An Spitz– und Spottnahmen mangelte es dem laut deutschen Journalisten „letzten Welterklärer“, „greisen König der Unken“ und „großen alten Mann des deutschen Journalismus“ nicht. Ebensowenig fehlte es bei ihm an Kontroversen, Medienwirkung und einem Ruf als streitbarer, unangenehmer Kommentator des Weltgeschehens. Mit Scholl-Latour ist ein Mann von uns gegangen, der drei Generationen lang das Bild der Deutschen von der großen Politik geprägt hat.
Ein Reisender
Nach eigener Aussage kam Scholl-Latour eher durch Zufall zum Journalismus. Als Jugendlicher schwärmte er für die großen Entdecker und als Erwachsener war die Schreiberei ein Weg, seine Reisen zu finanzieren. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war er als französischer Fallschirmjäger nach Indochina gezogen, wo er in den nächsten drei Jahrzehnten immer wieder als Kriegsberichterstatter tätig werden sollte. Bis zu seinem Tod hatte er sämtliche UNO-Staaten bereist, viele mehrmals. An vielen Brennpunkten des Weltgeschehens war er über Jahrzehnte hinweg immer wieder zugegen.
Nach Anfängen im Printjournalismus wandte sich Scholl-Latour dem Fernsehen zu und wurde Auslandskorrespondent. Für ARD und ZDF drehte er jene Reportagen, die ihn berühmt machen sollten. Es gelang ihm dabei immer wieder, die komplexen Zusammenhänge eines fernen Krisengebiets auf Sendeformat darzustellen. Nach einem Intermezzo als Direktor des WDR und Chefredakteur des Sterns zog er wieder in die Welt. Von da an veröffentlichte er hauptsächlich Bücher, in denen er die Erfahrungen und Eindrücke seiner Reisen zusammenfasste. Seit er im Jahre 1979 mit Ayatollah Chomeini im Flugzeug nach Teheran gesessen hatte, wurde dabei der Nahe und Mittlere Osten nach Indochina zum zweiten Hauptgebiet seines Wirkens.
Ein Abendländer
So blieb Scholl-Latour im Bild der jüngeren Generation: Er war der erfolgreichste Sachbuchautor Deutschlands und ein Talkshowgast, der regelmäßig eingeladen wurde, auch wenn er reichlich unbequem war. Unbequem war er nicht nur aufgrund seines klaren Blicks für politische Realitäten, sondern auch wegen seiner offen zur Schau getragenen Verachtung für Stümperei. Auch die Grundwerte des Jesuitenschülers müssen manchem Medienapparatschik Kopfschmerzen bereitet haben.
Im Saarland geboren und in Lothringen aufgewachsen, war Scholl-Latour bei aller Weltgewandtheit dem Abendland verhaftet. Er blieb ein entschiedener Befürworter der europäischen Einigung, wollte sie aber immer machtpolitisch ausgestaltet wissen. Für leere Worte hatte dieser Mann nie viel übrig. Die Verzweiflung über die Unfähigkeit und den Unwillen der europäischen Politiker, wenn es darum ging, Europa in der Welt zu behaupten, durchziehen sein Spätwerk. Noch in den Monaten vor seinem Tod hagelte es beißende Kritik an der Unterwürfigkeit, mit der sich Europa in der Ukraine zum Helfershelfer einer verfehlten amerikanischen Geopolitik machen ließ.
Männer wie er reißen eine Lücke
Eine journalistische Tätigkeit wie die seine ist für die jüngere Generation undenkbar. Es mangelt dabei sowohl am Unwillen der Medien, überhaupt noch Auslandskorrespondenten zu beschäftigen, wie auch an gedanklicher Unabhängigkeit. Wenn jetzt ein großer Reisender seine letzte Reise angetreten hat, so kommt dies nicht unerwartet. Der Schmerz liegt darin, dass er eine Lücke hinterlässt, die bis auf weiteres niemand füllen kann.
Bild: Peter Scholl-Latour 2008 /Wikimedia.org /Bernd Andres /(cc)