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vendredi, 12 février 2010

Afghanistan : Strategie der Vernebelung

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Afghanistan: Strategie der Vernebelung

Wolfgang Effenberger - Ex: http://info.kopp-verlag.de/

Am Vortag der Londoner Afghanistan-Konferenz verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel eine »neue Afghanistan-Strategie«. Konnte man in den acht Jahren davor überhaupt von einer Strategie sprechen? – Nach dem preußischen Kriegsphilosophen Carl von Clausewitz stellt die Strategie den – sozusagen – wohlüberlegten und kenntnisreichen Weg dar, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Das erfordert in erster Linie psychologisch subtiles Agieren, welches präzise von Logik und Vernunft gesteuert wird. Dazu ist eine ständige Standortbestimmung unerlässlich. Aber im Falle Afghanistan scheint nicht einmal der Ausgangsstandort bestimmt worden zu sein!

Der Krieg gegen Afghanistan wurde drei Wochen nach den Terroranschlägen von 9/11 begonnen. Hier hätte auch jedem militärischen Laien Zweifel kommen müssen. Denn ein derartiger Krieg mit fragwürdigen Verbündeten kann nicht in drei Wochen geplant und logistisch vorbereitet werden. Hierzu ist mindestens ein Vorlauf von drei Monaten erforderlich!

Das bestätigt George Arney in seinem BBC-Report US »planned attack on Taleban« vom 18. September 2001. (1) Demnach war die Militäraktion gegen Osama Bin Laden und die Taliban schon Mitte Juli geplant und für Mitte Oktober ins Auge gefasst worden. Diese Aussage wird vom ehemaligen pakistanischen Außenminister Niaz Naik bezeugt.

Der Krieg schien notwendig geworden, nachdem die US-Administration unter US-Präsident Bill Clinton zur Überzeugung kam, dass Afghanistan mit den Taliban nicht nach amerikanischen Vorstellungen zu »stabilisieren« sei. Das hätte eine Stagnation des »großen Spieles« zur Folge gehabt. Ein Patt zwischen amerikanisch-pakistanischen Interessen einerseits und russisch-iranisch-indischen andererseits sollte tunlichst vermieden werden. In diesem Zusammenhang ist auch das UN-Verhandlungsforum »sechs plus zwei« (die sechs Nachbarländer Afghanistans sowie die USA und Russland) unter der Führung des UN-Generalsekretärs Kofi Annan zu sehen. Offenbar war diese vergeblich.

Nachdem der Ausgangspunkt vergessen im Nebel liegt, formulierte die Kanzlerin ein noch nebulöseres Ziel: »Die Verteidigung von Menschenrechten und Sicherheit«. Dazu wurde  eine Truppenaufstockung um 850 Bundeswehrsoldaten und die annähernde Verdoppelung deutscher Polizeiausbilder abgesegnet. Zudem soll die Entwicklungshilfe von 220 Millionen auf 430 Million Euro steigen. Mit diesem linearen Denkansatz der direkten Proportionalität soll mit mehr Soldaten und mehr Geld mehr Sicherheit erreicht werden. Doch zu häufig hat dieses Denken in die Irre geführt, weil die Akteure ihre Augen vor der indirekten Proportionalität verschließen: je mehr kann auch desto weniger bedeuten! Und im Fall Afghanistan dürfte die Sicherheit weiter abnehmen und die Probleme dürften dafür ansteigen. Unbeachtet bleiben die Warnungen des russischen  Journalisten Wladimir Snegirjow (2), der die sowjetische Kampagne und die 1990er-Jahre in Afghanistan beobachtet hat. Seiner Erfahrung nach führt jede Erhöhung der Truppenstärke zu heftigerem Widerstand.

So ist  der gesteigerte Einsatz von unbemannten Kampfflugzeugen mit für die Verschärfung der Sicherheitslage in Afghanistan verantwortlich. Diese Predatoren (Raubtiere) schlagen, wie auch von den Namensgebern gewünscht, bei den ohnmächtigen Opfern wie Raubtiere zu.  Das schürt die Wut der archaischen Bevölkerung und beschert den Taliban weiteren Zulauf.

Die Zunahme der Flugstunden dieser Predatoren beläuft sich im US-Regionalkommando CENTCOM (3) mit den Kriegsgebieten Irak, Afghanistan und Pakistan für den Zeitraum von 2001 bis 2008 auf 1.431 Prozent!

Vor knapp drei Jahren wurden für mehr Sicherheit in Afghanistan sechs Tornado-Aufklärer in Masar-i-Sharif zeitlich befristet stationiert. »Afghanistan wird sicherer durch diesen Einsatz«, versprach Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung in Berlin nach der Kabinettssitzung am 7. Februar 2007. Das Gegenteil ist eingetreten!

Seit  dem Sommer 2008 stellt die Bundeswehr die sogenannten 250 Soldaten starke Quick-Reaction-Force, die bei Bedarf an jedem Ort in Afghanistan offensive Kriegsaktionen durchführt. Seither ist die Lage noch unsicherer geworden und das Ansehen der Deutschen vor Ort dramatisch gesunken.

Nun sollen ausstiegswillige Taliban-Kämpfer mit Wiedereingliederungsmillionen angelockt werden. Hier scheint man aus den Fehlern der ersten Kriegsjahre gelernt zu haben: Ab dem 7. Oktober 2001 fielen nicht nur Bomben und Cruise Missiles auf Afghanistan, sondern auch Abertausende von Flugblättern mit ethisch fragwürdigen Verlockungen. Den perspektivlosen und verzweifelten Menschen wurde etwas angeboten, bei dem selbst viele Menschen der westlichen Welt nicht hätten widerstehen können: lebenslange Finanzsicherheit für die Familie. Dazu brauchte nur ein missliebiger Mitbürger als Taliban denunziert werden. Dann sollte der Slogan »Werden Sie reich und erfüllen Sie sich ihre Träume!« (4) wahr werden.

Wie viele vermeintliche Taliban mögen von dollargierigen Nachbarn verraten worden sein und heute noch in Guantánamo schmachten?

Jetzt will der Westen die Taliban besiegen, indem er gemäßigte Kämpfer von den Extremisten loskauft. Ein ebenso alter wie gescheiterter Versuch: Schon 2005 unternahm der derzeitige und von den USA implantierte Staatschef Hamid Karsai ebenso wie 1986 der damals von der Sowjetunion einge­setzte afghanische Präsident Moham­med Nadschibullah Versöhnungsangebote an die Widerstandkämpfer. Nadschibul­lah scheiterte, und das Programm von Karsai zur Eingliederung der Taliban verlief bisher im Wüstensand. Nun strich parallel zum Wiedereingliederungsangebot der UN-Sicherheitsrat fünf frühere Taliban-Führer von einer schwarzen Liste und ermöglicht ihnen damit, ins Ausland zu reisen und gesperrte Bankkonten zu nutzen. (5)

Dieses Programm offenbart nur die Hilflosigkeit der Verbündeten. Hatten die Taliban laut dem Londoner Forschungsinstitut ICOS 2007 erst 54 Prozent des Landes kontrolliert, sind es 2009 80 Prozent! Den Sieg der Taliban vor Augen, müsste ein Überläufer mit seinen »Wiedereingliederungsvermögen« sofort in einem Drittland – vorzugsweise in der Bundesrepublik – Asyl suchen. Somit wird sich auch dieses »Modell« als Rohrkrepierer erweisen.

Einen Tag vor der London-Konferenz versprach die deutsche Kanzlerin im Bundestag gegenüber der Öffentlichkeit »ehrliche Rechenschaft« abzule­gen: »Ja, es ist wahr: Der Einsatz dauert länger und ist schwie­riger, als wir vor acht Jahren erwartet ha­ben.« (6) Um dann trotzig zu betonen, dass die Aufgabe, dem internationalen Terrorismus zu begegnen, 2001 richtig war und es heute noch ist. Hätte sich doch Frau Merkel am vorangegangenen Samstag die Mühe gemacht, in der Süddeutschen Zeitung den epochalen Artikel von Franziska Augstein zu lesen. Wie eine Gerichtsmedizinerin deckt sie akribisch die Entwicklungen und Zusammenhänge auf, um dann skalpell-scharf zu diagnostizieren: »Die verheerende Entwicklung Afghanistans liegt zuallererst an der amerikanischen Außenpolitik, die nur in einer Hinsicht konsistent ist: Die USA unterstützen immer den, der gerade behauptet, Feind ihrer Feinde zu sein. Und als mächtigstes Land der Welt können die USA es sich leisten, kein politisches Gedächtnis zu haben. Für ihre Fehleinschätzungen von gestern müssen die USA vor nieman­dem gerade stehen. Vor niemandem? Doch, es gibt Ausnahmen: Das sind zual­lererst die Angehörigen der getöteten GIs, die bei allem Patriotismus zuneh­mend daran zweifeln, dass der Tod ihrer Söhne und Brüder einen Sinn gehabt habe.« (7)

Die Kanzlerin hätte Antworten auf die Frage suchen können, warum bisher alle Staaten, die nach Afghanistan einmarschierten, gescheitert sind. Erst die Briten im 19. Jahrhundert, die UdSSR im 20. Jahrhundert, und jetzt – vielleicht – auch Amerikaner und Europäer? Die Antwort könnte in den eigenen Erfahrungen des russische Hindukusch-Beobachters Snegirjow liegen. Er hält nichts davon, den Afghanen Systeme aufzudrängen, die ihnen fremd sind. »Sie wollen keinen Sozialismus, sie wollen keinen Kapitalismus, sie wollen ihr eigenes Leben führen. Hilft man ihnen, das mehr oder weniger zivilisiert zu gestalten, hilft man beispielsweise bei der Ausbildung ihrer Kinder, so wissen sie das sehr zu schätzen.« Für ihn sind die Taliban ein Teil des Volkes und haben nicht nur Anhänger unter den Paschtunen, sondern auch unter den Tadschiken und Usbeken. Mit allen ist der Dialog zu führen. Diese Aussage deckt sich auch mit denen zweier Afghanistan-Experten: dem deutschen Oberstarzt a. D. Dr. Reinhard Erös, Träger des Europäischen Sozialpreises (2004), und dem langjährigen Afghanistan-Korrespondent der ARD, Christoph Hörstel.

Nachdem unter Obama der Krieg gegen die Taliban auch auf Pakistan ausgedehnt worden ist, könnten die Analysen der beiden pakistanischen Generäle und ehemaligen ISI-Geheimdienstchefs helfen, ein aussagekräftiges Lagebild zu zeichnen. General Hamid Gul

zeigt absolutes Verständnis für die Taliban. Seiner Meinung nach verteidigen sie vehement zwei Dinge: ihren Glauben und ihre Freiheit – beides Grundfesten der afghanischen Gesellschaft. Auch hätte sich bisher kein einziger Taliban oder Afghane zu irgendeinen Terroranschlag im Ausland bekannt. »Sie  kämpfen nur auf eigenem Boden, wozu sie nach der UN das Recht haben.« (8)

General Asad M. Durrani, von 1994 bis 1997 Botschafter in der Bundesrepublik, geht noch weiter als sein ehemaliger Kollge Gul. Für Durrani üben die Taliban in ihrem Krieg gegen die Besatzung nur Selbstverteidigung und führen seiner Meinung nach »unseren Krieg«. »Wenn sie aber scheitern und wenn Af­ghanistan unter Fremdherrschaft bleibt, werden wir weiter Probleme haben«, so Durrani im Interview mit dem deutschen Oberstleutnant Jürgen Rose. »Setzt sich die NATO, die stärkste Militärmacht der Welt, wegen ökonomischer und geopolitischer Interessen an der pakistanischen Grenze fest, dann erzeugt das in Pakistan enormes Unbehagen«, so Durrani, um dann auf ein altes Sprichwort zu verweisen: »Sei vorsichtig, wenn Du neben einem Elefanten schläfst, denn er könnte sich umdrehen.« (9)

In London wurde keine neue Strategie beschlossen. Auch alle vorherigen, inflationär viele Strategien sind bei genauer Betrachtung nicht einmal taktische Aushilfen. Die Politik wird in Washington gemacht und Washington kennt das wahre strategische Ziel. Ein Studium der Seidenstraßenstrategie-Gesetze (10) würde hier weiterhelfen.

Die Regierung von Barack Obama und ihre Vorgänger waren immer schon Herren des Verfahrens. Die USA haben 74.000 Soldaten nach Afghanistan entsandt, in diesem Jahr kommen noch 30.000 hinzu. Das von der NATO geführte ISAF-Unternehmen (11) ist längst zu einer amerikanischen Unternehmung geworden, die Verbündeten halten nicht Schritt mit der Dynamik der US-Streitkräfte. Im Einsatzgebiet der Deutschen werden die USA ab April 2010  bis zu 5.000 eigene Soldaten stationieren – annähernd so viele, wie die Bundeswehr dort hat. Eine deutlichere Unmutsbekundung ist kaum denkbar. (12) Der Krieg geht weiter, während sich die Geschichte wiederholt.

 

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Anmerkungen

(1) Arney, George: »US ›planned attack on Taleban‹«, Dienstag, 18. September 2001, 11:27 Uhr unter http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/1550366.stm.

(2) Snegirjow kam als Korrespondent der Komsomol-Zeitung Komsomolskaja Prawda 1981 zum ersten Mal nach Afghanistan. Er blieb ein Jahr und kehrte im Verlaufe der nächsten 20 Jahre immer wieder zurück.

(3) CENTCOM ist das Zentralkommando der sechs US-Regionalkommandozentren und zuständig für den Nahen Osten, Ost-Afrika und Zentral-Asien. Derzeit sind die unterstellten Truppen primär im Irak und Afghanistan eingesetzt. Stützpunkte befinden sich in Kuwait, Bahrain, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman, Pakistan, Dschibuti (Camp Le Monier) und mehreren Ländern Zentralasiens.

(4) Gorman, Candace: »Why I am Representing a ›Detainee‹ at Guantanamo« vom 19. September 2006 unter http://www.huffingtonpost.com/h-candace-gorman-/why-i-am-representing-a-_b_29734.html.

(5) Schmidt, Janek: »Wie ködert man Taliban?«, SZ vom 28. Januar 2010, S. 6.

(6) Fried, Nico: »Merkels skeptische Bilanz. Die Kanzlerin hält den Afghanistan-Einsatz für ›schwieriger als erwartet‹ / Opposition fordert Abzug bis 2015«, in: SZ vom 28. Januar 2010, S. 6.

(7) Augstein, Franziska: »Es muss ein Ende sein«, in: SZ vom 23./24. Januar 2010, S. V2/1.

(8) Hamid Gul im Auslandsjournal vom 17. Dezember 2009 unter http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/927324/Lagebericht-Afghanistan#/beitrag/video/927324/Lagebericht-Afghanistan.

(9) Durrani, Asad M.: »Nur wenn die Taleban stark genug sind«, erschienen in Ossietzky, 18/2009.  

(10) Die alte Seidenstraße, einst die wirtschaftliche Lebensader Zentralasiens und des Südkaukasus, verlief durch einen Großteil des Territoriums der Länder Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan; Anhörung über US-Interessen in den zentralasiatischen Republiken am 12.Februar 1998, House of Representatives, Subcommittee on Asia and the Pacific; Silk Road Strategy Act of 1999 (H.R. 1152-106th. CONGRESS 1st Session, S. 579) im Mai 2006 modifiziert: Silk Road Strategy Act of 2006 (S. 2749 – 109 th. Congress).

(11) International Security Assistance Force.

(12) Kornelius, Stefan: »Die Londoner Krücke«, in: SZ vom 28. Januar 2010, S. 4.

 

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Bildquellen

www.longwarjournal.org und www.wirde.com

www.huffingtonpost.com

Archiv Wolfgang Effenberger

 

Donnerstag, 04.02.2010

Kategorie: Gastbeiträge, Geostrategie, Politik

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