Ok

En poursuivant votre navigation sur ce site, vous acceptez l'utilisation de cookies. Ces derniers assurent le bon fonctionnement de nos services. En savoir plus.

mercredi, 18 janvier 2012

Der beste Feind der Moderne

Der beste Feind der Moderne

Zum 80. Geburtstag des Publizisten und Literaturwissenschaftlers Hans-Dietrich Sander

von Arne Schimmer

Ex: http://www.hier-und-jetzt-magazin.de/

grenzgaenge.jpg„Man könnte über diesen ‚nationalen Dissidenten‘ achselzuckend hinweggehen, wenn nicht ein bestimmter Ton aufmerksam machen würde – ein Ton, der junge Deutsche in der Geschichte immer wieder beeindruckt hat. Konsequent, hochmütig und rücksichtslos – der Kompromiß wird der Verachtung preisgegeben. Mit den ‚feigen fetten Fritzen der Wohlstandsgesellschaft‘ will Sander nichts zu tun haben. Das bringt ihn Gott sei Dank in einen unversöhnlichen Gegensatz zur großen Mehrheit der Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Was verhütet werden muß, ist, daß diese stilisierte Einsamkeit, diese Kleistsche Radikalität wieder Anhänger findet. Schon ein paar Tausend wären zuviel für die zivile parlamentarische Bundesrepublik.“ Diese Zeilen stammen aus einem Porträt über Hans-Dietrich Sander, das einer der besten Köpfe der deutschen Linken, der frühere SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz, im Jahr 1989 schrieb und in sein Buch Die deutsche Rechte – eine Streitschrift aufnahm. Die Faszination, die für Glotz von Sander ausging, ist auch in späteren Aufsätzen des leider schon im Jahr 2005 verstorbenen SPD-Vordenkers zu spüren, in denen immer wieder Sanders Name erwähnt wird. Glotz gehörte zu den wenigen Intellektuellen, die Sander sofort als geistige Ausnahmeerscheinung auf der deutschen Rechten wahrnahmen; vielleicht empfand er, der seine Autobiographie Von Heimat zu Heimat –Erinnerungen eines Grenzgängers nannte, eine gewisse Verwandtschaft mit Sander, der als junger Mann ein Wanderer zwischen Ost und West, zwischen den Systemen war.

Sander wurde am 17. Juni 1928 im mecklenburgischen Grittel geboren und studierte in West-Berlin Theologie, Theaterwissenschaften, Germanistik und Philosophie, bevor er 1952 unter dem Einfluß von Bertold Brecht in den Ostteil der Stadt wechselte und sich dort offen für den Kommunismus engagierte, was zum Entzug seines Stipendiums an der Freien Universität führte. Schon zuvor hatte Sander in den Jahren 1950/51 eine zweijährige Hospitanz bei Brechts Berliner Ensemble absolviert, später schrieb er Kritiken für die Zeitschrift Theater der Zeit und arbeitete bis 1956 als Dramaturg im Henschelverlag.

Rückkehr in den Westen

Im Dezember 1957 wechselte Sander dann wieder in den Westen nach Hamburg, um dort in der Redaktion der Tageszeitung Die Welt zu arbeiten. Bei seiner Rückkehr bemerkt Sander bei den Westdeutschen mit Entgeisterung eine Mentalität, die er in der autobiographischen Skizze, die sein Buch Der nationale Imperativ beschließt, auf den Nenner „Wir sind zu allem bereit, wenn man uns nur in Ruhe läßt“ bringt. Daß Sander sich trotzdem in zwei Phasen zwischen 1958 und 1962 und 1965 bis 1967 bei der Welt hält, ist nur der schützenden Hand des Chefredakteurs Hans Zehrer zu verdanken, der schon in der Weimarer Republik mit der von ihm herausgegebenen Tat der vielleicht einflußreichste Publizist aus dem Umfeld der „Konservativen Revolution“ war. Nach dem Tod Zehrers muß Sander seinen Hut bei der Welt nehmen und ist nun endgültig nationaler Dissident im eigenen Land. Es folgen eine Promotion bei Hans-Joachim Schoeps in Erlangen über Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie sowie die Fortsetzung seines langen Briefwechsels mit Carl Schmitt. Es ist die Hochzeit des „Kalten Krieges“, aber Sander sieht unter den Trümmern der universalistischen Konzepte die Nation aus den Tiefen der Völker wieder aufsteigen. In der im Zuge des Durchbruchs der Massenkonsumgesellschaft sich vollziehenden Transformation des Staates hin zu einer Dienstleistungsagentur erblickt Sander eine garstige „liberale Restauration“, die das Volk zu einem vom Staatsleben sich abwendenden „Privatpöbel“ (Karl Marx) herabsinken läßt. Die auch von Peter Glotz gerühmte Sensibilität Sanders wird insbesondere beim Blick auf seine Dissertation Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie deutlich. Die zweite, 1974 erschienene Auflage erweitert Sander um drei Exkurse, in denen er unter anderem den „ortlosen Marxismus“ und die „Krisis des Sehens“ behandelt. Schon vier Jahre bevor Jean Baudrillard seinen postmodernen Klassiker über die Agonie des Realen veröffentlicht, konstatiert Sander, daß Kunst und Religion als „primäre Gebilde, die den Bereichen unserer Herkunft ihre Seinsbestimmung gegeben haben“ in einem Ozean der selbstbezogenen Kommunikation und Reflexion untergegangen sind. Nichts in der entzauberten Welt weist über sie selbst hinaus, kein Gott und kein Nomos; es ist eine Welt der vollkommenen Immanenz, die Sander mit Stefan George als eine der „vollendeten Zersetzung“ begreift. Den Prozeß des Verfalls der Transzendenz in der Moderne, der für Sander „urwüchsig und total“ ist, untersucht er in seiner 1988 erschienenen Schrift Die Auflösung aller Dinge. Dieser ist für Sander das Ergebnis einer Kette von Entortungen, die mit der durch ihre Vertreibung erzwungenen Diasporaexistenz der Juden in Gang gesetzt wurde und schließlich in der Moderne kulminierte. Die moderne Welt bringt statt substantiell-personaler bloß noch funktionale „Identitäten“ hervor, die im Dienst einer Gesellschaftsmaschine stehen, die ihrerseits von blinden Bedürfnissen bewegt wird. Der moderne Verbrauchs-„Staat“, der nach Sander gerade die eigentlich vom Staat zu lösenden Aufgaben verfehlt, mißachtet als sozialistischer ebenso wie als kapitalistischer Formprinzip und Repräsentation; er ist „auf Bedürfnissen aufgebaut, die identisch sind mit dem Nichts. Ihr fatalistisches Ziel ist ein sich selbst regierender, selbst regulierender Ablauf von Wirtschaftsprozessen. Mit einem Automaten aber ist keine persönliche, politische, ideologische, keine vernünftige Verbindung möglich“, wie Hugo Ball schon 1924 in einem Aufsatz für die katholische Zeitschrift Hochland über Carl Schmitts Politische Theologie bemerkte.

Herausgeber und Chefredakteur der Staatsbriefe

318Z1nWadlL._SL500_AA300_.jpgWährend Sander in Büchern wie Marxistische Ideologie und allgemeine Kunsttheorie oder Die Auflösung aller Dinge seinen Warnungen vor einer Welt, die nur noch in Funktionalitäten aufgeht, eher die Form kultur- oder literaturwissenschaftlicher Begrifflichkeiten gibt, trägt er seine Argumentation ab 1990 als Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift Staatsbriefe in einem staatsphilosophischen und politischen Kontext vor. Die Staatsbriefe erscheinen in zwölf Jahrgängen bis zum Dezember 2001; ihr Titelblatt ist immer von einem Oktagon auf grauem Grund geschmückt; dem Grundriß des apulischen Castel del Monte des Stauferkaisers Friedrich II. Wie Ernst Kantorowicz sieht Sander in Friedrich II. den Kaiser der deutschen Sehnsucht, dem es gelang, binnen weniger Jahre das sizilische Chaos zum Staat zu bändigen, die Einmischung des Papstes in innere Angelegenheiten zu beseitigen, die Macht der widerspenstigen Festlandsbarone und Verbündeten Roms zu brechen und ihren gesamten Burgenbestand zu übernehmen und ein straffes, nur ihm verantwortliches Beamtenkorps zu schaffen. Als Einzelner stieß Friedrich II. das Tor zur Neuzeit weit auf – Jahrhunderte, bevor diese wirklich begann. In seinem Genius bündelt sich für Sander all das, was auch heute einem sich selbst absolut setzenden Liberalismus und den von ihm ausgelösten Niedergangsprozessen entgegenzusetzen ist, nämlich die Fähigkeit zur Repräsentation, juristische Formkraft und die Möglichkeit zur Dezision, die politisch-theologischer Souveränität entspringt. Wo die letztgenannten Elemente fehlen, wächst nach Sander die Gefahr der Staatsverfehlung, die in den verschiedenen Formen des Totalitarismus der Moderne gipfelte. Freilich rechnet Sander auch den Liberalismus bzw. Kapitalismus amerikanischer Prägung zu den Formen totalitärer Macht, da er genauso wie Kommunismus und Nationalsozialismus das Ganze von einem Teil her definiere, woraus eine begrenzte Optik resultiere, mit der keine dauerhafte Herrschaft begründet werden kann. Wo im Nationalsozialismus und Kommunismus sich die jeweilige Staatspartei als Teil für das Ganze setzte, wird der Globalisierungsprozeß einseitig von den amerikanischen Wirtschaftsinteressen her gesteuert. Dies hat nach Sander fatale Folgen, die er in einem Aufsatz aus dem Jahr 2007 mit dem Titel Der Weg der USA ins totalitäre Desastre wie folgt beschreibt: „Die USA drangen in die gewachsenen Kulturen ein, lösten die Volkswirtschaften nach und nach auf, zwangen die Völker in politische Strukturen, die zu ihnen nicht paßten, und stellten sie durch beständige Einwanderung in Frage. Schließlich wurde die These laut, die Völker seien nur eine Erfindung der Historiker gewesen. Ist das nicht etwa Völkermord?“ Nein, es kann kein Zweifel bestehen, für Sander ist die Emanzipation des Politischen aus der Ordnung des Staates keine Errungenschaft, sondern ein Verhängnis.

Zwei Neuerscheinungen

Sowohl Sanders kulturwissenschaftliche Arbeiten wie auch seine politische Publizistik sind mit der Raffinesse des Dramaturgen geschrieben. In seinen Leitartikeln für die Staatsbriefe gelingt es ihm immer wieder, dem Leser mit großer Artistik und Plastizität politische Konstellationen und die in ihnen handelnden Charaktere vor die Augen zu führen. Sander ist einer der letzten großen Anreger unter Deutschlands Autoren, er vermag den Leser für die Staatslehren Carl Schmitts und Hermann Hellers, die Kosmologie eines Otfried Eberz, den Begriff der „Aura“ bei Walter Benjamin oder für Preußen als die „Polis der Neuzeit“ zu interessieren. Er ist der Autor von fußnotenschweren Standardwerken über die Literaturgeschichte der DDR oder die marxistische Kunstauffassung ebenso wie von kurzen Aufsätzen, die den Kern eines Problems offenzulegen, den Nerv einer Sache treffen. Seine „Kleistsche Radikalität“ ist für den wohl gedanklich weitesten wie auch tiefgehendsten ordnungspolitischen Entwurf verantwortlich, den die deutsche Rechte seit 1945 hervorbebracht hat. Während man einen Armin Mohler noch als letzten Vertreter der „Konservativen Revolution“ bezeichnen kann, sprengt Sander, der im Gegensatz zu Mohler eher an das Preußentum und die Reichsidee anknüpft, alle Kategorien. Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag am 17. Juni sind nun zwei Neuerscheinungen anzuzeigen, die sich dem Jubilar auf unterschiedlichen Wegen nähern. Da ist zum einen die von Heiko Luge herausgegebene Festschrift Grenzgänge – Liber amicorum für den nationalen Dissidenten Hans-Dietrich Sander zu nennen, die schon durch die enorme Bandbreite ihrer Beiträger etwas über den enormen Wirkungskreis der Sanderschen Arbeiten verrät. Unter den Autoren der im Ares-Verlag erschienenen Festschrift finden sich unter anderem Peter Furth, Günter Zehm, Bernd Rabehl, Thorsten Hinz, Björn Clemens, Werner Bräuninger und Günter Maschke. Im Verlag Edition Antaios erscheint dann Ende Juli der Briefwechsel Sanders mit Carl Schmitt, der mit mehr als 300 getauschten Briefen zu den größten noch unveröffentlichten Korrespondenzen Schmitts zählt. Deutet das Erscheinen zweier so ambitionierter editorischer Projekte zu Leben und Werk Sanders auf eine Renaissance des Gelehrten hin, um den es seit der Einstellung der Staatsbriefe Ende 2001 etwas ruhiger geworden war? Zu wünschen wäre es, denn die Erkenntnis wächst nach wie vor an den Rändern, nicht in der saturierten Mitte.

Heft 11/08 – „Der beste Feind der Moderne“ von Arne Schimmer, S. 10 bis 13