Ich werde unsere erste Begegnung nie vergessen: Vor 24 Jahren hatte Saddam Hussein Kuwait überfallen. Ich saß in den Monaten danach in der jordanischen Hauptstadt Amman im Interconti-Hotel und berichtete von dort für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Als »Informationen« hatte ich nur Geschichten, die mir Flüchtlinge berichtet hatten. Weil ich kein Visum für den Irak bekam, musste ich immer wieder mal an der jordanisch-irakischen Grenze auf Flüchtlinge warten.
Man konnte das glauben, was die Flüchtlinge berichteten. Oder auch nicht. Einer meiner täglichen Wege führte mich damals in der jordanischen Hauptstadt zum ARD-Korrespondenten Marcel Pott, der dort ein Hörfunkstudio hatte und fast jede Minute ausgebucht war. Wir beide tauschten die wenigen »Informationen«, welche wir aus dem Irak bekamen, aus. Gelegentlich gingen Marcel Pott und ich abends zum Italiener in Amman. Und eines Abends kam überraschend Peter Scholl-Latour herein und setzte sich zu uns an den Tisch.
Der Mann war schon damals eine lebende Legende. Er war Mitte 60 und eigentlich im Rentenalter. Normalerweise führt man in der Situation, in welcher wir waren, ein Gespräch. Aber diese lebende Legende, der ich da zum ersten Mal begegnete, erklärte uns ununterbrochen die Welt. Wir haben keine Fragen gestellt. Wir haben nur zugehört. Und die Zeit verging wie im Flug. Scholl-Latour, der 1924 als Sohn eines deutschstämmigen Arztes und einer Elsässer Mutter geboren wurde, sich 1944 freiwillig zur französischen Armee meldete, 1945 in Gestapo-Haft kam und 1946 mit französischen Fallschirmjägern in Indochina war, hatte ein Gedächtnis, wie ich es nie wieder bei einem Menschen erlebt habe. Er hatte – wie ich auch – Politik und Islamkunde studiert – und sprach im Gegensatz zu fast allen anderen deutschen Korrespondenten, die später im Nahen Osten eingesetzt waren, die Landessprache, kannte die Sitten und vor allem die Geschichte der Länder.
Von dem Abend in Amman, unserer ersten Begegnung, ist mir ein Satz bis heute in Erinnerung geblieben: »Das erste, was im Krieg auf der Strecke bleibt, ist die Wahrheit.« Ich weiß, dass dieser Satz im Original nicht von Scholl-Latour ist. Aber der Mann, der wahrscheinlich mehr Kriege als jeder andere Journalist mit eigenen Augen erlebt hat, hat ihn mir mit auf den Weg gegeben.
Scholl-Latour, der in seinem Leben Afrika-Korrespondent der ARD war und ARD-Studioleiter in Paris, wurde im Februar 1979 weltberühmt. Damals begleitete er den iranischen Revolutionsführer Ajatollah Chomeini aus dem französischen Exil im Flugzeug zurück nach Teheran. In den Jahren danach wurde er einem immer breiteren Publikum durch Sachbücher bekannt, in denen er den Deutschen mit faszinierendem Fach- und Hintergrundwissen die Welt erklärte.
In den Jahren nach unserem ersten Treffen in Jordanien sind wir uns – vor allem in Kriegsgebieten – immer wieder begegnet. In Afrika und auch im Nahen Osten. Dabei haben wir im Laufe der Jahre, ich sah ihn mehr und mehr als väterlichen Freund, immer mehr Gemeinsamkeiten bei der Sicht der Weltpolitik gesehen. Scholl-Latour war ein Freund Europas, aber wie ich ein extremer Gegner der EU-Osterweiterung. Oft haben wir am Rande von Fernseh-Talkshows, zu denen wir als Diskussionspartner geladen waren, auch über den »Klimawandel« Witze gemacht, den wir beide für eine interessante Erfindung von Politikern hielten, um dem dummen Volk noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen.
Wir beide haben uns bei Gesprächen auch gemeinsam über jene irren Politiker und Medien aufgeregt, welche unbedingt den Irakkrieg wollten und den Einmarsch in Afghanistan. Dass westliche Truppen dort scheitern mussten, war uns vorher klar. Wir beide sahen zudem al-Qaida und islamistischen Terror als Schöpfungen der CIA, der ihre Zöglinge aus dem Ruder liefen. Und wir beide sahen den Aufstieg des Islam als eine wachsende Gefahr auch für Europa.
Je öfter wir uns trafen, desto mehr Gemeinsamkeiten entdeckten wir. Peter Scholl-Latour hat mehrere meiner Buchmanuskripte vor deren Veröffentlichung gelesen und mir Ratschläge gegeben, einmal schrieb er ein Vorwort für mein Buch Propheten des Terrors.
Wir hatten eine Gemeinsamkeit, die uns verband: Wir schwammen gegen den Mainstream. Bis vor etwa einem Jahrzehnt verachteten viele deutsche Medien Scholl-Latour, weil er nicht wie die anderen deutschen Journalisten reflexartig die sabbernden Propagandathesen und Waschmittelparolen der Leitmedien von sich gab, sondern es wagte, eine eigene Meinung zu haben.
Inzwischen laufen den Leitmedien die Leser weg. Und der früher skeptisch beobachtete Peter Scholl-Latour ist längst Kult geworden. Und er durfte zuletzt in unseren Medien sagen, was kein anderer sagen durfte, etwa im Berliner Tagesspiegel:
… eines will ich noch sagen. Wir regen uns zu Recht über die NSA auf. Aber man musste schon sehr naiv sein, um nicht zu wissen, dass diese Überwachung stattfindet. Das größere Problem sind Fabriken der Desinformation, ob sie sich nun in North Carolina, London oder Israel befinden. Die zielen auf deutsche und europäische Medien. Und das klappt. Von der taz bis zur Welt – ein Unisono, was die Ukraine betrifft. Oder Syrien: Als man die Aufständischen als die Guten und die anderen als die Bösen dargestellt hat. Dabei waren weder die einen noch die anderen gut oder böse. Wir leben mit so vielen Lügen. Wenn es heißt, Indien sei die größte Demokratie der Welt. Ja, Scheiße! Das Kastensystem ist schlimmer, als das Apartheidsystem in Südafrika je gewesen ist. Indien ist das grauenhafteste Land der Welt.
Im September 2010 war ich zusammen mit Scholl-Latour bei Maischberger, einer Talkshow mit klaren Worten gegenüber integrationsunwilligen Muslimen, nach der ich Morddrohungen erhielt. Scholl-Latour regte damals nach der Sendung im Gespräch bei mir an, ein Buch über meine Erfahrungen mit Leitmedien zu schreiben. Der Mann, der unsere Mainstreammedien für Ableger der »Fabriken der Desinformation« hielt, wollte, dass die Lügen unserer Medien endlich ein Ende haben.
Er wollte aufgeschrieben wissen, wie korrupt viele Journalisten sind, wie transatlantische Organisationen ihnen die Gehirne waschen, wie Geheimdienste unsere Nachrichten manipulieren und wie die Bürger da draußen für dumm verkauft werden. Ich habe damals – 2010 – mit dem Sachbuch, dessen Inhalt wir besprochen hatten, begonnen. Kurz bevor ich es fertig hatte, bekam ich mehrere Herzinfarkte. Und das Projekt ruhte fast zwei Jahre. In den letzten Monaten habe ich alles aktualisiert und überarbeitet. Peter Scholl-Latour, so hatten wir es besprochen, sollte das Manuskript gegenlesen und vielleicht ein Vorwort für das Buch schreiben.
Das Manuskript ist nun fertig. Und er wird es nicht mehr lesen können. Wir werden es in dieser Woche in den Satz geben und im September 2014 ohne sein Vorwort drucken lassen. Aber ich werde es ihm und seinem Lebenswerk widmen. In tiefer Dankbarkeit!
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