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dimanche, 18 janvier 2015

Nationaler Marxismus?

Nationaler Marxismus?

von Johannes Schüller

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Diego Fusaro gehört zu den jungen, nonkonformen Philosophen Italiens. Er lehrt an der renommierten Mailänder Privatuniversität Vita-​Salute San Raffaele. Die EU ist für ihn ein „finanzielles Konzentrationslager”.

Fusaros Buch Bentornato Marx! Rinascita di un pensiero rivoluzionario (Willkommen zurück, Marx! Die Wiederkehr eines revolutionären Denkers, 2009) wurde vom renommierten italienischen Verlag Bompiani in einer Auflage von 80.000 Stück verlegt. Dieses Jahr erscheint von Fusaro auf Deutsch Europa und Kapitalismus.

Das komplette Interview findet sich in unserer aktuellen Druckausgabe. Wir bringen es hier gekürzt.

Blaue​Narzisse​.de: Es gibt keine Arbeiterklasse mehr im Westen. Und es scheint, als ob der Kapitalismus 1989 endgültig gesiegt hat. Warum sind Sie trotzdem Marxist?

Diego Fusaro: Ich bin kein Marxist! Ich betrachte mich als unabhängig denkenden Schüler von Hegel und Marx, fernab von jeder Orthodoxie – auch der marxistischen! Ich glaube einfach nach wie vor, dass Marx der grundlegende Autor ist, um unsere Gegenwart zu verstehen und zu kritisieren. Es geht um eine Kritik der Welt des absoluten Kapitalismus und des Monotheismus des Marktes. Marx bleibt der „Feuermelder“ (Walter Benjamin): Er zeigt auf, dass in der gegenwärtigen Zeit eines angeblichen „Endes der Geschichte“ nach wie vor etwas fehlt.

Bei Marx erscheinen mir speziell zwei Aspekte als unabdingbar, die ich bereits in Bentornato Marx! hervorgehoben habe: Zum einen ist das die radikale Kritik der Widersprüche des Kapitalismus, zum anderen die Ablehnung einer größeren Dekadenz als der bereits vorhandenen. Benannt werden muss der vulgäre Hedonismus des „letzten Menschen“. Dieser stellt sich in die Schlange, um ein iPhone 6 zu bekommen – anstatt gegen die entfremdete Welt zu kämpfen!

Sie sagen, dass die EU das neue Fundament dieses „absoluten Kapitalismus“ wäre. Welches Modell von Europa könnte eine Alternative sein? Oder können uns nicht doch nur starke Nationalstaaten retten?

Mit Antonio Gramsci gesprochen, verkörpert Europa eine „passive Revolution“. Es handelt sich also um eine Revolution, im Zuge derer nach 1989 die Herrscher ihren Besitz untermauert haben. Das ist der Triumph des absoluten Kapitalismus. Nicht umsonst verkörpert die gegenwärtige EU das Europa der Banken und der Finanzen, aber nicht das Europa demokratisch regierter und einander sich brüderlich verhaltender Völker. Deshalb bin ich gegen dieses Europa der Banken und des Kapitals, dass die Völker und die Arbeitsplätze gleichermaßen vernichtet. Die EU ist heute ein gigantisches, finanzielles Konzentrationslager, ein Ort der schonungslosen ökonomischen Gewalt. Schon das unglückliche Schicksal des griechischen Volkes beweist das.

diego fusaro 2Also brauchen wir doch starke Nationalstaaten in Europa, die sich im brüderlichen Geist unterstützen? Zum Beispiel in Form einer politischen und kulturellen, aber auch föderalistisch geprägten Allianz?

Wir brauchen souveräne, demokratische und freie Staaten, die sich gegenseitig verstehen und zueinander solidarisch verhalten. Die Pluralität der Kulturen und der Sprachen bleibt ein schützenswertes Gut und es darf nicht im Namen dessen, „was Europa fordert“, zerstört werden! Eine föderale Allianz, wie sie bereits Kant vorausgesagt hat, könnte da eine gute Lösung sein: Vorausgesetzt, es handelt sich um eine solche Allianz zwischen freien und gleichen Staaten. Sie darf nicht in eine neue Form der Asymmetrie, ebenso wie in der aktuellen Gestalt der EU, umschlagen.

In Schottland und Katalonien gibt es bereits starke regionalistische Bewegungen. In London und Brüssel haben viele Menschen 2014 gegen die Sozialpolitik ihrer Regierung und der EU demonstriert. Bleiben die Kategorien „links“ und „rechts“ in diesem Kampf überhaupt noch wichtig? Oder mit Carl Schmitt gedacht: Wer ist der gemeinsame Feind?

Die Begriffe „links“ und „rechts“ sind überholt, sobald Linke und Rechte so wie heute dieselben Dinge sagen. Es handelt sich um einen vorgetäuschten Pluralismus, ein Wechselspiel ohne Alternativen, einen Pluralismus, in dem die Mehrzahl ein und dieselbe Sache behauptet, nämlich: „Es gibt keine besseren Gesellschaft als diese! Nehmt den Monotheismus des Marktes hin!“ Die einzig gültige Dichotomie besteht heute zwischen denen, die die Verbindung zur kapitalistischen Gewalt akzeptieren und jenen, die diese im Namen der Demokratie, der Freiheit, der Rechte des Sozialen sowie der Arbeit bekämpfen. Die Macht gewinnt, solange sie es schafft, uns zu trennen, solange sie verhindern kann, dass sich eine antikapitalistische Front bildet, die für die Verteidigung der entwürdigten Menschheit kämpft.

Wie kann man sich diesen wirklichen Kampf und eine „antikapitalistische Front“ aus Ihrer Sicht vorstellen? Gibt es denn eine „Handlungsanweisung à la Fusaro” — für die alltägliche Politik?

Es bedarf eines neuen politischen Subjekts. Es muss sich von den bereits existierenden deutlich unterscheiden. Und es muss antikapitalistisch sein! Die Suche nach den Emanzipationsmöglichkeiten der Menschheit sollte das eigentliche Ziel sein. Denn die existierenden Parteien bieten all das nicht an. Sie sind stattdessen, sei es auch in unterschiedlichen Abstufungen, Marionetten im Dienste des einen kapitalistischen Herrn.

Herr Fusaro, vielen Dank für das Gespräch!

Anm. d. Red.: Das komplette Interview gibt es hier.

Bilder: Diego Fusaro /​www​.filosofico​.net

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