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samedi, 05 mars 2011

Die Alterung läuft ab wie ein Uhrwerk

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„Die Alterung läuft ab wie ein Uhrwerk“

Bevölkerungswissenschafter Herwig Birg über die demographische Entwicklung, die Motive und Folgen des Geburtenrückgangs sowie über die durch Zuwanderung entstehenden Integrationsprobleme

Ex: http://www.zurzeit.at/

Herr Professor Birg, Konrad Adenauer sagte, „Kinder kriegen die Leute immer“. Tatsächlich aber hat Deutschland seit langem ein Geburtendefizit. Werden die Deutschen aussterben?

Herwig Birg: Seit über hundert Jahren gibt es in Deutschland massive Rückgänge der Geburtenzahl und der Geburtenrate. Das war Adenauer natürlich bekannt. Umso unverständlicher ist seine Äußerung. Ich vermute, daß sie taktische Gründe hatte. Adenauer war ein Schlitzohr – er machte beispielsweise einen Unterschied zwischen der einfachen, der reinen und der lauteren Wahrheit. Fest steht, daß die in der Vergangenheit nichtgeborenen Eltern bei der besten Familienpolitik keine Kinder haben können. Deshalb muß sich die Talfahrt der Geburten in Zukunft fortsetzen, ganz gleich, was Adenauer meinte. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird die Zahl der Deutschen ohne Migrationshintergrund wahrscheinlich unter 20 Millionen sinken. Aber auch wenn es nur 10 Millionen wären, wie im Mittelalter, könnte ja theoretisch jederzeit ein neues Wachstum beginnen. Deshalb sollte man sich nicht vom theoretisch möglichen Aussterben entmutigen lassen.

Kann die demographische Entwicklung noch gestoppt oder vielleicht umgedreht werden?

Birg: Die demographische Entwicklung besteht aus drei Umwälzungen: Erstens der Bevölkerungsschrumpfung infolge einer niedrigen Geburtenrate, zweitens der Alterung durch die Abnahme der Zahl der jungen und mittleren Altersgruppen bei gleichzeitiger Zunahme der Älteren und drittens der Internationalisierung der Bevölkerung durch Einwanderungen. Die Internationalisierung zeigt sich daran, daß jedes Jahr mehr Menschen nach Deutschland ziehen als in Deutschland geboren werden. Das gilt auch für Österreich.

In der verbleibenden Lebenszeit der heutigen Handlungsträger in Politik und Gesellschaft kann die Talfahrt der Geburtenzahlen nicht mehr gestoppt oder umgekehrt werden, dies hätte man vor 30 Jahren versuchen müssen. Denn die in der Vergangenheit nicht geborenen Kinder fehlen nun als Eltern. Die Alterung kann erst recht nicht gestoppt werden, sie läuft ab wie ein Uhrwerk. Schließlich wird auch die Zuwanderung weitergehen, weil sie letztlich auf der niedrigen Geburtenrate beruht und das Wohlstandsgefälle eine magnetische Wirkung hat.

Die demographische Entwicklung wird nicht ohne Folgen bleiben, vor allem für das Pensionssystem. Wird es in 20, 30 Jahren eine Diskussion über die „Rente mit 80 geben“?

Birg: Diese Diskussion gibt es in Fachkreisen schon heute. Das Rentenproblem ließe sich ja am elegantesten dadurch lösen, daß Rentenbezieher in den Beruf zurückkehren und Beiträge zahlen statt Renten zu beziehen. Das Problem ist nur, daß Arbeit in hohem Alter schon aus gesundheitlichen Gründen beim besten Willen nicht in allen Berufen möglich ist. Die Gesellschaft wird sich also wahrscheinlich aufspalten in Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichem Pensionsalter und unterschiedlicher Pensionshöhe.

So gut wie alle Länder Europas haben Geburtendefizite. Woran liegt das? Hängt das mit dem Wohlstand zusammen oder ist eine Einstellungssache ausschlaggebend?

Birg: Es ist eine Einstellungssache, ob man es hinnimmt, daß das Einkommens- und Konsumniveau zum wichtigsten Wohlstandsmaß aufsteigt und das Ziel, Kinder zu haben, hinter das Konsumziel zurücktritt. Niemand zwingt uns, nach dieser Werteordnung oder besser -unordnung zu leben. Wir können die verkehrte Rangordnung wieder umkehren. Das hängt nur vom Willen der Deutschen, der Österreicher und der anderen betroffenen Gesellschaften ab.

Die Politik bemüht sich – anscheinend vergeblich –, Frauen mit einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu mehr Kindern zu bewegen. Welche Maßnahmen zur Geburtenförderung sollten Ihrer Meinung nach getroffen werden?

Birg: Ich schlage sechs Maßnahmen vor: Beendigung der vom deutschen Verfassungsgericht als grundgesetzwidrig verurteilten Privilegierung von kinderlosen Menschen in der gesetzlichen Sozialversicherung; Betreuung von Kindern ab dem Vorschulalter durch gut ausgebildete Fachkräfte bei ökonomischer Kompensation für Eltern, die sich für eine Betreuung in der Familie entscheiden; Erweiterung des steuerlichen Ehegattensplittings zu einem Familiensplitting; Vorrang für Eltern bei der Besetzung von Arbeitsplätzen bei gleich qualifizierten Bewerbern; Ausübung des aktiven Wahlrechts durch die Eltern für ihre noch nicht wahlberechtigten Kinder und Ergänzung der pauschalen Frauenquoten durch Mütterquoten.

Immer wieder wird behauptet, die Zuwanderung könnte die demographische Lücke auffüllen. Wie sehen Sie als Fachmann die Sache?

Birg: Jeder Überschuß der Sterbefälle über die Geburten läßt sich rechnerisch durch Einwanderungen ausgleichen. Es fragt sich nur, ob das sinnvoll ist. Denn die Mehrzahl der beispielsweise nach Deutschland Eingewanderten haben das Land weder ökonomisch noch gesellschaftlich noch kulturell bereichert, wie man sich gerne einredet. Die Bilanz aus Nutzen und Kosten ist für die Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes eindeutig negativ – verglichen mit der Bilanz bei genügendem eigenem Nachwuchs ohne Integrationsprobleme.

Warum eigentlich ist die Erwerbsquote von Zuwanderern geringer, obwohl sie eine jüngere Altersstruktur als die Einheimischen aufweisen?

Birg: Der Prozentsatz der Menschen ohne schulischen oder beruflichen Schulabschluß ist bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund je nach Herkunftsland im Durchschnitt mehr als zehn mal so hoch wie bei den Menschen ohne Migrationshintergrund. Dies ist der Hauptgrund für die wesentlich niedrigere Erwerbsquote.

Wenn es Zuwanderung gibt, wäre es da nicht besser, künftig mehr auf die kulturelle Herkunft zu achten, um Integrationsprobleme im Vorhinein zu verhindern?

Birg: Jedes Land sollte anstreben, die ausscheidenden Generationen durch eigenen Nachwuchs zu erneuern anstatt die Geburtendefizite zu Lasten anderer Länder zu kompensieren. Alles andere ist demographische Ausbeutung und demographischer Kolonialismus.

Man sollte stets zwei Zuwanderungsarten auseinanderhalten: erstens humanitäre Zuwanderungen, bei denen das aufnehmende Land die eigenen Interessen zurückstellt, zweitens Zuwanderungen im ökonomischen Interesse des aufnehmenden Landes.

Wenn die humanitären und ökonomisch motivierten Zuwanderungen nicht auseinandergehalten und getrennte Zuwanderungskontingente beschlossen werden, ist eine klare politische Linie unmöglich.

Dann werden die humanitären und die ökonomischen Zuwanderungen gegeneinander ausgespielt. Die Erfahrung lehrt, daß der Erfolg der Integrationsbemühungen bei beiden Zuwanderungsgruppen in erster Linie von der kulturellen Nähe zwischen Einheimischen und Zugewanderten abhängt.

 
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

Bild: Robert Lizar

Univ.-Prof. Dr. Herwig Birg
lehrte Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bielefeld, ist Verfasser zahlreicher Forschungsberichte und Bücher, darunter „Die ausgefallene Generation – Was die Demographie über unsere Zukunft sagt“, 2. Aufl., C.H.Beck, München 2006

 

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