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jeudi, 08 novembre 2012

Imperiale Interessen

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Imperiale Interessen

Von Michael Paulwitz

Ex: http://www.jungefreiheit.de/

Erhält Barack Obama eine zweite Chance, oder wird Mitt Romney der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika – und was wäre besser für Deutschland und Europa? Die Entscheidung darüber, wer in den nächsten vier Jahren an der Spitze der westlichen Führungsmacht steht, beeinflußt das außen-, sicherheits-, wirtschafts- und finanzpolitische Machtgefüge zwischen Amerika und den europäischen Staaten und kann uns schon deshalb nicht gleichgültig sein. Um so befremdlicher ist die holzschnittartige Wahrnehmung der Kontrahenten in den deutschen Leitmedien.

Wer allein den Nachrichtenmagazinen, Feuilletons und dem Staatsfunk glaubt, dem mußte die Neue Welt ganz einfach vorkommen: Hier die eloquente Lichtgestalt, der Hoffnungs- und Friedensnobelpreisträger, der zwar auch nur mit Wasser kocht, an dessen Wiederwahl aber trotzdem kein Zweifel bestehen konnte – dort der finstere, religiös rückständige, latent „frauenfeindliche“ und „rassistische“ Kapitalistenknecht, der eine Peinlichkeit nach der anderen abliefert.

Obamas politische Bilanz ist destaströs

Daß der Mormone Romney in der direkten Konfrontation mit dem Amtsinhaber zuletzt die Nase leicht vorne hatte, brachte in mancher Redaktionsstube das Weltbild ins Wanken. Dabei liegt die Erklärung auf der Hand: Obama hat keine einzige der hochfliegenden Erwartungen erfüllen können, die er als Wahlkämpfer geweckt hatte. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Einkommen sind gesunken, die Staatsschulden von zehn auf 16 Billionen Dollar geklettert – und die Finanz- und Wirtschaftskrise ist trotzdem nicht überwunden, man hat nur erfolglos an den Symptomen kuriert und durch das Aufdrehen der Geldhähne den Keim für die nächste desaströse Spekulationsblase gelegt.

Kein Wunder also, daß eine wachsende Zahl von Amerikanern sich vorstellen kann, einen neuen Mann heranzulassen, der mit anderen Rezepten versucht, die Krise in den Griff zu bekommen. Statt auf aggressive Staatsschuldenausweitung, Notenbankgeldschwemmen und staatliche Konjunkturprogramme setzen Romney und vor allem sein Vize Paul Ryan auf Steuerreform, Zurückführung von Staatsschulden und Staatsausgaben und solide Haushalte – im Grunde „deutsche“ Rezepte, deren striktere Verfolgung man sich auch von Berlin wünschen würde.

Deutsche Wohlfühl-Rhetorik verklärt US-Präsidenten

Präsident Obama dagegen hat den deutschen Widerstand gegen das Anwerfen der Notenpresse und die Vergemeinschaftung der Staatsschulden in der Euro-Zone zu Lasten der deutschen Steuerzahler über Euro-Bonds immer wieder als Hauptproblem bei der „Lösung“ der Euro- und Finanzkrise gegeißelt – er dürfte die Erpressung Deutschlands durch die Euro-Südstaaten auf den letzten EU-Gipfeln nicht nur heimlich ermuntert haben. Gut möglich also, daß ein Präsident Romney in wirtschafts- und fiskalpolitischen Fragen für Deutschland der einfachere Partner wäre.

Gleichwohl würden Umfragen zufolge 87 Prozent der Deutschen für Obama stimmen, wenn sie denn in den USA wählen dürften. Daß die Kanzlerin dem Kandidaten Romney, anders als vor vier Jahren dem derzeitigen Amtsinhaber, den Exklusivbesuch in Berlin aus provinzieller Rücksicht auf solche Stimmungen mit einer lahmen Ausrede verweigerte, zeugt nicht gerade von strategischem Weitblick. Bei der deutschen Obamanie wirken ähnlich irrationale Faktoren wie beim Grün-Wählen – man läßt sich von Stimmungen und Wohlfühl-Rhetorik einlullen und ignoriert dabei die realen politischen Taten und Absichten der Umjubelten und Verherrlichten.

„Obama Care“ klingt nach europäischem Sozialstaat

Obama hört sich so vertraut sozialdemokratisch an, das gefällt bei deutschen Meinungsmachern, die seine halbgare Einführung einer obligatorischen Krankenversicherung für seine wichtigste Leistung halten und die tief verwurzelte amerikanische Mentalität der Staatsferne und Eigenverantwortung, aus der sich die weit verbreitete Ablehnung von „Obama Care“ speist, nicht verstehen wollen.

Aber Amerika ist anders, die USA können schon deshalb kein europäischer Wohlfahrtsstaat sein, weil sie ein klassisches Einwanderungsland sind; statt den US-Amerikanern besserwisserisch mehr europäischen Sozialstaat zu empfehlen, sollten wir uns lieber fragen, ob unser eigener Fürsorgestaat noch zu halten ist, wenn die Solidargemeinschaft eines leidlich homogenen Nationalstaats in ein multikulturelles Immigrationsterritorium aufgelöst wird.

Auch Obamas Amerika hat Guantánamo nicht geschlossen

Bleibt die Frage nach dem außenpolitischen „Neocon“ Romney, der den Militäretat heraufsetzen, die internationale Führungsrolle der USA stärker betonen und die Nato wiederbeleben will und Richtung Syrien und Iran vernehmlich mit dem Säbel rasselt. Mit Romney würden die USA wieder „Interventionsmacht“, orakeln nicht nur deutsche Sozialdemokraten. Der Irrtum besteht darin, daß die Vereinigten Staaten auch unter Obama nie aufgehört haben, Interventionsmacht zu sein.

Obamas Politik mag sich in der gefälligeren Verpackung von der seines Vorgängers Bush jr. unterschieden haben, im Wesenskern nicht. Guantánamo ist, noch ein nicht gehaltenes Wahlversprechen, nach wie vor nicht geschlossen, das Libyen-Desaster fand mit Washingtons Billigung statt, Amerikas Kriege gehen, Nobelpreis hin oder her, ebenfalls weiter, die Intensität hat sich lediglich von kämpfenden Truppen zu Sonderkommandos und anonym bombenden Drohnen verlagert.

Egal ob der neue Chef im Weißen Haus Obama oder Romney heißt – er wird imperiale amerikanische Interessen vertreten, und er wird es den Europäern nicht ersparen, eigene Interessen zu formulieren und zu vertreten. Wer sich ein nicht-interventionistisches Amerika wünscht, der hätte dem Vordenker dieses anderen Amerika, dem libertären Republikaner Ron Paul, die Daumen halten müssen, der in den Vorwahlen vom republikanischen Parteiapparat ausgebootet wurde. Solange solche Machtstrukturen intakt sind, wird keine US-Präsidentenwahl etwas Grundlegendes ändern.

JF 45/12

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