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dimanche, 16 mars 2014

Die Artamanenbewegung als Beispiel alternativer Lebensgestaltung

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“Rückkehr – Die Artamanenbewegung als Beispiel alternativer Lebensgestaltung”

von Stephan Jurisch

Ex: http://www.hier-und-jetzt-magazin.de

Wer träumt nicht davon, wieder Herr auf eigener Scholle zu sein und anstelle eines „jobs“ in der Dienstleistungsgesellschaft seiner Berufung nach einem ehrlichen Handwerk nachzugehen? Auch das Bewußtsein, sich nicht nur gesund ernähren, sondern selbst ernähren zu wollen, aus eigener Ernte, steigt. Wenn auch noch unmerklich, so schwindet doch die Identifikation lebensbewußter Menschen mit dem entwertenden Begriff Verbraucher. Alle sind heute nur noch Verbraucher, Verbraucher zunehmend nebulös produzierter Erzeugnisse. Lebensmittel sind zum anonymen Verbrauchsgut anonymer Verbraucher verkommen, denn es ist schwer geworden zu beurteilen, was wir essen und woher es kommt. Die Unkontrollierbarkeit des globalen Warenverschleppungssystems wird immer Lebensmittelskandale provozieren, insofern sie überhaupt öffentlich werden. Für diejenigen, die dies als befremdend und als eine nicht unumstößliche Gegebenheit empfinden, ist der eigene Garten je nach Größe längst zu einer partiellen Alternative geworden. Wer dort nicht stehen bleiben will, lebt in Hofgemeinschaften in der Landwirtschaft. Dafür müssen diese Stätten aber ein Hort der Arbeit und nicht nur der gemeinsamen Freizeitgestaltung sein. Auf der Grundlage der gestaltgebenden und schöpferischen Kraft einer gemeinsamen Weltanschauung wären Gemeinschaften möglich, die es auch und gerade im Heute zu einer alternativen Lebensführung und Lebensform schaffen können, deren Leistungen über die eigene Versorgung mit Lebensmitteln hinausgehen. Es geht um den Gedanken der Siedlung.

 

Siedeln, das ist weniger Romantik als vielmehr harte Arbeit und Existenzkampf. Doch es ist Arbeit für die Gemeinschaft, die dieser und der eigenen Seele Freiheit verleihen. Vor allem aber ist es die Tat um einer Sache selbst wegen, der es heute – neben dem Geschwätz stets besser Wissender, neben dem wehleidigen Beklagen – der Armut an Luxusgütern mangelt. Mag sein, daß erst echte Armut wieder den Blick für die Selbstlosigkeit und die unmittelbare Notwendigkeit zu dieser freizumachen vermag. In den Notzeiten der Weimarer Republik finden wir das Beispiel der deutschen Jugendbewegung und hier genauer der Artamanenbewegung. Denn wenn es um Jugend, Landwirtschaft und Siedlung geht, können wir diese einmalige geschichtliche Erscheinung einer aus Idealismus arbeitenden Tatgemeinschaft nicht außer Acht lassen.

 

Die Abkehr vom Bürgertum

 

Die deutsche Jugendbewegung als geistig-kulturelle Erneuerungsbestrebung entwickelte sich maßgeblich im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts und empfand sich als geistige Avantgarde der Gesellschaft. Ihre Mitstreiter sahen sich als einen Teil einer Bewegung und fanden in ihr eine tiefere und weitergehende Bindung als wir sie in heutigen Jugendorganisationen – oder besser gesagt Zusammenrottungen – antreffen. Naturerleben in ausgedehnten Fahrten abseits städtischen Lärms und moderner Zivilisation, Brauchtumspflege und starke Belebung von Volkstanz, -lied und Laienspiel standen in der Erlebniswelt der Jugendbewegten im Vordergrund, die sich gesellschaftskritisch als Jugendgemeinschaft konträr der Massengesellschaft der Erwachsenenwelt verstanden. Die in einer Vielzahl entstandenen Bünde gaben ihnen neue Bindungen, eine neue soziale Heimat außerhalb der Familie. Der Jugendbund war der selbstgeschaffene Ort der Gemeinschaft und Verbundenheit und unterschied sich strukturell völlig von den Gebundenheiten der bürgerlichen Gesellschaft. Um ihrer Haltung gerecht zu werden und zu bezeugen, daß ihre Vorstellungen auch Gestaltungskraft besaßen, genügte sich die Jugendbewegung nicht mit einer Protesthaltung und mahnenden Zeigefingern. Aus dem Strom der sich vom Bürgertum Abgewandten sollten Schaffende werden. Die Durchführung von Bildungs- und Arbeitslagern, die Gründung eigener Landheime und schließlich eigener Siedlungen charakterisierte das nach innen gerichtete soziale Anliegen der Bünde. Erste Siedlungsunternehmungen, die aus der Ideenwelt der Jugendbewegung heraus geboren waren, sind schon mit der Jahrhundertwende zum zwanzigsten Jahrhundert mit der „Vegetarischen Obstbaukolonie Eden“ in Oranienburg oder der Siedlung Klingenberg zu benennen.

 

Die Republik der Nachkriegszeit des ersten Weltkrieges verstrickte sich in außen- und innenpolitische Verwirrungen, die Bürgerkrieg, brennende Grenzen, anhaltende Inflation und Hunger hervorbrachte. Das Rettende in der alle Lebensbereiche umflutenden Gefahr aber wuchs im Gedanken der Siedlung, dessen Umsetzung in die Tat eine große Anziehungskraft in der Jugendbewegung zu entfalten vermochte. Ein mannigfaches Bild von Einrichtungen, Stätten, Siedlungen, Höfen und Klausen schaffte sich Raum aus diesem Gedanken, dem es zum Bestehen in der wirtschaftlichen Krisenzeit der Weimarer Republik jedoch noch an der gestalt- und richtungsweisenden Form einer Siedlungsbewegung mangelte. Die Isolierung von der Gesellschaft und vor allem die Isolierung untereinander führten bald schon zum Scheitern des Großteils der vorwiegend allein romantisch-idealisierten Unternehmungen.

 

Die Artamanenbewegung

 

Der im Dezember 1915 entstandene Greifenbund und spätere Jungdeutsche Bund hatte sich bereits die Sammlung Siedlungswilliger aus der Jugendbewegung auf die Fahne geschrieben. Dünn besiedelte Gebiete in Ostdeutschland zu beleben und in diesem Zuge die polnischen Erntehelfer zu verdrängen, sollten die Aufgaben des Bundes sein, der jedoch nach nur kurzem Bestand zerfiel, nachdem dessen Führer Ottger Gräf 1918 gefallen war. Die Zielsetzungen aber überdauerten und fanden sich 1923/24 in zwei Aufrufen zur Bildung von Artamanenschaften wieder, für die sich vor allem Bruno Tanzmann, Wilhelm Kotzde und Dr. Willibald Hentschel verantwortlich zeichneten und die heute als das Gründungsmoment der Artamanenbewegung gelten.

 

Bruno Tanzmann und die völkische Bewegung in Dresden

 

Ein besonderes Augenmerk soll an dieser Stelle Bruno Tanzmann gelten, ohne dabei seine geschichtliche Rolle überbetonen oder den Rang der anderen Gründungsväter der Artamanen schmälern zu wollen. Interessant sind nicht nur seine vielseitigen Verbindungen, sondern vor allem wird anschaulich, welche Impulse für die völkische Bewegung dereinst von Dresden ausgingen.

 

Nicht nur die theoretische Konzeption und Publikation allein, auch die konkrete Umsetzung der Artamanen-Idee kam dem in der Gartenstadt Hellerau eifrig schaffenden Bruno Tanzmann zu. Der im November 1878 bei Zittau geborene Tanzmann ist gelernter Landwirt. 1910 zieht es ihn in die ein Jahr zuvor von Lebensreformern gegründete Gartenstadtsiedlung Hellerau von wo aus er zunächst einen völkischen Lesering und die Wanderschriften-Zentrale gründet, die völkischen Jugendbewegten zugedacht war. Seine vorwiegend publizistische Arbeit führt ihn bald mit Ernst Emanuel Krauss alias Georg Stammler zusammen. Der Buchhändler und Schriftsteller siedelte ebenfalls in Hellerau. Wesentlich beeinflußt wurde Tanzmann von dem völkischen Literaturhistoriker Adolf Bartels aus Weimar.
Zu Tanzmanns Bekanntenkreis zählten ferner der Mühlhäuser Verleger Erich Röth, Kurt Gerlach, Heinrich Pudor als auch der Dresdner Expressionist und Autor des allseits bekannten Romans „Widukind“ Heinar Schilling. 1917 erscheint Tanzmanns „Denkschrift zur Begründung einer deutschen Volkshochschule“. Durch diese bedeutende Proklamation der völkischen Bildungsbewegung, die in seiner Wanderschriften-Zentrale erschien, gilt er bis heute als Vorkämpfer der Volkshochschul- und vor allem Bauern-Volkshochschulbewegung, aus welcher letztlich sechs Bauernhochschulen in Deutschland hervorgingen, die für völkische Jugendbewegte politisch und kulturell eine essentielle Prägung zu entwickeln vermochten. Schließlich erscheinen auch die Aufrufe zur Bildung von Artamanenschaften in der von ihm verlegten Zeitschrift „Deutsche Bauernhochschule – Zeitschrift für das geistige Bauerntum und die Volkshochschulbewegung“.

 

Im November 1923 veröffentlichte Willibald Hentschel den Aufruf „Was soll nun aus uns werden?“ Und so, wie ihn Hentschel formulierte, stand der Satz fragend vor den Gesichtern der Jugendbünde. So, als hätte diese Frage noch nicht den Raum im Bewußtsein der Agrarromantiker und ausgesprochenen Feinde des von Menschenhand geschaffenen Stadtmolochs eingenommen, den sie zur Überwindung der vorherrschenden Kritikhaltung gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft hin zur eigenen Tat benötigte. Hentschels Antwort war der Aufruf an die „ehrliebende Jugend“. Er erteilte dem politischen Hader und den Barrikadenkämpfen seiner Zeit eine klare Absage und forderte die Jugend statt dessen zur Bildung von freiwilligen Werkgemeinschaften, zum Aufbau von Artamanengruppen auf: „Es kommt heute wahrlich nicht mehr auf kleines politisches Gezänk an und auf Soldatenspielerei – mögen es die anderen unter sich und gegen uns fortsetzen! – und mögen sie sehen, wie weit sie damit kommen – wir haben anderes zu tun. Es geht jetzt auch nicht mehr um Reparationskosten und ähnliche Bagatellen. (…) Es geht um Sein oder Nichtsein, nicht um Sanktionen, sondern um die endliche Heiligung des Lebens. Abermals soll ein Heer aufgestellt werden, aber nicht gegen Frankreich oder England, sondern gegen die Hölle die uns bedroht: Raff- und Genußgier, Mammonismus und geheimes Behagen.“ Auf den riesigen Gütern des Ostens wurden in zunehmendem Ausmaß polnische Schnitterkolonnen beschäftigt, die in der Folge mehr und mehr in der Lage waren, ganze Siedlungen für Deutschland strittig und zum Gegenstand polnischer Expansionsgelüste zu machen. Auf den Gütern der preußischen Ostprovinzen, den „Einfallstoren der Fremden“, wie Hentschel sie nannte, sollten alle laufenden landwirtschaftlichen und technischen Arbeiten, die auch noch so schlecht bezahlt wurden, fortan von Artamanen übernommen werden.

 

Selbiger Gedanken beseelt, warb Tanzmann zusammen mit Wilhelm Kotzde, dem Bundesführer der „Adler und Falken“, in einem erneuten Aufruf, gerichtet an „die gesamte völkische Jugendbewegung“, für die Artamanen-Idee. Der bereits offene Türen aufstoßende Appell hieß den sich aus den Jugend- und Wehrbünden meldenden Artamanen, eine Bewegung zu schaffen. Eine Bewegung, die aus gereiften Thesen- und Theoriepapieren unter dem drängenden Zwang der Notwendigkeiten nun mit praktischen Lösungen in die rauhe Wirklichkeit der Weimarer Verhältnisse trat. In Dresden, einem dazumal bedeutsamen Zentrum völkischer Avantgardisten und einer Heimstätte des sittlich-kulturellen Aufschwungs des Bauerntums, gingen, von Bruno Tanzmanns Verlag in Hellerau aus organisiert, die ersten Artamanenschaften zur Tat über. Nicht wenige von ihnen kamen aus den ehemaligen Grenzschutzformationen und Freikorps, die sich aus den Wirren des deutschen Nachkriegs erhoben hatten und im März 1920 unter dem Druck der Reichsregierung offiziell aufgelöst und bis 1923 endgültig entwaffnet werden mußten. Es kamen Tatmenschen, Freiwillige. Über 30.000 Artamanen soll es im Laufe des Bestehens der Bewegung gegeben haben. Die Lebensform der Artamanenbewegung wurde im Wesentlichen von den Angehörigen der Jugendbewegung bestimmt, die den Befehl ihres Gewissens vor jegliches militärische Kommando stellten. Die Verschiedenheit und Vielzahl der Bünde, aus denen sich die Artamanen zusammensetzten, schuf mit der Artamanenbewegung einen überbündischen Bund. Die Artamanen, die Hüter der Scholle, setzten sich zum Ziel: die Zurückdrängung der polnischen Wanderarbeiter und das Ausfüllen der leeren Räume der Grenzprovinzen, die Einleitung der notwendigen Umschaltung der Menschenmassen der Stadt aufs Land, Hebung der Nahrungsmittelproduktion und schließlich die Einleitung einer Siedlungsbewegung, die Schaffung eines Grenzlandbauerntums mit Hilfe besitzlosen süd- und westdeutschen Bauerntums.

 

Die Artamanenschaften und ihr Aufbauwerk im Osten

 

Vielgestaltig war auch die Herkunft der Artamanen, denn unter ihnen waren Jungbauern, Arbeiter, Angestellte und Studenten bis hin zu Adelssöhnen zu finden. Ein zu damaliger Zeit neues Lebensgefühl der Überwindung von Klassenschranken entstand. Fast die Hälfte hatte einen kaufmännischen Beruf erlernt und nur jeder Fünfte war gelernter Landwirt oder Ingenieur. Die „Ferienartamanen“, also Studenten und Oberschüler, arbeiteten dem Namen nach ausschließlich während ihrer Ferienzeit und waren die einzigen Artamanen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung. In einer Ausgabe der Leipziger Neuesten Nachrichten vom Juli 1926 heißt es: „Unter den Artamanen finden sich Menschen im Alter von 18 bis 26 Jahren aus allen Volksschichten und Berufen. Vorwiegend sind heute – der wirtschaftlichen Lage entsprechend – Studenten, Junglehrer und Handwerker und nicht zuletzt Bauernsöhne vertreten.“ Die meisten Artamanen stammten aus der Stadt. In den einzelnen Gruppen bestand darum ein ziemlich hoher Bedarf an Artamanen mit landwirtschaftlichen Vorkenntnissen. Sie kamen aus nahezu dem gesamten deutschen Sprachraum, arbeiteten ihrer Ausrichtung nach aber verstärkt in den preußischen Provinzen, deren Güter zuvor von vielen polnischen Saisonarbeitern bewirtschaftet wurden.

 

„Junge, gut veranlagte Menschen fallen der Irreführung und Verhetzung gewisser Kreise zum Opfer. In den Jahren, die zur Berufsausbildung dienen müssen, arbeiten sie im Sommerhalbjahr bei den Großgrundbesitzern und fallen im Winterhalbjahr der Verelendung anheim“, verlästerten 1926 die Sozialdemokraten, nicht ohne Neid, jedoch mit unhaltbaren Vorwürfen, den Idealismus der Jugend, den sie offenbar nicht im Stande waren zu begreifen. Aus der Not, der von der SPD wesentlich mitzuverantwortenden Jugendarbeitslosigkeit in der Weimarer Republik, machten die Artamanen eine Tugend, nämlich nicht zuletzt die, ihren Landsleuten zu verdeutlichen, daß es unwürdig und bedenklich ist, eine notwendige, aber schwere und geringgeachtete Arbeit lieber „Gastarbeitern“ zu überlassen.

 

Ebenso wichtig waren den Artamanen das Gemeinschaftsleben und ihr kultureller Auftrag. Nach Tanzmann bildet „jede Schar eine geschlossene Gemeinschaft und stellt sich in den Dienst des ganzen Volkes. Dadurch hat die Schar die Freiheit, ihr eigenes geistiges Leben zu führen. In ihrer Freizeit kann sie der Verstädterung des Landlebens durch Volkslied, Volkstanz, Laienspiel, Leseabende, Kleidung und gute Sitte entgegenarbeiten und sich selbst ein stolzes Erobererglück verschaffen.“ Die Volksgutpflege, die die kulturelle Eigenständigkeit des ländlichen Raumes zu stärken und zu erhalten suchte, ging mit dem Gemeinschaftsleben der Artamanen einher, denn das bäuerliche Kulturgut wirkt stärker gemeinschafts- und bewußtseinsbildend als beispielsweise die Tanz- und Musikkultur von heute.
Von Seiten des Staates erhielten die Artamanen keine Unterstützung oder Zuwendungen. Finanzielle Hilfe, insbesondere für die landwirtschaftlichen Schulungen des Bundes, brachte die 1926 gegründete Gesellschaft der Freunde der Artamanenbewegung e. V. mittels Spendengeldern. Die Schulungen fanden vorrangig im Winterhalbjahr statt, wo die Artamanen Landwirtschaftsschulen besuchten und auf Universitätsgütern eine Spezialausbildung in Ackerbau und Pflanzenzucht, Tierzucht und Landarbeitslehre absolvierten. Zwischen 1924 und 1929 entstanden insgesamt über 700 Artamanenschaften mit mehr als 6.000 Artamanen, die in der Landarbeit auf einem Gebiet verteilt schafften, das weitaus größer war als die Republik, die heute auf deutschem Boden existiert. Ihre Haupteinsatzgebiete lagen in Ostpreußen, Brandenburg, Provinz und Freistaat Sachsen und in Mecklenburg. 1928 trennte sich der zwei Jahre zuvor eingetragene Verein Bund Artam von seinen Gründungsvätern Tanzmann und Kotzde wegen Meinungsverschiedenheiten und der als zu stark empfundenen versuchten Einflußnahme auf die Geschicke des Bundes.

 

Spaltung und Auflösung

 

Der Entvölkerung der östlichen Landstriche konnte mit zeitlich begrenzter Landarbeit allein freilich kein Einhalt geboten werden. Als mit der Gründung des Bund Artam der Siedlungsgedanke deutlicher in den Vordergrund treten sollte, bildeten sich in dieser Frage auch zwei Meinungen heraus, die den Bund letztendlich zur Spaltung führten. Die Bundesführung hielt es für geboten, den Bund weiter auszubauen und einen Arbeitsdienst als breite Organisation zu schaffen. Zahlreiche Artamführer aus den Einsatzgebieten sahen mit der Vermassung und Breitenöffnung des Bundes aber eine Verflachung der Artam-Idee kommen. Es sollten hingegen Gemeinschaftssiedlungen geschaffen werden, nach dem Konzept, daß überschuldete Güter zu recht günstigen Preisen vom Bund aufgekauft und nach dem gemeinsamen Aufbau an Siedlungswillige übergeben werden konnten. Als Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem damit einhergehenden Fall der Preise für landwirtschaftliche Produkte, mußte der Bund Artam 1931 den Konkurs anmelden. Es gründeten sich neu Die Artamanen – Bündische Gemeinden für Landarbeit und Siedlung und als selbständiger Bund in Mecklenburg der Bund der Artamanen. 1934 wurde nach über einjähriger Verhandlungszeit mit der HJ letzterer in den Landdienst der HJ eingegliedert. Die Bündischen Gemeinden für Landarbeit und Siedlung verdoppelten bis zum Frühjahr 1931 die Mitgliederzahl des vormaligen Bund Artam. Ende 1933 erfolgte die Rückbenennung in Bund Artam. Die Artamanen schufen sich mit dem Kauf eines alten Lehngutes das Bundesgut Koritten mit 150 ha, welches nach fünf Jahren vollends ausgebaut und mit stetig steigenden Erträgen bewirtschaftet werden konnte. Mehre hundert Artamanen wurden auf diesem Gut zu Landwirten und Siedlern ausgebildet. Bis 1935 entstanden annähernd 50 Gemeinschaftssiedlungen und über 100 Einzelbauernstellen. Weitere 50 Artamanen heirateten sich in bestehende Höfe oder Güter ein. Schließlich beugte sich auch der Bund Artam der politischen Vereinheitlichung und löste sich 1935 auf Anraten des Reichsnährstandes auf. Die Artamanen gingen teilweise im Landdienst als Gebietsreferenten oder Landdienstführer, im Reichsarbeitsdienst oder in anderen Berufen auf.

 

Und heute?

 

Die einstigen Haupteinsatzgebiete in den preußischen Provinzen sind unter Fremdherrschaft gestellt, die Deutschen überwiegend vertrieben. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wird noch heute die intensive Großraumlandwirtschaft betrieben, wobei nun auch im Westen die Tendenz zu Großbetrieben steigt. Landwirtschaft hat mit Bauerntum immer weniger gemein. Weltmarktpreise, Gewinnmaximierung, Ertragssteigerung, kurzum das reine Profitdenken wandelt Pflanzen und Tiere zu starrem Gold und Bauernhöfe zu Fabriken. Landtechnik-, Düngemittel- und Saatgutindustrie bejubeln in schillernden Umsatzstatistiken ihre Innovationen und heften sich gern das Verdienst des Wachstums der landwirtschaftlichen Betriebe mit intensiver Großraumlandwirtschaft an die Brust. Von Fortschritt ist die Rede, von Produktivität und Rentabilität, von weltweiter Konkurrenz und vor allem von den Milliarden Mäulern, die in den kommenden Jahrzehnten von den Industrienationen gestopft werden sollen. Der Markt der Biokraftstoffe greift mit finanzstarken Händen nach Anbauflächen für die nachwachsenden Rohstoffe. Bald schon wird es an Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln mangeln. Von der Resignation und der bitteren Aufgabe von Familienbetrieben, ja vom stetigen Sterben der Kleinbauern wird lediglich im Zusammenhang des anhaltenden Strukturwandels als notwendigem Umstand gesprochen. Jährlich gehen in Deutschland über 10.000 landwirtschaftliche Betriebe mit einer Nutzfläche von unter tausend Hektar an dem Prozeß des Wachsens oder Weichens zugrunde. Immer weniger Betriebe bewirtschaften immer größere Flächen.

 

Mehr als dreiviertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland werden von Haupterwerbsbetrieben bewirtschaftet. Dennoch wird gut die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe im Nebenerwerb geführt, wo also die Haupteinkommensquelle außerhalb der Landwirtschaft liegt. In strukturschwachen und für die intensive Großraumlandwirtschaft ungünstigen Gebieten und Mittelgebirgslagen tragen diese Betriebe im Wesentlichen zur Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft bei. Sie halten die Landbewirtschaftung aufrecht und sichern die natürlichen Lebensgrundlagen.

 

Nebenerwerbsbetriebe erhalten wie Haupt­erwerbsbetriebe ebenfalls finanzielle Zuschüsse und Prämien, die hier aber nur genannt werden sollen. Maßgeblich sind die Betriebsprämien aus EU-Direktzahlungen. Hinzu kommen Beihilfen für verschiedene Pflanzen sowie eine vom Bundeshaushalt finanzierte Agrardieselvergütung. In strukturschwachen Regionen gibt es eine sogenannte Ausgleichszulage. Umweltgerechte Produktionsweisen werden durch länderspezifische Programme besonders gefördert. Bei den Erträgen der landwirtschaftlichen Betriebe stellen diese Zahlungen einen bedeutenden Anteil dar. Wer sich also für den Schritt zu einer bäuerlichen Siedlung entschließt, sollte dies im Rahmen eines Nebenerwerbs verwirklichen, der von vornherein kein finanzielles Desaster bedeutet, wie gemeinhin vielleicht angenommen wird.

 

Die notwendigen Fertigkeiten können in landwirtschaftlichen Lehranstalten, Fach- und Bildungszentren, in Form von Praktika auf Betrieben oder gar durch eine Ausbildung oder ein Studium erworben werden. Das Vorbild der Artamanen zeigt unter anderem aber auch, daß es möglich ist, sich diesbezüglich auf eigene Beine zu stellen und einen Austausch mit bestehenden Siedlungen zu ermöglichen.

 

Viele Bauernhöfe in Mitteldeutschland stehen längst zum Verkauf. Nicht wenige Kleinbetriebe finden innerhalb der Familie keinen Nachfolger. Abwanderung und Geburtenschwund haben dem Land zwischen Erzgebirge und Ostsee bereits das Schicksal der Entvölkerung aufgedrückt. Doch halten wir uns vor Augen, daß die scheinbare Perspektivlosigkeit und Resignation keine Gegebenheiten höherer Gewalten sind. Allein, wir brauchen ein Bewußtsein, andere Verhältnisse aus eigener Kraft schaffen zu können. Sehen wir es einmal von der anderen Seite: die Abwanderung hat Raum geschaffen! Mit einem ersten Schritt, den viele schon getan haben, gilt es zu beginnen. Doch dieser erste Schritt liegt nicht in der großen Politik, in Straßensprüchen und öffentlichen Wehklagen, in Bittstellungen nach besseren Zeiten! Er liegt in unumstößlich kleinen Gemeinschaften der bäuerlichen Siedlung in Mitteldeutschland.

 

Freilich bedeutet das nicht, sich von politischen Fragen loszusagen und in einem Einsiedlerdasein zu verkriechen. Es sind nicht die Schlechtesten, die sich gegen die befremdende Zivilisation wehren und trotzig und voller Zuversicht an ihrem Traum werken, wieder eigener Herr auf eigener Scholle zu sein. Vergeblich wird es nur sein, wenn es weiterhin an einer Bewegung mangelt, die das Ganze stärkt und formt.

lundi, 16 janvier 2012

Die Artamanenbewegung als Beispiel alternativer Lebensgestaltung

Ex: http://www.hier-und-jetzt-magazin.de/

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Die Artamanenbewegung als Beispiel alternativer Lebensgestaltung

von Stephan Jurisch

 

dieartamanen.jpgWer träumt nicht davon, wieder Herr auf eigener Scholle zu sein und anstelle eines „jobs“ in der Dienstleistungsgesellschaft seiner Berufung nach einem ehrlichen Handwerk nachzugehen? Auch das Bewußtsein, sich nicht nur gesund ernähren, sondern selbst ernähren zu wollen, aus eigener Ernte, steigt. Wenn auch noch unmerklich, so schwindet doch die Identifikation lebensbewußter Menschen mit dem entwertenden Begriff Verbraucher. Alle sind heute nur noch Verbraucher, Verbraucher zunehmend nebulös produzierter Erzeugnisse. Lebensmittel sind zum anonymen Verbrauchsgut anonymer Verbraucher verkommen, denn es ist schwer geworden zu beurteilen, was wir essen und woher es kommt. Die Unkontrollierbarkeit des globalen Warenverschleppungssystems wird immer Lebensmittelskandale provozieren, insofern sie überhaupt öffentlich werden. Für diejenigen, die dies als befremdend und als eine nicht unumstößliche Gegebenheit empfinden, ist der eigene Garten je nach Größe längst zu einer partiellen Alternative geworden. Wer dort nicht stehen bleiben will, lebt in Hofgemeinschaften in der Landwirtschaft. Dafür müssen diese Stätten aber ein Hort der Arbeit und nicht nur der gemeinsamen Freizeitgestaltung sein. Auf der Grundlage der gestaltgebenden und schöpferischen Kraft einer gemeinsamen Weltanschauung wären Gemeinschaften möglich, die es auch und gerade im Heute zu einer alternativen Lebensführung und Lebensform schaffen können, deren Leistungen über die eigene Versorgung mit Lebensmitteln hinausgehen. Es geht um den Gedanken der Siedlung.

 

Siedeln, das ist weniger Romantik als vielmehr harte Arbeit und Existenzkampf. Doch es ist Arbeit für die Gemeinschaft, die dieser und der eigenen Seele Freiheit verleihen. Vor allem aber ist es die Tat um einer Sache selbst wegen, der es heute – neben dem Geschwätz stets besser Wissender, neben dem wehleidigen Beklagen – der Armut an Luxusgütern mangelt. Mag sein, daß erst echte Armut wieder den Blick für die Selbstlosigkeit und die unmittelbare Notwendigkeit zu dieser freizumachen vermag. In den Notzeiten der Weimarer Republik finden wir das Beispiel der deutschen Jugendbewegung und hier genauer der Artamanenbewegung. Denn wenn es um Jugend, Landwirtschaft und Siedlung geht, können wir diese einmalige geschichtliche Erscheinung einer aus Idealismus arbeitenden Tatgemeinschaft nicht außer Acht lassen.

 

Die Abkehr vom Bürgertum

 

Die deutsche Jugendbewegung als geistig-kulturelle Erneuerungsbestrebung entwickelte sich maßgeblich im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts und empfand sich als geistige Avantgarde der Gesellschaft. Ihre Mitstreiter sahen sich als einen Teil einer Bewegung und fanden in ihr eine tiefere und weitergehende Bindung als wir sie in heutigen Jugendorganisationen – oder besser gesagt Zusammenrottungen – antreffen. Naturerleben in ausgedehnten Fahrten abseits städtischen Lärms und moderner Zivilisation, Brauchtumspflege und starke Belebung von Volkstanz, -lied und Laienspiel standen in der Erlebniswelt der Jugendbewegten im Vordergrund, die sich gesellschaftskritisch als Jugendgemeinschaft konträr der Massengesellschaft der Erwachsenenwelt verstanden. Die in einer Vielzahl entstandenen Bünde gaben ihnen neue Bindungen, eine neue soziale Heimat außerhalb der Familie. Der Jugendbund war der selbstgeschaffene Ort der Gemeinschaft und Verbundenheit und unterschied sich strukturell völlig von den Gebundenheiten der bürgerlichen Gesellschaft. Um ihrer Haltung gerecht zu werden und zu bezeugen, daß ihre Vorstellungen auch Gestaltungskraft besaßen, genügte sich die Jugendbewegung nicht mit einer Protesthaltung und mahnenden Zeigefingern. Aus dem Strom der sich vom Bürgertum Abgewandten sollten Schaffende werden. Die Durchführung von Bildungs- und Arbeitslagern, die Gründung eigener Landheime und schließlich eigener Siedlungen charakterisierte das nach innen gerichtete soziale Anliegen der Bünde. Erste Siedlungsunternehmungen, die aus der Ideenwelt der Jugendbewegung heraus geboren waren, sind schon mit der Jahrhundertwende zum zwanzigsten Jahrhundert mit der „Vegetarischen Obstbaukolonie Eden“ in Oranienburg oder der Siedlung Klingenberg zu benennen.

 

Die Republik der Nachkriegszeit des ersten Weltkrieges verstrickte sich in außen- und innenpolitische Verwirrungen, die Bürgerkrieg, brennende Grenzen, anhaltende Inflation und Hunger hervorbrachte. Das Rettende in der alle Lebensbereiche umflutenden Gefahr aber wuchs im Gedanken der Siedlung, dessen Umsetzung in die Tat eine große Anziehungskraft in der Jugendbewegung zu entfalten vermochte. Ein mannigfaches Bild von Einrichtungen, Stätten, Siedlungen, Höfen und Klausen schaffte sich Raum aus diesem Gedanken, dem es zum Bestehen in der wirtschaftlichen Krisenzeit der Weimarer Republik jedoch noch an der gestalt- und richtungsweisenden Form einer Siedlungsbewegung mangelte. Die Isolierung von der Gesellschaft und vor allem die Isolierung untereinander führten bald schon zum Scheitern des Großteils der vorwiegend allein romantisch-idealisierten Unternehmungen.

 

Die Artamanenbewegung

 

Der im Dezember 1915 entstandene Greifenbund und spätere Jungdeutsche Bund hatte sich bereits die Sammlung Siedlungswilliger aus der Jugendbewegung auf die Fahne geschrieben. Dünn besiedelte Gebiete in Ostdeutschland zu beleben und in diesem Zuge die polnischen Erntehelfer zu verdrängen, sollten die Aufgaben des Bundes sein, der jedoch nach nur kurzem Bestand zerfiel, nachdem dessen Führer Ottger Gräf 1918 gefallen war. Die Zielsetzungen aber überdauerten und fanden sich 1923/24 in zwei Aufrufen zur Bildung von Artamanenschaften wieder, für die sich vor allem Bruno Tanzmann, Wilhelm Kotzde und Dr. Willibald Hentschel verantwortlich zeichneten und die heute als das Gründungsmoment der Artamanenbewegung gelten.

 

Bruno Tanzmann und die völkische Bewegung in Dresden

 

Ein besonderes Augenmerk soll an dieser Stelle Bruno Tanzmann gelten, ohne dabei seine geschichtliche Rolle überbetonen oder den Rang der anderen Gründungsväter der Artamanen schmälern zu wollen. Interessant sind nicht nur seine vielseitigen Verbindungen, sondern vor allem wird anschaulich, welche Impulse für die völkische Bewegung dereinst von Dresden ausgingen.

 

Nicht nur die theoretische Konzeption und Publikation allein, auch die konkrete Umsetzung der Artamanen-Idee kam dem in der Gartenstadt Hellerau eifrig schaffenden Bruno Tanzmann zu. Der im November 1878 bei Zittau geborene Tanzmann ist gelernter Landwirt. 1910 zieht es ihn in die ein Jahr zuvor von Lebensreformern gegründete Gartenstadtsiedlung Hellerau von wo aus er zunächst einen völkischen Lesering und die Wanderschriften-Zentrale gründet, die völkischen Jugendbewegten zugedacht war. Seine vorwiegend publizistische Arbeit führt ihn bald mit Ernst Emanuel Krauss alias Georg Stammler zusammen. Der Buchhändler und Schriftsteller siedelte ebenfalls in Hellerau. Wesentlich beeinflußt wurde Tanzmann von dem völkischen Literaturhistoriker Adolf Bartels aus Weimar.
Zu Tanzmanns Bekanntenkreis zählten ferner der Mühlhäuser Verleger Erich Röth, Kurt Gerlach, Heinrich Pudor als auch der Dresdner Expressionist und Autor des allseits bekannten Romans „Widukind“ Heinar Schilling. 1917 erscheint Tanzmanns „Denkschrift zur Begründung einer deutschen Volkshochschule“. Durch diese bedeutende Proklamation der völkischen Bildungsbewegung, die in seiner Wanderschriften-Zentrale erschien, gilt er bis heute als Vorkämpfer der Volkshochschul- und vor allem Bauern-Volkshochschulbewegung, aus welcher letztlich sechs Bauernhochschulen in Deutschland hervorgingen, die für völkische Jugendbewegte politisch und kulturell eine essentielle Prägung zu entwickeln vermochten. Schließlich erscheinen auch die Aufrufe zur Bildung von Artamanenschaften in der von ihm verlegten Zeitschrift „Deutsche Bauernhochschule – Zeitschrift für das geistige Bauerntum und die Volkshochschulbewegung“.

 

Im November 1923 veröffentlichte Willibald Hentschel den Aufruf „Was soll nun aus uns werden?“ Und so, wie ihn Hentschel formulierte, stand der Satz fragend vor den Gesichtern der Jugendbünde. So, als hätte diese Frage noch nicht den Raum im Bewußtsein der Agrarromantiker und ausgesprochenen Feinde des von Menschenhand geschaffenen Stadtmolochs eingenommen, den sie zur Überwindung der vorherrschenden Kritikhaltung gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft hin zur eigenen Tat benötigte. Hentschels Antwort war der Aufruf an die „ehrliebende Jugend“. Er erteilte dem politischen Hader und den Barrikadenkämpfen seiner Zeit eine klare Absage und forderte die Jugend statt dessen zur Bildung von freiwilligen Werkgemeinschaften, zum Aufbau von Artamanengruppen auf: „Es kommt heute wahrlich nicht mehr auf kleines politisches Gezänk an und auf Soldatenspielerei – mögen es die anderen unter sich und gegen uns fortsetzen! – und mögen sie sehen, wie weit sie damit kommen – wir haben anderes zu tun. Es geht jetzt auch nicht mehr um Reparationskosten und ähnliche Bagatellen. (…) Es geht um Sein oder Nichtsein, nicht um Sanktionen, sondern um die endliche Heiligung des Lebens. Abermals soll ein Heer aufgestellt werden, aber nicht gegen Frankreich oder England, sondern gegen die Hölle die uns bedroht: Raff- und Genußgier, Mammonismus und geheimes Behagen.“ Auf den riesigen Gütern des Ostens wurden in zunehmendem Ausmaß polnische Schnitterkolonnen beschäftigt, die in der Folge mehr und mehr in der Lage waren, ganze Siedlungen für Deutschland strittig und zum Gegenstand polnischer Expansionsgelüste zu machen. Auf den Gütern der preußischen Ostprovinzen, den „Einfallstoren der Fremden“, wie Hentschel sie nannte, sollten alle laufenden landwirtschaftlichen und technischen Arbeiten, die auch noch so schlecht bezahlt wurden, fortan von Artamanen übernommen werden.

 

Selbiger Gedanken beseelt, warb Tanzmann zusammen mit Wilhelm Kotzde, dem Bundesführer der „Adler und Falken“, in einem erneuten Aufruf, gerichtet an „die gesamte völkische Jugendbewegung“, für die Artamanen-Idee. Der bereits offene Türen aufstoßende Appell hieß den sich aus den Jugend- und Wehrbünden meldenden Artamanen, eine Bewegung zu schaffen. Eine Bewegung, die aus gereiften Thesen- und Theoriepapieren unter dem drängenden Zwang der Notwendigkeiten nun mit praktischen Lösungen in die rauhe Wirklichkeit der Weimarer Verhältnisse trat. In Dresden, einem dazumal bedeutsamen Zentrum völkischer Avantgardisten und einer Heimstätte des sittlich-kulturellen Aufschwungs des Bauerntums, gingen, von Bruno Tanzmanns Verlag in Hellerau aus organisiert, die ersten Artamanenschaften zur Tat über. Nicht wenige von ihnen kamen aus den ehemaligen Grenzschutzformationen und Freikorps, die sich aus den Wirren des deutschen Nachkriegs erhoben hatten und im März 1920 unter dem Druck der Reichsregierung offiziell aufgelöst und bis 1923 endgültig entwaffnet werden mußten. Es kamen Tatmenschen, Freiwillige. Über 30.000 Artamanen soll es im Laufe des Bestehens der Bewegung gegeben haben. Die Lebensform der Artamanenbewegung wurde im Wesentlichen von den Angehörigen der Jugendbewegung bestimmt, die den Befehl ihres Gewissens vor jegliches militärische Kommando stellten. Die Verschiedenheit und Vielzahl der Bünde, aus denen sich die Artamanen zusammensetzten, schuf mit der Artamanenbewegung einen überbündischen Bund. Die Artamanen, die Hüter der Scholle, setzten sich zum Ziel: die Zurückdrängung der polnischen Wanderarbeiter und das Ausfüllen der leeren Räume der Grenzprovinzen, die Einleitung der notwendigen Umschaltung der Menschenmassen der Stadt aufs Land, Hebung der Nahrungsmittelproduktion und schließlich die Einleitung einer Siedlungsbewegung, die Schaffung eines Grenzlandbauerntums mit Hilfe besitzlosen süd- und westdeutschen Bauerntums.

 

Die Artamanenschaften und ihr Aufbauwerk im Osten

 

Vielgestaltig war auch die Herkunft der Artamanen, denn unter ihnen waren Jungbauern, Arbeiter, Angestellte und Studenten bis hin zu Adelssöhnen zu finden. Ein zu damaliger Zeit neues Lebensgefühl der Überwindung von Klassenschranken entstand. Fast die Hälfte hatte einen kaufmännischen Beruf erlernt und nur jeder Fünfte war gelernter Landwirt oder Ingenieur. Die „Ferienartamanen“, also Studenten und Oberschüler, arbeiteten dem Namen nach ausschließlich während ihrer Ferienzeit und waren die einzigen Artamanen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung. In einer Ausgabe der Leipziger Neuesten Nachrichten vom Juli 1926 heißt es: „Unter den Artamanen finden sich Menschen im Alter von 18 bis 26 Jahren aus allen Volksschichten und Berufen. Vorwiegend sind heute – der wirtschaftlichen Lage entsprechend – Studenten, Junglehrer und Handwerker und nicht zuletzt Bauernsöhne vertreten.“ Die meisten Artamanen stammten aus der Stadt. In den einzelnen Gruppen bestand darum ein ziemlich hoher Bedarf an Artamanen mit landwirtschaftlichen Vorkenntnissen. Sie kamen aus nahezu dem gesamten deutschen Sprachraum, arbeiteten ihrer Ausrichtung nach aber verstärkt in den preußischen Provinzen, deren Güter zuvor von vielen polnischen Saisonarbeitern bewirtschaftet wurden.

 

„Junge, gut veranlagte Menschen fallen der Irreführung und Verhetzung gewisser Kreise zum Opfer. In den Jahren, die zur Berufsausbildung dienen müssen, arbeiten sie im Sommerhalbjahr bei den Großgrundbesitzern und fallen im Winterhalbjahr der Verelendung anheim“, verlästerten 1926 die Sozialdemokraten, nicht ohne Neid, jedoch mit unhaltbaren Vorwürfen, den Idealismus der Jugend, den sie offenbar nicht im Stande waren zu begreifen. Aus der Not, der von der SPD wesentlich mitzuverantwortenden Jugendarbeitslosigkeit in der Weimarer Republik, machten die Artamanen eine Tugend, nämlich nicht zuletzt die, ihren Landsleuten zu verdeutlichen, daß es unwürdig und bedenklich ist, eine notwendige, aber schwere und geringgeachtete Arbeit lieber „Gastarbeitern“ zu überlassen.

 

Ebenso wichtig waren den Artamanen das Gemeinschaftsleben und ihr kultureller Auftrag. Nach Tanzmann bildet „jede Schar eine geschlossene Gemeinschaft und stellt sich in den Dienst des ganzen Volkes. Dadurch hat die Schar die Freiheit, ihr eigenes geistiges Leben zu führen. In ihrer Freizeit kann sie der Verstädterung des Landlebens durch Volkslied, Volkstanz, Laienspiel, Leseabende, Kleidung und gute Sitte entgegenarbeiten und sich selbst ein stolzes Erobererglück verschaffen.“ Die Volksgutpflege, die die kulturelle Eigenständigkeit des ländlichen Raumes zu stärken und zu erhalten suchte, ging mit dem Gemeinschaftsleben der Artamanen einher, denn das bäuerliche Kulturgut wirkt stärker gemeinschafts- und bewußtseinsbildend als beispielsweise die Tanz- und Musikkultur von heute.
Von Seiten des Staates erhielten die Artamanen keine Unterstützung oder Zuwendungen. Finanzielle Hilfe, insbesondere für die landwirtschaftlichen Schulungen des Bundes, brachte die 1926 gegründete Gesellschaft der Freunde der Artamanenbewegung e. V. mittels Spendengeldern. Die Schulungen fanden vorrangig im Winterhalbjahr statt, wo die Artamanen Landwirtschaftsschulen besuchten und auf Universitätsgütern eine Spezialausbildung in Ackerbau und Pflanzenzucht, Tierzucht und Landarbeitslehre absolvierten. Zwischen 1924 und 1929 entstanden insgesamt über 700 Artamanenschaften mit mehr als 6.000 Artamanen, die in der Landarbeit auf einem Gebiet verteilt schafften, das weitaus größer war als die Republik, die heute auf deutschem Boden existiert. Ihre Haupteinsatzgebiete lagen in Ostpreußen, Brandenburg, Provinz und Freistaat Sachsen und in Mecklenburg. 1928 trennte sich der zwei Jahre zuvor eingetragene Verein Bund Artam von seinen Gründungsvätern Tanzmann und Kotzde wegen Meinungsverschiedenheiten und der als zu stark empfundenen versuchten Einflußnahme auf die Geschicke des Bundes.

 

Spaltung und Auflösung

 

Der Entvölkerung der östlichen Landstriche konnte mit zeitlich begrenzter Landarbeit allein freilich kein Einhalt geboten werden. Als mit der Gründung des Bund Artam der Siedlungsgedanke deutlicher in den Vordergrund treten sollte, bildeten sich in dieser Frage auch zwei Meinungen heraus, die den Bund letztendlich zur Spaltung führten. Die Bundesführung hielt es für geboten, den Bund weiter auszubauen und einen Arbeitsdienst als breite Organisation zu schaffen. Zahlreiche Artamführer aus den Einsatzgebieten sahen mit der Vermassung und Breitenöffnung des Bundes aber eine Verflachung der Artam-Idee kommen. Es sollten hingegen Gemeinschaftssiedlungen geschaffen werden, nach dem Konzept, daß überschuldete Güter zu recht günstigen Preisen vom Bund aufgekauft und nach dem gemeinsamen Aufbau an Siedlungswillige übergeben werden konnten. Als Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem damit einhergehenden Fall der Preise für landwirtschaftliche Produkte, mußte der Bund Artam 1931 den Konkurs anmelden. Es gründeten sich neu Die Artamanen – Bündische Gemeinden für Landarbeit und Siedlung und als selbständiger Bund in Mecklenburg der Bund der Artamanen. 1934 wurde nach über einjähriger Verhandlungszeit mit der HJ letzterer in den Landdienst der HJ eingegliedert. Die Bündischen Gemeinden für Landarbeit und Siedlung verdoppelten bis zum Frühjahr 1931 die Mitgliederzahl des vormaligen Bund Artam. Ende 1933 erfolgte die Rückbenennung in Bund Artam. Die Artamanen schufen sich mit dem Kauf eines alten Lehngutes das Bundesgut Koritten mit 150 ha, welches nach fünf Jahren vollends ausgebaut und mit stetig steigenden Erträgen bewirtschaftet werden konnte. Mehre hundert Artamanen wurden auf diesem Gut zu Landwirten und Siedlern ausgebildet. Bis 1935 entstanden annähernd 50 Gemeinschaftssiedlungen und über 100 Einzelbauernstellen. Weitere 50 Artamanen heirateten sich in bestehende Höfe oder Güter ein. Schließlich beugte sich auch der Bund Artam der politischen Vereinheitlichung und löste sich 1935 auf Anraten des Reichsnährstandes auf. Die Artamanen gingen teilweise im Landdienst als Gebietsreferenten oder Landdienstführer, im Reichsarbeitsdienst oder in anderen Berufen auf.

 

Und heute?

 

Die einstigen Haupteinsatzgebiete in den preußischen Provinzen sind unter Fremdherrschaft gestellt, die Deutschen überwiegend vertrieben. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wird noch heute die intensive Großraumlandwirtschaft betrieben, wobei nun auch im Westen die Tendenz zu Großbetrieben steigt. Landwirtschaft hat mit Bauerntum immer weniger gemein. Weltmarktpreise, Gewinnmaximierung, Ertragssteigerung, kurzum das reine Profitdenken wandelt Pflanzen und Tiere zu starrem Gold und Bauernhöfe zu Fabriken. Landtechnik-, Düngemittel- und Saatgutindustrie bejubeln in schillernden Umsatzstatistiken ihre Innovationen und heften sich gern das Verdienst des Wachstums der landwirtschaftlichen Betriebe mit intensiver Großraumlandwirtschaft an die Brust. Von Fortschritt ist die Rede, von Produktivität und Rentabilität, von weltweiter Konkurrenz und vor allem von den Milliarden Mäulern, die in den kommenden Jahrzehnten von den Industrienationen gestopft werden sollen. Der Markt der Biokraftstoffe greift mit finanzstarken Händen nach Anbauflächen für die nachwachsenden Rohstoffe. Bald schon wird es an Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln mangeln. Von der Resignation und der bitteren Aufgabe von Familienbetrieben, ja vom stetigen Sterben der Kleinbauern wird lediglich im Zusammenhang des anhaltenden Strukturwandels als notwendigem Umstand gesprochen. Jährlich gehen in Deutschland über 10.000 landwirtschaftliche Betriebe mit einer Nutzfläche von unter tausend Hektar an dem Prozeß des Wachsens oder Weichens zugrunde. Immer weniger Betriebe bewirtschaften immer größere Flächen.

 

Mehr als dreiviertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland werden von Haupterwerbsbetrieben bewirtschaftet. Dennoch wird gut die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe im Nebenerwerb geführt, wo also die Haupteinkommensquelle außerhalb der Landwirtschaft liegt. In strukturschwachen und für die intensive Großraumlandwirtschaft ungünstigen Gebieten und Mittelgebirgslagen tragen diese Betriebe im Wesentlichen zur Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft bei. Sie halten die Landbewirtschaftung aufrecht und sichern die natürlichen Lebensgrundlagen.

 

Nebenerwerbsbetriebe erhalten wie Haupt­erwerbsbetriebe ebenfalls finanzielle Zuschüsse und Prämien, die hier aber nur genannt werden sollen. Maßgeblich sind die Betriebsprämien aus EU-Direktzahlungen. Hinzu kommen Beihilfen für verschiedene Pflanzen sowie eine vom Bundeshaushalt finanzierte Agrardieselvergütung. In strukturschwachen Regionen gibt es eine sogenannte Ausgleichszulage. Umweltgerechte Produktionsweisen werden durch länderspezifische Programme besonders gefördert. Bei den Erträgen der landwirtschaftlichen Betriebe stellen diese Zahlungen einen bedeutenden Anteil dar. Wer sich also für den Schritt zu einer bäuerlichen Siedlung entschließt, sollte dies im Rahmen eines Nebenerwerbs verwirklichen, der von vornherein kein finanzielles Desaster bedeutet, wie gemeinhin vielleicht angenommen wird.

 

Die notwendigen Fertigkeiten können in landwirtschaftlichen Lehranstalten, Fach- und Bildungszentren, in Form von Praktika auf Betrieben oder gar durch eine Ausbildung oder ein Studium erworben werden. Das Vorbild der Artamanen zeigt unter anderem aber auch, daß es möglich ist, sich diesbezüglich auf eigene Beine zu stellen und einen Austausch mit bestehenden Siedlungen zu ermöglichen.

 

Viele Bauernhöfe in Mitteldeutschland stehen längst zum Verkauf. Nicht wenige Kleinbetriebe finden innerhalb der Familie keinen Nachfolger. Abwanderung und Geburtenschwund haben dem Land zwischen Erzgebirge und Ostsee bereits das Schicksal der Entvölkerung aufgedrückt. Doch halten wir uns vor Augen, daß die scheinbare Perspektivlosigkeit und Resignation keine Gegebenheiten höherer Gewalten sind. Allein, wir brauchen ein Bewußtsein, andere Verhältnisse aus eigener Kraft schaffen zu können. Sehen wir es einmal von der anderen Seite: die Abwanderung hat Raum geschaffen! Mit einem ersten Schritt, den viele schon getan haben, gilt es zu beginnen. Doch dieser erste Schritt liegt nicht in der großen Politik, in Straßensprüchen und öffentlichen Wehklagen, in Bittstellungen nach besseren Zeiten! Er liegt in unumstößlich kleinen Gemeinschaften der bäuerlichen Siedlung in Mitteldeutschland.

 

Freilich bedeutet das nicht, sich von politischen Fragen loszusagen und in einem Einsiedlerdasein zu verkriechen. Es sind nicht die Schlechtesten, die sich gegen die befremdende Zivilisation wehren und trotzig und voller Zuversicht an ihrem Traum werken, wieder eigener Herr auf eigener Scholle zu sein. Vergeblich wird es nur sein, wenn es weiterhin an einer Bewegung mangelt, die das Ganze stärkt und formt.