Eine absolute Pflichtlektüre zu dieser Frage hat Carl Schmitt mit Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum 1950 veröffentlicht. Mit „Nomos“ verweist der wohl bedeutendste deutsche Staatsrechtler des 20. Jahrhunderts auf den engen Zusammenhang von Recht, Ordnung und Ortung.
Die Einhegung des Krieges
In der Moderne haben jedoch diejenigen die Oberhand gewonnen, die glauben, man könnte die Raumkomponente bei der Konstruktion einer funktionierenden internationalen Ordnung außer acht lassen. Schmitt warnt vor dieser Vernachlässigung genauso wie vor dem Berufen auf die moralische Dichotomie „gut“ und „böse“ in internationalen Angelegenheiten.
Das Ziel aller politischen Ordnungsbemühungen über Staatsgrenzen hinweg müsse es sein, den Krieg einzuhegen. Dies betont Schmitt immer wieder, weil er glaubt, daß eine Abschaffung des Krieges, wie von Pazifisten gewünscht, niemals möglich sein wird. Statt dessen müsse es darum gehen, Vernichtungskriege zu verhindern und Rahmenbedingungen zu setzen, so daß ein Volk nach einer militärischen Niederlage möglichst unbeschadet weiterleben könne. Kriege sollten deshalb das soziale und wirtschaftliche System trotz eines Sieges einer Partei unberührt lassen.
Die Ideologisierung des Krieges seit 1789
Schmitt glaubt, daß das europäische Völkerrecht nach dem Westfälischen Frieden (1648) bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges halbwegs nach diesen Prinzipien funktionierte, auch wenn er einräumt, daß bereits 1789 mit der Französischen Revolution eine Ideologisierung des Krieges einsetzte.
Mit dieser Ideologisierung verbunden ist zum Einen die Geburt des „totalen Krieges“, bei dem die Zivilbevölkerung einbezogen wird. Zum Anderen entwickelt sich nun ein universalistisches Völkerrecht, das mit moralischen Kategorien arbeitet und das „Böse“ vernichten will.
Aus heutiger Sicht könnte man glauben, Der Nomos der Erde sei eine politische Streitschrift, die eine Abkehr von den – im Zweifelsfall – machtlosen supranationalen Gebilden fordert. Dem ist aber überhaupt nicht so: Schmitt legt hier lediglich eine sachliche Darstellung der Geschichte des europäischen Völkerrechts vor. Politische Forderungen mit Verweis auf dieses Buch sollten daher immer mit Vorsicht genossen werden.
Pluriversum statt Universum
Fest steht jedoch, daß wir mit einem globalen Weltbild leben, dazu allerdings noch keine passende internationale Ordnung gefunden haben. Dies hat nicht nur Schmitt sehr früh und treffend so diagnostiziert, auch marxistische Autoren wie Michael Hardt und Antonio Negri sehen dies in ihrem Buch Empire. Die neue Weltordnung so (Besprechung dazu folgt in Kürze).
Carl Schmitt beginnt seine Geschichte des europäischen Völkerrechts mit einer Definition des Völkerrechts, die durch ihre Einfachheit besticht: „Völkerrecht ist Landnahme, Städtebau und Befestigung, Kriege, Gefangenschaft, Unfreiheit, Rückkehr aus der Gefangenschaft, Bündnisse und Friedensschlüsse, Waffenstillstand, Unverletzlichkeit der Gesandten und Eheverbote mit Fremdgeborenen.“
Eine Ordnung basierend auf diesen Prinzipien habe es im Europa nach dem Mittelalter gegeben. Den (entstehenden) europäischen Staaten sei jedoch zu jederzeit klar gewesen, daß dieser „Nomos“ nicht auf die ganze Welt ausgedehnt werden dürfe. Das heißt, daß dieses Völkerrecht nur für das christliche Abendland konzipiert war und es eine strenge Unterscheidung zwischen der Austragung von Rivalitäten in Europa und „Kriegen gegen nichtchristliche Fürsten und Völker“ gab.
Die Gefahr des Cäsarismus
In Nomos der Erde weist Schmitt auch darauf hin, daß dieses Völkerrecht neben äußeren Gefahren, z.B. dem Aufkommen einer neuen Supermacht wie den USA, auch von innen heraus selbst zerstört werden kann. Er nennt dabei insbesondere den „Cäsarismus“, den er als eine „nicht-christliche Machtform“ charakterisiert. Ähnlich wie Oswald Spengler sieht er also die Bedrohung, daß sich eine Kultur einfach überlebt und ihren sittlich-kulturellen Kern verkümmern läßt.
Schmitt beschreibt das europäische Völkerrecht als ein weitestgehend anarchisches, aber gerade nicht rechtloses System, das nur dann Bestand hat, wenn alle daran beteiligten Herrscher sich bewußt darüber sind, wie wichtig der Erhalt des gemeinsamen Kulturkreises ist. Konflikte werden dann lediglich auf politisch-militärischer Ebene unter moralisch ebenbürtigen Gegnern ausgetragen. Ein Kernpunkt des europäischen Völkerrechtes sei es deshalb gewesen, „die Begriffe Feind und Verbrecher auseinander zu halten“.
Die Zerstörung der alten Ordnung durch den Versailler Vertrag
Bereits 1789 bröckelte dieses System jedoch langsam auseinander. Schmitt schreibt darüber: „Eine tragische Ironie liegt darin, daß gerade dieser Contrat social Rousseaus mit seinem rein staatlichen Kriegsbegriff zur Bibel der Jacobiner wurde, eben derselben Jacobiner, die den klassischen, rein militärischen Staatenkrieg des 18. Jahrhunderts als Kabinettskrieg des ancien régime diffamierten und die durch den Staat gelungene Liquidierung des Bürgerkrieges und Hegung des Außen-Krieges als eine Angelegenheit der Tyrannen und Despoten ablehnten. Sie haben den reinen Staatenkrieg durch den Volkskrieg und die demokratische levée en masse ersetzt.“
Endgültig zerbrach das alte europäische Völkerrecht dann im Laufe des Ersten Weltkrieges. Der Versailler Vertrag dokumentierte schließlich für alle Welt, wie sich das Völkerrecht inzwischen gewandelt hatte. Mit dem Kriegsschuldartikel wurde ausdrücklich moralisch argumentiert. Zudem enthielt der Versailler Vertrag große Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse gerade des deutschen Volkes.
Eine internationale Ordnung war zu diesem Zeitpunkt in weiter Ferne. Diese Leerstelle sollte sich für Europa in den nachfolgenden Jahrzehnten als besonders verhängnisvoll erweisen. Währenddessen erlebte die Welt die Geburt einer neuen Supermacht, deren Aufstieg Schmitt ebenfalls im Nomos der Erde auf herausragende Weise beschreibt.
Sollten wir dankbar dafür sein, daß es mit den USA eine Supermacht gibt, die sich um die großen Probleme der Welt notfalls auch militärisch kümmert?
Brauchen wir vielleicht sogar sehr dringend eine Weltpolizei, die dafür sorgt, daß lokale Konflikte auch lokal begrenzt bleiben, weil es in der entsprechenden Region keine effektive Gegenmacht zum Terrorismus gibt? Ist die Westbindung Deutschlands an NATO und USA alternativlos, weil wir ohne sie noch mehr Probleme der Welt in unser Land in Form von Flüchtlingen importieren würden?
US-Präsident Herbert Hoover: „An act of war in any part oft he world is an act that injures the interests of my country.“ (1928)
All das sind berechtigte Fragen, doch bevor wir sie beantworten können, sollten wir herausfinden, wie es die USA zur Weltmacht schafften und welche Strategie dahintersteckt. Carl Schmitt hat dazu in aller Kürze auf den 100 letzten Seiten seines Buches Der Nomos der Erde (1950) Grundlegendes herausgearbeitet. Schmitt setzt ein bei der Zerstörung des alten europäischen Völkerrechts, das sich aus drei Gründen Anfang des 20. Jahrhunderts überlebt hatte: Erstens, weil Europa selbst nicht mehr in der Lage war, den ideellen Gehalt dieses Völkerrechts zu erfassen. Zweitens, weil mit den USA eine neue Supermacht entstanden war. Und drittens, weil der Erste Weltkrieg zwangsläufig zur Infragestellung der alten Ordnung führen mußte.
Nun war es jedoch nicht so, daß sich sofort eine neue Ordnung aufdrängte. Schmitt betont: „Die Auflösung ins Allgemein-Universale war zugleich die Zerstörung der bisherigen globalen Ordnung der Erde. An deren Stelle trat für mehrere Jahrzehnte ein leerer Normativismus angeblich allgemein anerkannter Regeln, die dem Bewußtsein der Menschen die Tatsache verschleierte, daß eine konkrete Ordnung bisher anerkannter Mächte zugrunde ging und eine neue noch nicht gefunden war.“
Schmitt: „Der neue Westen erhebt den Anspruch, der wahre Westen, der wahre Occident, das wahre Europa zu sein.“
In der Zwischenkriegszeit stellte sich daher die Frage, „ob der Planet reif ist für das globale Monopol einer einzigen Macht, oder ob ein Pluralismus in sich geordneter, koexistierender Großräume, Interventionssphären und Kulturkreise das neue Völkerrecht der Erde bestimmt“. Es sprach zunächst viel dafür, daß die weltpolitische Situation zwangsläufig ein Pluriversum hervorbringen mußte, weil es keine Großmacht gab, die mit klarem Führungsanspruch auftrat.
Die Vereinigten Staaten hatten eine Außenpolitik aus einer „Mischung von offizieller Abwesenheit und effektiver Anwesenheit“ entwickelt, die sehr erfolgreich war. In international neu zu schaffenden Institutionen Verantwortung zu übernehmen, blieb den USA bis in die 1920er-Jahre hinein suspekt, aber es war klar, daß die europäischen Staaten ohne sie auch keine Entscheidung mehr treffen konnten und die USA sich im Zweifelsfall militärisch auf der ganzen Welt einmischten.
Um dies zu illustrieren, zitiert Schmitt den amerikanischen Völkerrechtsjuristen P. S. Jessup, der 1940 betonte: „Die Dimensionen ändern sich heute schnell, und dem Interesse, das wir 1860 an Cuba hatten, entspricht heute unser Interesse an Hawaii; vielleicht wird das Argument der Selbstverteidigung dazu führen, daß die Vereinigten Staaten eines Tages am Jangtse, an der Wolga und am Kongo Krieg führen müssen.“
Selbst-Isolierung und Welt-Intervention
Dabei darf diese Bereitschaft zur militärischen Intervention nicht mit einem offensiven Expansionsstreben verwechselt werden. Schmitt folgt hier einer ganz anderen Argumentationsweise: Es sei gerade der „amerikanische Isolationsgedanke“ gewesen, der langfristig zu diesen Interventionen zwinge. Mit der Gründung der USA sei eine „Auserwähltheitslinie“ gezogen worden. Die „Neue Welt“ hätten die Amerikaner als den Ort der Welt interpretiert, an dem ein Leben in Frieden und Freiheit im Gegensatz zur restlichen Welt möglich sei. Schmitt hört bereits aus der Monroe-Doktrin (1823) ein „fundamentales moralisches Verwerfungsurteil“ gegenüber den europäischen Monarchien heraus.
Die USA hätten dieses moralische Überlegenheitsgefühl jedoch zunächst als Mythos nach innen verbreitet und seien nach außen betont defensiv aufgetreten. Dies änderte sich erst, als „für die innere Lage der Vereinigten Staaten das Zeitalter ihrer bisherigen Neuheit zu Ende gegangen“ war. Jedoch bewegte sich die Außenpolitik Amerikas selbst in den beiden Weltkriegen „zwischen den beiden Extremen von Selbst-Isolierung und Welt-Intervention“.
Was sind die Ursachen des globalen Weltbürgerkrieges?
Schmitt sieht in diesem Interventionismus nicht nur aufgrund der Moralisierung der Kriegsgründe ein Problem. Vielmehr entstehe so zwangsläufig ein globaler Weltbürgerkrieg, da die Trennung zwischen „außen“ und „innen“ genausowenig wie lokale Besonderheiten anerkannt werden. Genau diesen Wegfall der Grenze von „außen“ und „innen“ verkauft man uns heute als eine Neuheit der Entwicklung des Krieges, auf die man mit einer Weltpolizei reagieren müsse.
Die im Nomos der Erde entwickelte Argumentation sieht Ursache und Wirkung hier jedoch ganz anders: Nicht die Entwicklung des Krieges, der Fortschritt oder das Fortschreiten der Menschheit haben die Auflösung von „außen“ und „innen“ bewirkt. Nein, die Ursache dafür ist bei einer dysfunktionalen, universalistischen Welt(un)ordnung zu suchen, die auf moralischen Kategorien basiert und nicht mehr zur Trennung von Feind und Verbrecher fähig ist.äische Völkerrecht dann im Laufe des Ersten Weltkrieges. Der Versailler Vertrag dokumentierte schließlich für alle Welt, wie sich das Völkerrecht inzwischen gewandelt hatte. Mit dem Kriegsschuldartikel wurde ausdrücklich moralisch argumentiert. Zudem enthielt der Versailler Vertrag große Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse gerade des deutschen Volkes.
Eine internationale Ordnung war zu diesem Zeitpunkt in weiter Ferne. Diese Leerstelle sollte sich für Europa in den nachfolgenden Jahrzehnten als besonders verhängnisvoll erweisen. Währenddessen erlebte die Welt die Geburt einer neuen Supermacht, deren Aufstieg Schmitt ebenfalls im Nomos der Erde auf herausragende Weise beschreibt.