Gespräch mit Professor Dr. Bernd Rabehl, einst engster Vertrauter des Studentenführers
(Oktober 2004)
Ex: http://sachedesvolkes.wordpress.com/
Ein Interview mit Bernd Rabel aus dem Jahr 2004. Veröffentlicht in der Nationalzeitung.
Im Dezember 2004 jährt sich der Todestag Rudi Dutschkes zum 25. Mal. Zum 20. Jahrestag seines Todes hatten Grüne, SPD und PDS im Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen, Dutschkes Grab auf dem Zehlendorfer St. Annen-Friedhof zum Ehrengrab zu erklären. Alle drei Parteien würden Dutschke gerne ihrer Ahnengalerie hinzufügen. Das dürfte kaum mehr möglich sein, seit Professor Dr. Bernd Rabehl, ehemals engster Vertrauter des Studentenführers, in seiner 2002 erschienenen Dutschke-Biografie „Rudi Dutschke – Revolutionär im geteilten Deutschland“ dargestellt hat, wie Dutschke dachte und fühlte. Rechtsanwalt Gerhard Frey hat mit Professor Rabehl gesprochen.
„Man würde ihn gerne vereinnahmen“
Herr Professor Rabehl, wie wird das bundesdeutsche Establishment mit dem 25. Todestag Rudi Dutschkes umgehen, nachdem Sie mit Ihrer Dutschke-Biografie klarstellten, dass sein Hauptinteresse nicht dem Internationalismus, sondern der deutschen Frage galt?
Rabehl: Man würde ihn ja gerne vereinnahmen und aus Dutschke einen Helden der Sozialdemokratie oder einen Legendenmann der Grünen machen. Aber das wird nicht gelingen. Deshalb habe ich die Biografie geschrieben – damit er nicht vereinnahmbar ist für eine Partei ohne Tradition und ohne Persönlichkeiten.
Wurde in den anderen Werken über Dutschke dessen nationale Einstellung aus Ihrer Sicht bewusst unterschlagen?
Rabehl: Es war den Autoren einfach peinlich. Wobei Michaela Karl in ihrer Dissertation „Rudi Dutschke – Revolutionär ohne Revolution“ schon darauf hinweist. Die anderen wollten das nicht. Das war ein Thema, das ihnen nicht passte.
Die „taz“ sieht in Ihnen, Herr Professor Rabehl, einen deutlichen Beleg für die „dunkle Seite der deutschen 68er“. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?
Rabehl: Ich bin darüber erstaunt. Wieso dunkle Seite? Das ist eigentlich die typische Seite.
Das ist manichäistisch gedacht: Hie die Guten, da die Bösen – und Sie gehören zu den Bösen.
Rabehl: Klar. Aber das ist Quatsch.
Sie waren am Tag des Attentats auf Dutschke, dem 11. April 1968, an dem Marsch auf den Springer-Konzern in Berlin maßgeblich beteiligt. Ein Agent provocateur des Verfassungsschutzes, Peter Urbach, verteilte damals Molotowcocktails, mit denen dann Fahrzeuge angezündet wurden. Hat die Kriminalisierung der Revolte das Genick gebrochen?
Rabehl: Urbach hat eine Tendenz unterstützt, die schon da war. Es war eine Gewalttätigkeit da, auch eine Verzweiflung. Man wollte aus dem legalen Rahmen ausbrechen. Und ich glaube, diese Tendenz, die man sicherlich im Verfassungsschutz diskutiert hat, hat der Urbach provokativ eingesetzt, um die APO in diese Richtung zu drängen – was auch gelungen ist.
Meinen Sie, dass Urbachs Chef, der Berliner Innensenator, der damals auf dem Dach des Springer-Hochhauses stand, über die Aktion, die unten ablief, informiert war.
Rabehl: Ich vermute, ja.
„Der KGB trachtete ihm nach dem Leben“
Rudi Dutschke war davon überzeugt, dass der sowjetische oder der DDR-Geheimdienst hinter dem Attentat auf ihn stand. Teilen Sie diese Auffassung?
Rabehl: Ja, ich teile diese Auffassung. Ich habe in den Akten eine entsprechende Anfrage eines Verfassungsschutzmitarbeiters gefunden. In der Stellungnahme eines Stasi-Offiziers heißt es dazu: Nach unseren Kenntnissen sind wir mit dieser Sache nicht befasst. Man vermutete dahinter offenbar die Sowjetunion, den KGB. Dutschke muss einen Hinweis darauf gehabt haben, dass der sowjetische Geheimdienst dahinter steckte. Man trachtete ihm nach dem Leben, weil sich bei ihm der Zorn gegen den Despotismus entwickelte.
„Er hat sich mit Thomas Müntzer identifiziert“
Rudi Dutschke hat geschrieben, er sehe keinen Gegensatz zwischen Christentum und Sozialismus. Er war auch christlich geprägt. Wie stand er zur Gewalt? Hat er sich wirklich immer von terroristischen Aktionen klar abgegrenzt?
Rabehl: Er hat sich mit Thomas Müntzer identifiziert, dem Anführer im Bauernkrieg, Gegenpol Martin Luthers. Da hat Dutschke schon mit der Gewalt geliebäugelt. Aber die APO sollte nach seiner Ansicht darauf achten, die Legalität zu wahren, denn sie konnte sich mit dem Staatsapparat nicht anlegen. Sozusagen an der Grenze der Legalität, aber in deren Rahmen. Das war diese komplizierte Dialektik von Legalität und Illegalität. Dutschke hat dann auch die Unterscheidung entwickelt: Gewalt gegen Sachen ja, aber nicht gegen Personen. Das war natürlich reine Scholastik. Aber man merkt: Er wollte eigentlich diesen Schritt nicht machen.
Was war denn aus Ihrer Sicht das Besondere an Dutschkes deutschem Weg zum Sozialismus?
Rabehl: Einmal sein radikaler Antisowjetismus, der sich entwickelte und nach dem Attentat besonders stark wurde. Dann sein Bezug auf die Bibel – er war Christ unter Atheisten – und der Versuch, aus der deutschen Geschichte, auch gerade aus der Thomas-Müntzer-Geschichte, Gemeinschaften anzudenken, die in Deutschland als Alternative entstehen sollten.
Rudi Dutschke und Sie waren an der Konzipierung einer grünen Partei beteiligt. Was würde Dutschke Ihrer Meinung nach zu den heutigen Grünen sagen?
Rabehl: Die heutigen Grünen sind eine Art FDP, Liberale. Sie repräsentieren die Staatsanwälte, Richter, Advokaten, Architekten, die aus ’68 hervorgegangen sind und einen hohen Lebensstandard genießen. Außerdem sind sie eine proimperialistische Partei geworden, die sich für Israel und vor allem die USA einsetzt und die nicht Rechenschaft darüber gibt, warum ihr Antiimperialismus plötzlich in Proimperialismus umgeschlagen ist. Auch ist zu vermuten, dass einige der Akteure schlicht gekauft wurden.
Aber dagegen, dass die Grünen Liberale seien, spricht, dass sie die Bannerträger der zunehmenden Tabuisierung sind, die Sie beklagen.
Rabehl: Das hat ja nichts mehr mit dem ursprünglichen Liberalismus zu tun. Die Grünen sind liberal im FDP-Sinn: eine Position zu besetzen, die einen bestimmten akademisch-intellektuellen Mittelstand repräsentiert. Die Grünen wollen die Rolle der FDP übernehmen, sowohl als Zünglein an der Waage als auch hinsichtlich der Klientel.
„Katastrophal, wie man mit Hohmann umgegangen ist“
In jüngster Zeit haben Sie den Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann verteidigt. Was hat Sie bewogen, für ihn einzutreten?
Rabehl: Dass er einer Hetze ausgesetzt war. Er hat die Frage jüdischer Täter in der Tscheka und im KGB und die Rolle von Juden in der bolschewistischen Revolution diskutiert, wie darüber ja auch in Russland selbst diskutiert wird, von Solschenizyn besonders. Und ich fand die Art und Weise, wie man mit Hohmann umgegangen ist, katastrophal.
Rudi Dutschke ging nach dem Motto vor: “Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen.“ Ist Provokation in der gegenwärtigen Zeit fortschreitender Tabuisierung nicht ein besonders naheliegendes und reizvolles Mittel? Oder sind die Strafen zu drastisch, die dann ausgeteilt werden?
Rabehl: Man muss provozieren, weil alles so zugedeckt ist, dass bestimmte Sachen gar nicht mehr reflektiert werden können. Es sind so viele Tabus aufgebaut worden, dass man über einige Themen gar nicht mehr nachdenken kann. Man muss diese Tabus brechen, um überhaupt einen Raum zu finden, darüber zu sprechen. Gleichzeitig ist die Bestrafung besonders einschneidend: Gerüchte entstehen, Denunziationen werden veranstaltet, die einen kaputtmachen sollen.
Also eine schwierige Gratwanderung. Aber die Maxime “Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen“ ist nach wie vor zutreffend?
Rabehl: Ja, genau.