Die Geisteshaltung von Jaruzelski wird im Buch deutlich dargelegt. Sie kann eigentlich als konservativ-erhaltender bzw. katechonischer (im Schmittschen Sinn) Art betrachtet werden. Folgende Aussagen zeugen davon: “Geschichte und Geographie sucht man sich nicht aus. In meiner Generation findet man kaum Menschen, die aus einem Stück Holz geschnitzt sind. Das Leben hat uns aus den Splittern des Schicksals und den Abschnitten des Weges geformt. Wir waren Kinder unserer Zeit, unseres Milieus,  unseres Systems. Jeder ist auf seine Weise aus diesem Rahmen ausgebrochen. Nicht jeder, dem das schnell gelang, verdient Achtung. Und nicht jeder, dem das erst später gelang verdient Verachtung. Das Wichtigste ist, wovon der einzelne Mensch sich leiten ließ, wie er das tat, was er tat, und was für ein Mensch er heute ist”  (S. 8).

 

“Als Soldat weiß ich, daß ein militärischer Führer und überhaupt jeder Vorgesetzte für alles und alle verantwortlich ist. Das Wort ‘Entschuldigung’ mag nichtssagend klingen, aber ein anderes Wort kann ich nicht finden. Ich möchte deshalb um eines bitten: Wenn es Menschen gibt, bei denen die Zeit die Wunden nicht geheilt, den Zorn nicht zum Erlöschen gebracht hat, dann mögen sie diesen Zorn vor allem gegen mich richten, nicht aber gegen diejenigen, die unter den gegebenen Bedingungen, erhlich und in gutem Glauben, viele Jahre lang ihre ganze Arbeitskraft dem Aufbau unseres Vaterlandes geopfert haben”  (S. 9).

In seinem Schluß, äußert sich Jaruzelski in einem klaren “katechonischen” Stil: “Außergewöhnliche Situationen und Maßnahmen führen oft zu Blutvergießen. Wir wissen, daß in vielen Ländern der Ausnahmezustand Tausende und Abertausende von Menschenleben gekostet hat. Wir dagegen trafen diese dramatische Entscheidung eben deshalb, damit es nicht zu einer solchen Tragödie komme. Dies ist uns in hohem Maße gelungen. Hunderprozentig leider nicht. Im Bergwerk “Wujek” kam es zum Schußwaffengebrauch, neun Bergleute kamen ums Leben. Dieses schmerzliche Ereignis wirft bis heute seinen Schatten auf die Gesamtbewertung der damaligen Vorgänge”  (S. 465). 

 

Seine nüchtere Beobachtung der menschlichen Kräfte in der Politik erweisen sich erstaunlich dem konservativ-katechonischen Gedankengut von Denkern wie Donoso Cortés, Joseph de Maistre oder Constantin Franz nah: “Im Machtapparat gab es viele nachdenkliche, gebildete und erfahrene Menschen. Leider führt eine Summe von klugen Köpfen nicht automatisch zu einem Zuwachs an Klugheit. Oftmals wird man von den Dümmeren hinabgezogen, die durch Fanatismus, Demagogie und Schneid dafür sorgen, daß selbst die besten Absichten mit falschem Zungenschlag vorgetragen werden. Sowohl aus objektiven als auch aus subjektiven Gründen ließ sich die Regierungsbasis nicht wesentlich erweitern. Sehr viele wertvolle Menschen, die sich auf keiner der beiden Seiten klar engagieren wollten, gerieten ins Abseits”  (S. 466).

 

Der Unterscheid zwischen Mythologie und Pragmatismus in der Politik sieht der polnische General auch klar: “Die Mythologie ist ein untrennbarer Bestandteil des Gesellschaftsleben. Diese Färbung hat auch der Begriff “Ethos der ‘Solidarnosc’”, obwohl er heute schon merklich an Lebenskraft verliert. Wahrscheinlich war es Pilsudski, der gesagt hat, daß die Polen “nicht in Tatsachen, sondern in Symbolen denken”. Der Pragmatismus hat in der Politik ungeheure Vorteile und sollte eigentlich Wegweiser für alle Führungsmannschaften sein. Aber Pragmatismus allein reicht nicht. Er ist dürr und grau, wenn seine Vertreter nicht gleichzeitig an die emotionalen Grundlagen des kollektiven und des individuellen Bewußtseins appellieren” (S. 469).  Skeptisch bleibt Jaruzelski, wenn er die totale Wirtschafts-Liberalisierung der ehemaligen Ostblokstaaten observiert: “Ich fürchte, daß verschiedene Racheparolen, die zur “Dekommunisierung” aufrufen, unsere Aufmerksamkeit von den wesentlichen Zielen ablenken und zu einer Zersplitterung der Anstrengungen unserer Gesellschaft führen könnten. Das wäre für Polen im wahrsten Sinne des Wortes mörderisch. Es kann den Interessen unseres Landes nur schaden, wenn man sich in dieser von Rivalität, Wettlauf und Konkurrenz geprägten Welt Ersatzziele sucht und die Energie der Gesellschaft darauf verschwendet”  (S. 470).

Jaruzelski hat einen sowjetgeprägten Staat verteidigt und gerettet, ohne anscheinend ein Anhänger der kommunistischen Ideologie zu sein. Warum hat er dann so gehandelt? Kapitel 28 des Buches gibt uns eine sehr detaillierte und interessante Antwort. Hauptsache für den General ist es, die Souveränität Polens zu bewahren: “Gab es für Polen nach dem Zweiten Weltkrieg die Chance, als vollkommen unabhängiger Staat zu existieren, ohne sowjetischen Einfluß? (...) Teheran, Jalta und Potsdam gehören zu jenen Knotenpunkten in der neuzeitlichen Geschichte, über die die Historiker endlos diskutieren werden. (...) Die Mehrheit der damaligen Politiker mußte das Abkommen von Jalta wohl oder übel als gegebene Realität (...) hinnehmen (...). Die existierende Ordnung zwang auch Polen ihre Spielregeln auf und bestimmete seinen Handlungsspielraum. Als Militär konnte ich nicht so tun, als ob ich das nicht wüßte”  (S. 302-303).

Jaruzelski erinnert seine Leser an einen Brief, den er an seine Mutter und seine Schwester 1945 geschrieben hatte: “Ich bin verpflichtet für Polen zu dienen und zu arbeiten, ganz gleich, wie Polen auch aussehen mag und welche Opfer von uns auch gefordert werden mögen”  (S. 304). Der junge damalige Offizier wollte sein Land als ein real-existierende polnischer Staat, für Polen “wie es auch aussehen mag”, und dieses Pflicht allem anderen überordnen. Die nationalen Deutsche werden sehr wahrscheinlich eine solche Bekenntnis als dubiös und unhaltbar betrachtet, sie ist trotzdem wihl oder übel eine typische Haltung des polnischen Offizierentum, wo Dienst und Pflicht wichtiger erscheinen als etwa ethnische oder historische Fakten oder ideologische Konstruktionen. Jaruzelski skizziert in diesem 28. Kapitel die Auseinandersetzungen zwischen den Londoner-Polen um General Anders und den Moskauer-Polen.

 

Die westliche Mächte haben die neue Westgrenzen Polens nie garantiert, im Gegenteil zu Moskau. In den Augen Jaruzelskis, erscheint also die Sowjetunion als ein treuer Garant und ein fester Bundgenosse. Nur Moskau garantierte dem polnischen Staat eine feste und klare Gestalt. Die Londoner-Polen wollten die Grenzen von 1939, was die Sowjets nie akzeptiert hätten, weil Polen Riesengebiete Weißrußlandes und der Ukraine 1921 annektiert hatte, so lief Polen die Gefahr, an der Gestalt des früheren Kongreß-Polen reduziert zu werden, d. h. ein Land, das zergliederte Grenzen gehabt hätte, die nicht zu verteidigen waren.  So wurde das Schicksal der Ostdeutschen besiegelt: das mit der Sowjetunion verbündete Polen mußte seine eigene Ostgebiete abgeben und nach Westen als Kompensation erweitert werden.

Die Feinde Jaruzelskis betonen, Polen war im Warschauer Pakt versklavt. Dazu antwortet der General, daß es zwei Formen der Souveränitätsbeschränkung gibt: 1) Die freiwillige Beschränkung im Interesse des Staates oder einer verbündeten Staatengruppe; 2) Die Beschränkung, die Protektoratscharakter hat. Jaruzelski gibt zu, Polen war ein Protektorat bis 1956, danach war seine Souveränität nur “beschränkt” im Rahmen des Warschauer-Paktes. Funktionsfähigkeit des Staates und Vermeidung des sozialen und wirtschaftlichen Chaos sind die beiden Hauptaufgaben, die Jaruzelski sich gesetzt hatte.

Jaruzelski zitiert noch die Appelle von den Kanzlern Kreisky und Schmidt, die Ordnung zu retten, damit Polen seine vertragliche Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten erfülle, und Vernunft und Mäßigung zu pflegen. Weiter finden man den kompletten Wortlaut eines Berichts des polnischen Außenministers Jozef Czyrek über seinen Besuch beim Papsten (S. 353-354), und auch einen Bericht des General Kiszczaks über die sowjetischen, ostdeutschen und tschechischen Manöver an den polnischen Grenzen in Herbst 1981 oder durch Mittel von Geheimdienst-Agenten innerhalb der polnischen Grenzen selbst. Hätte Jaruzelski das Kriegsrecht nicht am 13. Dezember 1981 ausgerufen, wären die Warschauer-Pakt-Verbündeten am 16. einmarschiert, um Polen “vom Wurg der Konterrevolution” zu retten. Genauso wie in Prag 1968.

Die Aktion Jaruzelskis war also, wie der amerikanische antikommunistische “Falke” Zbigniew Brzezinski es geschrieben hat, die Übergang vom “kommunistischen Autoritarismus” zum “postkommunistischen Autoritarismus”. Solidarnosc ist nicht verboten worden, wie auch der Papst es Czyrek gebeten hatte, sondern einfach gezügelt, damit man Polen von einer sowjetischen Invasion, von Chaos und Bankrott bewahren konnte. Man kann skeptisch bleiben, aber die Lektüre dieses Buches ist hoch interessant, nicht weil es uns die Gedankenwelt eines sowjetfreundlichen polnischen Generals, sondern weil es sehr genau das Pflichtbewußtsein eines Militärs in der Politik enthüllt. Militärs, Katholizismus, Russophilie und Kommunismus mischen sich erstaunlicherweise in den Memoiren Jaruzelskis. All diese Ingredienten sind letzter Hand eine unstabile Mischung und entsprechen ganz genau die real-existierende polnische Identität (Robert STEUCKERS).

00:05 Publié dans Histoire | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : pologne, europe, stratégie, militaria, politique | |  del.icio.us | | Digg! Digg |  Facebook

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