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vendredi, 19 février 2016

Heidegger, ein Faschist?

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Heidegger, ein Faschist?

von Prof. Dr. Paul Gottfried

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Im Oktober ist im Karolinger-​Verlag die Schrift „Heidegger und der Antifaschismus“ von Bernard Willms erschienen. Herausgegeben wurde sie von Till Kinzel.

Heidegger-​Studien in Hülle und Fülle vorliegen, legte Willms etwas Originelles hin, als er durch seinen bündig gefassten Band Heideggers politische Kritiker auseinandernahm. Eine Schwemme an überhitzten Denunziationen kreist um Heideggers Einsatz für die „Deutsche Revolution“, die in seiner Freiburger Rektoratsrede von 1933 anklang, nachdem er eine Woche zuvor der NSDAP beigetreten war.

9770789a0f33e588bdf77280b57e9f04_L.jpgDie antisemitischen Äußerungen von Heidegger

Ausgehend von einem bahnbrechenden Band (1987) des chilenischen Kommunisten Victor Farias, sind einander jagende Anti-​Heidegger-​Demontagen zuhauf erschienen. Samt und sonders zielen sie darauf ab, Heideggers ideenpolitische Reise zum Faschismus von seiner Kinderstube bis zu seinem Tod aufzuzeigen. Auf seinem Lebensweg tauchen vermeintlich gewisse Charakteristika auf, im besonderen Abscheu vor der Moderne, Judenhass, und (bei Farias) eine Reihe von katholisch angehauchten tiefreaktionären Haltungen.

Willms, der sein Buch 1991 vollendete, war nicht imstande, die in den letzten zehn Jahren veröffentlichten Werke von Peter Trawny über die „Schwarzen Hefte“, die die antisemitischen Aussprüche aus Heideggers zwischen 1938 und 1941 niedergelegten „Überlegungen“ zusammentragen, und die Kinzel in seinem bibliographischen Anhang aufführt, zu besprechen. Aber meiner Ansicht nach ist dieser für Skandal sorgende Renner Willms Einschätzung kaum abträglich. Heideggers Anzüglichkeiten über Juden, dass sie „entwurzelt“ seien und zu einem krassen Händlertum gehören, sind klischeehaft und zwar schimpflich, aber kommen der Nazi-​Rassentheorie an Lästerlichkeit bei weitem nicht gleich. Leicht wäre es, ebenso unglimpfliche Bemerkungen zu Juden bei Churchill oder anderen zu finden. Dergleichen habe ich schon bei diesen Prominenten ausgebuddelt. Dem Anklagebrief entgegenzuhalten, ist aber die Tatsache, dass Heidegger vor 1933 von jüdischen Studenten umschwärmt wurde. Die berühmteste ist sicherlich die deutsche Jüdin Hannah Arendt. Seinem jüdischstämmigen Gönner und engem Freund Edmund Husserl hatte er zudem Sein und Zeit (1927) gewidmet.

Die größte Dummheit seines Lebens

Auch während des Krieges hielt Heidegger die seinem Tagebuch vertrauten antijüdischen Äußerungen nicht für „druckfähig“. Schon im April 1934 trat er verdrossen aus seiner Rektoratsstelle aus, und nach dem Krieg kennzeichnete er sein mit verschränkten Verweisen auf das Griechentum beschwingte Lob auf das Dritte Reich als die „größte Dummheit meines Lebens“. Leider genügt dieser begrenzte Reueausdruck keineswegs, um der Schlägerei ein Ende zu machen. Beim deutschen Intellektuellentum, so Willms, floriert eine Heimindustrie, die Heidegger eine lebenslange Anfälligkeit für die Nazi-​Bewegung unterstellt. Von dem verdeutschten Farias, über Bernd Martin, Hugo Ott und Jürgen Habermas bis zu Trawny schießen die Verrisse wie Pilze aus dem Boden.

Sie sind bestrebt, so Willms, Heidegger ins ärgste erdenkliche Licht zu rücken und hantierten mit fragwürdigen Kontinuitäten, um die beabsichtigte Bilanz zu ziehen. Aus der denunziatorischen Wortflut erschließen sich bestimmbare Grundmotive, die Willms akribisch untersuchte. Zuallererst ersparen sich die Denunzierenden die Mühe, Heideggers Seinsphilosophie zu bewältigen, eine erschöpfende Aufgabe angesichts der Verstricktheit des zu berücksichtigenden Lesestoffs. Statt mit stilistisch schweren Texten ringen zu müssen, kann sich der Kritiker mit politischen Mahnungen begnügen. Die seinsphilosophische Grübelei fühlt man sich berechtigt abzutun, denn sie entsprang einem Feind unserer jeweiligen Demokratie und ohnehin einem eingefleischten Faschisten.

Postmoderne Wende

Zum zweiten tauchten die vielfältigen Anklagen gegen Heidegger im Zusammenhang einer aufgeheizten Auseinandersetzung in Frankreich und anschließend in Deutschland zwischen einerseits den Modernisten, Linksdemokraten sowie Kommunisten, und andererseits den Vertretern der Postmoderne auf. Die postmodernen Vordenker, vor allem Jacques Derrida und Jean-​Francois Lyotard, reißen sich von Marx und anderen fortschrittlichen Vordenkern los, so der Jammerchor, um auf einen antidemokratischen, zeitfremden Mystiker ihre Spannkraft zu richten. Damit die Abgelenkten auf die rechte Bahn zurückgebracht werden können, tut es not, Heidegger in seiner vollen Niedertracht zu entlarven.

In Anknüpfung daran – und hier steckt das wahre Herzstück der Arbeit – bezeugen die Anstürme auf Heidegger den steten Versuch der ihn Denunzierenden, ihren Antifaschismus als Gründungslehre der aus der Besatzung entstandenen menschenrechtlichen deutschen Demokratie zu unterstreichen. Jedesmal wenn ein Möchtegern-​Prominenter Heidegger schlechtmacht, attestiert er seinen Mitbürgern oder seinen gleichgestimmten Kollegen, dass er anständiger ist. Als Paradebeispiel führt Willms Karl Jaspers an, der mit der „schnodderigen Bemerkung“ den Reigen eröffnete: „Heidegger weiß nicht, was die Freiheit ist.“

Wer Faschist ruft, will seine eigene moralische Überlegenheit beweisen

Stark geprägt von Heideggers Existenzphilosophie, die er in einer volkstümlichen Gestalt, den breiten Massen zugänglich machte, setzte Jaspers einen weitaus helleren Denker herab, um seine moralische Überlegenheit zu beweisen. Die Sache noch weiter trübend, so Willms, wusste Jaspers Bescheid, dass Heidegger einen philosophischen Freiheitsbegriff eingehend ausgearbeitet hatte. Was Jaspers mit seiner Urteilfindung bezweckte, war sich über einen höher zu rangierenden Kopf moralisch emporzuheben. Und mit seinem Gestus bekannte er sich zu der antifaschistischen Nachkriegsordnung, die für Heidegger keinen Platz übrig hatte.

Noch zeitbedeutender ist darüber hinaus, dass der politisch und kulturell grundlegende Antifaschismus den eingeschworenen Kommunisten und sonstigen Linkstotalitären eine rauschende Willkommenskultur bescherte. Namhaften kommunistischen Fürsprechern, am merkwürdigsten Berthold Brecht und Jean-​Paul Sartre, war alle Ehre im antifaschistischen Kampflager beschieden. Abbitte mussten Antifaschisten keineswegs leisten, auch wenn sie für Stalin und Mao unverschämt eingetreten waren. Während es gehalten sei, Heidegger wegen seiner 1933 verübten Verirrung laufend zu verdammen, belobigt man dennoch „antifaschistische” Kommunisten als vorbildliche Demokraten.

Hoffnung auf eine schicksalshafte Geschichtswende

Im Gegensatz zu dem heuchlerischen Gefasel der Sittenwächter sei die Auffassung, die Heideggers ehemaliger Assistent Karl Löwith in Denker in dürftiger Zeit (1953) darbietet, wenigstens vertretbar, dass Heideggers emotional aufgeladener Sinn der Schicksalshaftigkeit zu seiner eingangs positiven Haltung zum Dritten Reiches den Weg bahnte. Die Erwartung einer weltbewegenden Geschichtswende, die die „Destruktion“ aller bestehenden Wertsysteme nach sich ziehen muss, öffnete dem in die Rektoratsrede eingeflochtenen Thema „Nationalrevolution“ Tür und Tor.

Löwith sucht eine begriffliche Überleitung von Heideggers Denkansätzen zu seiner folgenschweren Entscheidung im Gefolge einer verhängnisvollen Regierungsveränderung. Er führt aus, dass Heideggers Aufbruch von einem subjektiven Dasein, das in Sein und Zeit herausgestellt wird, zu einem alles durchdringenden Seinsbegriff gewisse Weiterungen mittrug. Diese als philosophisch eingeordnete Wende hatte eine Politik der apokalyptischen Erwartung zur Folge. Seiner zeitlich begrenzten Empfänglichkeit für den 1933 vorgefallenen Erdenrutsch eilte Heideggers geistige Umorientierung voran.

Beiläufig erwähnt: Löwith, ein protestantischer Akademiker jüdischer Abkunft, wurde nach 1933 gedrängt, aus Deutschland nach Italien zu flüchten. Dort traf er mit seinem in Urlaub gegangenen Mentor zusammen, der drauflos redete, wie durch und durch begeistert er war von der Neuordnung. Der entflohene Ex-​Anhänger wurde von Entsetzen gepackt, als er Heideggers Ergüssen zuhörte. Nicht nur war er aus seiner Heimat hinausgedrängt worden. Ebenso beunruhigend war die sonderbar anmutende Begeisterung seines Freundes, den er nicht mehr wiedererkannte. Im Unterschied zu den jetzt in Schwung gekommenen Anti-​Heidegger-​Moralisten kreidete Löwith aber seinem gefallenen Idol später kein Festhalten seiner ehemaligen Haltungen an. Heidegger war eben eine im Wandel stehende und nicht immer auf einen glücklichen Ausgang zustrebende Denkfigur.

Bernard Willms: Heidegger und der Antifaschismus. Wien: Karolinger, 2015.

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