Einem Monarchisten jüdischen Glaubens, Hans-Joachim Schoeps (1909-1980), fühle ich mich schon längst schicksalsgemeinschaftlich zugetan. Als seine preußischen Vorfahren, der Hohenzollern-Hausmacht huldigend, im Ersten Weltkrieg zu Felde zogen, meldete sich zeitgleich mein öesterreichisch-jüdischer Onkel zum Kriegsdienst. Auch als Greis mit steigender Hinfälligkeit schlug sich Schoeps gegen Deutschhasser jeder Couleur und vor allem gegen die Verächter des preußischen Erbguts. Außerdem trat er mutig der Beschimpfung entgegen, dass er gegen die von den Alliierten installierte Demokratie als „jüdischer Nazi“ antrat.
Während der Lektüre von Frank-Lothar Krolls Monographie über Schoeps’ Leben und Wirken, Hans-Joachim Schoeps und Preußen (2010), wurde ich angespitzt, über bestimmte Anklagen gegen den philosophierenden Historiker nachzudenken. Das Grübeln wurde durch eine Unterhaltung mit meinem Sohn veranlasst, nachdem er Schoeps’ Preußen. Geschichte eines Staates (1965) mit Gewinn las. Es fiel meinem Sohn auf, wie unerwartet ausgereift und unbefangen die darin befindlichen Geschichtsurteile sind. Schoeps scheint keineswegs von dem letzten Kaiser geblendet zu sein und er befindet etwa die deutsche Vereinigung unter Bismarck als einen Fehltritt, der der Entgrenzung der schon geregelten internationalen Beziehungen in Mitteleuropa Tür und Tor öffnete.
Falsche Fährte: Schoeps sieht das Aufgehen Preußens im Deutschen Kaiserreich kritisch
Des weiteren bekrittelte er die „Verausgabung“ der aufgespeicherten preußischen Kraftquellen, die das Zustandebringen des Deutschen Reiches ermöglichte. Besser wäre es für die jenseits der Elbe gesiedelten Deutschen ausgefallen, wenn Preußen nie in Deutschland aufgegangen wäre. Schoeps beruft sich auf die Vorfechter einer älteren, gutsherrlichen und christlich gebundenen, deutschen Tradition, die in Preußen auf dem Lande Wurzeln schlugen und in dieser Biosphäre langjährig gediehen ist. Diesem „anderen Preußen“ widmete er 1951 ein Werk, worin er hervorragende „konservative Gestalten“ im Zeitalter Friedrich Wilhelm IV. herausstellt und als Vorbilder der politischen Ehre hochhält. In dieselbe Kerbe schlägt er in seinen eingehenden Schilderungen von Ernst und Ludwig von Gerlach, die altkonservativen Gegner, die sich mit Bismarck zerstritten haben. Diese von Schoeps verehrten Ritterfiguren lehnten das Vereinigungsringen der Kleindeutschen und des Eisernen Kanzlers glattwegs ab. Wenn man einen Deutschnationalisten in Schoeps Preußengeschichte sucht, dann sitzt man also bestimmt auf dem falschen Dämpfer.
Trotzdem haftet ihm dauernd die Belastung an, dass nach Hitlers Machtantritt er und seine Mitkämpfer in dem rechtsgestellten deutschjüdischen Verein Vortrupp. Gefolgschaft Deutscher Juden für das hinaufziehende Dritte Reich eintraten. Wie der Chemnitzer Historiker Kroll stichhaltig beweist, gibt es gar keine Begründung für diese breitgetretene Schimpferei. Außer einer allgemeinen Versicherung seitens des Vereins, dass ihre Mitglieder dem deutschen Vaterland festgebunden blieben, erschliesst sich in seinem Bekenntnis zum Deutschtum kein Grund, warum damit zugleich Hitlers Machtstellung bejubelt worden wäre.
Positionen intellektueller Juden im Schicksalsjahr 1933
Etliche deutsche Zionisten, allen voran Joachim Prinz, der in die USA auswanderte, haben die Nazis eingangs schwärmend begrüsst. Diese jüdischnationalen Gegner der Assimilierung erhofften sich, dass ihre Stammesgenossen durch die Nazis in dem Maß ausgegrenzt worden wären, dass sie samt und sonders nach Palästina aufbrechen würden. Nach seiner Emigration firmierte Prinz als dezidiert „antifaschistisch“ und in den 1960ern wurde er dann zu einem Linksaktivisten, der gegen die bis dahin gewohnte Betensverrichtungen in den Staatsschulen mit besonderem Nachdruck opponierte.
Es gibt auch einen Briefwechsel zwischen Schoeps und dem schon ausgezogenen deutschen Zionisten, Gershom Scholem, worin Scholem Schoeps vorwirft, den Deutschjuden Sand in die Augen gestreut zu haben. Wenn er seinen Mitjuden behilflich sein wollte, dann würde er, so Scholem, Himmel und Erde in Bewegung setzen, um das jüdische Volk von Deutschland zu entfernen. Es ist beachtenswert, dass Scholem mehr als zwanzig Jahre als überzeugter Zionist agiert hat, bevor er die in Frage stehende Ansicht vorbrachte. Im Ersten Weltkrieg stellte er sich gegen die deutsche Seite, um die kaisertreuen Eltern zu bestürzen und um seine bewusste Distanz von seinem nichtjüdischen Geburtsort zu bekunden.
Innere Emigration deutschnationaler Juden bis zu dem Punkt, an dem das Exil unumgänglich wurde.
Es bleibt offen, ob Schoeps weniger tiefblickend war als sein Gesprächspartner. Schoeps hielt unbeirrt an seinem Vaterlandssinn fest. Das führte dazu, dass er Deutschland in den 1930ern durchstreifte und andere Juden aufrief, weiter auf ihrem Posten auszuharren, bis die brausende Krise verfliegt. Rückblickend war das unklug, aber verständlich dass Schoeps bis auf seine eigene Flucht am Heiligabend 1938 nach Schweden die Hoffnung hegte, dass die Nazis gestürzt werden könnten.
Dass er die Sachlage falsch einschätzte, war schade, ist aber bestimmt nicht mit Nazi-Mitwisserschaft gleichzusetzen. Es ist unberechtigt, seinen zionistischen Gegnern zuviel Einsicht beizumessen. Scholems betonierte antideutsche Stellung entstieg einer früheren Zeitepoche. Diese Haltung verdichtete sich bei ihm lange vor der katastrophalen Gegebenheit, die sein Antideutschtum zu rechtfertigen schien. Man würde dem antideutschen Scholem zuviel zumuten, wenn man glaubt, dieser habe schon 1913 den gesamten Verlauf der Zeitgeschichte von dem Kaiserreich bis zur Nazi-Gewaltherrschaft erspürt.
Versuche konservativer Restauration nach 1945
Eine für mich weniger verständliche Seite von Schoeps’ Tätigkeit ist seine langjährige Bestrebung, die Hohenzollernmonarchie nach 1945 wiederherzustellen. Kroll belegt, dass Schoeps nach seiner Heimkehr stets auf eine monarchistische Restauration hingearbeitet hat. Zum Thronprätendenten Louis Ferdinand von Hohenzollern (1907-1994) knüpfte er eine innige Beziehung. Er verschrieb sich parallel dazu der Aufgabe der Neugestaltung eines preußischen Landesgebiets. Sein Zorn war groß darüber, dass die Alliierten Nazismus im preußischen Militärgeist beheimateten. Aufgrund dieses Mißgriffs gingen die Siegermächte daran, Preußen als geläufigen Begriff und als Verwaltungsgebiet abzuschaffen, um es endlich aus dem Sinn der Deutschen zu schlagen.
Für Schoeps bilden Preußen und Monarchie ein einheitliches Gespann. Sein ausgeprägt preußisches Bewußtsein und die Wiedereindeutschung des dazugehörigen Ortsbezuges gingen mit einer monarchistischen Staatsform Hand in Hand. Beides zielte auf eine moralische Wiederbewaffnung der deutschen Nation ab, die nur zu erlangen war im Zusammenhang mit einer erneuten traditionsgebundenen Gruppenidentität. Schoeps beweifelte, dass die „liberaldemokratische“ Staatsform mit ihrer Betonung auf Erwerbstätigkeit und Konsumismus die erwünschte „Umkehr“ bewirken könnte. Nur die Wiederaufwertung einer preußischen Dienstethik mit einem „mehr an Autorität“ von einer altkonservativen Ausprägung, so Schoeps in einem „nicht gehaltenen Vortrag in eigener Sache“ vom Februar 1968, würde es den Deutschen erlauben, ein neues Selbstbewußtsein und eine Kollektividentität erreichen zu können. Die Frage steht noch offen, warum die angestrebte Restauration in den so gelagerten Umständen die gewollte Wirkung haben müsste. Auf Schoeps entfällt die Beweislast zu zeigen, dass die Rückkehr zu einer monarchistischen Staatsform das Genesungsverfahren in seiner zergeschlagenen Heimat beschleunigt hätte.
Die moralische Wiederbewaffnung der deutschen Nation und letztlich gescheiterte Konzepte dazu
Was er eigentlich verlangte, ist eine Galionsfigurmonarchie von einer Art, die schon in den Benelux-Ländern und in Großbritannien zu finden war. Eine solche Restauration strebte er an, als er in seiner Konservativen Erneuerung. Ideen zur deutschen Politik (1958) ausführte: Die monarchistische Staatsform sei Alternative zu einer nivellierenden Mittelstandsgesellschaft sowie Korrektiv zur „antiautoritären Vermassung und Entpersönlichung des öffentlichen Lebens“. Mit Respekt zu melden, deutet Schoeps auf keinen Heiligen Gral sondern auf die Ausdehnung auf die Deutschen von einer schon in Westeuropa befindlichen „figure head monarchy“.
In westlichen Ländern erzeugt dieser Bezug auf die Tradition allerdings kein Gegenmittel gegen die Auflockerung durch den liberaldemokratischen Nihilismus. Es wäre einfältig zu glauben, dass Schweden und England, um nur zwei treffende Beispiele anzuführen, den schädlichen Folgen der Spätmoderne entfliehen könnten, indem sie eine monarchistische Galionsfigur beibehalten. Sie eilen gleichfalls der Vermassung und Entpersönlichung, die Schoeps beängstigten, mit Vollgeschwindigkeit entgegen. In dieser Frage zeigt sich Schoeps als „politischer Romantiker“ schlechthin.
Das traurige Ende seiner wissenschaftlichen Karriere
Tieftraurig klang Schoeps’ professorale Laufbahn aus, als Ende 1967 der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) ihn in Erlangen aus seinen Seminaren mit Drohmitteln heraustrieb. Schoeps wurde von der Philosophischen Fakultät im Stich gelassen. Bis zu seinem Lebensende hat er mit Fakultätssitzungen keinen weiteren Kontakt gehabt und trotz seines internationalen Rufes als Sachverständiger über die urchristliche Kirche und deren Beziehung zu der alteren jüdischen Kulturwelt hat Schoeps nie wieder in einem akademischen Zusammenhang sein Fachwissen vermittelt.
Sein Gegengift gegen die massendemokratische Zerrüttung hätte keineswegs gereicht, das bangmachende Übel zu mildern – geschweige denn zu unterbinden. Die Wiederherstellung der spanischen Monarchie nach Francos Tod erreichte es nicht, Spanien auf einer mäßigen Kursrichtung zu halten. Das Land schwenkte danach ausufernd nach links in kulturellen sowie wirtschaftlichen Angelegenheiten. Warum hätte es anders in Deutschland ablaufen sollen, auch wenn es dem wackeren Schoeps gelungen wäre, sich programmatisch durchzusetzen?
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