Die Reconquista, die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den islamischen Mauren, sollte Vorbild sein für einen ähnlichen europäischen Prozess. In diesem gilt es, dass die angestammten europäischen Völker sich selbst, ihre Identität und ihre Freiheit, ihre Ethnizität, sowie ihr damit verbundenes Selbstbestimmungsrecht, wiedererlangen.
Obwohl das mit der „Reconquista“ damals wohl mehr schlagwortartig gemeint, als klar durchdacht war, war es eine glückliche Wortwahl: Bereits die ursprüngliche spanische „Reconquista“ (711−1492) hatte primär als Wiedererlangung eines verlorenen bzw. Erholung eines erschöpften Landes etwas mit Identität zu tun.
Die islamische Eroberung verlief schnell
Die „Vorgeschichte“ der Reconquista, aus der sie allein verständlich wird, ist die Eroberung und Zerstörung des spanischen Westgotenreichs durch den Islam. Im Jahre 711 fielen nordafrikanische Berbertruppen im Auftrage ihrer arabischen Herren in Spanien ein. Der Heerbann des der Überlieferung zufolge letzten Westgotenkönigs Roderich wurde nahe der südspanischen Stadt Jeréz de la Frontera geschlagen. Die Muslime brauchten kaum ein Jahrzehnt, um die ganze iberische Halbinsel zu erobern. Die Hauptstadt des Westgotenreichs, Toledo, fiel noch im selben Jahr, 711. Gegen Ende des zweiten Jahrzehnts des 8. Jahrhunderts standen die Muslime an den Pyrenäen und machten sich daran, die südfranzösischen Besitzungen des Westgotenreiches sowie fränkisches Gebiet zu erobern.
Ausschlaggebend dafür, dass es zur Reconquista kam, ist also die enorme Geschwindigkeit, mit der Spanien dem Islam in die Hände fiel. Trotz des Widerstands und zahlreicher Abwehrschlachten stürzte das Westgotenreich wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Ein Bruderkrieg mit fatalen Folgen
Die Gründe dafür sind in einer totalen Krise der westgotischen Monarchie zu suchen. Eine Systemkrise hatte den Staat entscheidend geschwächt. Eine strukturelle Schwäche war das Festhalten an der Wahlmonarchie, während bereits Tendenzen bestanden, die jeweilige königliche Hausmacht zur Basis einer Erbmonarchie zu machen. Dieser die monarchische Verfassung betreffende Konflikt entlud sich in Form von Thronstreitigkeiten.
Die Wahl Roderichs wurde so zum Auslöser eines Bruderkriegs. Die Aufständischen, die Familie des vorherigen Königs Witiza und ihre Anhängerschaft, versuchten sich gegenüber Roderich durchzusetzen, indem sie den islamischen Gouverneur Nordafrikas um Hilfe baten. Als das berberische Expeditionskorps schließlich in Spanien landete, befand sich Roderich auf einem Feldzug gegen baskische Volksstämme. Diese hatten zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt die Stadt Pamplona überfallen, so dass Roderich gezwungen war, die ihm treuen Kräfte im Norden zu konzentrieren.
Ein entkräftetes Reich
Auch wirtschaftlich und demographisch war das Westgotenreich zur Zeit der Invasion stark angeschlagen. Widrige Klimaverhältnisse, Heuschreckenplagen, Pestepidemien und Hungersnöte hatten die größtenteils unfreie Bevölkerung dezimiert. Zudem hatte das Vordringen des Islam im Mittelmeerraum zum Untergang des Handels geführt. Aber bereits die antijüdische Gesetzgebung davor hatte den Niedergang des Handels eingeläutet. Die Westgoten waren offiziell mit ihrem König Rekkared 587 vom Arianismus zum Katholizismus übergetreten. Die Christusvorstellungen, die die katholische Monarchie der Westgoten von nun an definierten, waren ein zentralisierendes und vereinheitlichendes Motiv. Wie zuvor schon die arianischen Westgoten mussten die Juden entweder zum Katholizismus übertreten oder sich ihre Unterdrückung und Verfolgung gefallen lassen. Als die islamischen Heere durch Spanien zogen, halfen ihnen die Juden oftmals bei der Eroberung der Städte. Das war nur verständlich, wussten sie doch von ihren Glaubensbrüdern in Nordafrika, dass die Verhältnisse unter dem Islam für sie erträglicher sein würden.
Letztendlich war auch die Heeresverfassung des Westgotenreiches zu plump und ungelenk, um schnell genug auf eine Invasion reagieren zu können. Sie befand sich mitten in einem Umbildungsprozess. Es kam also, wie es kommen musste, das Westgotenreich fiel mit einem Schlag.
Barbaren fingen die Reconquista an
Zehn Jahre bevor Karl Martell die über die Pyrenäen vorgedrungenen Muslime mit seinen „Panzerreitern“ zwischen Tours und Poitiers zurückschlug (732), wurde im nordspanischen Asturien der Grundstein zur „Reconquista“ gelegt. Der westgotische Adlige Pelagius war dort untergetaucht und leistete gemeinsam mit den Einheimischen und andern nach Norden geflohenen Spaniern und Westgoten (von nun ab „Hispanogoten“) Widerstand.
Nach einigen Scharmützeln, der legendären „Schlacht von Covadonga“ (722), konnte er für sich ein kleines Fürstentum behaupten. Die Muslime schenkten ihm und seinen Männern trotz der Niederlagen wenig Beachtung. Sie waren zu beschäftigt mit der Kontrolle des reicheren und für sie auch klimatisch angenehmeren Südspaniens und machten sich daran, ihre Eroberung in Richtung der französischen Provence voranzutreiben.
Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass Pelagius bereits von Anfang an, eine Rückeroberung ganz Spaniens von den Mauren angedacht hatte. Militärisch konnten sein Schwiegersohn Alfons I. und dessen Bruder Fruela die Uneinigkeit, die unter Berbern und Arabern aufgekommen war, ausnutzen, um den Nordwesten der iberischen Halbinsel bis zum Duero vom Islam zu befreien. Die christliche Bevölkerung, die sie dort vorfanden, führten sie nach Norden, um ihr Königreich zu stärken. Auch gelang es ihnen, die an Asturien grenzenden Gebiete ihrer Herrschaft einzugliedern.
„Neogotizistische“ Kulturoffensive gegen den Islam
Wichtiger noch als diese Konsolidierung des asturischen Nachfolgestaats des Westgotenreiches war dessen „politische Formel“: die Könige von Asturien und später León stammten nicht nur von den Westgoten ab. Auch rechtlich machten sie Anspruch auf die gesamte Erbmasse des Westgotenreiches. Dessen Wiederherstellung war deshalb sowohl Seins– als auch Rechtsgrund der jungen asturischen Monarchie: Sie wurde zum Grundbestandteil ihrer Legitimität.
Diese „neogotizistische“ Formel wurde noch Ende des 8. Jahrhunderts vom Klerus besorgt und stellte eine Art Kulturoffensive gegen den Islam dar. Später, im Hochmittelalter, diente sie der Untermauerung des spanischen Kreuzzuggedankens. Die Reconquista fand ihren eigentlichen Antrieb im Gefühl und in der Überzeugung, nicht bloß der Kontinuität, sondern der Identität zwischen Westgoten und asturischen Nordspaniern. Das germanische Element, das die kaum 200.000 Westgoten, die zudem noch romanisiert waren, nach Spanien gebracht hatten, erlebte eine ungeahnte kulturelle Blüte. Germanische Personennamen und Gebräuche erfuhren eine Verbreitung und genossen eine Popularität, die in keinem Verhältnis zur tatsächlichen numerischen Stärke der westgotischen Volksmassen stand.
Besondere Zugkraft bekam der Gedanke der „Wiedererlangung“ des Westgotenreiches durch mozarabische Mönche. Die Mozaraber waren in Al-Andalus lebende, jedoch christlich gebliebene Hispanogoten, die infolge der kulturellen Vorherrschaft von Islam und Arabertum selbst in ihren Gebräuchen arabisiert waren. Die mozarabische Geistlichkeit verstand diese fortschreitende Arabisierung richtig als eine Vorstufe des Übertritts zum Islam. Um diesen Prozess zu unterbinden, gingen mozarabische Kleriker mit dem Islam auf Konfrontation. Ihr Opfertod war ein klarer Aufruf zum Widerstand.
Um 1100 wäre die Reconquista abgeschlossen gewesen
Während der Christenverfolgungen des 9. Jahrhunderts flohen tausende Mozaraber nach Norden. Und mit dem mozarabischen Klerus zog eine auf der Höhe der Zeit stehende Geschichtstheologie mit nach Asturien-León. Diese spitzte die traditionelle politische Formel der asturischen Monarchie noch mehr polemisch gegen den Islam zu. Die ursprüngliche Idee einer „Wiedererlangung“ oder „Zurückholung“ fand ihre endgültige Ausformulierung in einer apokalyptischen Geschichtstheologie. Diese bildete ein höchst wirksames Programm im Kampf gegen den Islam.
Mit ihr hielt die Reconquista bis ins 11. Jahrhundert hinein militärisch schritt. Ihre Prophezeiung einer Wiederherstellung Spaniens bewahrheitete sich so, mit jedem gegen die Muslime errungenen Erfolg, von selbst. Kriegerisch waren die Nordspanier dem Islam derart überlegen, dass, wie der Arabist Felipe Maíllo Salgado bemerkt, die Reconquista bereits im Jahr 1100 zu ihrem Abschluss hätte kommen können. Dass das nicht geschah, ist vor allem der Tatsache zu verdanken, dass das unermessliche reiche, nicht sehr wehrhafte und überfeinerte Al-Andalus dazu einlud, sich Tribute zahlen zu lassen nach der Devise, dass eine Kuh, die sich melken lässt, nicht geschlachtet wird.
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