dimanche, 08 décembre 2013
Thomas Manns Protest gegen den Zivilisationsliteraten
Thomas Manns Protest gegen den Zivilisationsliteraten
Als Thomas Mann seine „Betrachtungen eines Unpolitischen“ schrieb, war er noch streng deutschnational und kriegsbejahend gesinnt. Das sollte sich bald ändern: Schon kurze Zeit später distanzierte sich Mann von seinem schriftstellerischen Beitrag zum Ersten Weltkrieg und avancierte zum Vernunftrepublikaner, der die Weimarer Republik publizistisch gegen ihre Feinde von rechts und links verteidigte. Manns frühe Betrachtungen sind allerdings nicht einfach als dumpfe Kriegspropaganda abzustempeln, sondern stellen große Literatur dar, die darüber hinaus immer noch wichtige Einsichten politischer und kultureller Art zu vermitteln in der Lage ist. Mit Blick auf seinen Bruder Heinrich –damals pazifistisch eingestellt und ein eifernder Gegner des heraufziehenden Krieges – entwarf Mann die Figur des Zivilisationsliteraten, der gegen sein eigenes Land als intellektueller Agent der Westmächte publizistisch zu agitieren begann. Natürlich ist diese Figur stereotypisch überzeichnet; wir dürfen aber davon ausgehen, dass dieser Typus damals zuhauf Repräsentanten fand – und bis heute findet. Thomas Mann verketzert das Zivilisationsliteratentum jedoch nicht als „Verräterei“ und schiebt sie auf die Feindseite ab, sondern fragt nach den tieferen Ursachen dieses Phänomens.
Dabei stellt er fest, dass die innere geistige Einheitlichkeit und Geschlossenheit, wie sie bei allen europäischen Nationen gerade in Kriegszeiten besonders entwickelt ist, für Deutschland nicht so einfach in Anschlag zu bringen ist: Deutschland sei keine Nation in diesem Sinne, denn es habe eine andere Bildungsgeschichte und einen anderen Menschlichkeitsbegriff. Die geistigen Gegensätze seien so stark ausgeprägt, dass sie ein nationales Band nur schwerlich umfassen und vereinigen könne. Das liege vor allem daran, dass diese Gegensätze weniger nationaler als europäischer Art sind, die ihre Spannungen auf deutschem Boden und in deutscher Seele entladen: „In Deutschlands Seele werden die geistigen Gegensätze Europas ausgetragen, — im mütterlichen und im kämpferischen Sinne ›ausgetragen‹. Dies ist seine eigentliche nationale Bestimmung. Nicht physisch mehr — dies weiß es neuerdings zu verhindern —, aber geistig ist Deutschland immer noch das Schlachtfeld Europas.“ Infolge von Deutschlands Mittellage in Europa gerät es nicht nur in eine geopolitische Bedrohungssituation, sondern wird zum seelischen Kampfplatz für europäische Gegensätze. Das bedeutet nicht nur, als eine permanente Arena eines Kulturkampfes zu dienen, sondern auch eine geistig-kulturelle Gemengelage, die künstlerischer Schaffenskraft eine produktive Anarchie von singulärer Qualität ermöglicht. Der Preis dafür fällt hoch aus: es ist die Zersplitterung der deutschen Seele, die wie der ehemalige Flickenteppich deutscher Lande zerrissen und unversöhnlich fragmentiert daliegt. Es entsteht eine Geistesspaltung, die nicht nur die Seele der Nation durchfährt, sondern auch die Seele jedes einzelnen Deutschen, sein Kopf und sein Herz. Deutschtum – das ist nach Mann also keineswegs ein festgefügtes Wesen, eine fertige Festung, die lediglich nach außen verteidigt werden müsste, nein: Deutschtum ist durch und durch problematisch, es ist selbst ein Problem, eine unbeantwortete Frage. Welche Gefahr bestünde nun für Deutschland, falls es den Weltkrieg verlöre und dem Westen einverleibt würde? Wäre das nicht ein nachhaltiger Beitrag für den Frieden in Europa? Nicht zufällig berufen sich die gegenwärtigen EU-Propagandisten, wenn sie ihre Vision in Frage gestellt sehen oder weitere Forderungen und Maßnahmen durchsetzen wollen, auf diese ideologische Legitimationsformel. „Westintegration“, „westliche Wertgemeinschaft“, „der Frieden in Europa“ – ob mit Krieg oder ohne, es sind bis heute die unhinterfragbaren Grundaxiome, die das Fundament bundesrepublikanischen Selbstverständnisses abgeben sollen. Die deutsche Eigenart kommt hingegen überhaupt nicht mehr vor, nicht mal mehr an zweiter Stelle. Was sagt nun Thomas Mann zu Deutschlands nationaler Neutralisation? „Wessen Bestreben es wäre, aus Deutschland einfach eine bürgerliche Demokratie im römisch-westlichen Sinn und Geiste zu machen, der würde ihm sein Bestes und Schwerstes, seine Problematik nehmen wollen, in der seine Nationalität ganz eigentlich besteht; der würde es langweilig, klar, dumm und undeutsch machen wollen und also ein Anti-Nationalist sein, der darauf bestünde, daß Deutschland eine Nation in fremdem Sinne und Geiste würde . . .“ Bei „bürgerlicher Demokratie im römisch-westlichen Sinne“ dürfen wir nicht primär an eine Staatsform denken, sondern es ist eine ganz andere politische Kultur gemeint, die heute nicht wesentlich anders aussieht als damals; man könnte sie „Weltbürgertum“ oder „Weltzivilisation“ nennen, eine imperialistische Bestrebung, die darauf abzielt, das globale Dorf zu begründen, das multikulturelle Traumparadies oder den ewigen herrschaftsfreien Diskurs im Maßstab der Weltkommunikation. Totale Menschheit, totale Toleranz, totaler Fortschritt. Wenn Deutschland darin aufgehen würde, würde es aufhören, Problem zu sein bzw. überhaupt zu sein. Um zu verstehen, warum Mann diese Option, die heute wahrscheinlicher als je erscheint, so perhorresziert, müssen wir die Rolle klarer herausstellen, die unser Land laut ihm in seiner Geschichte gegen den Westen einnahm. Helmut Plessner sprach abfällig von der „verspäteten Nation“ und bescheinigte Deutschland einen zivilisatorischen Rückstand gegenüber Frankreich und England. Mann perspektiviert denselben Sachverhalt andersherum und dreht ihn ins Positive: Deutschland sei immer das protestierende Reich gegen den „römischen Westen“ gewesen. Es machte bei dessen universalistischen Heilsphantasien nicht mit und scherte ostentativ aus. Es erwies sich dadurch als das protestantische Land im wahrsten Sinne des Wortes.
Was tut der Zivilisationsliterat? Nun, er protestiert gegen den Protest und „fordert den innigen Anschluß Deutschlands an das Zivilisationsimperium“. Er bekennt sich nicht nur dazu, er kämpft tatsächlich auf der Gegenseite. Er ist inneres Ausland. Und trotzdem: Mann hütet sich, ihn als Vaterlandsverräter oder „undeutsch“ zu denunzieren: „Der Begriff ›deutsch‹ ist ein Abgrund, bodenlos, und mit seiner Negation, der Entscheidung ›undeutsch‹, muß man äußerst vorsichtig umgehen, um nicht zu Fall und Schaden dabei zu kommen.“ Da der Begriff „deutsch“ ohnehin abgründig ist und eigentlich bereits eine Negation darstellt, ist die Negation dieser Negation eine schwierige Angelegenheit. Anders gesagt: Wenn Deutschtum wesentlich Negativität bedeutet, schließt es auch seine eigenen Negationen in sein positives Wesen mit ein, so dass den Zivilisationsliteraten auch ein gewisser Patriotismus nicht abzusprechen ist. Nur: „Ihr Patriotismus bekundet sich dergestalt, daß sie die Vorbedingung der Größe, oder, wenn nicht der Größe, so doch des Glückes und der Schönheit ihres Landes nicht in seiner störenden und Haß erregenden »Besonderheit«, sondern, um es zu wiederholen, in seiner bedingungslosen Vereinigung mit der Welt der Zivilisation, der Literatur, der herzerhebend und menschenwürdig rhetorischen Demokratie erblicken, — welche Welt durch die Unterwerfung Deutschlands in der Tat komplett würde: ihr Reich wäre vollendet und umfassend, es gäbe keine Opposition mehr gegen sie.“ Der Triumph des Westens wäre das globale Universalreich der Kommunikation, die offene Gesellschaft ohne ihre Feinde, oder negativer gesprochen: der totale Konformismus einer gleichförmigen ‚One World’ ohne Opposition und Protest, zu denen gerade Deutschland nach Thomas Mann die geistig-kulturelle Potenz besessen hätte. Vielleicht steht dessen Ausfall nicht zuletzt mit der sukzessiven Annäherung an diesen scheinbar alternativlosen Weltzustand in kausalem Zusammenhang.
Doch lassen wir Mann diese schwammige Ideologie noch weiter konkretisieren, damit hinter ihrer zuckrigen Fassade zugleich auch ihre Peitsche sichtbar wird. Er nennt den Zivilisationsliteraten einen Pleonasmus. Was bedeutet das? Letztendlich, dass die Zivilisation, die der Zivilisationsliterat propagiert, eben nichts anderes als Literatur ist! Das heißt keine realpolitisch mögliche Wirklichkeit, sondern eine utopische Fiktion, die bestenfalls in Träumen oder Romanen ihren angemessenen Platz hat. Ihre Demokratie ist pure Rhetorik. Mann entlarvt sie als Kopfgeburt der französischen Revolution, als deren zeitgenössische Vollstecker sich die Zivilisationsliteraten verstehen: „Frankreich ist sein Land, die Revolution seine große Zeit, es ging ihm gut damals, als er noch ›Philosoph‹ hieß und in der Tat die neue Philosophie, nämlich die der Humanität, Freiheit, Vernunft vermittelte, verbreitete, politisch zubereitete…“ Der Zivilisationsliterat –ein „Element des nationalen Schicksals“ – erweist sich deshalb als so gefährlich, weil er den Monopolanspruch und die Definitionshoheit über solche Begriffe wie Menschheit und Brüderlichkeit errungen hat, obwohl wer Menschheit sagt, auch betrügen könnte oder Brüderlichkeit und Blutgerüste nahe beieinanderliegen könnten. Das sieht man diesen abstrakten Begriffen allerdings nicht an, sondern höchstens ihren historischen Verwirklichungsversuchen und zwar erst dann, wenn es schon zu spät ist. Um historische Durststrecken zu überbrücken und Aktivierungsenergie für die vernünftige Menschheitsrepublik zu sammeln, identifiziert sich der Zivilisationsliterat gerne mit dem Lauf der Geschichte selbst, die er als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit denkt: „Das Bewußtsein, den ›Fortschritt‹ für sich zu haben, zeitigt offenbar eine sittliche Sicherheit und Selbstgewißheit, die der Verhärtung nahekommt und schließlich das Gemeine zu adeln glaubt, einfach dadurch, daß sie sich seiner bedient.“ Wer für den Fortschritt ist, dem ist alles erlaubt und darf jedes Mittel recht und billig sein. Wer diesen hingegen in Frage stellt, den trifft das Gemeine mit voller Breitseite.
Mann weigert sich jedoch hartnäckig, den Zivilisationsliteraten dasjenige Schicksal zuzumuten, das er seinen Feinden aufbürden will, sie nämlich zur persona non grata außerhalb von Recht und Menschheit zu deklarieren und für verbale und physische Barbarenschelte freizugeben: „Undeutsch? Aus allen meinen Kräften wehre ich mich dagegen, ihn undeutsch zu nennen, und werde nicht aufhören, mich dagegen zu wehren, solange die Kräfte mir nicht versagen. Man kann höchst deutsch sein und dabei höchst antideutsch. Das Deutsche ist ein Abgrund, halten wir fest daran.“ Im Zivilisationsliteraten schaut „Der Deutsche“ in seinen eigenen Abgrund: „Selbstekel und Einfremdung, kosmopolitische Hingebung und Selbstentäußerung“, die auch Teil deutschen Wesens sind, seines tief gespaltenen Wesens. Aber nicht nur das. Wenn er genauer hinsieht, würde er ebenso das Antlitz eines fremden Nationalismus erkennen, und zwar nationalfranzösischer Art: „Er ist einer der besten französischen Patrioten. Der Glaube trägt ihn und verleiht seinem Stile zuweilen ein herrliches Tremolo, einen bewunderungswürdigen Schwung: der Glaube an die Ruhmes- und Missionsidee seines — des französischen — Volkes und daß es ein für allemal zum Lehrer der Menschheit berufen sei, berufen, ihr ›die Gerechtigkeit‹ zu bringen, nachdem es ihr ›die Freiheit‹ gebracht hat (welche aber aus England stammt). Er denkt nicht nur in französischer Syntax und Grammatik, er denkt in französischen Begriffen, französischen Antithesen, französischen Konflikten, französischen Affären und Skandalen. Der Krieg, in dem wir stehen, erscheint ihm, völlig entente-korrekt, als ein Kampf zwischen ›Macht und Geist‹ — das ist seine oberste Antithese! —, zwischen dem ›Säbel‹ und dem Gedanken, der Lüge und der Wahrheit, der Roheit und dem Recht. (Ich brauche nicht hinzuzufügen, auf welcher Seite nach seiner Ansicht sich Säbel, Roheit und Lüge, auf welcher sich die antithetisch entsprechenden Ideale befinden.)“ Diese manichäische Logik, obwohl sie bei weitem nicht mehr so martialisch daherkommt, dauert bis heute fort, nur mit dauernd veränderter Rollenbesetzung: Zivilisation gegen Barbarei, die Guten gegen das Reich des Bösen, der Aufstand der Anständigen usw. Wer so redet, führt eine Feindbestimmung durch und meldet politische Hegemonieansprüche unter einem moralischen Denkmäntelchen an. Wer will schließlich nicht gerne mit den Heeren des Geistes und der Zivilisation marschieren? Widersprechende müssen verrückt, dumm oder krank sein. Aber wieso überhaupt noch marschieren? Ist der Zivilisationsliterat nicht notwendig Pazifist, weil er den Geist verkörpert? Ganz im Gegenteil, urteilt Mann: „Es verhält sich so, daß der Zivilisationsliterat den Krieg nicht mißbilligt, wenn dieser im Dienste der Zivilisation unternommen wird. […] Wie könnte denn auch der Schüler der Revolution — um nicht zu sagen: ihr Epigone — das Vergießen von Blut um der guten Sache, um der Wahrheit, des Geistes willen grundsätzlich verurteilen? »Entschlossene Menschenliebe« — das Wort gehört dem Zivilisationsliteraten - entschlossene Menschenliebe ist nicht blutscheu;“ Entschlossene Menschenliebe heiligt also das Mittel des Krieges, der zunehmend Kreuzzugscharakter gewinnt, insofern er ja im Zeichen von Menschheit, Zivilisation und Gerechtigkeit steht. Die Gegner sind damit per definitionem die Menschenhasser und Barbaren, deren Anliegen jede Legitimität abgesprochen wird. Wir haben es hier mit der pervertierten Renaissance des gerechten Krieges zu tun, der in dem Maße, wie er mit Sendungsbewusstsein und Missionseifer aufgeladen ist, seine Feinde entmenschlicht. Das Ziel des Zivilisationsliteraten lässt sich mit keinen geringeren Vokabeln umschreiben als mit „Erlösung“ oder „Befreiung“, die der römische Westen in pädagogischer Oberlehrermanier seinem frechen Ziehsohn Deutschland beibringen will: „»Deutschland wird sich schicken müssen«, sagte er damals, und seine Augen glommen. Deutschland wird endlich artig sein müssen, sagte er, und es wird dann glücklich sein wie ein Kind, das nach Schlägen schrie und, wenn es welche bekommen hat, dankbar ist, daß man seinen Trotz gebrochen, ihm über seine Hemmungen hinweggeholfen, es erlöst, es befreit hat. Wir erlösen und befreien Deutschland, indem wir es schlagen, es auf die Knie werfen, seine böse Renitenz, ihm selbst zur Wohltat, brechen und es zwingen, Vernunft anzunehmen und ein ehrenwertes Mitglied der demokratischen Staatengesellschaft zu werden.“ Wie würde die Welt wohl aussehen, wenn sich das westliche Zivilisationsimperium global durchgesetzt und die Renitenz seiner Feinde nachhaltig eliminiert hätte – eine Weltsituation, die heute nicht mehr als allzu weit hergeholt erscheint, nachdem Deutschland als Bastion des Protestes nach zwei Weltkriegen endgültig unter die Fittiche der westlichen Wertegemeinschaft genommen und in eine der Vorzeigekolonien der Weltzivilisation verwandelt wurde? Thomas Mann formulierte diese Option noch vorsichtig im Konjunktiv, weil die letzten Entscheidungen noch nicht gefallen waren: „Gesetzt, das wäre geschehen, die Entente ihrerseits hätte rasch und glänzend gesiegt, die Welt wäre vom deutschen ›Alpdruck‹, dem deutschen ›Protest‹ befreit worden, das Imperium der Zivilisation hätte sich vollendet, oppositionslos übermütig geworden: das Ergebnis wäre ein Europa gewesen, — nun, ein wenig drollig, ein wenig platt-human, trivial-verderbt, feminin-elegant, ein Europa, schon etwas allzu ›menschlich‹, etwas preßbanditenhaft und großmäulig-demokratisch, ein Europa der Tango- und Two-Step-Gesittung, ein Geschäfts- und Lusteuropa à la Edward the Seventh, ein Monte-Carlo-Europa, literarisch wie eine Pariser Kokotte.“ Die Neutralisierung Deutschlands beträfe das kulturelle Gepräge Gesamteuropas: Der ganze Kontinent durchliefe eine Entwicklung, in deren Zuge er zu einem „Geschäfts- und Lusteuropa“ degenerierte, das – obwohl im Zeichen von „human freedom und peace“ – tatsächlich die eigene geistg-kulturelle Prostitution zelebrierte. Sind wir heute noch so weit davon entfernt? Auch Mann gab schon zu, dass es eine Entwicklung sei, „die ich für notwendig, da heißt: für unvermeidlich halte“, ein „Fortschritt, – der mir, nicht selten wenigstens, als unaufhaltsam und schicksalsergeben erscheint und den an meinem bescheidenen Teile zu fördern mein eigenes Schicksal ist“. Der ‚Protest’ gegen den ‚Fortschritt’ sieht aussichtslos aus: „Der Fortschritt hat alles für sich. Nur scheinbar ist er die Opposition. Der erhaltene Gegenwille ist es, der in Wahrheit immer und überall die Opposition bildet, der sich in der Verteidigung befindet, und zwar in einer, wie er genau weiß, aussichtslosen Verteidigung.“
Trotzdem sollte die Verteidigung versucht, wenigstens der Nonkonformismus mit dem Zivilisationsliteratentum praktiziert werden. Es ist wichtig an dieser Stelle nochmals zu betonen, dass die Zivilisationsliteraten keine bestimmte politische Gruppierung darstellen, auf die man despektierlich mit dem Finger zeigen könnte – davor hatte Mann ja schon 1918 scharf gewarnt. Der Zivilisationsliterat steht weder rechts noch links, weder oben noch unten in der Gesellschaft, sondern er ist ein Symbol, das damals wie heute nicht nur die süße Versuchung der nationalen Selbstentkernung Deutschlands anzeigt – moderner: „Deutschland schafft sich ab“- sondern zugleich auch immer für eine Grundmöglichkeit deutschen Daseins steht, die seinem abgründigen Wesen entspringt. Die andere Grundmöglichkeit deutschen Daseins ist als Gegengewicht ebenso notwendig und kann mit Mann „konservative Opposition“ oder „ästhetische Revolte“ genannt werden. Die Proponenten dieses Flügels haben sich immer wieder die Frage zu stellen, die Thomas Mann am Ende des Kapitels zu seinem Zivilisationsliteraten rhetorisch gestellt hat: „Es handelt sich um die Politisierung, Literarisierung, Intellektualisierung, Radikalisierung Deutschlands, es gilt seine ›Vermenschlichung‹ im lateinisch-politischen Sinne und seine Enthumanisierung im deutschen . . . es gilt, um das Lieblingswort, den Kriegs- und Jubelruf des Zivilisationsliteraten zu brauchen, die Demokratisierung Deutschlands, oder, um alles zusammenzufassen und auf den Generalnenner zu bringen: es gilt seine Entdeutschung . . . Und an all diesem Unfug sollte ich teilhaben?“ Um die wirklich eigene Form von Demokratie und politischer Kultur wieder zu gewinnen, um in das eigene Wesen wieder einzukehren, bedarf es vor allem eines: Mut zum Protest.
Literatur:
Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen.
00:05 Publié dans Littérature, Révolution conservatrice | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : thomas mann, allemagne, littérature, littérature allemande, lettres, lettres allemandes, révolution conservatrice, première guerre mondiale | | del.icio.us | | Digg | Facebook
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