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mercredi, 21 septembre 2016

Staatsmännische Größe

Staatsmännische Größe

von Carlos Wefers Verástegui

Ex: http://blauenarzisse.de

FII.jpgDas Problem des „großen Mannes“, vor allem des Staatsmannes, ist eines der brennendsten der Gegenwart. Wir haben nur Technokraten und keine Politiker mit echter Größe.

Überall, wo ein „Versagen“ offensichtlich wird, drängt sich auch der Verdacht der Unzulänglichkeit auf. Und selbst ein Systemversagen, wie das des liberal-​demokratischen Parlamentarismus, beleuchtet letztendlich doch nur die Unzulänglichkeit des „Personals“ selbst. Der „große Mann“, der Staatsmann ist zudem noch, seit den Tagen der Aufklärung, abschätzig immer wieder als „Konstrukt der Mächtigen“ bezeichnet worden. Statt die Tat und die Tugenden des „großen Individuums“ zu preisen, sei das Heil im Kollektiven zu suchen. Damit soll das persönliche Element, sollen die individuelle Realität und der individuelle Charakter des Menschen als geschichtlich wirksame und bedeutsame Faktoren ausgeschaltet werden. Überhaupt die Möglichkeit der Existenz der historischen Persönlichkeit wird geleugnet. Die „große Unpersönlichkeit“ bezeichnet die Verwirklichung eines allgemeinen Trends der Zeit.

Große Persönlichkeit oder Funktionär?

Im Altertum war die große Tat untrennbar mit ihrem Urheber, der großen Persönlichkeit, verbunden. Egal, ob in Mythos oder im wirklichen Geschehen, Großes konnte nur von einer Persönlichkeit erreicht werden. Diese Anschauung ging von den eigentlichen Mythen und Göttersagen über die Helden der homerischen Vorzeit bis hin zu den Eroberern, Rettern, Stiftern bzw. Erneuerern eines Imperiums: Alexander, Cäsar, Augustus, Karl der – Große.

Wie schwer sich dahingegen unser Zeitalter mit der Würdigung der persönlichen Größe eines Menschen tut, wird besonders schön am Beispiel des Augustus deutlich: bis vor ganz kurzem ist von einer bestimmten Altertumswissenschaft krampfhaft versucht worden, ihn zum bloßen „Funktionär“ und „ausführenden Organ“ herabzuwürdigen. Augustus – das sei nur ein Aushängeschild für diejenigen sozialen Gruppen und Interessen, die ihn für ihre Zwecke aufgestellt hatten. Eine Würdigung seiner persönlichen Leistung wurde kategorisch abgelehnt. Die sei nämlich ein für die moderne Historiographie unstattlicher, nämlich längst überwundener Persönlichkeitskult.

Demokratische und aristokratische Geschichtsschreibung

Die Gründe für diese fast schon irrational anmutende Anfeindung der Persönlichkeit, überhaupt die Ablehnung derjenigen persönlichen Leistung und Eigenschaft, die das Wort der „Größe“ erheischt, sind durchaus in den persönlichen Vorlieben einzelner Forscher zu suchen. Ironischerweise sind diese persönlichen Vorlieben dann aber doch wieder in „allgemeinen Ursachen“ verankert: Dieselben „allgemeinen Ursachen“, die der heutige Historiker der Vergangenheit unterstellt, sind es, die ihn in seiner eigenen Gegenwart dazu verleiten, das persönliche Element als geschichtlichen Faktor auszuschließen. Aus den sozialen Bedingungen der Gegenwart strömen Vorurteile wider die Größe der Persönlichkeit und ihrer Wesen– und Wirklichkeit in das historische und soziologische Denken der Fachleute ein.

Beleuchtet wird dieser Sachverhalt der zeitbedingten Voreingenommenheit der Fachleute durch Alexis de Tocquevilles längst klassische Unterscheidung zwischen „aristokratischer“ und „demokratischer“ Geschichtsschreibung: Die aristokratischen Zeitalter stellen die Persönlichkeit und ihre Tat in den Vordergrund, währenddessen demokratische Zeitalter das genaue Gegenteil zu tun pflegen. Wo aristokratische Zeitalter den großen Mann – oder die große Frau – am Werk sehen, meint der Historiker der Demokratie auf überindividuelle, unpersönliche „Kräfte“, auf „soziale Prozesse“, „konfligierende Interessen“, „Dialektiken“ und „Gruppendynamiken“ schließen zu dürfen.

Kammerdienerpsychologie und Menschenmechanik

Die bezüglich des Augustus bereits genannte Betrachtungsweise ist misstrauisch bis zur Paranoia, skeptisch bis zum historischen Pyrrhonismus. Überall vermeint sie die betrügerische Absicht des Zeitalters aufzuspüren, dabei ist es nur ihr eigenes zeitgemäßes Denken, welches ihr Schlechtes einredet. Mit ihren eigenen Methoden setzt sie das Ressentiment und Aufbegehren des „gemeinen Volkes“ gegen die Aristokratie fort. Sie treibt, selbst nach über zwei Jahrhunderten „Emanzipierung des dritten Stands“, immer noch Kammerdienerpsychologie in der Absicht, sich an den „Herren“ zu rächen.

Und dennoch spiegelt die, auch historiographische, Beseitigung der „Größe“ einen soziologischen Tatbestand wider: das Individuum ist tatsächlich ohnmächtig in unserem Zeitalter, das „Persönliche“, ist grundsätzlich eliminiert. An den „entscheidenden Hebeln“ sitzen nicht Größen und auch keine Persönlichkeiten, sondern blass aussehende, gemeine „Verrichtungsträger“: Zahnräder, Nockenwellen, Kugellager und Federn, alles in Menschengestalt, alles auswechselbar und gegeneinander austauschbar. Oder, in Computersprache, Einsen und Nullen, die sich gegenseitig nötig haben.

Größe wirkt störend und birgt Gefahren für das System

Das parlamentarische System mit seinen Auslesemechanismen – in Form der Parteien – und seine Übertragung auf die ganze Gesellschaft hat jegliche Möglichkeit persönlicher Größe „an den Hebeln“ zunichte gemacht. Dabei bedingen sich unzulängliche Führung und System gegenseitig: die Auswahl des Personals findet auf breitester Grundlage statt, im Sinne bestehenden Räderwerks. Dieses stellt naturgemäß keine allzu großen Ansprüche an ein beliebig austauschbares Personal.

Dieses ist billig und wohlfeil und in großer Zahl zu haben. Und es ist sich niemals zu schade, denn es gibt keine Begabung, die zu vergeuden wäre. Eine echte Persönlichkeit würde hier nur störend wirken, das Ganze überbeanspruchen und somit alles in Gefahr bringen. Die Selbsterhaltung des Systems gebietet zudem noch, alles, was groß ist, von vornherein auszuschließen. Ein mittelmäßiger Menschentypus, der in seinen Institutionen blüht, trägt dafür eifersüchtig Sorge, dass nichts anderes hochkommt als seinesgleichen. Das ist der Grund, warum die Führung nicht in politischer Menschenfresserei ausarten kann, aber aus demselben Grund ist sie auch auf ewig zu Kleinlichkeit und Mediokrität verdammt.

Heinrich Leo: „Das Staatsmännische ist ein Charisma“

Entgegen dieser unseren Realität, die sich selbst aufs Mittelmaß beschränkt hat, war für den konservativen Historiker Heinrich Leo das Urbild des Politikers der Staatsmann. Dieser ist nicht bloßes ausführendes „Organ“ im Staatsbetrieb. Er ist nicht ein fremdbestimmter Fortsatz gesellschaftlicher Kräfte, sondern er ist selbst ein schöpferischer Charakter der Ganzheit „Staat“: Er ist von Natur aus zur Führung berufen und hat volksbildende Aufgaben zu vollbringen. Das ist sein Ethos.

Leo erklärt zudem noch, dass der Staatsmann kein gesellschaftliches Züchtungsprodukt sein kann: „Ein Staatsmann kann überhaupt nicht durch Unterricht zu einem tüchtigen Staatsmanne gemacht, er muss so gut wie der ausgezeichnete Feldherr oder Dichter geboren werden. Allerdings braucht er auch viele Kenntnisse, die er sich erwerben muss; aber es kann Jemand alle diese Kenntnisse im höchsten Grade besitzen und doch ein miserabler Staatsmann sein. Die Fähigkeit des Staatsmannes ist eine Gnadengabe Gottes, ein Charisma – und wer dies Charisma nicht hat und Staaten leiten will, der zerstört, was er erhalten will und macht schließlich selbst geistigen und politischen Bankrott.“

Begabung und Gemeinschaft bedingen sich gegenseitig

Trotz Leos richtigem Hinweis auf die staatsmännische Befähigung als einer Gnadengabe ist hinzuzufügen, dass diese Befähigung nur innerhalb kleinerer, erwählter (ausgezeichneter) Gemeinschaftskreise zum Tragen kommt. Erst die kleinen Gemeinschaften bringen den Mann – oder die Frau – der schöpferischen Tat hervor, den Politiker von Format, den Staatsmann. Wo immer man in der Geschichte hinblickt und Größe sieht, wird man ebenfalls fündig, wenn man nach der betreffenden Gemeinschaft Ausschau hält. Ein großer Mann, oder eine große Frau, kommt niemals allein.

Stets sieht man sie gefördert, begleitet und unterstützt von mindestens ebenso großen Mitarbeitern, wahrhaften Kampfgenossen und eingeschworenen Kameraden. Das heißt aber für unsere Gegenwart: Unter den derzeitigen Bedingungen auf den Staatsmann zu warten, bedeutet, auf ein Wunder zu hoffen, das niemals eintreten wird. Von selbst wird er nicht kommen. Einzelkämpfertum ist Heroenromantik, hat aber in der Geschichte noch nie prosperiert, geschweige denn triumphiert. Denn leider ist es immer noch so, dass für den Staatsmann allein der Erfolg ausschlaggebend ist. Ein Staatsmann, der nicht erfolgreich bei der Umsetzung seiner staatsmännischen Aufgabe wäre, ist eine tragische Gestalt, aber kein vollendeter Staatsmann.