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mercredi, 21 septembre 2016

Die Flüchtigkeit des Hier und Jetzt

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Die Flüchtigkeit des Hier und Jetzt

von Gereon Breuer
Ex: http://www.blauenarzisse.de

mogMM.jpgBücher über die Finanzkrise hat es viele gegeben. Keines warnt so eindringlich vor der Flüchtigkeit des Hier und Jetzt wie Martin Mosebachs „Mogador“. Eine Rezension.

Die Penetranz, in der Martin Mosebach Form und Stil mit der ihm eigenen Detailverliebtheit verbindet, polarisiert seit Jahrzehnten. Seine Kritiker werfen ihm beständig vor, weitgehend handlungslose Romane zu schreiben, deren Lesen oder gar Wiederlesen sich nicht lohne. Wer sich aber einmal in Mosebachs Stil verliebt hat, der kommt von seinem Prosawerk noch viel weniger los als von seinen essayistischen Beiträgen.

Der jetzt erschienene Roman Mogador macht da keine Ausnahme. Die Erzählung beginnt mit der Schilderung eines Hamam-​Besuchs des Protagonisten Patrick Elff. Dieser musste, so stellt sich im Verlauf des Buches heraus, nach Marokko in die einst prachtvolle Hafenstadt Mogador fliehen. Zwielichtige Finanzgeschäfte und die drohende Entdeckung seiner Mitwisserschaft waren der Hauptgrund für die Flucht. So jedenfalls stellt es sich auf den ersten Blick dar. Denn so wie die Erzählung die Flucht und das abenteuerliche Leben von Patrick Elff im Rückblick schildert, so sind die Flucht selbst und ihr Grund auch nur im Rückblick zu verstehen.

Geld muss man sich leisten können

Die Erzählperspektive ist deshalb ein eindrückliches Stilmittel, weil sie ganz und gar nicht zum Protagonisten des Romans passen will. Patrick Elff ist ein Mann in den besten Jahren, für den der Blick zurück mit Stillstand gleichzusetzen ist. Nach einer wirtschaftswissenschaftlichen Promotion hat er dem Berufsbeamtentum der universitären Welt den Rücken gekehrt. In einer Beratungsfirma mit einem Schwerpunkt im Beteiligungsrecht begann seine Karriere in der Finanzwelt. Von dort wechselte er zu einer Bank, wo er recht schnell in der Hierarchie aufstieg und dabei auch deutlich ältere Konkurrenten hinter sich gelassen hat.

Er erscheint als Karrieremensch durch und durch, der vor allem von der Vorstellung getrieben ist, seiner als äußerst attraktiv beschriebenen Frau Pilar mit einem ererbten Millionenvermögen ebenbürtig erscheinen zu müssen. Geld, so wird schnell klar, wird für Patrick Elff wichtig, weil es für seine Frau nicht wichtig ist. Diese arbeitet nämlich nur zum Zeitvertreib als Immobilienmaklerin und lässt ihren Mann immer wieder spüren, dass sie finanziell am längeren Hebel sitzt. Aus Sicht ihres Ehemannes genießt sie diese Stellung und schöpft daraus einen großen Teil ihres Selbstwertgefühls.

Geld als Basis des Selbstwertgefühls

Der daraus resultierende Konflikt der Männlichkeit beginnt sich für Patrick Elff erst dann scheinbar zu lösen, als er in der Bank illegale Geschäfte entdeckt. Ein gewisser Dr. Filter nutzt die relativ lange Bearbeitungsdauer der Überweisungen von großen Geldbeträgen, um das Geld in einem Geflecht von Beteiligungsgesellschaften verschwinden und wieder auftauchen zu lassen, ohne dass die Kunden etwas davon merken. Die dabei entstehenden Zinsgewinne streicht er selbst ein und eröffnet Patrick Elff eine Beteiligungsmöglichkeit für sein Schweigen.

Mit der Aussicht, seiner Frau endlich auch finanziell ebenbürtig werden zu können, ist er zu diesem Schweigen gerne bereit. Dabei übersieht er, dass es Dr. Filter gar nicht um das Geld an sich geht, sondern nur um das Spiel damit. Ein Spiel, dessen Regelbeherrschung nach Dr. Filters Meinung von der Intelligenz eines Menschen abhängig ist, die er bei Patrick Elff und auch bei den meisten seiner Vorgesetzten nicht erkennen kann. Auch diese Intelligenz kann aber Dr. Filter nicht vor dem Selbstmord bewahren, der Patrick Elffs Welt des finanziellen Wohlbefindens in Schutt und Asche legt. Im Polizeipräsidium entschließt sich Elff nach einem peinlichen Verhör zur Flucht durch ein Toilettenfenster.

Ohne Geld nach Marokko

Warum aber ausgerechnet nach Marokko und noch dazu in eine heruntergekommene Hafenstadt? Der Grund dafür hat ein letztes Mal im Leben des Patrick Elff mit Geld zu tun. Mogador ist nämlich die Heimatstadt eines halbseidenen marokkanischen Geschäftsmannes, dem Elff bei einem seiner obskuren Geschäfte mit inoffizieller Rückendeckung des Vorstandes der Bank helfen muss. Dabei muss der Marokkaner gar keinen direkten Zwang ausüben.

Um Elff gefügig zu machen, reicht es aus, ihm in einem sehr teuren Restaurant den Lebensstil zu zeigen, den er mit viel Geld haben könnte. Auch kurz nach seiner Ankunft in Mogador will Elff zu diesem Lebensstil unbedingt zurück, weshalb er auch immer wieder versucht, den marokkanischen Geschäftsmann aufzusuchen. Ein Treffen kommt aber nie zustande, weil der Marokkaner nicht in der Stadt ist oder sich verleugnen lässt. Je unwahrscheinlicher ein Treffen wird, umso mehr beginnt auch das Geld als Symbol des Äußeren für Elff an Bedeutung zu verlieren. Dieser Bedeutungsverlust wird maßgeblich durch die Umstände befördert, unter denen er in Mogador leben muss.

Geld ist existenzgefährdend

Weil er sich ein Hotel nicht leisten kann, nimmt Elff gerne das Angebot an, im Haus einer gewissen Khadija unterzukommen. Was ihm erst als Notlösung erscheint, wird ihm mehr und mehr zu einer vertrauten Welt, in der er seine Bodenhaftung wiedergewinnen kann. Khadija ist ihm dabei eine gute Wegweiserin. Im Gegensatz zu ihm ist ihre Existenz rein innerlich ausgerichtet. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hatte Geld für sie nie eine Bedeutung. Durch Konzentration auf ihr Inneres konnte sie sich dagegen immunisieren, dass Geld jemals Bedeutung für sie haben könnte. Das hat ihr eine innere Unabhängigkeit verliehen, die Patrick Elff vom ersten Moment an beeindruckt. Dass er diese Unabhängigkeit, über die auch der suizidale Dr. Filter verfügte, für einen monetären Machtkampf mit seiner Frau aufgegeben hat, stürzt ihn in eine tiefe Verzweiflung. Aus dieser erwacht er mit der Erkenntnis, dass die Flüchtigkeit des Hier und Jetzt, wie sie sich im Mammon materialisiert, existenzgefährdend sein kann.

Martin Mosebach (2016): Mogador, Rowohlt, 368 Seiten, 22,95 Euro.

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