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jeudi, 05 novembre 2020

»Ethnopluralismus – Kritik und Verteidigung«

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»Ethnopluralismus – Kritik und Verteidigung«

Ellen Kositza empfiehlt Martin Lichtmesz

 
 
#Ethnopluralismus ist ein Schlüsselbegriff. Bloß: Was ist das eigentlich? Die Gegner sagen: ein versteckter #Rassismus. Wir sagen: Die schwer beschreibbare, jedenfalls unbedingt verteidigenswerte Mischung aus Kultur, Geschichte, Abstammung, Charakter. Martin #Lichtmesz ist der erste, der diesen Begriff, sein Potential und seinen Mißbrauch umfassend darzustellen vermag. Er hat sich über Jahre mit der Vielgestaltigkeit der Völker, mit Abgrenzung und Austausch, mit Dekonstruktion und Verallgemeinerung beschäftigt und verteidigt nun eines unserer zentralen Konzepte auf seine unnachahmliche Art. Ein eminent wichtiges Buch!
 
 
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samedi, 21 avril 2018

Martin Lichtmesz: Die US-amerikanische Rechte unter Trump: Eine Bestandsaufnahme

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Martin Lichtmesz:

Die US-amerikanische Rechte unter Trump: Eine Bestandsaufnahme

 
Martin Lichtmesz gibt eine kundige Einführung in den »Amerikanismus«.
 
sezession.de
antaios.de
staatspolitik.de
 

jeudi, 05 septembre 2013

Identitäre Meditationen über Triest

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Identitäre Meditationen über Triest

Martin Lichtmesz

Ex: http://www.sezession.de

Bei der Recherche für einen Beitrag zum geplanten „Ortslexikon“ des Instituts für Staatspolitik [2] fiel mir eine sehr schöne, zu Unrecht verschollen gegangene Anthologie über Triest in die Hände, der ich die Informationen für diesen Artikel entnehme. An dem Band „Triest Trst Trieste“ (Mödling/Wien 1992) hat unter anderem mein ehemaliger grüner Geschichtslehrer aus Gymnasialzeiten mitgearbeitet, an den ich recht gute Erinnerungen habe.

Er gehörte zum durchaus sympathischen Typus eines Grünen, den man heute leider nur mehr selten findet. Sein biographisch-familiärer Hintergrund war recht abenteuerlich, und er hatte ein Flair von Globetrottertum um sich, das er freilich auch bewußt kultivierte. Besonders gern erzählte er von seinen kulinarischen Entdeckungsreisen in seiner zweiten Heimat Italien, wo er stets auf der Suche nach seltenen und exquisiten Perlen abseits der touristischen Trampelpfade war.

Im Gegensatz zu den heutigen „Diversity“- [3]Narren hatte er eine echte Liebe zur Vielfalt (man kann dieses geschändete Wort leider kaum mehr benutzen) insbesondere europäischer und mediterraner Kulturen. Er war Mitglied in einer kleinen Folklore-Band, die traditionelle Volkslieder aus ganz Europa sammelte und deren Stilelemente in ihren eigenen Songs zu recht ansprechenden Potpourris vermischte.  Dabei liebte er auch alpine und österreichische Volksmusik, mit einem gewichtigen Vorbehalt allerdings: sie mußte „authentisch“ sein und nicht verseucht durch die Kommerzentartungen des „Musikantenstadl“ und ähnlicher Frevel.

So war seine „multikulturelle“ Leidenschaft eng verwandt mit seiner kulinarischen: sie hatte etwas zu tun mit einer Sehnsucht nach dem „Echten“, Anderen, Bodenständigen, Unverwässerten, Vitalen, Urwüchsigen, Noch-nicht-Genormten, noch nicht durch die Konsumgesellschaft platt- und banal- und schalgemachten.

Ich mußte viele Jahre später an meinen Geschichtelehrer denken, als mir ein listiger Aphorismus von Gómez Dávila unterkam:

Die nationalistische Xenophobie bewahrt die Unversehrtheit köstlicher Speisen für die, die weder Nationalisten noch xenophob sind.

Das ist ein tragisches Dilemma, das leider kaum aufzulösen ist: wenn eine Kultur oder Volksgruppe ihre Eigenart bewahren will, muß sie sich bis zu einem gewissen Grad nach außen hin abgrenzen. Wenn sie aber nicht mehr imstande ist, bis zu einem gewissen Grad „durchlässig“ zu sein und fremde Einflüsse aufzunehmen, dann stagniert und versteinert sie. Kleinere Indianervölker, die keine Möglichkeit des Anschlusses an eine größere, stützende Kultur oder Nation haben, sitzen hier besonders in der Zwickmühle.

Ein „Muß“ für die Grünen der Neunziger Jahre (ob das heute auch noch so ist, weiß ich nicht), war die Leidenschaft für die Rechte diverser Minderheiten in Österreich: Zigeuner, Kroaten im Burgenland, Slowenen in Kärnten – besonders letztere ließen sich trefflich gegen das traditionell „blaue Gau“ der FPÖ ausspielen. Hier spielten natürlich oft eher sinistre nationalpsychologische Motive eine Rolle, ein nachgeholter Surrogat-Antifaschismus und eine Buße für die NS-Verbrechen.

Man konnte sich für den „Volkstumskampf“ (denn um etwas anderes ging es schließlich nicht) der Slowenen begeistern, zeigte aber keinerlei Interesse etwa am Schicksal der deutschen Minderheit in Slowenien, oder überhaupt der Vertriebenen des Weltkrieges aus Böhmen und Mähren, Schlesien und Pommern, Siebenbürgen und Ostpreußen. Denn deutsches Volkstum war eben „böse“, alles andere aber gut und unterstützenswert. Immerhin dachte mein grüner Geschichtslehrer nicht so.

Seine Faszination für Triest hing eng mit seinen multikulturellen Neigungen zusammen. Als typische Grenz- und Knotenpunktstadt war und ist Triest eine einzigartige Mischung aus romanischen, slawischen und germanischen Einflüssen. Sie stand rund fünfeinhalb Jahrhunderte unter der Herrschaft der Habsburger, die dort unverkennbare Spuren hinterlassen haben. Ganze Stadtviertel sind von theresianischen und josefinischen Bauten geprägt, Doppeladler prangen noch auf vielen Gebäuden und zuweilen wähnt man sich auf der Ringstraße oder in Znaim und Budapest. Nur ein paar Kilometer auswärts findet sich das eigenartige, märchenhafte Schloß Miramare, das für den späteren unglückseligen „Kaiser von Mexiko“ Maximilian erbaut wurde.

Auf dem nicht minder romantischen Schloß Duino schrieb Rainer Maria Rilke seine berühmten „Duineser Elegien“.  Sowohl Italo Svevo [4], der eigentlich Aron Hector Schmitz hieß, Autor des Jahrhundertromans „Zenos Gewissen“, als auch der Jugendbewegung-Jupiter Theodor Däubler [5] wurden in Triest geboren und nachhaltig von der Stadt geprägt. Egon Schiele malte hier Fischerboote und Hafenszenerien, Adalbert Stifter erblickte hier zum ersten Mal das Meer.

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Däublers Freund Hans Blüher [6] schrieb in seiner Autobiographie „Werke und Tage“ (1920) über seine einsamen Jugendwanderungen von Deutschland nach Italien, die ihn nach Triest, Venedig und Neapel führten. Er gedachte darin der „großen Züge der deutschen Könige und Kaiser über die Alpen“, in denen er einen tieferen Drang als nach bloßer profaner Beutelust am Werke sah:

Wer es je gespürt hat, wie scharf die Grenze zwischen der germanischen und der italienischen Landschaft gezogen ist, wer je den Gratzauber in sich aufgenommen hat, der einem ankommt, wenn man wieder beginnt, bergab zu steigen, wer auch gewohnt ist, auf die Dinge zu achten, die Vegetation, veränderter Sternenhimmel, Bodenduft und solches mehr bei einem Menschen erwirkten, dem wird das lediglich Hinzugekommene der ökonomischen Motivierungen, besonders jener Zugrichtung Deutschland-Italien ohne weiteres klar.

Ich fühlte mich jedenfalls durchaus als Deutscher und spürte den Zug der Geschichte meines Volkes in mir, als es mich mit völlig unwiderstehlicher, geradezu fanatischer Gewalt nach dem Süden zog, nach jenem Süden, der mir immer unerträglich war, dessen Waldlosigkeit eine Beleidigung meiner ganzen Natur enthielt, dessen Menschen so durchaus anders waren als ich: dieser Süden, den ich jedesmal mit einem schluchzenden Gefühlvon Heimweh nach den deutschen Landen verließ, den ich jedes Jahr abschwor mit den Worten: „Es war das letztemal!“ – und der mich fünf Jahre mit unausweichbarer Beständigkeit in seinen Bann zog. Es muß wohl das Schicksal des deutschen Menschen sein.

Unterwegs nach Triest war Blüher auch bei den Slowenen eingekehrt, die ihm als arm, „gütig“ und gottesgläubig erschienen. Nur eines ging ihm gegen den Strich:

Aber was mir an diesem Volke unterträglich war, das war die Entvokalisierung der Sprache. Wer in der Lautwelt der Antike groß wurde, dem klingen konsonantenreiche Sprachen barbarisch, und so bekam ich eine immer mehr unbezwingbar werdende Sehnsucht nach Italien, dessen Sprache mir vertraut war und meinen lateinischen Ohren wohltat.

James Joyce verbrachte in Triest seine Jugendjahre, zur genau gleichen Zeit, als Blüher seine Wanderungen unternahm. Joyce war zeitlebens ein freiwilliger irischer Exilant, und er war um so mehr Ire, umso mehr Exilant er war – dazu paßt eine Stadt, die auf ihre Weise eine seltsame Lage im „Exil“ hat, als überwiegend italienische Stadt,die fast gänzlich von slowenischem Hinterland ummantelt ist.

Hilde Spiel schrieb in 1980 in der Novelle „Mirko und Franca“ über die „vielgesichtige Stadt“:

Es gibt Tage und Orte, an denen Triest nur eine seiner Facetten hervorkehrt, nur venezianisch oder nur slawisch erscheint, nur österreichisch oder nur ungarisch, aber auch, unter gewissen Umständen, nur jüdisch, nur griechisch, levantinisch, oder sogar französisch (…).

Im Jahr 1910 zählte Triest etwa 225.000 Einwohner, darunter 120.000 Italiener, 60.000 Slowenen, 12.000 Deutsch-Österreicher, 2.500 Kroaten sowie 30.000 Ausländer aus aller Welt: Levantiner aller Art, Griechen, Armenier, Juden, Türken, Engländer oder Franzosen.

Die unwiderstehliche Anziehungskraft, die eine Stadt wie Triest auf meinen Lehrer hatte, liegt also auf der Hand. Der erwähnte Sammelband „Trieste Trst Triest“ zeichnet allerdings nicht das Bild eines Idylls. Immer wieder wird deutlich, daß die Reize und Spannungen „multikultureller“ Gebilde nicht voneinander zu trennen sind, daß vor allem immer wieder die Frage auftaucht, was solche Gebilde überdachen und zu einer friedlichen und funktionierenden Einheit fügen kann.

Historisch gesehen ist es nun leider so, daß Demokratien für diesen Zweck die denkbar ungünstigsten Staatsformen [7] sind. In der Tat sind sie häufig Zerfallsprodukte größerer Imperien, Antithesen „multikultureller“ Staatsformen. Demokratie und Nationalismus sind in der Neuzeit eng verwoben gewesen.

Unbestritten ist, daß die wirtschaftliche und kulturelle Glanzzeit der Stadt in die Zeit der Habsburger-Herrschaft fällt, insbesondere in die drei Jahrzehnte vor dem 1. Weltkrieg, als Triest der leistungsstärkste Hafen des Mittelmeers war und seine Bahnlinien bis nach Bombay gingen. In den Beiträgen des Bandes erscheint die k.uk.-Monarchie daher auch in einem überwiegend positiven Licht.

Bis heute ist das „Image“ der Österreicher in Triest relativ positiv besetzt. Die Identität der Stadt ist ohne diese Prägung eben nicht denkbar. Als ich sie mit zwölf Jahren zum ersten Mal besuchte, bot mir ein gleichaltriger italienischer Junge Verbrüderung an, als er erfuhr, woher ich komme. Das hat einen großen Eindruck auf mich gemacht, und mir ein erhabenes und freudiges „paneuropäisches“ Gefühl gegeben.

Historisch gesehen war die Beziehung der Italiener zu den Österreichern aber alles andere als harmonisch. Österreich-Ungarn war der große Gegner in den heroischen Freiheitskämpfen der Epoche von Garibaldi und Cavour. Seit den 1840er Jahren war auch in Triest der „Irredentismus“ gewachsen und seit 1866 geradezu explodiert. Wobei sich die italienischen Nationalisten in einer paradoxen Lage befanden, denn die Blüte der Stadt verdankte sich nunmal der verhaßten Habsburger Fremdherrschaft.

Der Triester Schriftsteller Scipio Slapater [8] beschrieb das Dilemma so: „Alles, was dem Handel dient, bedeutet Vergewaltigung der Italianità – und was diese wirklich fördert, schadet jenem.“ Dazu paßt auch die ironische Wendung, daß der große Märtyrer der Nationalbewegung, Guglielmo Oberdan, als Wilhelm Oberdank und Sohn einer deutschstämmigen Slowenin und eines Österreichers geboren wurde. Oberdan hatte 1882 versucht, Kaiser Franz Joseph zu ermorden. Seinen Henkern soll er noch heroisch entgegengeschrien haben: „Es lebe Italien! Es lebe das befreite Triest!“

Slataper selbst war ein glühender Bewunderer Oberdans und zunächst Anhänger der irredentistischen Bewegung, obwohl er halber Slowene war, und sich, wie er in einem Brief an seine Frau bekannte, als „Slawe, Deutscher und Italiener“ zugleich sah. Vom Slawen habe er die „seltsame Sehnsucht“, den „Wunsch nach Neuem, nach verlassenen Wäldern“, die „Sentimentalität“, und „ein endloses Träumen ohne Grenzen“. Vom „deutschen Blut“ habe er die „eselköpfige Sturheit“ und den „dikatorischen Willen und Ton“, ein „Verlangen nach Herrschaft und Kraft“: „Diese Elemente sind im italienischen Blut verschmolzen.“

Zuweilen erschien ihm sein slawisches Erbe noch mächtiger als seine „Italianità“. In seinem Buch „Mein Karst“ [9](1912) schrieb er:

Ich möchte euch sagen: ich bin im Karst geboren… ich möchte euch sagen: ich bin in Kroatien geboren… ich möchte euch sagen: ich bin im mährischen Tiefland geboren…

Dementsprechend kritisierte Slataper die anti-slawische Stoßrichtung der Irredentisten, wandte sich schließlich überhaupt vom Nationalismus ab und sozialistischen Ideen zu.  Er fiel 1915 in der 4. Isonzoschlacht als Freiwilliger auf italienischer Seite. Er war erst 27 Jahre alt.

Robert Musil beschrieb im „Mann ohne Eigenschaften“ das illoyale Verhalten der „Reichsitaliener“, der Figur des Grafen Leinsdorf in den Mund gelegt: an Kaisers Geburtstag habe er keine einzige Fahne in ganz Triest gesehen, aber am Tag des Geburtstags des Königs von Italien laufe alle Welt mit Blumen im Knopfloch herum. Und was die Slowenen betrifft, so lägen sie sich zwar dauernd mit den Italienern in den Haaren, aber solidarisieren sich sofort mit ihnen, „sobald es heißt, daß wir germanisieren.“

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Die Spannungen zwischen den italienischen Triestinern und den Österreichern schilderte auch Hermann Bahr 1909 in seiner „Dalmatinischen Reise“. Man mag darin auch das Muster heutiger „Integrationsprobleme“ wiedererkennen. Bahr glaubte, das Problem sei durch eine Art „Willkommenskultur“ zu lösen:

Die Italiener wollen eine italienische Universität, um ihre Söhne auszubilden, und sie wollen sie in Triest, weil sie Triest nahe haben und weil ihre Söhne in fremden Städten unglücklich sind. Nein, sagt die Regierung: sie wollen sie, um Irredentisten zu züchten! Worauf zu antworten wäre: Irredentisten züchtet ihr, ihr, weil jeder österreichische Italiener ein Irredentist sein wird, solange er sich in Österreich fremd fühlt, weil jeder sich in Österreich fremd fühlen muß. Solange man ihm mißtraut! Die Heimat des Menschen ist dort, wo er sich bei sich zu Hause fühlt. Sorgt dafür!

Und ferner: eine bessere Zucht von Irredentisten als in Wien gibt es gar nicht. In Wien fühlt sich der italienische Student fremd, er versteht die Sprache nicht, er ist von Feindschaft umgeben, niemand nimmt sich seiner an, Heimweh quält ihn, so sitzt er den ganzen Tag mit den anderen im Café beisammen, um nun doch seine Sprache zu hören, und wenn er unter diesen nun ein einziger ist, den die Not oder die Sehnsucht zum Irredentisten macht, so sind es nach einem Monat alle; seelische Kontagion nennt man das.

Und endlich: Ihr treibt jeden Italiener aus Österreich heraus, dem ihr die Wahl stellt, ein Italiener oder Österreicher zu sein! Es muß ihm möglich werden, als Italiener ein Österreicher zu sein. Wie denn unser ganzes österreichisches Problem dies ist, daß es uns möglich werden muß, Österreicher deutscher oder slawischer oder italienischer Nation zu sein.

Ähnliche Probleme und Gedankengänge finden wir heute wieder, mit einem gravierenden Unterschied: der heutige Nationalstaat Österreich ist eben, auch wenn man es schon vergessen hat, „Deutsch-Österreich“, der klägliche Rest auf ethnischer Basis, der übriggeblieben ist, nachdem das Kaiserreich Österreich an den von Bahr benannten Problemen gescheitert ist. Schon allein darum ist Bahrs Rhetorik der „Willkommenskultur“ nicht auf heutige Verhältnisse übertragbar. Wo er von „Österreichern“ spricht, meint er nicht allein die  ethnischen Deutsch-Österreicher. Was der Bogen der k.u.k.-Monarchie nicht geschafft hat, soll heute eben ein Reisepaß und ein Bekenntnis zu „freiheitlich-demokratischen Grundwerten“ und „Menschenrechten“ ähnlichem bewerkstelligen. Es ist zu erwarten, daß das erst recht nicht funktionieren kann.

Wir sind hier auch mitten in der Atmosphäre von Joseph Roths „Radetzkymarsch“. Leser des Romans werden sich noch an den „reaktionären“, trinkfesten polnischen Grafen Chojnicki aus Galizien erinnern, der gegen Nationalisten, Sozialisten, progressive Juden und sonstige Demokraten wettert, die die Monarchie in Stücke reißen wollen. Zugleich weiß er, daß die Seele des Reiches bereits gestorben ist und keine Integrationskraft mehr besitzt.

Joseph Roth, wie viele galizische Juden glühend kaisertreu, hatte diese Welt des habsburgischen Reiches geliebt. An ihrem Verlust ist er schließlich zugrunde gegangen, als Heimatloser und Exilant. In der Tat ist wohl nie das Ideal einer zugleich vielgestaltigen und zugleich einheitlich gebündelten Zivilisation so greifbar nahe gewesen. So zumindest schien es manchem Sproß der „Welt von Gestern“ (wie Stefan Zweig formulierte) im nostalgischen Rückblick.

Mir liegt etwa ein 1967 im katholischen Wiener Herold-Verlag erschienenes  Bändchen vor, „Abgesang auf eine große Zeit“, das von einem Mann mit dem unwahrscheinlichen Namen Otto Forst de Battaglia (1889-1965) verfaßt wurde. Es handelt sich um einen Seelenverwandten des Grafen Chojnicki: ein altösterreichischer Pole, aus Galizien stammend, in Wien geboren, der den Namen einer italienischen Adelsfamilie trug. In dem Aufsatz „Österreich, ein Reich der Mitte“, schreibt er:

Ostische, alpine, mittelmeerische, dinarische, nordische und sogar ein nicht übersehbarer Einschlag vorderasiatischer, westischer und mongoloider Rasse, sodann – nicht mehr aufspürbarer Vorbewohner zu vergessen – Illyrer, Thraker, Italiker, Kelten, Römer samt dem Kaleidoskop der unter deren Adlern in Vor-Österreich garnisonierenden Legionäre, hernach Germanen und Slawen und wieder Germanen: das alles hat sich zu einem Ganzen vermengt.

Und jeder Bestandteil des Amalgams steuerte etwas zu dessen Eigenart bei. Daran änderte auch die sprachliche und kulturelle Überdachung durch das Deutschtum nichts. Und dem sich auch starke, von hoher Kultur gesättigte Elemente einfügten, die später ins Land einströmten: Italiener, Spanier, französische Emigranten, assimilierte Juden und andere sporadische Einwanderer aus allen Zonen, von Portugal und Irland bis Armenien und Hellas.

Und in einem Aufsatz über Joseph Roth schreibt Forst de Battaglia über dessen Heimatstadt Brody in Galizien an der russisch-österreichischen Grenze:

Es war weniger das deutsche Wesen, am dem die sich Weltleute Dünkenden hier zu genesen suchten, denn das österreichische, schwarzgelbe, kaiserliche, habsburgische, für das die deutsche Sprache ein verbindendes Glied zwischen einem Dutzend Nationen bedeutete und dem die deutsche Kultur ein Kleid sein mochte, in das gehüllt man Einlaß in den vornehmen Kreis der europäischen Völkerfamilie fand.

Heute ist davon wenig bis gar nichts mehr übrig. In ganz Tschechien kommt man heute allenfalls mit Englisch durch, dafür lebt das Land touristisch hauptsächlich vom Glanz der böhmisch-mährisch-habsburgischen Zeit, unter wohlfeiler Verleugnung und Vertuschung des vorwiegend deutschen Charakters dieser Kultur von Gestern, wovon ich mich neulich anläßlich eines Besuches in Brünn wieder überzeugen konnte. Das ist ein Gedanke, den ich auf Reisen durch Tschechien nie ganz abwehren kann: Da haben sie nun also endlich ihren popeligen, ethnisch homogenen Nationalgurkenstaat, für den soviel Blut, vor allem der Sudetendeutschen, geflossen ist. Und für was?

Das Konzept des demokratischen Nationalstaats im Sinne der „Selbstbestimmung der Völker“ galt nach 1918 als die große Lösung der von Bahr bezeichneten Probleme. Sie waren in manchen Ländern allerdings erst dann so richtig „gelöst“, als mit ethnischen Säuberungen nachgeholfen wurde – die traurige Geschichte der Tschechoslowakei und Jugoslawiens sind Beispiele für eine solche Zuspitzung.

Auf dem Spielberg in Brünn, wo sich einst einer der größten Kerker der Monarchie befand, stehen übrigens heute noch Denkmäler, die von Mussolinis Regime in den Zwanziger Jahren gestiftet wurden: Erinnerungen an all die Märtyrer des italienischen Freiheitskampfes, die in der Festung inhaftiert waren. Zur gleichen Zeit unterdrückten und italianisierten die Italienern die Südtiroler, während die Tschechen unter Masaryk und später Benesch eine analoge Politik wider die deutsche Bevölkerungsgruppe in der Tschecho-Slowakei betrieben, die immerhin 3 Millionen Menschen umfaßte, nicht weniger als ein Viertel der Gesamtbevölkerung.

Eine ähnliche Politik wie die Südtiroler bekamen die Triestiner Slowenen ab 1919 zu spüren. Nun hatten die Irredentisten endlich bekommen, was sie sich gewünscht hatten: ein italienisches Triest, das freilich seine Geltung als Weltstadt verloren hatte. Aber die „Italianità“ war in ihren Augen immer noch nicht umfassend genug. Bereits 1920, zwei Jahre vor dem Marsch nach Rom, setzte nationalistisch-faschistischer Terror gegen slowenische Einrichtungen ein; so wurde im Sommer des Jahres das Kulturzentrum „Narodni dom“ abgebrannt. Unter Mussolini wurde eine zum Teil äußerst brutale Italianisierungspolitik betrieben.

Der Triester Schrifsteller Giani Stuparich, ein Freund Scipio Slatapers und dessen Kampfgefährte an der Front (auch er, wie der Name verrät, von slawischer Herkunft), protestierte:

Ist es rechtens, die Felder, die Kirchen dieser Slawen heimzusuchen und ihnen mit dem Revolver in der Hand zu befehlen, nicht mehr auf slawisch zu lieben, zu denken und zu beten?

Das Drama eskalierte im Laufe der folgenden Jahrzehnte und füllte am Ende des zweiten Weltkriegs auch die Karsthöhlen bei Triest mit Massengräbern von Italienern, Deutschen und Kroaten. Man kann alles in allem nicht sagen, daß der Nationalismus seinen schlechten Ruf unverdient erhalten habe.

Dennoch will ich mit einem Plädoyer von Nicolás Gómez Dávila schließen:

Reden wir nicht schlecht über den Nationalismus.
Ohne die nationalistische Virulenz würde über Europa und die Welt schon ein technisches, rationales, uniformes Imperium herrschen.
Rechnen wir dem Nationalismus mindestens zwei Jahrhunderte geistiger Spontanität, freien Ausdrucks der Volksseele, reicher historischer Mannigfaltigkeit zum Verdienst an.
Der Nationalismus war die letzte Verkrampfung des Individuums angesichts des grauen Todes, der seiner harrt.