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mardi, 04 novembre 2014

Die wirklichen Europäer sind die Russen

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Die wirklichen Europäer sind die Russen

Vom Gibraltar bis zum Ural - oder wo endet Europa?

Von Eberhard Straub

Beitrag hören: http://www.deutschlandradiokultur.de/amputierter-kontinent-die-wirklichen-europaeer-sind-die.1005.de.html?dram:article_id=294917

Ein Europa, das "nur noch Westen" sein will, gibt sich auf, sagt der Historiker Eberhard Straub. Er warnt davor, Russland ausschließlich als Feind zu sehen. Die Lehre der Geschichte sollte eine andere sein, ist er überzeugt.

Die Einheit Europas zerbrach mit dem Ersten Weltkrieg. Sie war bis 1914 vom Konzert der fünf Großmächte aufrechterhalten worden. Zu dieser friedenstiftenden Staatengesellschaft gehörte ganz selbstverständlich Russland.

Im Gedenken der letzten Wochen beteuerten die Westeuropäer keine "Schlafwandler" mehr sein zu wollen. Viel Schrecken und Elend habe sie klug und weise gemacht, um nunmehr friedlich im wieder geeinten Europa zu leben - als der besten aller Welten. Von Russland war und ist dabei erstaunlicherweise nicht die Rede.

Immerhin kämpfte es unter großen Opfern als Verbündeter Englands und Frankreichs, um das Reich der Finsternis, damals das Deutsche Reich, daran zu hindern, das Licht der Freiheit in Europa zu ersticken. Es wurde als Mitglied der westlichen Wertegemeinschaft gefeiert, wie sonst nur noch einmal, als die Westmächte im verbündeten Stalin den russischen Lincoln würdigten, der alle Entrechteten befreit und ihre Menschenwürde ein für alle Male sichert.

Ausgerechnet Stalin! Aber davon möchten sie heute nichts mehr wissen, nicht an gemeinsame, unübersichtliche Vergangenheiten erinnert werden. Nichts mehr davon, dass Russland dazu verhalf, zwei Male sich siegreich zu behaupten und schließlich 1989 die Spaltung Europas in Ost und West zu überwinden.

Fernes, fremdes Reich des erlösungsbedürftigen Ostens

Dieses Russland, das mehrfach europäische Verantwortung getragen hat, ist nun wieder - wie 1917 oder 1947 - die antiwestliche Macht und damit der Feind schlechthin.

Es bleibt für Westler eben ein fremdes, fernes Reich des erlösungsbedürftigen Ostens, das seine Bewohner daran hindert, endlich Mensch zu werden, zum Wohlstand ebenso aufzuschließen wie zur Aufklärung, den Obrigkeitsstaat abzuschütteln. Selbst dessen Härte und Terror war keine russische Erfindung

So wurde der Kommunismus als genuin europäische und sehr deutsche Idee eingeführt, mit aller Kraft und viel Gewalt die Europäisierung Russlands zu vollenden. Schon vorher sind es französische Revolutionäre gewesen, welche die erstaunten Europäer – unter ihnen Russen – mit Schreckensherrschaft bekannt machten. Und nur mit russischer Hilfe gelang es nach langen Kriegen die französische Vormacht zu beenden.

1814 war Russland der Befreier. Damals gab es noch die Vorstellung eines Europa von Gibraltar bis zum Ural. Deshalb kam es auf dem Wiener Kongress zu einer europäischen Friedensordnung. Sie ging nach dem Ersten Weltkrieg unter, weil die westlichen Sieger kein Interesse mehr an ihr hatten.

galabolchoi1_badenbaden.jpgUrkatastrophe des alten Kontinents - Europa verlor sich

Sie schwärmten vom Westen, vom transatlantischen Bündnis unter Führung der USA. Damals verlor sich Europa, das seither überhaupt keine Vorstellung mehr davon hat, was es sein kann und will. Das ist die Urkatastrophe des alten Kontinents, wenn dies keine Redensart sein soll.

Ohne Russland ist Europa unvollständig, nicht geeint. Wenn es nur noch Westen sein will, gibt es sich auf. Davor möchte das europäische Russland das übrige Europa bewahren. Die wirklichen Europäer sind die Russen - wie 1814.

Denn sie halten weiterhin an dem überlieferten Grundsatz fest, das Übergewicht einer Macht zu verhindern. Darauf beruhte stets die Balance mehrerer, unterschiedlich verfasster Staaten in Europa, früher von der Sowjetunion auch "friedliche Koexistenz" genannt. Ohne Not haben sich die Staaten der EU von diesem Konzept verabschiedet.

Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a.: "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".