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samedi, 09 mars 2013

Bulgakow lesen!

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Bulgakow lesen!

von Benjamin Jahn Zschocke

Ex: http://www.blauenarzisse.de/

Vor neunzig Jahren – 1923 also – begann der russische Schriftsteller Michail Bulgakow (18911940) mit der Niederschrift seines ersten Romans „Die weiße Garde“, der ihn berühmt machte.

Kiew im Winter 1918. Im Hause der Geschwister Alexej, Jelena und Nikolka Turbin versammeln sich übriggebliebene Anhänger der alten russischen Monarchie, die letzten Aufrechten, die weiße Garde. Wie in der gesamten Stadt logieren Militärs in der geräumigen Bürgerwohnung am Alexejewski-​Hang Nr. 13, aber auch Intellektuelle und Künstler. Kiew, im Roman durchweg erhaben die STADT genannt, spiegelt im großen wieder, was im Haus der Turbins im kleinen vonstatten geht: Moskau, das pulsierende Herz Rußlands liegt nach der Oktoberrevolution darnieder. Was Beine hat und Geld zum Reisen, flüchtet vor dem Chaos des roten Terrors und findet sich in der ukrainischen Hauptstadt ein, die zwischen Ende 1918 und Anfang 1919 selbst zum Schauplatz mehrerer Umstürze wird. Hinter den Fenstern der STADT bewegt sich eine unüberschaubar illustre Masse, drückt ihre weitgefächerten, grellbunten Blüten von innen gegen die Scheiben, verloren – trotzig – zornig – nicht selten todessehnsüchtig.

Der Einbruch der Geschichte

Das Geschehen in Kiew wiederrum steht stellvertretend für das sprichwörtliche Höllenchaos im russischen Riesenreich mit Beginn der Revolution. Alte Ordnungen brechen auseinander, zerbersten, werden zerschlagen. Bulgakow nennt diesen Zustand den „Einbruch der Geschichte“: Im hinterlassenen Trümmerfeld streiten darauf verschiedene revolutionäre Ideen um ihre weltgeschichtliche Geltung – monatelang, jahrelang, während das Volk in Hunger und Elend dahinvegetiert oder als Kanonenfutter verheizt wird. In Kiew ringen die Kräfte der alten Ordnung mit ukrainischen Nationalisten und den roten Horden der Oktoberrevolution. Im Roman heißt es: „Wer auf wen schoß, wußte niemand.“Die Weiße Garde

Nacht um Nacht fällt bedrohlich blutiger Schnee auf die STADT, auch die Brüder Turbin sind Teil des Geschehens. Alexej – der ältere – ist als Arzt in die Kämpfe eingebunden, Nikolka als junger Unteroffizier. Beide sind Anhänger der alten Ordnung: „Ich bin leider nicht Sozialist, sondern … Monarchist“, faßt Alexej seinen politischen Standpunkt zusammen. Darin spiegelt sich die Auffassung Bulgakows wider, der die Geschehnisse in der Heimat seinerzeit wie folgt kommentierte: „Vor uns liegt die schwere Aufgabe, unser eigenes Land zu erobern, ihnen [also den Roten, Anm. BJZ] wegzunehmen.“

Die Komposition des Romans mit seinen belebten Massenszenen einerseits und den Szenen großer statischer Innerlichkeit andererseits erinnert nicht zufällig an die von Tolstois Roman Krieg und Frieden. Michail Bulgakow, der sich selbst als „konservativ bis auf die Knochen“ verstand (nachzulesen in: Tatjana Lappa: Zeugnisse vom äußeren Leben. Bulgakows erste Frau im Gespräch mit Leonid Parschin. Berlin 1991) nannte als seine ästhetischen Vorbilder das Dreigestirn Tolstoi – Puschkin – Dostojewski. Bis zu seinem frühen Tode 1940 beschäftigte er sich intensiv mit ihnen, schrieb Bühnenfassungen und Analogien – auch sein erzählerisches Werk ist voll von Anspielungen und Parallelen.

Gefangen im sowjetischen Höllenschlund

Nun ist jedoch bekannt, wie die Sache mit der Oktoberrevolution ausging und welche revolutionäre Kraft in Rußland für die nächsten Jahrzehnte die Oberhand gewann. Die Bühnenfassung der weißen Garde, das Stück „Die Tage der Turbins“ wurde noch 1926 am Moskauer Künstler-​Theater uraufgeführt. Doch die Verhältnisse für einen Konservativen, der sich auf das zu Sowjetzeiten wenig gelittene Dreigestirn alter russischer Größe berief, wurden zunehmend ungemütlicher.

Obwohl „Die Tage der Turbins“ ein großer Erfolg wurde, driftete der aufrechte Bulgakow, der nach dem Ende des Zarenreiches keineswegs von seinen Überzeugungen abrückte, Tag für Tag mehr ins gesellschaftliche Abseits. Elsbeth Wolffheim schreibt: „Der Versuchung, die Verantwortlichen durch Konzessionen gnädig zu stimmen, hat er jedesmal hartnäckig widerstanden. Darin vor allem besteht seine Größe.“ (Elsbeth Wolffheim: Michail Bulgakow. Reinbek 1996). Doch diese Größe nützte herzlich wenig, wenn späterhin jedwede Möglichkeit der Publikation seiner Werke, sei es in gedruckter Form, sei es die Aufführung seiner zahlreichen Bühnenstücke, schlichtweg gen Null tendierte. Bulgakow beschreibt die Starre dieser Zeit mit einem an Kubin erinnernden Bild: „Nichts rührt sich vom Fleck. Die Sowjetische Bürokratie, dieser Höllenschlund, hat alles aufgefressen. Jeder Schritt, jede Bewegung eines Sowjetbürgers ist eine Folter, die Stunden, Tage, mitunter Monate verschlingt.“

Ein Repräsentant der russischen Intelligenz des Ancien Régime

Es verwundert nicht, daß Bulgakows Werk zu großen Teilen erst nach dem Ende der Sowjetunion erscheinen konnte und somit in Deutschland erst Anfang der Neunziger Geltung erlangte. Bulgakow, der das letzte Drittel seines Lebens nach jahrelangen medialen Hetzkampagnen in zunehmender nervlicher Zerrüttung verbrachte, ahnte, daß zu seinen Lebzeiten keine Satisfaktion in Form von schriftstellerischem Ruhm zu erwarten war. Um so erstaunlicher ist es, daß er dennoch seine letzten Lebenskräfte versammelte und buchstäblich bis zum letzten Atemzug an seinem letzten überragenden Roman Der Meister und Margarita arbeitete, einem schillernden Kunstwerk von ebenso monumentaler Größe wie Die weiße Garde.

Boris Gasparov,Professor an der Columbia University,beschreibt Bulgakows literarische Bedeutung so: „In seinem Leben wie in der Literatur verkörpert Bulgakow offenkundig den Repräsentanten der russischen Intelligenz des Ancien Régime, der die Welt, in der er lebte, akzeptierte, ohne sich der geringsten Einflußnahme zu beugen. Diese Position ist ebensowohl charakteristisch für zahlreiche Helden Bulgakows.“ In den letzten zwanzig Jahren ist die Bulgakow-​Forschung weit voran geschritten, sodaß der Luchterhand Literaturverlag nun das Gesamtwerk Bulgakows in einem sehr ansprechenden künstlerischen Gesamtkonzept neu herausgegeben hat. Über Umwege tauchte aus den Tiefen der russischen Archive ein alternativer Schluß des Romans Die weiße Garde auf, der nun – zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung auf Deutsch – eine Gesamtschau über dieses außergewöhnliche und durch seinen künstlerischen Anspruch bis heute höchst wertvolle Werk erlaubt.

Michail Bulgakow: Die weiße Garde. Mit literaturgeschichtlichen Anmerkungen von Ralf Schröder. 432 Seiten, Sammlung Luchterhand 2011. 10 Euro.

Das gesamte in der Sammlung Luchterhand erschienene Werk findet sich hier.

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