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lundi, 12 mars 2007

Kateschismus der deutschen "Weltalternative"

Jürgen W. GANSEL :

Katechismus der deutschen »Weltalternative«

Armin Mohler/Karlheinz Weißmann: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932

Armin Mohler selbst stellte die Frage: »,Konservative Revolution‘ – ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst? Kann es einen bewahrenden Umsturz geben?« Und als Schöpfer dieser Begriffsbildung, die zu den erfolgreichsten in der jüngeren Ideengeschichtsschreibung gehört, erklärte er frank und frei: »Ja«. Im Geisteskampf der Weimarer Zeit sah er neue Denkströmungen jenseits von Reaktion und Revolution ihre gewaltige Ausstrahlungskraft entfalten. Eine von jungen Intellektuellen getragene Erneuerungsbewegung verschmolz diese beiden so scheinbar gegensätzlichen Begriffe mit neuem nationalistischen Ideengehalt und wandte sich ebenso gegen eine Bewahrung um der Bewahrung Willen, wie gegen eine Revolution um der Revolution willen. In strikter Abgrenzung von der überlebten wilhelminischen Vergangenheit, der staats- und volkszerstörenden liberalistischen Gegenwart und der drohenden bolschewistischen Zukunft traten die konservativen Revolutionäre auf den Plan. Ihr Ansinnen brachte Moeller van den Bruck auf die Kurzformel: »Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt.« Revolutionär sollten neue deutsche Verhältnisse geschaffen werden, unter denen Bewahrung überhaupt erst wieder möglich und wünschenswert ist.
Erstmals tauchte das Begriffspaar »konservative Revolution« im Gewoge des Mai 1848 auf, um die geistige Unübersichtlichkeit dieser Tage zwischen Revolution und Restauration zu bezeichnen. 1923 schrieb Moeller van den Bruck dann in seinem Schlüsselwerk »Das dritte Reich« das Grundanliegen einer konservativen Revolution nieder. Vier Jahre später sekundierte ihm der Dichter Hugo von Hofmannsthal in seiner Rede zum »Schrifttum als geistiger Raum der Nation« und erklärte, Ziel dieser Denkrichtung sei »eine neue deutsche Wirklichkeit, an der die ganze Nation teilnehmen« könne.
Endgültig eingeführt wurde das Begriffspaar aber erst 1950 durch Armin Mohler und sein einzigartiges Buch, das nun in einer sechsten, völlig überarbeiteten und erweiterten Auflage vorliegt. Dem zeitweiligen Privatsekretär Ernst Jüngers ist es darin wie keinem Autor davor und danach gelungen, die rechtsintellektuelle Kritik am Weimarer System in ihrer ganzen Bandbreite bibliographisch zu dokumentieren, geistig zu durchdringen und politisch zu würdigen. Der einzige Jüngere, der sich fachlich profund und mit viel politischem Einfühlungsvermögen des Themas annimmt, ist der Historiker Karlheinz Weißmann. Fast zwingend beauftragte Mohler deshalb ihn mit der Fortschreibung seines Werkes. Auf aktuellem Forschungsstand und frei von antifaschistischem Distanzierungszwang kann der geneigte Leser hier in das Zeitkolorit von Weimar eintauchen, als noch gefühlsschwere Weltanschauungen in scharfer Konkurrenz standen und tatbereite Persönlichkeiten nicht nur mit der Feder um die Neugeburt ihres Vaterlandes rangen.
Ursache und Folge dieser geistesrevolutionären Tage waren Zeitschriftentitel wie »Standarte« und »Der Vorkämpfer«, »Die sozialistische Nation«, »Die Kommenden« und »Widerstand«. Für diese und andere Organe griffen die Gebrüder Jünger und Friedrich Hielscher, Ernst Niekisch und Edgar Julius Jung, Hans Zehrer und Carl Schmitt zur Feder. In den konservativ-revolutionären Kreisen tummelten sich der Politiker Gregor Strasser, der Feldherr Erich Ludendorff, der Bauernführer Claus Heim, der Freikorpskämpfer Ernst von Salomon und der Soziologe Hans Freyer.
Es gab jedoch kein Zentralorgan, keine Generalversammlung und keine Sammlungspartei, in der sich die konservativen Revolutionäre zusammengefunden hätten, um ihr gleichgerichtetes Wollen kundzutun. Es existierte nur ein geistiges Kraftfeld, in dem Personen und Ideen zirkulierten, ohne eine direkte geistige Einheit zu bilden. Armin Mohler identifizierte mit den Völkischen, den Jungkonservativen, den Nationalrevolutionären, der Landvolkbewegung und den Bündischen fünf Denkfamilien der konservativen Revolution, nicht ohne festzustellen: »Dieses Buch stellt Menschen nebeneinander, die nichts gemeinsam zu haben scheinen. (…). Nordische Urnebel – Ministerialbürokratie und Salon – Sprengstoff und Untergrund – Widerstand des Bauerntums gegen Gerichtsvollzieher und Maschine – Banjo-Klänge in den Kothen am Lagerfeuer: wie reimt sich das alles zusammen?«

Revolution gegen die Revolution

Nach Lektüre der Monumentalstudie weiß man, daß es sehr wohl einen gemeinsamen Kernbestand an Zielvorstellungen und vor allem Feindbildern gab: Der Trümmerhaufen der Gegenwart samt seiner in der Französischen Revolution von 1789 geborenen Geisteshaltungen sollte beseitigt und einer neuen Volks- und Staatsordnung der Weg geebnet werden. Der Dichter Rudolf Borchardt spitzte dies 1931 so zu: »Die ganze Welt wird reißend konservativ, aus Selbstschutz, aus Erbschutz, aus der Pflicht heraus, die durcheinandergerüttelten Elemente (…) wieder einzufangen, jeder auf einem anderen Wege, wir auf dem schwersten, der Wiederumstürzung des Umsturzes, der negierten und negierenden Negation, der Revolution gegen die Revolution.«
Das Aufkommen dieser Denkströmung hing ursächlich mit einer Reihe von zeitgeschichtlichen Ereignissen zusammen. Dazu gehörte 1917 die rote Oktoberrevolution, die für konservative Revolutionäre sowohl Angstfaktor und Feindbild als auch Inspirationsquelle für die nationalrevolutionäre Umgestaltung des eigenen Landes war. Ein Jahr später markierte der Zusammenbruch der Monarchie eine Epochenwende, die die Zeitgenossen aufwühlte und insbesondere die Jugend zu politisch »Suchenden« mit großem Sehnsuchtspotential machte. Entscheidende Faktoren für die Entstehung eines neuen Nationalismus waren überdies das Kriegserlebnis und das Versailler Diktat. Der Weltkrieg überspülte alle bis dahin bestehenden geistigen und sozialen Gegensätze im Volk und schweißte die Deutschen zu einer kriegsgestählten Schicksalsgemeinschaft zusammen. Der Nationalrevolutionär Franz Schauwecker konnte deshalb feststellen: »Wir mußten den Krieg verlieren, um die Nation zu gewinnen.« Mit dem Versailler Diktatfrieden entlarvte sich der Westen als Unterdrücker Deutschlands, dessen Heuchelparolen von »Freiheit« und »Demokratie« schon damals nur die eigenen maßlosen Herrschaftsansprüche bemäntelten. Unter dem Eindruck des »Entente-Kapitalismus« stellte Moeller van den Bruck fest: »Nicht Klassen, sondern Nationen sind heute die Unterdrückten.«

Konservativ-revolutionäre Denkfamilien

Aus den krisenhaften Zeitumständen sind – nach Auffassung Mohlers – die Denkfamilien der Völkischen, der Jungkonservativen und Nationalre- volutionäre, der Bündischen und der Landvolkbewegung hervorgegangen. »In ihnen ist die Welt der ,Ideen von 1789’ mit einer unbedingten Verneinung ihrer Werte konfrontiert«, so der Bibliograph der deutschen Gegenrevolution.
Die Völkischen übten eine starke Vergangenheitsschau und knüpften konsequent an die germanisch-heidnischen Wurzeln des deutschen Volkstums an. Das Wort »völkisch« setzten sie in bewußten Gegensatz zum Begriff »national«, weil eine Nation als Staatsvolk auch Angehörige fremden Volkstums umfassen kann. Das Judentum begriffen diese Kreise als »Fremdkörper, das es aus rassehygienischen Gründen aus der Volksgemeinschaft auszusondern« gelte. Dem Kapitalismus warfen die Völkischen seine immanente Einebnung aller ethno-kulturellen Eigenheiten vor, und sie entwickelten sozialromantische Ideen von Entstädterung und Re-Agrarisierung im Zeichen einer neuen Einheit von Blut und Boden.
Die Jungkonservativen waren – wie es der Name schon vermuten läßt – mehr konservativ als revolutionär geeicht. Ihre Liberalismus- und Parteienkritik führte zu Forderungen nach einem ständestaatlichen und neoaristokratischen Staatsaufbau. Als Antwort auf Versailles strebten sie nach einem »neuen Reich« mit durchaus übernationalen Zügen. Eine echte Staatsautorität sollte eine gegliederte Volksordnung mit der »Herrschaft der Besten« sicherstellen. Edgar Julius Jung formulierte: »Rechte Demokratie, d.h. die Herrschaft des nur metaphysisch zu begreifenden volonté générale, ist das höchste Ideal; es kann aus dem organischen Weltbild nicht hinweggedacht werden. In diesem Sinne ist Demokratie vollendeter Konservativismus.«
Ganz anderes wollten die Nationalrevolutionäre – geistig wie in der Wahl der Mittel, wozu auch schon einmal Sprengstoff und Attentat gehören konnten. Sie, die manchmal auch als Nationalbolschewisten bezeichnet wurden, bejahten entschieden den Untergang der monarchischen Ordnung, dem die Vernichtung der Weimarer Schand- und Chaosrepublik folgen sollte. Alles war den Nationalrevolutionären recht, um die Ketten von Versailles zu zerbrechen und die Weltausbeutung durch den Westen zu beenden. Zur Schwächung der Entente-Mächte gab es in diesen Kreisen Sympathien für ein außenpolitisches Bündnis mit Sowjetrußland. Den Liberalismus bekämpften diese »Jungen Wilden« in seiner politischen wie wirtschaftlichen Gestalt. Durch eine soziale Umwälzung – gemeint war die Entmachtung des Großbürgertums und die Schaffung eines autarken, vom angelsächsisch dominierten Weltkapital unabhängigen Deutschlands – sollte die nationale Freiheit errungen werden.
Dann war da noch die bündische Jugend, die es in der erstarrten Bürgerwelt nicht mehr aushielt und die Rückkehr zum Wesentlichen, also einer naturhaften Lebensweise, anstrebte. Sie verband ihre Zivilisationskritik mit dem Sehnen nach einer brüderlichen Volksgemeinschaft ohne die Entfremdungszustände der modernen Welt. Ihr antibürgerlicher Habitus fand seine Ergänzung in der preußischen Suche nach Bindung und Gemeinschaft. Nicht ihres Schrifttums, das spärlich war, sondern ihres Lebensgefühls wegen zählte Mohler mit einigem Recht die Bündischen zu den konservativen Revolutionären.
Die bäuerliche Existenzkrise ließ Ende der 1920er Jahre im Norddeutschen die Landvolkbewegung entstehen, die sich zuerst nur gegen kapitalistische Freihandelsdiktate und die Gleichgültigkeit der Weimarer Parteien wandte. Angesichts fortgesetzter Zwangsversteigerungen ihrer traditionsreichen Höfe sowie staatlicher Provokationen radikalisierten sich die Bauern aber immer mehr und lernten das System der Parlamente und Banken zu hassen. Als sich mit diesem urkonservativen Kampf für Leben und Scholle literarisch beschlagene Nationalrevolutionäre solidarisierten und dem Formlosen eine Form zu geben suchten, entstand eine ganz eigene Verbindung von Konservativem und Revolutionärem – ein revolutionäres Landvolk eben.
Diesem Fünf-Gruppen-Schema stellte Mohler ein Buchkapitel »Leitbilder« voran, das zeigt, wie stark sich der Autor in die Zeitstimmung der Weimarer Republik einzufühlen vermag und wie vertraut er mit den Leitgedanken ist, die – neben den benannten äußeren Anlässen – den eigentlichen Humus der konservativen Revolution bildeten. Es handelt sich hierbei um eine grandiose Aktualisierung Nietzsches, die »Friedrich den Unzeitgemäßen« als einen ihrer Erzväter ausweist. Der geschichtsphilosophische Nachweis der Unvereinbarkeit von Christentum und konservativer Revolution ist ebenso bedeutend wie der Abschnitt zum »heroischen Realismus«, den man als »Rechter« einfach gelesen haben muß.
Dieses Kapitel »Leitbilder« fehlt in der Neuausgabe aber genauso wie andere entscheidende Texte Mohlers. Ganz ohne Zweifel hat der Verlag mit Karlheinz Weißmann den einzigen Ideenhistoriker gewinnen können, der die Wissensfülle, die Formulierungssicherheit und Gesinnung Mohlers teilt. Die Ausführungen zum »Deutschen Sonderbewußtsein« oder zum »Weltkrieg als Kulturkrieg« sind wie alles von Weißmann überaus lesenswert. Aber auch dessen gelungene Fortschreibung ersetzt nicht die eigentlichen Ursprungstexte mit ihrer stilistischen Brillanz und Gedankentiefe. Hier liegt ein nicht wegzurezensierendes Defizit der Neuausgabe, das auf Kosten des Stoffes selbst geht, auch wenn der neue Bildteil ganz nett ist.
Eingedenk des stolzen Preises von 49,90 Euro wäre die kaufmännische Rechnung des Verlages sicherlich auch dann noch aufgegangen, wenn man die 165 Seiten umfassenden Originaltexte übernommen und den Weißmann-Texten an die Seite gestellt hätte.
So kann nur noch die Empfehlung ausgesprochen werden, sich die »Konservative Revolution« aus der Feder Mohlers unverzüglich antiquarisch und die Neuausgabe beim DS-Verlag zu besorgen. Das Original wie die Fortschreibung sind Schlüsselwerke zur Ergründung dessen, was Karlheinz Weißmann zitierend die deutsche »Weltalternative« nennt – jene Bestrebungen, »die Deutschen bei sich selbst zu halten, zu sich selbst zurückzuführen oder zu sich selbst zu machen«.

Jürgen W. Gansel


Buchempfehlung: Armin Mohler/Karlheinz Weißmann: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932, 643. S., Abb., geb., 49,90 Euro. Zu beziehen beim DS-Verlag, Postfach 100 068, 01571 Riesa.

06:15 Publié dans Révolution conservatrice | Lien permanent | Commentaires (0) | |  del.icio.us | | Digg! Digg |  Facebook

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