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vendredi, 21 août 2015

Ein linker Patriot – Zum Tode von Egon Bahr

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Ein linker Patriot – Zum Tode von Egon Bahr
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Ex: http://www.compact-online.de

Es war die Selbstverständlichkeit des Satzes, die beeindruckte: „Wir wollen Deutsche sein, so viel von Deutschem noch übrig geblieben ist. Ja was denn sonst?“, sagte Egon Bahr im November 2014 auf der COMPACT-Konferenz. Es war die Quintessenz eines politischen Lebens. Eine Bilanz. Egon Bahr konnte sie ziehen, denn seinen Teil trug er bei. Jetzt ist der Vordenker der neuen Ostpolitik im Alter von 93 Jahren verstorben.

Er war immer ein kritischer Geist, ein politischer Querdenker. Als regelrechter Kalter Krieger, wie er sich selbst nannte, lehnte Bahr etwa 1956 das KPD-Verbot ab. Als Willy Brandt 1974 der SPD-Fraktion seinen Rücktritt erklärte, sah man Bahr weinen. Doch weniger über die Demission des Freundes und Weggefährten, als über die zynische Heuchelei des Fraktionschefs Herbert Wehner: Der Alt-Stalinist und Intrigant hatte Brandts Erklärung mit einem lautstarken „Willy, du weißt, wir alle lieben dich“ kommentiert. In der Ukraine-Krise waren Kritik an der Politik Russlands und gleichzeitig die klar benannte Mitverantwortung des Westens für ihn kein Widerspruch. Noch vor wenige Wochen unterzeichnete er eine Resolution gegen die Eskalationspolitik – die Krieg in der Ukraine könne in die Katastrophe führen, „wenn die bereits drehende Spirale des Wettrüstens, der militärischen Provokationen und konfrontativen Rhetorik nicht gestoppt wird“, heißt es darin.

Nach dem Krieg ging Bahr – der wegen seiner jüdischen Großmutter aus der Wehrmacht ausgestoßen wurde – als Journalist erst zur „Berliner Zeitung“ im sowjetischen Sektor, dann jedoch bald zum von den USA gegründeten Rundfunksender RIAS, später in den diplomatischen Dienst. 1956 trat er der SPD bei – noch vor dem verhängnisvollen Godesberger Programm. Die Ernennung zum Leiter des Presseamtes im West-Berliner Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt wurde zu einer Schicksalsentscheidung.

Wendepunkt in Bahrs – wie Brandts – Leben waren die Tage nach dem 13. August 1961. Die DDR – und damit die Sowjetunion – errichteten eine Mauer mitten in Berlin. Ein Messerstich aus Zement ins deutsche Herz. Und die Westalliierten, angebliche Schutzmächte West-Berlins, taten: Nichts. US-Präsident John F. Kennedy soll beim Eingang der Nachricht im Weißen Haus erklärt haben, die Berlin-Krise sei nun beendet. Es gibt Hinweise, er sei im Vorfeld über die geplanten Sperrmaßnahmen informiert gewesen.

In diesem Moment muss der sozialdemokratischen Denkfabrik im Rathaus Schöneberg bewusst geworden sein: Auf die Westmächte ist kein Verlass. Die Deutschen selbst müssten die Teilung überwinden. Das ging nur im Dialog miteinander – und den wollten beide Seiten. Anfang Dezember 1963 hatte der stellvertretende Ministerpräsident der DDR, Alexander Abusch ein Passierscheinabkommen für die Besuche von West-Berlinern im Ostteil der Stadt angedeutet – Brandt und Bahr nahmen den Strohhalm dankbar an. Nur Wochen später konnten 700.000 West-Berliner erstmals seit dem Mauerbau Verwandte im Ostteil besuchen.

Doch für wirkliche Deutschlandpolitik war Berlin zu klein. Bahrs Chance bot der Wechsel Brandts nach Bonn. Während dessen Zeit als Außenminister (1966—1969) war er als Ministerialdirigent Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Als vielleicht engster Freund, jedenfalls wichtigster Berater wurde er zum Architekten der Ost-Verträge. Später hatte er als Bundesminister für besondere Aufgaben praktisch ein eigenständiges Ressort für die Kontakte nach Ost-Berlin und Moskau. Sein Credo „Wandel durch Annäherung“ und „Politik der kleinen Schritte“ prägte eine langfristige angelegte Strategie einer deutschen Lösung – deren Ausgangspunkt die Verträge mit der Sowjetunion, Polen und schließlich der DDR waren. In Washington wurden Brandt und Bahr für diesen Kurs stets beargwöhnt.

Unklar ist bis heute Bahrs Rolle im Misstrauensvotum der Union gegen Brandt im April 1972. Immer wieder gab es Gerüchte, sowohl der geheime Verbindungsmann der DDR-Regierung Hermann von Berg, als auch der DDR-Unterhändler beim Grundlagenvertrag Michael Kohl hätten seine Haltung zu Bestechungen von CDU/CSU-Abgeordneten ausgelotet. Bahr bestritt dies zeitlebens. Klar ist, dass sich Brandt damals tatsächlich nur durch den Kauf von zwei Oppositionsparlamentariern durch die Staatssicherheit im Amt halten konnte.

Der Rücktritt Willy Brandts 1974 markierte auch für Bahr den weitgehenden Bedeutungsverlust. Dem neuen Bundeskanzler Helmut Schmidt diente er bis zum Ende der Legislaturperiode als Entwicklungshilfeminister. Einige Jahre war er Bundesgeschäftsführer der SPD. Sein Glaube an eine deutsche Einheit wurde in den 1980er Jahren schwächer – doch ganz erloschen ist er nie. Als schließlich zusammenwuchs, was zusammengehört – wie es Brandt nach dem Mauerfall formulierte – war Bahrs Vision die einer Friedensmacht Deutschland, die ihren Einfluss in der Welt geltend machen sollte. Doch dieser Wunsch hat sich nicht erfüllt.

In einem seiner letzten Interviews sagte Bahr, er erinnere sich, „dass Brandt über sich selbst sagte: ‘Je älter ich werde, um so linker werde ich.’ Wenn ich sehe, wohin dieser Kapitalismus treibt, habe ich das Gefühl, dass es bei mir ähnlich ist.“ Nun ist er gegangen: ein kritischer Geist, ein linker Patriot.

 

 

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