mercredi, 31 mars 2010
Die geopolitische Bedeutung der Ukraine heute
Die geopolitische Bedeutung der Ukraine heute
Am 14. Februar 2010 hatte die Wahlkommission der Ukraine Viktor Janukowytsch in der heiß umkämpften Stichwahl für das Amt des Staatspräsidenten zum Sieger erklärt. Seine unterlegene Gegnerin ist Julija Tymoschenko, die ehemalige Premierministerin und Galionsfigur der Orangenen Revolution. So sehr sich Washington jetzt auch bemüht, den Ereignissen etwas Positives abzugewinnen, sie bedeuten definitiv das Ende der einst umjubelten »Orangenen Revolution«. – Nun fragt sich, was dieses Scheitern der Orangenen Revolution in der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt für die Zukunft des Eurasischen Herzlandes – so bezeichnete der britische Geopolitiker Halford Mackinder einst diese Region – bedeutet. Noch wichtiger ist die Frage, was es für das Pentagon bedeutet, das seit 20 Jahren unentwegt versucht, gemäß dem gefährlichen und überehrgeizigen Plan der sogenanntenFull Spectrum Dominance Russland als Militärmacht zu schwächen, letztendlich sogar auszuschalten.
Um die langfristige Bedeutung der Wahl in der Ukraine für die globale geopolitische Balance zu verstehen, sollten wir die Orangene Revolution von 2004 noch einmal Revue passieren lassen. Damals war Viktor Juschtschenko der handverlesene Kandidat Washingtons, insbesondere der Neokonservativen im Umfeld der Bush-Regierung, die bemüht waren, die historischen und wirtschaftlichen Verbindungen der Ukraine zu Russland zu kappen und das Land gemeinsam mit dem Nachbarland Georgien in die NATO aufzunehmen.
Die wirtschaftliche und politische Geografie der Ukraine
Ein Blick auf die Landkarte zeigt die strategische Wichtigkeit der Ukraine, und zwar sowohl für die NATO als auch für Russland. Im Osten grenzt das Land direkt an Russland, außerdem verlaufen russische Gaspipelines nach Westeuropa über ukrainisches Gebiet. Über diese Pipelines werden rund 80 Prozent des exportierten russischen Gases transportiert, die Russland lebenswichtige Einnahmen – in Dollar – bringen.
Um eine wirksame Verteidigung gegen die wachsende Einkreisung des russischen Territoriums durch die NATO aufrechterhalten zu können, ist Russland ebenso dringend auf die Nutzungsrechte für den ukrainischen Schwarzmeerhafen Sevastopol angewiesen, den Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte. Gemäß einem russisch-ukrainischen Abkommen nutzt die Flotte außerdem noch den Hafen Odessa. Dieser wichtige bilaterale Vertrag über die Nutzungsrechte der Schwarzmeerflotte läuft, sofern er nicht verlängert wird, 2017 aus. Nach dem russisch-georgischen Konflikt im August 2008 hatte der ukrainische Präsident Juschtschenko laut über eine vorzeitige Beendigung des Vertrages nachgedacht, was Moskau seiner strategisch wichtigsten Marinebasis beraubt hätte. Die russische Marine nutzt Sevastopol, seit Russland 1783 die gesamte Region annektiert hat.
In der an Russland grenzenden Ost-Ukraine leben über 15 Millionen Russen, dieses Gebiet ist dank seiner äußerst fruchtbaren Böden noch immer buchstäblich der Brotkorb für Osteuropa. 2009 war die Ukraine nach den USA und der EU noch vor Russland und Kanada der drittgrößte Getreideexporteur der Welt. (1) Die berühmte schwarze Erde der Ukraine, Chernozem, gilt als fruchtbarster Boden der Welt, man findet sie auf zwei Dritteln der Fläche des Landes. (2) Die Region in der Umgebung der Flüsse Dnjepr und Dnjestr ist das einzige Gebiet auf der Welt, in dem die sogenannte »süße« schwarze Erde eine Breite von 500 Kilometern erreicht. Der Boden gehört zu den größten Reichtümern des Landes, weil er sehr gute Ernten garantiert. Westliche Agrobusiness-Unternehmen wie Monsanto, Cargill, AMD und Kraft Foods lecken sich angeblich angesichts der Aussichten auf ein Ende der internen politischen Pattsituation in der Ukraine in der Hoffnung auf satte Gewinne aus dieser Region bereits die Finger. (3)
Das Gebiet Donetzk im östlichen Donezbecken oder Donbass ist die politische Basis des neu gewählten Präsidenten Janukowytsch. Es ist die bevölkerungsreichste Region der Ukraine und das Zentrum der Kohle-, Stahl- und Metallindustrie, ferner gibt es Wissenschaftszentren und Universitäten. Die Kohle-, Gas- und Ölvorkommen im ukrainischen Donbass-Becken werden auf 109 Milliarden Tonnen geschätzt.
Insgesamt zählt die Ukraine zu den Gebieten mit den reichsten Rohstoffvorkommen in ganz Europa. Die großen Granit-, Graphit- und Salzvorkommen bilden eine reiche Quelle für die Metall-, Porzellan- und chemische Industrie, die Keramikwaren und Baumaterialien herstellen. (4)
Kurz: die Eroberung der Ukraine im Jahr 2004 bedeutete für Washington einen Gewinn von höchster strategischer Bedeutung auf dem Weg zur »Full Spectrum Dominance« – so die Bezeichnung des Pentagon für die Kontrolle über den gesamten Planeten: Boden, Luftraum, Ozeane und Weltraum. Schon 1919 schrieb der britische Vater der Geopolitik in seinem einflussreichen Buch Democratic Ideals and Reality (zu Deutsch: Demokratische Ideale und Wirklichkeit):
Wer Osteuropa regiert, der beherrscht das Herzland – Wer das Herzland regiert, der beherrscht die Weltinsel – Wer die Weltinsel regiert, der beherrscht die ganze Welt. (5)
Mackinder rechnete die Ukraine und Russland zum Herzland. Als Washington mit dem de facto von den USA organisierten Putsch namens Orangene Revolution die Ukraine von Russland absprengte, kam man damit dem Ziel der vollständigen Beherrschung nicht nur Russlands und des Herzlands, sondern ganz Eurasiens, einschließlich eines dadurch eingekreisten China, einen gewaltigen Schritt näher. Kein Wunder, dass die Regierung Bush-Cheney so viel Energie darauf verwendete, ihren Mann, Juschtschenko, als Präsident und De-facto-Diktator an die Macht zu bringen. Er sollte die Ukraine in die NATO führen. Was er für seine Landsleute tat, das bekümmerte die Planer von Bushs Politik herzlich wenig.
Hätte der ebenfalls handverlesene Präsident von Georgien, der per Rosen-Revolution ins Amt gekommene Michail Saakaschwili, im August 2008, also wenige Wochen vor der Abstimmung der NATO-Minister über eine Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine, nicht Truppen losgeschickt, um die abtrünnigen Regionen Süd-Ossetien und Abchasien Georgien wieder einzukassieren, dann hätte Juschtschenko mit den entsprechenden Plänen vielleicht sogar Erfolg gehabt. Nach der schnellen militärischen Antwort Russlands, durch die der georgische Vorstoß gestoppt und Saakaschwilis zusammengewürfelten Truppen eine vernichtende Niederlage beigebracht wurde, bestand auch keine Aussicht mehr, dass Deutschland oder andere Mitgliedsländer einer NATO-Mitgliedschaft zustimmen und sich damit dazu verpflichten würden, Georgien oder der Ukraine in einem Krieg gegen Russland beizustehen. (6)
Die Bedeutung der Orangenen Revolution
Die »Revolution«, die Viktor Juschtschenko auf einer Welle von amerikanischen Dollars und mit Unterstützung amerikafreundlicher »Nicht-Regierungs-Organisationen« (NGOs) ins Amt gebracht hat, war ursprünglich bei der von Washington finanzierten RAND Corporation ausgeheckt worden. RAND hat die Bewegungsmuster von Bienenschwärmen und ähnliche Phänomene studiert und die Ergebnisse auf moderne mobile Kommunikation, Textübertragung und zivile Proteste als Taktik für Regimewechsel und verdeckte Kriegsführung angewendet. (7)
Die Transformation der Ukraine von einer früheren unabhängigen Sowjetrepublik zu einem pro-amerikanischen Satellitenstaat gelang im Jahr 2004 mithilfe der sogenannten »Orangenen Revolution«. Die Aufsicht führte damals John Herbst, der im Mai 2003 zum amerikanischen Botschafter in der Ukraine ernannt worden war, nur wenige Monate vor Beginn der Unruhen. Beschönigend beschrieb das US State Department die Aktivitäten des Botschafters:
»Während seiner Amtszeit war er bemüht, die amerikanisch-ukrainischen Beziehungen zu verbessern und zum fairen Ablauf der Präsidentschaftswahl in der Ukraine beizutragen. In Kiew war er Zeuge der Orangenen Revolution. Botschafter John Herbst hatte zuvor als US-Botschafter in Usbekistan eine entscheidende Rolle dabei gespielt, einen amerikanischen Stützpunkt aufzubauen, mit dessen Hilfe die Operation Enduring Freedom in Afghanistan durchgeführt werden konnte.« (8)
Washington entschied sich dann für Viktor Juschtschenko als den richtigen Mann für den inszentierten Regimewechsel. Der damals 50-Jährige war zuvor Gouverneur der Zentralbank der Ukraine gewesen und hatte in dieser Position in den 1990er-Jahren im Rahmen der brutalen »Schocktherapie« des IWF die Deindustrialisierung des Landes betrieben. Juschtschenkos IWF-Programm hatte für seine Landsleute verheerende Folgen. Die Ukraine wurde 1994 gezwungen, die Devisenkontrollen aufzuheben und die Währung abstürzen zu lassen. Als Zentralbankchef führte Juschtschenko die Aufsicht über die geforderten Abwertungsmaßnahmen, die innerhalb weniger Tage zu einem Anstieg der Preise für Brot um 300 Prozent, für Strom um 600 Prozent und beim öffentlichen Transport um 900 Prozent führte. Bis 1998 waren die Reallöhne in der Ukraine im Vergleich zu 1991, als die Ukraine ihre Unabhängigkeit erklärte, um 75 Prozent gesunken. Ohne Zweifel war Juschtschenko der richtige Mann, um Washingtons Pläne in der Ukraine umzusetzen. (9)
Juschtschenkos in Chicago geborene Frau Kateryna, eine amerikanische Staatsbürgerin, hatte während der Regierungszeit von Reagan und H.W. Bush für die US-Regierung und das State Department gearbeitet. Sie war als Vertreterin der US-Ukraine Foundation in die Ukraine gekommen. Im Vorstand dieser Stiftung saß Grover Norquist, der zu den einflussreichsten Republikanern in Washington zählte. Norquist wurde damals allgemein »Geschäftsführer des rechten harten Kerns« genannt, er war der entscheidende Mann, der rechtsgerichtete Organisationen für die Unterstützung der Präsidentschaft George W. Bush gewann. (10)
Kernpunkt von Juschtschenkos geschickter Präsidentschaftskampagne war sein Eintreten für den Beitritt der Ukraine zur NATO und zur Europäischen Union. Bei seiner Kampagne kamen massenweise orangefarbene Fahnen, Banner, Poster, Ballons und andere Requisiten zum Einsatz, was unweigerlich zur Folge hatte, dass die Medien fortan von einer »Orangenen Revolution« sprachen. Washington finanzierte »demokratische« Jugendgruppen, die eine wichtige Rolle bei der Organisation gewaltiger Massendemonstrationen spielten. Diese Demonstrationen trugen wesentlich zu Juschtschenkos Erfolg bei der Wiederholung der angefochtenen Wahl bei.
In der Ukraine trat Juschtschenkos Bewegung mit dem Motto »Pora« (»Es ist Zeit«) an. Dabei mischten Leute mit, die aus der »Rosen-Revolution« in Georgien bekannt waren, wie beispielsweise Givi Targamadse, Vorsitzender des georgischen Parlamentsausschusses für Sicherheit und Verteidigung, ein ehemaliges Mitglied des georgischen Liberty Institute oder die Jugendgruppe Kmara. Die ukrainischen Oppositionsführer zogen die Georgier über Techniken der gewaltlosen Auseinandersetzung zu Rate. Die georgischen Rockbands Zumba, Soft Eject und Green Room, die die Rosen-Revolution unterstützt hatten, organisierten 2004 ein Solidaritätskonzert in Kiew zur Unterstützung von Juschtschenkos Kampagne. (11)
Auch die PR-Firma Rock Creek Creative aus Washington spielte eine bedeutende Rolle bei der Orangenen Revolution, sie entwickelte eine Website mit dem orangefarbenen Logo und zum sorgfältig gewählten Farbenthema. (12)
Juschtschenko unterlag 2004 bei der Wahl zunächst gegen Janukoytsch. Verschiedene Elemente trugen zu dem Eindruck bei, die Ergebnisse seien gefälscht, die Öffentlichkeit verlangte daraufhin die Wiederholung der Stichwahl. Mit der Hilfe von Pora und anderen Jugendgruppen sowie speziellen Wahlbeobachtern und in enger Koordination mit wichtigen westlichen Medien wie CNN und BBC wurde die Wahl im Januar 2005 wiederholt. Juschtschenko gewann mit knapper Mehrheit und erklärte sich zum Präsidenten. Dem Vernehmen nach hat das US State Department etwa 20 Millionen Dollar ausgegeben, um in der Ukraine ein Amerika genehmes Wahlergebnis zu gewährleisten. (13)
Dieselben von den USA unterstützten NGOs, die in Georgien aktiv gewesen waren, waren auch für das Ergebnis in der Ukraine verantwortlich: das Open Society Institute von George Soros, Freedom House (dem damals der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey vorstand), das National Endowment for Democracy und seine Ableger, das National Republican Institute und das National Democratic Institute. Berichten aus der Ukraine zufolge waren die amerikanischen NGOs gemeinsam mit der konservativen US-Ukraine Foundation im ganzen Land aktiv, sie halfen der Protestbewegung von Pora und Znayu und schulten wichtige Wahlbeobachter. (14)
Präsident Viktor Juschtschenko, Washingtons Mann in Kiew, machte sich sofort daran, die wirtschaftlichen Verbindungen mit Russland zu kappen, unter anderem wurde die Lieferung von russischem Erdgas nach Westeuropa über ukrainische Transit-Pipelines unterbrochen. Mit diesem Schritt versuchte Washington, die EU-Länder, besonders Deutschland, davon zu überzeugen, Russland wäre ein »unzuverlässiger Partner«. Etwa 80 Prozent des russischen Erdgases wurde über Pipelines exportiert, die in der Ära der Sowjetunion gebaut worden waren, als die beiden Länder noch eine politische und wirtschaftliche Einheit bildeten. (15) Juschtschenko arbeitete auch eng Präsident Michail Saakaschwili zusammen, Washingtons Mann im Nachbarland Georgien.
Das Endergebnis der Wahl in der Ukraine Anfang 2010 zeigt, dass die Wähler Juschtschenko, den »Helden« der Orangenen Revolution, mit überwältigender Mehrheit ablehnen: er erhielt kaum fünf Prozent der abgegebenen Stimmen. Nach fünf Jahren des wirtschaftlichen und politischen Chaos wünschen sich die Menschen in der Ukraine offensichtlich zumindest etwas Stabilität. Meinungsumfragen in der Ukraine haben ergeben, dass die Mehrheit den Beitritt zur NATO ablehnt.
In westlichen Medien wird der neue ukrainische Präsident Viktor Janukowytsch als eine Art Marionette Moskaus dargestellt, doch das scheint völlig falsch. Die meisten seiner Unterstützer aus der Industrie wünschen sich harmonische Wirtschaftsbeziehungen mit der Europäischen Union und mit Russland gleichermaßen.
Janukowytsch hat bekannt gegeben, dass ihn seine erste Auslandsreise nicht nach Moskau, sondern zu Gesprächen mit führenden Vertretern der EU nach Brüssel führen wird. Danach wird er sofort nach Moskau fliegen, wo Präsident Medwedew bereits jetzt eine verbesserte Zusammenarbeit signalisiert hat, als er Russlands Botschafter in die Ukraine entsandte, dessen Ernennung nach Monaten politischer Spannungen zwischen Juschtschenko und Moskau zunächst auf Eis gelegt worden war.
Das Wichtigste ist jedoch, dass Janukowytsch entgegen den unablässigen Versuchen seines Vorgängers, die Ukraine auf Drängen Washingtons in die NATO zu bringen, angekündigt hat, er werde sich in Brüssel nicht mit NATO-Vertretern treffen. In Interviews mit ukrainischen Medien erklärte Janukowytsch unmissverständlich, er beabsichtige nicht, die Ukraine in die EU oder – was für Moskau noch wichtiger ist – in die NATO zu führen.
Janukowytsch hat versprochen, seine Aufmerksamkeit stattdessen auf die Wirtschaftskrise und die Korruption in der Ukraine zu konzentrieren. An die Adresse Moskaus gerichtet versichert er, Russland sei in einem Konsortium willkommen, das gemeinsam für die Betreuung des Gaspipeline-Netzes in der Ukraine zuständig sein soll. Damit erhält Moskau den Einfluss zurück, den Juschtschenko und dessen ehrgeizige Premierministerin Julija Tymoschenko unterbinden wollten. Ein anderes wichtiges Signal, das in NATO-Kreisen nicht gerade für Begeisterung sorgt, ist Janukowytschs Ankündigung, er werde den für Russland strategisch wichtigen Nutzungsvertrag für den ukrainischen Schwarzmeerhafen Sevastopol verlängern, der 2017 ausläuft. (16)
Russlands neues geopolitisches Kalkül
Es ist offensichtlich, dass sich Janukowytschs erbitterte Gegnerin im Wahlkampf, die Veteranin der Orangenen Revolution und ehemalige Premierministerin Julija Tymoschenko, nachdrücklich dessen Politik widersetzt, weil sie ihre eigenen politischen Ambitionen verfolgt und als schlechte Verliererin bekannt ist. Nachdem sie mit der Anfechtung des Wahlergebnisses vom Februar vor ukrainischen Gerichten gescheitert ist, erklärte sie, sie werde Janukowytsch mit ihrer Parlamentskoalition blockieren. Normalerweise hätte sie als Premierministerin zurücktreten müssen, als Janukowytschs Wahlsieg (mit einer Mehrheit von einer Million Stimmen) bestätigt wurde, was dieser nach seiner Wahl am 10. Februar auch verlangt hat. Sie weigerte sich jedoch. Als Präsidentschaftskandidatin war sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen führenden Politikern in der EU bevorzugt worden. (17)
Der Sieg von Janukowytsch wurde von einigen der mächtigsten Unternehmer-Oligarchen des Landes unterstützt, darunter Rinak Akhmetow, der der reichste Mann der Ukraine und Fußballmilliardär ist. Wie Janukowytsch stammt er aus der Stahlregion im Osten der Ukraine. Auch Dmitry Firtash, ein Gashändler und Milliardär, der gemeinsam mit dem russischen Konzern Gazprom das Gasunternehmen RosUkrEnergo betreibt; Premierministerin Tymoschenko hatte im vergangenen Jahr seine Handelsgeschäfte untersagt.
Das Parlament der Ukraine sprach sich am 3. März bei einem Misstrauensvotum mit 243 von 450 Stimmen mehrheitlich gegen die amtierende Regierung von Premierministerin Tymoschenko aus. Für Tymoschenkos Fraktion der Orangenen Revolution von 2004 bedeutete das den Todesstoß. Jetzt bietet sich die Chance, die seit der Orangenen Revolution von 2004 bestehende politische Pattsituation unter den politischen Fraktionen der Ukraine zu durchbrechen. Janukowytsch ist am Zug. (18)
Bevor sie eine führende Rolle bei der Orangenen Revolution übernahm, war Julija Tymoschenko Anfang der 1990er-Jahre Präsidentin der ukrainischen Firma United Energy Systems gewesen, einem privaten Importeur von russischem Erdgas in die Ukraine. In Moskau warf man ihr vor, sie habe Ende der 1990er-Jahre große Mengen gestohlenen russischen Erdgases weiterverkauft und Steuern hinterzogen. Deswegen verpasste man ihr in der Ukraine den Spitznamen »Gasprinzessin«.
Darüber hinaus wurde ihr vorgeworfen, sie habe ihrem politischen Mentor, dem ehemaligen Premierminister Pavlo Lazarenko, Schmiergelder dafür gezahlt, dass ihre Firma die Gasversorgung des Landes in der Hand behielt. (19) Lazarenko wurde in Kalifornien wegen Erpressung, Geldwäsche, Betrug und Verschwörung zu einer Haftstrafe verurteilt, in der Ukraine wird ihm ein Mord zur Last gelegt. (20)
Wenn man davon ausgeht, dass Janukowytsch jetzt in der Lage ist, das Land nach der Niederlage der Regierung Tymoschenko wie angekündigt zu stabilisieren, dann bedeutet das für Moskau eine deutliche Verschiebung der tektonischen Platten des Eurasischen Herzlands, selbst bei einer strikt neutralen Ukraine.
Zunächst ist die strategische militärische Einkreisung Russlands – über die versuchte Rekrutierung Georgiens und der Ukraine in die NATO – eindeutig blockiert und damit vom Tisch. Der russische Zugang zum Schwarzen Meer über die ukrainische Krim scheint ebenfalls gesichert.
Tatsächlich bedeutet die Neutralisierung der Ukraine einen gewaltigen Rückschlag für Washingtons Strategie der völligen Einkreisung Russlands. Der Bogen von aktuellen oder künftigen NATO-Mitgliedsländern an der Peripherie Russlands und dem noch immer engen Verbündeten Belarus – von Polen bis zur Ukraine und nach Georgien – ist durchbrochen. Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko hat einer Rosen-Revolution à la Ukraine erfolgreich widerstanden, indem er der Finanzierung von Lukaschenko-feindlichen NGOs durch das State Department einen Riegel vorgeschoben hat. Belarus verfolgt noch immer weitgehend eine zentrale Planwirtschaft, sehr zum Missfallen der freimarktwirtschaftlich orientierten westlichen Regierungen, ganz besonders der in Washington. Weißrussland unterhält enge wirtschaftliche Verbindungen zu Russland, die Hälfte des Außenhandels wird mit Russland abgewickelt, ein Beitritt zur NATO oder zur EU ist nicht geplant. (21)
Diese veränderte geopolitische Konfiguration in Zentraleuropa nach der Niederlage der Orangenen Revolution bedeutet einen großen Schub für Russlands langfristige Energie-strategie – eine Strategie, die man auch als »Russlands Nord-Süd-Ost-West-Strategie« bezeichnen könnte.
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(1) Press Trust of India, 2009: »Ukraine Becomes World’s Third Largest Grain Exporte«, unter http://blog.kievukraine.info/2009_12_01_archive.html.
(2) Stepan P. Poznyak, »Ukrainian Chornozem: Past, Present, Future«, Beitrag zum 18. World Congress of Soil Science, 9.–15. Juli 2006, unter http://www.ldd.go.th/18wcss/techprogram/P12419.HTM.
(3) Amerikanische Handelskammer in der Ukraine, Chamber Members, unter http://www.chamber.ua/.
(4) KosivArt, »Ukraine Natural Resources«, unter http://www.kosivart.com/eng/index.cfm/do/ukraine.natural-resources.
(5) Halford J. Mackinder, Democratic Ideals and Reality, 1919, Nachdruck 1942, Henry Holz and Company, S. 150.
(6) F. William Engdahl, »Entry into NATO Put Off Indefinitely«, unter http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=11277. Deutsche Version »NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine auf unbestimmte Zeit vom Tisch«, 4. Dezember 2008, unter: http://info.kopp-verlag.de/redakteure/f-william-engdahl/browse/12.html.
(7) John Arquilla, David Ronfeldt, Swarming and the Future of Conflict, Santa Monica, RAND, 2000.
(8) US Department of State, John E. Herbst Biography, unter http://state.gov/r/pa/ei/biog/67065.htm.
(9) Michel Chossudovsky, »IMF Sponsored ›Democracy‹ in the Ukraine«, 28. November 2004, unter http://www.globalresearch.ca/articles/CH0411D.htm.
(10) Kateryna Yushchenko, Biographie, auf My Ukraine: Persönliche Website von Viktor Juschtschenko, 31. März 2005, unter http://www.yuschenko.com.ua/eng/Private/Family/2822/.
(11) Wikipedia, Orange Revolution, unter http://en.wikipedia.org/wiki/Orange_Revolution, deutsch unter http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahlen_in_der_Ukraine_2004
(12) Andrew Osborn, »We Treated Poisoned Yushchenko, Admit Americans«, The Independent, Großbritannien, 12. März 2005, unter http://www.truthout.org/article/us-played-big-role-ukraines-orange-revolution.
(13) Dmitry Sudakov, »USA Assigns $20 million for Elections in Ukraine, Moldova«, Pravda.ru, 11. März 2005.
(14) Nicolas, »Forces Behind the Orange Revolution«, Kiev Ukraine News Blog, 10. Januar 2005, unter http://blog.kievukraine.info/2005/01/forces-behind-orange-revolution.html.
(15) Jim Nichol u.a., »Russia’s Cutoff of Natural Gas to Ukraine: Context and Implications«, US Congressional Research Service Report for Congress, Washington, D.C., 15. Februar 2006.
(16) Yuras Karmanau, »Half-empty chamber greets Ukraine’s new president«, Associated Press, 25. Februar 2010, unter http://news.yahoo.com/s/ap/20100225/ap_on_re_eu/eu_ukraine_president.
(17) Inform: Bloc of Yulia Tymoshenko Release #134, »EPP Throws Weight Behind Tymoshenko«, 16. Dezember 2009, unter http://www.ibyut.com/index_files/792.html.
(18) Stefan Wagstyl und Roman Oleachyk, »Ukraine Election Divides Oligarchs«, London, Financial Times, 15. Januar 2010.
(19) TraCCC, Pavlo Lazarenko: »Is the Former Ukrainian Prime Minister a Political Refugee or a Financial Criminal?«, Organized Crime and Corruption Watch, Bd. 2, Nr. 2, Sommer 2000, Washington, D.C., American University Transnational Crime and Corruption Center.
(20) Ian Traynor, »Ukrainian Leader Appoints Billionaire as his PM«, The Guardian, 24. Januar 2005.
(21) Botschaft der Vereinigten Staaten in Minsk, US Government Assistance FY 97 Annual Report, United States Embassy in Minsk, Weißrussland, 1998, unter: http://belarus.usembassy.gov/assistance1997.html.
Donnerstag, 25.03.2010
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