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mercredi, 25 septembre 2013

Der Tod des “Behemoth”

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Der Tod des “Behemoth”

Bernd Rabehl
 
Ex: http://berndrabehl.wordpress.com
 

Geheimtipp

bernd rabehl,théorie politique,sciences politiques,politologie,philosophie,béhémoth,leviathan,carl schmitt,lénine,rudi dutschkeBei der Rezeption der politikwissenschaftlichen Theoriegeschichte nach 1968 kam niemand an den Gutachten und Theorieentwürfen von Carl Schmitt vorbei. Dieser Grenzgänger zwischen bürgerlicher Demokratie und Diktatur hatte durchaus Berührungspunkte mit Karl Marx und W. I. Lenin. Allein sich zu bemühen, einen „Begriff des Politischen“ im Zeitalter der Krisen, Revolutionen und Weltkriege zu entwerfen, der den Ausnahmestaat oder „Sondergesetze“ zum Inhalt hatte, erinnerte an die vielfältigen, marxistischen Diskussionen über den Charakter und das Ziel der „Diktatur des Proletariats“. Schon deshalb gehörte Carl Schmitt zur geheimnisvollen „Theoriegeschichte“, die in den sechziger und siebziger Jahren im Zentrum der akademischen und politischen Diskussionen stand.

Die Übergänge und Umbrüche einer Studentenrevolte, die die unterschiedlichen, historischen Ideologien aktualisiert hatte, nahm irgendwann die vielfältigen Themen der „Diktatur“ im Marxismus auf und aktualisierte sie. Die Massnahmen der Reformuniversität und die Bildungspolitik einer Sozialliberalen Koalition lenkten zu Beginn der siebziger Jahre die Diskussionen auf die Realität des Bildungs-, Sozial- und „Notstandsstaates“. Der dissidente Marxismus, den die jüdische Emigration nach 1945 an die westdeutschen Universitäten, vor allem nach Frankfurt/Main und an die FU gebracht hatte, beeinflusste die einzelnen Exponenten der Studentenbewegung und ihrer Nachgänger, sich mit der Bedeutung der Marx’schen Kapitaltheorie und mit den „politischen Schriften“ des Marxismus zu befassen. Es entstand nach 1970 ein Interesse an der theoretischen „Rekonstruktion“ des Marxismus von Marx, Lenin, Trotzki, Stalin u. a.. Eine Marxismusrenaissance öffnete den Blick für die europäische Sozialgeschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts.

Diese Theoriewendungen erklärten sich aus der Radikalisierung einer Studentenrevolte, die sich sehr bald zwischen den Extremen des illegalen Partisanenkrieges der RAF und des sozialdemokratischen Reformismus bzw. der kommunistischen „Realpolitik“ der DDR und der neu zugelassenen DKP auflöste. Ein derartige Kampf der „Linien“ fand sein Echo im inneruniversitären Streit zwischen den unterschiedlichen Theoriefraktionen des Neomarxismus, der Kulturtheorie und der „bürgerlichen Soziologie“. Er wurde zwischen den „alten Professoren“ und den neuen Dozenten, Assistenten und „Zeitprofessoren“ ausgetragen und gehörte zugleich zu den Streitpunkten der Studenten und Assistenten, die sich den unterschiedlichen kommunistischen Gruppen angeschlossen hatten. Die Reformuniversität hatte die Ziele einer „Kulturrevolution“ und Studentenrevolte in die Lehre und Forschung übersetzt und dadurch entschärft und entpolitisiert. Dem „theoretischen Radikalismus“ wurde die Praxis und die „revolutionäre Aktion“ genommen. Er fand Platz in den theoretischen Disputen und Streitigkeiten der unterschiedlichen „Kader“ an der Universität und verlor im akademischen und studentischen Milieu trotzdem die Schärfe, zur „politischen Entscheidung“ zu drängen. Dieser Radikalismus, der für die Sozialwissenschaften bisher vollkommen fremd war, befruchtete und „ideologisierte“ die sozialwissenschaftliche Debatten in den unterschiedlichen „Fachbereichen“ der westdeutschen Universitäten und der FU.

Die entstehende „Massenuniversität“ nahm die Widersprüche der Gesellschaft und des geteilten Europas auf. Die neuen Lehrkräfte hatten den wachsenden Zugang von Studenten pädagogisch zu „verarbeiten“ und sie erweiterten das Lehrangebot durch die skizzierten, neuen Themen. Über den „Marxismus“ nahm zugleich die Propaganda und die „grosse Ideologieindustrie“ der DDR Einfluss auf die Sozialwissenschaften. Die unzähligen „Kapitalkurse“ wurden ergänzt durch die Themen der Sozialpsychologie, der Familiensoziologie, der Sozialgeschichte, des „Faschismus in seiner Epoche“, der Staatstheorie und durch die DDR – Forschung bzw. durch den „Systemvergleich“. Die Gegenüberstellung der Marx’schen Staatsauffassung mit der Max Weber’schen Herrschaftssoziologie öffnete die Diskussionen hin zu W. I. Lenins „Staat und Revolution“ und zu Antonio Gramscis Interpretation von Machiavelli und der Sicht des „virtu“ und der „Hegemonia“, die die Legitimation von Opposition und Staat begründen sollten. Plötzlich wurden die Arbeiten von Carl Schmitt entdeckt und interessant, der zwar als Parteigänger der Militärdiktatur und der NS – Herrschaft galt und durch Georg Lukacs, Herbert Marcuse und Karl Löwith den Makel des Zerstörers der Demokratie und der „Vernunft“ erhalten hatte, trotzdem in seiner Charakterisierung des demokratischen „Parlamentarismus“, des „Politischen“ und der Fragen der „Legitimation“ von Staat und Opposition die Fragen ansprach, die durch Marx, Lenin und Gramsci nicht gelöst wurden: Wie gelang es der Staatsmacht oder einer „Führerpartei“, die Massen für die eigenen Ziele zu gewinnen und zu begeistern? Inwieweit gehörten die Feindmobilisierung, die „Ausnahmegesetze“ und die „Entscheidungsfähigkeit“ einer Regierung zur Grundlage der modernen „Staatlichkeit“? Konnte eine „ausserparlamentarische Opposition“ eine hegemoniale „Macht“ in den jungen Generationen entfalten und sich in einer „feindlich gesinnten Gesellschaft“ durchsetzen?

Radikalität und Faschismus

Aber nicht nur von der marxistischen Staatstheorie her wurde auf Carl Schmitt aufmerksam gemacht. Ralf Dahrendorf und Jürgen Habermas, die die soziologische Zwischengeneration zwischen der „jüdischen Emigration“, den ehemaligen „Wehrmachtsoffizieren“ und Professoren an der Universität, dem „Widerstand“, der soziologischen „Klassik“ und den neuen Dozenten verkörperten, diskutierten in den sechziger Jahren die westeuropäische und die deutsche Demokratiegeschichte. Habermas benutzte in seiner Darstellung von „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ sogar die Schmitt’sche Parlamentarismuskritik und inspirierte eine rebellische Studentenschaft in ihrer Kritik der Parteienpolitik des Bundestages, der Medienkonzerne und der Rolle des Springerkonzerns in der Öffentlichkeit und der Gesellschaft. Über Schmitt wurde die Demokratiekritik radikalisiert und sie gewann in diesen Kreisen eine „anarchistische“ Interpretation. Habermas vollzog als „Vorbild“ und Ideengeber der Revolte im Juni 1967 deshalb einen Positionswechsel, indem er die Frage des „Linksfaschismus“ in die Debatte warf und von der Zerstörung der Errungenschaften der „europäischen Rationalität“ durch die unterschiedlichen Fraktionen der Studentenrevolte warnte.

Rudi Dutschke war für ihn ein typischer Vertreter des Neoanarchismus und des „Linksfaschismus“. Habermas wandte sich schnell dem Hegel’schen Staatsidealismus zu und benannte die „Notwendigkeit“ der Kommunikation und des sozialen Ausgleichs als Ausdruck des „positiven Rechts“ und der progressiven „Staatlichkeit“. Von Carl Schmitt wechselte er zum Rechtspositivismus von Hans Kelsen, dem theoretischen Gegner von Schmitt. Habermas entsprach dadurch dem Zeitgeist, die Politik der Sozialliberalen Koalition mit dem Auftrag der westlichen Zivilisation zu verbinden, sich gegen den „Extremismus“, gegen den östlichen „Sozialismus“ und gegen die faschistische bzw. nationalsozialistische Vergangenheit zu behaupten. Carl Schmitt stand plötzlich bei den „Marxisten“, bei der „Kritischen Theorie“ und innerhalb der „bürgerlichen Soziologie“ im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.

Carl Schmitts Werk schien eine Parallelität in den Arbeiten von W. I. Lenin zu besitzen Dieser hatte in „Was tun“ und in der Schrift über den „Imperialismus“ den bolschewistischen Politikbegriff gegen die Sozialdemokratie und gegen den Liberalismus entworfen. Eine „Verfassungslehre“ wurde in den Schriften über „Staat und Revolution“ und über die Notwendigkeit des „Kriegskommunismus“ sichtbar. Die Schriften und Polemiken über den „Linksradikalismus“ als „Kinderkrankheit des Kommunismus“ enthielten Fragestellungen der Kritik der „politischen Romantik“ und der „Theologie“ bei Carl Schmitt. Lenin arbeitete situativ und interpretierte jeweils den Stand der sozialen Revolution oder der Transformation der Diktatur nach den Massgaben einer Ideologie, die als Weltanschauung theologische und religiöse Merkmale besass. Ähnlich ging Carl Schmitt vor, indem er die unterschiedlichen Umbrüche von Staat und Gesellschaft, des Kaiserreichs, der Militärdiktatur nach 1916, der Revolution und der Konterrevolution zwischen 1918 und 1923, der Weimarer Republik, der Notverordnungsdiktaturen 1930/1933, der Hitlerdiktatur 1933/1945, der Besatzungsdiktatur 1945/49 und der Bundesrepublik ab 1949 interpretierte, analysierte und „repräsentierte“. Als Gutachter und Jurist und als Vertreter des Ausnahmestaates rechtfertigte Schmitt jeweils die autoritären Eingriffe des zentralen Staates, die die Entscheidungsgewalt und die Souveränität des Staates begründen sollten.

Lenin und Schmitt waren durchaus vergleichbar. Lenin setzte sich für die zentrale Macht einer Diktatur und eines Planstaates ein, der sich allerdings aus der asiatischen Tradition des russischen Zarismus und des Polizeiterrors ableiten liess. Carl Schmitt begründete als katholischer „Konterrevolutionär“ den Ausnahmestaat und die Militärdiktatur, die jeweils den Bürgerkrieg beenden oder über die zentrale Entscheidungsgewalt in der Gesellschaft verfügen sollten. Schmitt diskutierte das geltende Recht als Machtfaktor. Für Lenin bildeten die zentralistische Partei und das hierarchische Entscheidungsprinzip von oben nach unten den Ausgangspunkt, Staat und Gesellschaft als Medium der Intervention der Berufsrevolutionäre einzuschätzen. Der Katholik Schmitt näherte sich ab 1933 dem nationalsozialistischen Führerstaat an und war von den Werten der NS – Ideologie beeindruckt. Nach Nikolai Berdjajev und nach Ernst Nolte inspirierte die bolschewistische Revolution und Politik den europäischen Faschismus und beeindruckte über Hans Rosenberg und Joseph Goebbels den Nationalsozialismus. Schmitt als Vertreter der katholischen Ordnungsprinzipien dieser Zeit verringerte durch seine Begeisterung für die NS – Ideologie die Distanz zum atheistischen Bolschewismus. Er blieb jedoch misstrauisch gegenüber dem „jüdischen Bolschewismus“. Wichtig war für ihn die „Diktatur“ als Ordnungsfaktor und Garant der sozialen und politischen Stabilität gegen die Entscheidungsunfähigkeit der parlamentarischen Demokratie und des Parteienstaates.

Die historischen Umbrüche und die juristische Anpassung Carl Schmitts an die neuen Aufgaben des Staates liessen sich mit der Gabe Lenins vergleichen, die politische Taktik der Bolschewiki auf die politische Lage zu orientieren. Ein derartiger Realitätssinn hatte vorerst nichts mit Opportunismus zu tun. Die „Verfassungslehre“, die Schriften über die „politische Romantik“, den „Parlamentarismus“ und die „Diktatur“, über den „Begriff des Politischen“, über die „Raumrevolution“ und über den „Nomos der Erde“ enthielten wie bei Lenin Ansätze einer modernen „Staatsphilosophie“, die vergleichbar wären mit den Arbeiten von Thomas Hobbes, Machiavelli, Hegel, Marx und Kelsen. Schmitt dachte über seine Zeit hinaus und entdeckte in Staat und Verfassung Tendenzen, die in die Zukunft wiesen. Schmitt argumentierte jedoch äusserst subtil „theologisch“ oder „ideologisch“. Als Advokat berief er sich auf die juristische Sprache und deutete die Gesetzeslage bzw. die Machtfaktoren, die in Recht und Verfassung sichtbar wurden.

Carl Schmitt als Ideologe und Wissenschaftler

Carl Schmitt hatte nach 1943 bereits deutlich gemacht, wie er sich selbst sehen wollte, welche Bedeutung und welche Grenzen er hatte. Nach seiner Überzeugung würde die deutsche Landmacht den „Weltbürgerkrieg“ verlieren und andere Verfassungsordnungen aus USA oder sogar aus Russland würden die deutsche Rechts- und Verfassungstradition überwinden und eine neue Politik und neues Verfassungsrecht begründen. Schmitt blieb bewusst, dass die neuen Welt- und Besatzungsmächte ihn zur Verantwortung ziehen würden. Er bereitete sich auf eine innere Emigration, auf einen „Prozess“ oder auf eine Haftzeit vor, denn er hatte in seinen Kommentaren und Rechtsgutachten drei gravierende Fehler gemacht, die das „universalistische Recht“ des Westens oder die „Prinzipien“ der Diktatur des Proletariats ihm ankreiden würden. Er hatte 1934 den Mord an seinen konservativen Freunden, General v. Schleicher, Edgar Jung und Klausner in der Schrift „Der Führer schützt das Recht“ gerechtfertigt. Sie wurden bei den Aktionen von GESTAPO unnd SS im „Röhmputsch“ umgebracht. Auf einem Kongress gegen das „Judentum in den Rechtswissenschaften“, den er in Berlin an der Universität organisiert hatte, hatte er 1936 den jüdischen Rechtsgelehrten jegliche Kapazität und Konsistenz abgesprochen und sie aus der deutschen Rechtstradion ausgeschlossen. Fast zum gleichen Zeitpunkt rechtfertigte er den „Führerbefehl“ und wollte ihn in das Strafgesetzbuch des Reiches aufnehmen, um den inneren „Feind“ direkt zu bekämpfen und zu liquidieren. Der Jurist Schmitt hatte die pure Willkür und den Staatsterror zum Prinzip des Führerstaates erhoben.

Jetzt, 1943, vollzog er einen Rückzieher und bereitete seine Verteidigung gegen die westlichen oder östlichen Ankläger vor. Nach seiner Überzeugung war der „wissenschaftliche Jurist“ kein „Theologe“ und kein „Philosoph“. Allerdings war er auch keine „blosse Funktion“ des „gesetzten Sollens“. Er wehrte sich gegen eine „subalterne Instrumentalisierung“. Gegen den philosophishen und theologischen Anspruch und gegen die Unterwerfung des Juristen zum „Funktionsträger“ und „Staatsdiener“ wollte er sich als „Wissenschaftler der Jurispondenz“ behaupten. Hier lag seine „geistige Existenz“. Er musste sich als Denker und Wissenschaftler bewähren, obwohl die unterschiedlichen Ordnungen, Machtwechsel und Staaten unterschiedliche Anforderungen an ihn stellten. In diesen „wechselnden Situationen“ wollte und musste er die Grundlagen eines „rationalen Menschseins“ definieren und feststellen. Die „Prinzipien des Rechts“ mussten in den Umbrüchen vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, von dieser Republik zur NS Diktatur und von der Diktatur zur Bundesrepublik  bewahrt werden. Zu diesen „Prinzipien“ zählte Schmitt die gegenseitige  Achtung und Anerkennung des Juristen und Wissenschaftler als „Person“. Der „Sinn für Logik“, die „Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen“,  der „Sinn für Reziprozität“ und für das „Minimum eines geordneten Verfahrens“ und einen „due process of law“, ohne den es kein Recht geben würde, sollten weitere Kriterien der objektiven Rechtsanwendung sein. Es kam ihm darauf an, den „unzerstörbaren Kern des Rechts“ zu erhalten. Darin lag die „Würde“ des Juristen, dieses „Minimum“ in allen Systemen und Staaten einzuklagen. (Carl Schmitt, in: „verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1985 (3. Auflage), S. 385, 442)

Schmitt selbst stellte sich als ein „situativer Denker“ vor, der je nach Lage, den Staat beriet und Gutachten anfertigte, jedoch auf „Objektivität“ und „Rechtsausgleich“ bestand. Dabei wollte er den „unzerstörbaren Kern des Rechts“ einhalten und sich je nach Institution um den rechtslogischen „Begriff“ und um die „Wiederholbarkeit“ und „Logik“ des Verfahrens kümmern. Neben der opportunistischen Anpassung an den Zeitgeit und die Macht des Staates musste der Jurist seine „geistige Existenz“ und seinen „Anspruch des Rechtsgelehrten“ verteidigen. Schmitt konnte, wurden diese Zeilen auf den juristischen Stand angewandt, als Exponent seiner Generation und der juristischen Wissenschaften erklärt werden. Der Seinsgrund seines Denkens entsprach dem politischen Wechsel und den unterschiedlichen Situationen. Trotzdem mussten die Widerstände nachweisbar sein, die der Jurist gegen die Willkür und den Staatsterror entwickeln würde. Mit vielen anderen Wissenschaftlern, Ideologen, Philosophen und Juristen genügte er jedoch dem Karriereangeboten der unterschiedlichen Staatsformen und wollte sich der jeweiligen Staatsmacht andienen. Zugleich musste er die unterschiedlichen Wendungen vor seinen wissenschaftlichen und moralischen Ansprüchen legitimieren, verarbeiten und interpretieren.

In den Arbeiten von Reinhard Mehring: „Carl Schmitt, Aufstieg und Fall, eine Biographie“, München 2009, Bernd Rüthers, Carl Schmitt im Dritten Reich, München 1990 und Heinrich Meier: „Die Lehre Carl Schmitts“, Stuttgart 1994, wurde dieser Selbstbespiegelung widersprochen. Allerdings wurde Carl Schmitt in Nürnberg nach 1945 freigesprochen. Ossip K. Flechtheim, amerikanischer Ankläger, Offizier und später Professor an der Freien Universität, zugleich Mentor und Beschützer des SDS, redete später davon, dass ein „Voltaire“ nicht in die Strafanstalt geschickt werden konnte. Schmitt wurde allerdings von der Lehrtätigkeit an einer Universität ferngehalten. Jacob Taubes, Philosophieprofessor und Religionswissenschaftler an der FU, nahm zu diesem konservativen Theoretiker und Juristen Schmitt Kontakte auf, um mit ihm die „Raumrevolution“ der Zukunft und die „Theorie des Partisanen“ zu diskutieren. Derartige Ideen erreichten den Republikanischen Club und den SDS.

Carl Schmitt erschliesst sich uns heute als Charakter und Generationstyp durch die soziale Herkunft, durch den sozialen Aufstieg, durch das Milieu und durch die Institutionen, in denen er sich bewegte und arbeitete. Die Verbindungen zum wohlhabenden Onkel und später zu den Vorgesetzten, Lehrern und Professoren gaben ihm Impulse und Orientierung. Die Freundes- und Kollegenkreise und der Einfluss der Mentoren und Ideengeber bezeichneten die Situation und den sozialen Hintergrund von Aufstieg.  Sie wurden bis auf Ausnahmen bei jedem Karriereschritt ausgetauscht und durch neue Kreise und Verbindungen ersetzt. Die Institution der Universität, des Staates oder des Militärkommandos, der Verbindungen oder der „Partei“ wiesen Hindernisse und Potentiale auf, die Schmitt jeweils erkennen musste, um sich behaupten zu können. Er musste allerdings seine Intelligenz, zugleich seine Anpassungsfähigkeit und seinen juristischen Geist als Gutachter und Textschreiber unter Beweis stellen. Primär durch Leistung, durch „geniale Ideen“, Fleiss und Beweisführungen, durch Anpassung und Subsumtion unter Personen und Ideen fand er die Anerkennung seiner Vorgesetzten und seiner Förderer und konnte dadurch den Weg nach oben nehmen. Diese Nähe zu den informellen Hierarchien und Entscheidungsträgern und die Leistungsfähigkeit des Juristen Schmitt erklärten den Aufstieg als Fachberater und Wissenschaftler, der als Gutachter bei den unterschiedlichen Gremien, Stabsstellen und später Regierungen oder Ministerien auftrat und als Porfessor Anerkennung finden konnte. Sowohl die kleinbürgerliche Herkunft und die künstlerische Begabung erzeugten bei Schmitt den „Willen“ und eine spielerische Bereitschaft, die unterschiedlichen sozialen und funktionalen Barrieren zu überwinden. Der „Drang“ in eine andere Schicht aufzusteigen, „richtiges Geld“ zu verdienen und zu Wohlstand zu gelangen, beschrieb eine wichtige Seite des Charakters dieses Juristen. Seine Intellektuellität und die Begabung, vor allem sein künstlerisches Talent, gaben ihm die Fähigkeit, Texte zu formulieren und Ideen zu entwickeln, die gut juristisch fundiert waren und hinausgigen über die Fachsprache oder die gängigen Dispute.

Diese Selbstbehauptung war typisch für Carl Schmitt. Dadurch entsprach er einer Zeitfigur, einem Typus von Juristen und Experten, einer bestimmten Physiognomie und „Maske“, die innerhalb der deutschen Intelligenz zwischen 1914 und 1945 und nach dem „Zeitbruch“ tausendfach zu finden war. Seine Begeisterung für die NS- Diktatur kam aus der Überzeugung einer funktionalen Intelligenz, dass die „nationale Revolution“ und die Ausschaltung der „Marxisten“ und „Juden“ den Weg an Universität und Staat für sie selbst freigab, in neue und lukrative Funktionen zu kommen. Ausserdem war er von der Durchschlagkraft dieser Führerdiktatur überzeugt, die eine Neuordnung Deutschlands und Europas einleiten würde. Die NS – Ideologie begeisterte und trug das Ziel, für eine längere Periode die neue Macht zu sichern. Dieser „Kulturbruch“ bzw. politische „Umsturz“ und die Öffnung der Staats-, Kultur- und Wissenschaftsapparate nach 1933 machten auch Carl Schmitt blind, das „Hintergründige“, das „Extreme“, den „Vernichtungswillen“, den Niedergang dieser Führerdiktatur oder die Niederlage im Krieg überhaupt zu bedenken. Er redete im NS – Jargon und steigerte sogar den Antisemitismus in die Überzeugung, dass ihm vorerst nichts passieren konnte. Er wurde deshalb zum willfähigen Diener dieser Diktatur, die zugleich die Grundlage seines Erfolgs abgeben sollte. Erst als die SS Professoren aus dem „Schwarzen Korps“ und der „Sicherheitsdienste“ ihm die Grenzen zeigten, und er an seinen „konservativen Katholizismus“ und an seine „Judenfreundlichkeit“ in „Weimar“ erinnert wurde, wurde er vorsichtig und er kehrte zurück zum subtilen und feinfühligen Opportunismus seiner frühen Jahre. Der juristische, wissenschaftliche Ansatz erlangte erneut ein Primat.

Die genialen Visionen, die Carl Schmitt entwickelte, kamen aus diesen Zeitbrüchen nach 1918 und nach 1942. Diese Weitsichten gaben ihm die Grösse der historischen Staatsphilosophen. Als Vertreter der Militärdiktatur setzte er auf einen zentralen Staat, der die eindeutige Befehlsgewalt über einen Generalstab oder über einen Präsidenten aufwies. Er kritisierte den Liberalismus und Parlamentarismus als Methode der Zersplitterung, des Zerfalls, der Relativierung, der Geheimdiplomatie und der Machenschaften der Cliquen und Klüngel und er hatte das Thema der „politischen Romantik“ und der „Lage des Parlamentarismus“ gefunden. Die Diktatur als Entscheidungsgewalt und Definitionsmacht des inneren und äusseren Feindes erlaubten ihm, eine „allgemeine Verfassungslehre“ und den „Begriffs des Politischen“ allgemein zu definieren. Schmitt nahm durch diese Schriften den Niedergang der Weimarer Republik vorweg. Nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad 1942 und nach der Landung der Westalliierten in Marokko und Sizilien wandte er sich der Thematik der „Landnahme“ zu. Die NS- Diktatur würde zerschlagen werden. Europa und vor allem Deutschland würde in der Zukunft von den Seemächten USA und England bestimmt werden. Sie würden die Grundlagen von Politik, Verfassung und Recht legen. Der „Nomos“ und die Theorie der „Raumrevolution“ erblickten das Licht der Welt.

Die Diktatur in der bürgerlichen Demokratie

Carl Schmitt musste primär als Jurist, Advokat und zugleich als ein moderner Denker gesehen werden, dessen Analysen noch heute aktuell sind, weil sie richtige Fragen aufwerfen. Dadurch bestätigte er die „Politisierung“ der Sozialwissenschaften. Ihre juristische Erschliessung konnte zwar ideologische Einflüsse nicht überwinden, trotzdem enthielt sie objektivierende Ansprüche und zeigte sich als Mittel und Methode, den Zustand von Staatsmacht, Recht und Verfassung zu ergründen. Wer würde sich in den Machtkämpfen durchsetzen? Worin lag das Ziel des Staates? Würde die finanzkapitalistische Weltmacht USA über die NS – Raummacht oder den realen „Sozialismus“ Russlands triumphieren oder würden nach dem weltpolitischen Sieg der USA neue Machtzentren, etwa in China sich herausbilden, die das Völkerrecht oder die internationale Raumpolitik umdefinieren würden?

Die theoretishen Denktraditionen und Vorbilder dieses Juristen sind deshalb zu benennen. Sie gipfelten nicht etwa nur in den Bezügen zu Machiavelli oder zum spanischen Konterrevolutionär Donosso Cortes. Schmitt entwickelte eine feinfühlige Marxismuskritik, die sich auf Max Stirner und auf die Lebensphilosophie von Soren Kierkegaard bezog. Schmitt übernahm die Kritik am „massiven Rationalismus“ der materialistischen Theorie, die alles Denken als Funktion und „Emanation vitaler Vorgänge“ auffasste. Durch diesen Rückzug auf logische, mathematische, naturwissenschaftliche und ökonomische „Gesetze“ und Vorgänge in der Gesellschaft schlug dieser Materialismus in eine „irrationale Geschichtsauffassung“ um. Sie blendete wichtige politische, humane und soziale Zusammenhänge aus. Sie wurde zu einem sinnlosen „Funktionalismus“, der alles zu erklären schien, trotzdem aktuelle und konkrete Zeitgeschichte nicht aufnehmen und deuten konnte. Selbst Georges Sorel mit seinem Gespür für mythologische Vorgänge in der Gesellschaft durch das weite Spektrum von Gewalt und Macht fand bei Schmitt keine Anerkennung, solange er an der Marxschen Theorie des „Klassenkampfes“ festhielt.

Schmitt gewichtete die Kriegspolitik des internationalen „Finanzkapitals“ vor 1914 und nach 1918, das auf Eroberung, Herrschaft, Unterwerfung, Vormacht und Diktatur drängte, mit Geld operierte und manipulierte, um die „Fremdherrschaft“ und die „Unterdrückung“ der Völker in Europa einzuleiten. Die deutsche und europäische Kultur sollte nach Schmitt im I. Weltkrieg und durch den Versailler Vertrag zerschlagen und grundlegend umgewertet werden. In dieser historischen Kriegserklärung entstand eine „Feindschaft“, die so einfach nicht zu erkennen war und deshalb verharmlost wurde, jedoch gegen die deutsche und europäische Substanz von Kultur, Recht, Verfassung und Staat gerichtet war. Dieser „Feindbegriff“ würde das „Wesen einer Epoche“ bestimmen. Er besass einen politischen Anspruch von dominierender Macht und Herrschaft. Dieser „Feind“ verfolgte das Ziel, den Willen des deutschen Staates zu brechen und das Volk und die Eliten zu zermürben. Er unterminierte den Widerstandswillen. Er war enthalten in den unterschiedlichen Ideologien. Gab sich unerkennbar, verschleierte und verdrängte den Anspruch auf Vormacht. Nicht die Ökonomie als „Funktion“ und Grundlage von Gesellschaft war wichtig, sondern die Feindbestimmung wurde bedeutsam und liess sich über das Völkerrecht, internationale Verträge und politische Auflagen und Bündnisse entschlüsseln. Schmitt hatte sein Thema und seinen Ansatz gefunden, über die Rechts- und Staatsanalyse den „Feindbegriff“ zu thematisieren und zu ergründen.

Machiavelli wurde dadurch zu einem Vordenker und Vorbild für ihn, denn er bestimmte die Staatstypen über den stattfindenden Bürgerkrieg in Norditalien des späten Mittelalters. Daraus ergab sich, daß die Stadtrepubliken sich jeweils nur als Diktaturen, „oligarchische Demokratien“ oder Herrschaftsformen erhalten konnten, in denen bestimmte Familien, Parteien, Machtgruppen oder Geheimgesellschaften dominierten. Allerdings benötigten derartige „Republiken“ oder „Diktaturen“ die Anerkennung durch das Volk, wollten sie „Kontinuität“ bewahren und sich längere Zeit gegen die Feinde behaupten. Eine derartige „Legitimation“ wurde über die Propaganda und die Mobilisierung des Volkes gegen vermeintliche oder echte Feinde erreicht. Der Staat  als „Fürst“ oder „Macht“ musste die zentrale Entscheidungsgewalt gegenüber den demokratischen Gruppen und Institutionen behaupten und er erlangte eine unbedingte Souveränität, konnte er ein Gleichgewicht im potentiellen Bürgerkrieg herstellen und über die Ausnahmesituation verfügen. Der entstehende, moderne Staat liess sich nicht aus einem „Gottesgnadentum“, dem Auftrag der christlichen Religion oder einer überhistorischen Mission der Fürsten, Könige oder „Familien“ ableiten. Der Staat liess sich auch nicht aus den Aufgaben eines „Weltgeistes“ erklären. Er wurde nicht über das positive Recht definiert, das als abstraktes Postulat Gerechtigkeit und den „ewigen Frieden“ herstellen würde. Der „amtierende Staat“ war auf keinen Fall der „Überbau“ der ökonomischen und kapitalistischen Entwicklung. Er folgte dem Auftrag, sich gegen den „Feind“ zu behaupten, der seine Grundlagen zerstören und das Volk in Elend und Not treiben würde. „Feindschaft“ zeigte sich als „Kulturbegriff der Umwertung und der Dekadenz“. Sie würde Wirtschaft und Handel, Staat und Politik zersetzen, zerstören und in den Ruin treiben. Sie unterminierte den Stolz und der Widerstandwillen der Eliten und Völker.

Hier folgte Schmitt den Überzeugungen von Max Weber. Eine Analyse der vorherrschenden Herrschaftsformen, die sich aus der „Tradition“, dem rationalen Aufbau von Wirtschaft und und Staatsbürokratie ergaben und dem charismatischen, mystischen Führungsansprüchen historischer Persönlichkeiten folgten, liessen sich nur bedingt ökonomisch, psychologisch, religionswissenschaftlich oder soziologisch erklären. Sie benötigten die „Machtanalyse“ über Recht und Verfassung. Bei dieser Vorgehensweise wurde deutlich, dass Schmitt seine Ideen wie ein Dramaturg in die historischen Vorbilder, Hobbes, Machiavelli, Hegel, Weber u. a. projizierte, um sie in seinem Sinn erfolgreich zu zitieren. In dieser Vorgehensweise unterschied er sich kaum von anderen Wissenschaftlern. Er gab jedoch dadurch zu erkennen, dass er selbst einen „Weltplan“ anerkannte, der nicht über die  idealistische Philosophie, nicht über eine Utopie oder das positive Recht begründet werden konnte. Er war enthalten in den Zielen der feindlichen Weltmacht, die als Leviathan die Landmacht Behemoth besiegen wollte.

Nach Schmitt wurde die „bürgerliche Gesellschaft“ über die nordamerikanische Unabhängigkeit und über die Französische Revolution begründet. Sie wurde schnell in die Abhängigkeit zur Geldaristrokratie gebracht und enthielt keinerlei Ziel, Wahrheit, Leidenschaft oder Heldentum. Sie bewegte sich je nach „Lage“ zwischen den sozialistischen Ideen und der politischen Reaktion, akzeptierte die Geldmanipulationen, verkam in den entscheidungslosen Diskussionen zur labilen, schwachen Macht und zerredete jedes Engagement, jede Entscheidung und zerstörte dadurch die „Staatlichkeit“. Der „demokratische Staat“ zeigte sich offen für derartige Manipulationen und leitete über den Parlamentarismus die Selbstaufgabe der bürgerlichen Gesellschaft ein. Die Mittelklassen lösten sich auf. An der Spitze agierten die Milliardäre der Finanzspekulation. Unten verkam das pauperisierte Volk in Dekadenz, Kriminalität und Armut.

Dagegen behauptete die „Theologie“ der Gegenrevolution den Schöpfungsgedanken und die Hierarchie einer katholischen Ordnung, die die Einheit der Welt und die „Menschgeltung“ nach christlichen Werten restaurieren wollte. Das biologische Mass des Menschen wurde anerkannt, jedoch durch das Gottesgebot gehegt. Eine derartige Ordnung besass keinen „rationalen Aufbau“, folgte nicht dem „Profit“, sondern besaß eine menschliche, katholische Disposition. Reformation, Atheismus, Utopismus und Liberalismus lieferten die Gesellschaft an die Interessen der Geldaristrokratie und der Spekulanten aus, die ihre „Demokratie“ als potentielle und unfassbare „Diktatur“ einrichteten. Die Lobbygruppen der Geldmanager bestimmten Parteien und Regierung.

Schmitt sympathisierte mit der „katholischen Reaktion“ eines Donosso Cortes und machte deutlich, dass er die bürgerliche Ordnung primär als eine Art „Verschwörung“ betrachtete. Er konnte diese einseitige Festlegung über die Verfassung, das geltende Recht und das Strafgesetzbuch belegen. Die Ausnahmegesetze sicherten der „politischen Klasse“ die Macht. Trotzdem blieb bedenklich, eine juristische Staatssicht des „Liberalismus“ als eine pure Manipulation oder Verschwörung zu sehen. Schmitts „Theologie“ kannte als Alternative zur „bürgerlichen Demokratie“ die Militär- oder Präsidialdiktatur, weil der Soldat oder der Beamte fähiger und toleranter zu sein schien als der liberale Macher und Manipulateur. Das machiavelistische „Virtu“ wurde durch Schmitt als Verantwortungsethik, Kapazität, Überzeugung und Willen übersetzt und einer bestimmten Schicht und Religion zugeschrieben. Schmitt wurde bestätigt bei der Reichswehr oder bei den katholischen Reichskanzlern der Weimarer Republik. Sogar das Bündnis zwischen Wehrmacht, NSdAP, Industrie und konservativer Staatsbürokratie schien noch diesen „Willen“ zu enthalten. Er zersprang bereits mit dem Machtantritt Hitlers 1933 und nach 1939 und 1941 in dem Augenblick, wo der Krieg in einen totalen Technikkrieg gesteigert  und der Terror gegen den „inneren Feind“ forciert wurde.

Die Analyse von Marx über die bürgerliche Gesellschaft im Bürgerkrieg in Frankreich und Nordamerika kam zu ähnlichen Resultaten wie Schmitt. Sie enthielt über die staatliche Zentralbürokratie, Verfassung und Recht die innere Tendenz zur Diktatur. Marx analysierte die Rolle des Finanzkapitals in Frankreich und USA und kam zum Ergebnis, dass dieses „Kapital“ als Geld- und Zentralmacht den zentralen Staat über den „Präsidenten“ fügen und kontrollieren wollte. Es finanzierte die aufwendigen Wahlkämpfe und es unterstützte die Regierungen, sich gegen demokratische Kontrollen abzusichern. Es finanzierte die Rüstung und war an Kriegen interessiert, um Raum und Markt für die Finanzspekulationen zu erweitern. Das Finanzkapital nahm die Währungen, die Rohstoffe, die Industrie, die Immobilien, den Handel zum Objekt und verwandelte sie in die Derivate, Aktien oder Anleihen. Nur als internationale Macht konnte es sich behaupten und bildete gegenüber dem Nationalstaat einen internationale, staatsähnliche Macht, die die Bedingungen von Wirtschaft und Politik diktieren würde. Nach Marx enthielt das Finanzkapital sozialistische Prinzipien der Planung, der Zentralisation, der Arbeits- und Konjunkturpolitik, um sie allerdings „privat“ umzusetzen. Dadurch wurde es zur Macht der Zerstörung und zum „Feind“ gesellschaftlicher Ziele, um über Zerstörungen neue Methoden und Mittel des „Aufbaus“ und der Spekulation zu finden. Krieg und Chaos waren in diesem finanzkapitalistischen System vorgegeben. Es bedeutete die „negative Aufhebung“ des Kapitalismus auf „kapitalistischer Grundlage“ und war an Diktatur und Krieg interessiert. Es zerstörte die „bürgerliche Gesellschaft“ und zielte auf die „soziale Paralyse“ und den Polizeistaat, denn diese Politikformen erleichterte die Regentschaft der wenigen Milliardäre über die Masse der Völker. Für Marx bildete allerdings die „proletarische Revolution“ und die „Diktatur des Proletariats“ als „Negation der Negation“ die Alternative.

Lenin dachte ähnlich wie Schmitt und Marx über die demokratische Republik. In seiner Imperialismusschrift und den Vorarbeiten dazu diskutierte er die Rolle der Banken und des Finanzkapitals bei der Organisierung der Monopole und Trust. Ihr Einfluss auf den Staat und die imperialistische Kriegspolitik wurde unterstrichen. Die „Fäulnis“ und die „Dekadenz“ der politischen Eliten war für Lenin Anlass, nach seiner Rückkehr im April 1917 nach Petrograd auf den bolschewistischen Aufstand zu drängen. Er hatte keinerlei Bedenken, sich die Durchfahrt von der Schweiz nach Russland durch Deutschland durch den deutschen Generalstab „gewähren“ zu lassen. Die „Provisorische Regierung“ und ihre Parteien zeigten sich unfähig, den Krieg mit Deutschland zu beenden, obwohl die Arbeiter und die unzähligen Bauernsoldaten kriegsmüde waren und desertierten. Das Entente – Kapital und hier wieder die finanzkapitalistischen Investoren der Kriegsindustrie bestanden auf der Kriegsbereitschaft Russlands, um die deutschen Truppen in einem Zweifrontenkrieg endgültig niederzuringen. Der „bolschewistische Sturm“ auf das Winterschloss hatte die symbolische Kraft, die bürgerliche Regierung auszuschalten und zu verhaften und die Auflösung der Front einzuleiten und Frieden mit Deutschland zu schliessen. Die Oktoberrevolution fand lediglich in zwei, drei Grosstädten statt, hatte jedoch das Echo im weiten Land, in den unzähligen Landumverteilungen und in den Streiks der Arbeiter. Die „Fäulnis“ hatte die herrschenden Eliten machtunfähig gemacht. Der republikanische Staat wurde durch die Revolutionäre zerschlagen und ersetzt durch die unterschiedlichen Initiativen, eine „Rote Armee“ zu fügen, die „Tscheka“ einzusetzen und eine kriegskommunistische Umverteilung und soziale „Reproduktion“ zu organisieren. Die Bolschewiki wollten im entstehenden Bürgerkrieg eine organisatorische und waffentechnische Überlegenheit erreichen. Aus diesen „Organen“ entstand eine neue Variante der asiatischen „Staatlichkeit“.

Das „Revolutionäre“ dieser Oktoberrevolution stammte aus dem wachsenden Chaos. Die Organisationskraft der Bolschewiki, die zentrale Propaganda und der Einsatz der „Produktivkraft“ des Terrors gegen Sozialdemokratie, Liberalismus, Konservatismus und das „alte Russland“ nahmen diesen revolutionären Schwung auf. Die „Massen“ folgten einem „Glauben“ der Erlösung. „Stenka Razin“ erlebte eine historische „Auferstehung“. Lenin interpretierte diese Eigendynamik einer Revolution und zog erst dann die Notbremse, als die Selbstzerstörung der Revolution einsetzte. Schmitt, der sicherlich die Leninschriften kannte, verglich die Situation seit 1929 in Deutschland mit dem Jahr 1917 in Russland, so die Vermutung. Nach Lenins Überzeugung waren die  wachsende „Fäulnis“ und die „Selbstparalyse“ einer Gesellschaft Bestandteil der Profitsucht der finanzkapitalistischen Milliardäre und ihrer Zuhälter. „Fäulnis“ bezeichnete den Gegensatz zur Verantwortungsethik oder zum „virtu“ einer produktiven Machtelite. Eine fatale Gesinnung der Mächtigen steckte die ganze Gesellschaft an und trieb sie in die Lethargie und in den inneren Zerfall. „Revolution“ bedeutete Erneuerung und den radikalen „Austausch“ der Eliten, die nun aus den unverbrauchten, jungen Generationen kamen.

Der Triumph des „Leviathan“

Schmitt unterschied in seiner Kritik des Völkerrechts und des Varsailer Vertrages generell zwischen der Landmacht Behemoth und der Seemacht Leviathan. Für ihn gab es zwei grundverschiedene Rechtssysteme, die jeweils bei der europäischen Landmacht angesiedelt waren und die ihre Wurzeln in der Seemacht Englands oder der USA hatten. In der Landmacht, so seine These, wurzelt alles Recht auf einem „bodenhaften Urgrund“, in dem Raum und Recht, Ordnung und Ortung zusammentrafen. Die Seemacht kannte keine festen Beziehungen. Je nach Macht und Situation wurde das Recht umgeschrieben und es diente den Mächtigen als eine vorläufige Legitimation, bis die nachfolgenden Mächtigen ihr neues Recht verkündeten. Vor allem in der Auseinandersetzung mit Thomas Hobbes begründete Schmitt dieses doppelte Weltrecht.

Der Völkerbund und das Völkerrecht schrieben nach 1918 den Versailer Vertrag fest und sicherten den bestehenden „Besitzstand“. Im Völkerbund wurde nicht Recht oder Gerechtigkeit vertreten, sondern die historische Entwicklung und die bestehende Machthierarchie zwischen den Staaten und Völker festgeschrieben. Es wurden Verträge geschlossen, die bei nächster Gelegenheit gebrochen wurden. Die Souveränitätsansprüche der Mittelmächte und Russlands wurden eingeschränkt und das Völkerrecht fragmentiert und in Ost- und Zentraleuropa in eine Vielzahl von Sonderzonen und Gebietsforderungen aufgelöst. Die Eigenstaatlichkeit wurde durch internationale Verträge relativiert und zugleich durch die Forderung der Freiheit der Meere und der Rohstoffe der Zugriff der Seemächte gestärkt. Die Gültigkeit des Völkerrechts kannte keinerlei Rechtslogik und war nicht einer allgemeinen Moral verpflichtet, sondern fügte sich dem Gewohnheitsrecht oder wurde von der us – amerikanischen Grossmacht je nach Situation interpretiert. Die Moroedoktrin, die die Freiheit des Handels einklagte und die Freiheits- und Menschenrechte gegen den katholischen Imperialismus Spaniens und Portugal einforderte, wurde nach 1918 auf Europa übertragen und sollte den Landmächten Deutschland und Russland die Souveränität nehmen und ein vages Interventionsrecht begründen.

Die Landmächte sollten ihre innerstaatliche Souveränität verlieren und sollten von aussen durch das Völkerrercht begründet werden. Der demokratische Willen der Völker wurde dadurch ignoriert oder aufgelöst und den Seemächten ein politischer Eingriff garantiert. Über internationale Verträge oder Bündnisse, Absprachen, Abkommen wurde das natioanle Recht ausgehöhlt und den einzelnen Staaten die Souveränität genommen. Internationale Gremien, durchaus anonym, nicht durch Wahlen legitimiert, unkontrolliert, übernahmen die Aufgabe, sich in die inneren, nationalen Belange der Einzelstaaten einzumischen. So entstand eine bürokratische Diktatur, die im Auftrag des internationalen Finanzkapitals agierte, jedoch vollkommen unabhängig war von der demokratischen Kontrolle der Völker und Wähler. Selbst die nationalen Regierungen hatten ihren Direktiven zu folgen. Es fällt auf, dass Schmitt die Vorbehalten gegen den westlichen Liberalismus und das Finanzkapital auf die Staatsform und den „Imperialismus“ der Seemächte übertrug. Allerdings schien ihm die strikte Analyse der Vertragsformen und des Völkerrechts Recht zu geben, obwohl die positive und negative Idealisierung dieser zwei Staatstypen sichtbar war.

Nach 1939 nahm Schmitt diese Kritik aus den zwanziger Jahren auf. Jetzt reduzierte er die bisherige „Weltgeschichte“ auf eine Geschichte des Kampfes der Seemächte gegen die Landmächte. Die Welt zerfiel in zwei Lager, die jeweils unterschiedliche Wirtschaftsformen, Gesellschaftstypen, Staatsstrukturen und Rechtsnormen aufwiesen. 1941 kommentierte Schmitt die Atlanticcharta, die durch den amerikanischen Präsidenten Roosevelt und den englischen Premier Churchill aufgestellt wurde und die eindeutig gegen die NS – Diktatur in Deutschland gerichtet war, die sich jedoch auf Russland und später auf China übertragen liess. Schmitt veröffentlichte bei Reclam in Leipzig drei Aufsätze zu diesem Thema: „Das Meer gegen das Land“, „das neue Problem der westlichen Hemisphäre“ und „Land und Meer“. Die alliierten Konferenzen in Casablanca, 1943 und in Teheran und Yalta, 1945, die die bedingungslose Kapitulation Deutschlands festschrieben, schienen ihn zu bestätigen. Die USA würden Westeuropa und Deutschland besetzen und in einer „Landnahme“ rechtlich und politisch umwälzen und nach dem Vorbild der USA gestalten. Nicht primär Europa wurde von dieser Umwälzung betroffen. Die ganze Welt sollt nach der Perspektive des Leviathans geordnet werden. In der „Marinerundschau“ vom August 1943 gab Carl Schmitt dieser weltpolitischen Tendenz in dem Aufsatz über „die letzte globale Linie“ Ausdruck.

Es interessiert, ob nicht die Landmächte Deutschland und Russland, die ihre Verfassungen der NS – Diktatur geöffnet hatten bzw. der bolschewistischen „Revolution“ keinen Widerstand entgegensetzen konnten, ob diese Landmächte, die als Rechts- und Verfassungsstaaten sich dem politischen Massnahmestaat unterwarfen, ob diese Landmächte nicht notwendig ersetzt werden mussten durch das nordamerikanische Prinzip von Verfassung und Politik. Bei Schmitt klingt wiederum eine „Verschwörung“ an. Deutschland und Russland als Militärmächte, Planstaaten und Diktaturen konnten ihre Ambitionen von „Raumpolitik“ und „Weltmacht“ nur über den Massenterror und durch den totalen Krieg eröffnen und scheiterten letztlich an der USA bzw. an der Taktik, Russland gegen Deutschland in Front zu bringen. Nach 1945 wurde auf West- und Zenraleuropa das amerikanische Prinzip von Politik, Medienmacht, Demokratie und Verfassung übertragen. Es garantierte den Zugriff der nordamerikanischen Grossmacht auf die Innenpolitik der europäischen „Volksparteien“ und Staaten. Nach 1989 wurde Russland und Osteuropa diesem Prinzip unterworfen. Widerstand würde entweder in Fernost, in China oder in den islamischen Republiken entstehen, die die Wurzeln der Landmacht konservierten. Daneben entstand im Volk die Idee des „Partisanen“, sich gegen die wachsende Dekadenz, gegen die Armut, das Verbrechen und die Willkür zu wehren. Schmitt erinnerte in diesen Überlegungen an Marx, der eine „negative Dialektik“ kannte, die seiner Utopie des Fortschritts widersprach. Negative Zuspitzungen von Krisen, Chaos und Krieg kannten den Widerspruch und den Widerstand, die sich zusammenführen liessen aus den Resten von Tradition und Überlebenswillen der einzelnen Eliten und Völker.

samedi, 16 mars 2013

Finanzkapitalistische Raumrevolution

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Finanzkapitalistische 

Raumrevolution

Bernd RABEHL
 
Ex: https://rabehl.wordpress.com/

Ein Anfall

Im Haushaltsausschuss des Bundestages verlor Finanzminister Schäuble in den letzten Novembertagen 2012 jeden Anstand. In Brüssel und in Paris hatte er sich darauf eingelassen, dass die Bundesrepublik erneut Milliardenbeträge nach Griechenland pumpen würde, um dort den Staatsbankrott zu vermeiden. Das überschuldete Griechenland, ein Mafiastaat, der jede moderne Verwaltung und Aufsicht vermissen liess, eine Gesellschaft, unterentwickelt, ohne produktive Industrie und Landwirtschaft, strategischer Militärstützpunkt der NATO, heruntergekommerner Tourismusort, unterschied sich vom technologisch und industriell hochgerüsteten Zentraleuropa grundsätzlich. Hinzu kam, dass die vergangenen Militärdiktaturen und eine von der Mafia gesteuerte „Demokratisierung“ vermieden, den Sozial- und Militärstaat mit einer modernen Steuergesetzgebung und rationalen Bürokratie zu verbinden. Die Kontrollen durch das Parlament blieben mangelhaft. Selbst die europäischen Auflagen und Rechtsdirektiven wurden missachtet. Ein aufgeblasener Apparat diente als Selbstbedienungsladen der Staatsangestellten, der Spekulanten und des organisierten Verbrechens. Der Parasitismus der unterschiedlichen sozialen Schichten wurde sogar noch gefördert und die EU Zuschüsse grosszügig verteilt. Gewinne und Profite wurden nicht registriert und versteuert und eine masslose Verschuldung eingeleitet. Sie wurden über landeseigene und internationale Privat- und Kreditbanken, Hedgfonds und über die europäische Umverteilungen finanziert. Alle lebten in Saus und Braus.
In Griechenland wurden zu hohe Renten und Löhne gezahlt und zugleich riesige Gewinne realisiert. Sie wurden nicht erwirtschaftet, sondern über Kredite und Schulden aufgebracht. Nach den Gesichtpunkten der industriellen Durchschnittsproduktivität und nach dem Zustand von Staat und Recht, lag Griechenland irgendwo in Nordafrika. Dieser Kontinent hatte, bezogen auf Technologie, Arbeitsteilung, Produktion, Verkehr, Recht, Verwaltung, Lug und Trug den Balkan, Süditalien, Südspanien und Portugal erreicht. Der Überbau von Staat und Politik als ein Gebilde aus Korruption, Parasitismus, Vetternwirtschaft, Plünderung hatte mit Zentraleuropa nichts gemeinsam. Riesensummen wurden aus diesen Industriestaaten in das europäische „Afrika“ transferiert. Von dort wurden sie als billige Beute von den reichen und einflussreichen Familien in die Schweiz auf Geheimkonten gebracht oder an die nordamerikanischen Spekulanten weitergereicht. Sie hatten den griechischen Staat mit Krediten ausgeholfen. Die griechischen Regierungen verfälschten in der Vergangenheit die Bilanzen und den Stand der Verschuldung, um in das „Paradies“ der Europäische Union zu gelangen. Die deutschen Steuerzahler finanzierten dadurch die griechischen Betrüger und Absahner oder die nordamerikanischen Kredithaie. Ein grosser Rest wurden an die überbezahlten Staatsangestellten und Rentner bezahlt, um sie ruhig zu stellen und dem System eine demokratische Legitimation zu geben. Kein Wunder, dass in einem derartigen Milieu der Spiritualismus gedieh. Die faschistische „Morgenröte“ pendelte sich zu einer starken Partei auf. Die deutschen Steuerzahler leistete sich den Luxus, einen kranken und maroden Staat zu unterstützen, der unbedingt zu Europa gehören sollte. Diese Entscheidung wurde jedoch in USA gefällt.

Geostrategisch bildete Griechenland für diese Militärmacht einen Flugzeugträger, einen Militärstützpunkt und hielt die Meerenge der Dardanellen nach Russland unter Aufsicht. Griechenland stellte die Verbindung zur Türkei her und bildete die Brücke in den Nahen Osten. Es konnte mit dem albanischen Kosovo und Kroatien verbunden werden, die durch die amerikanischen Bombardements Serbien entrissen wurden. Es hielt die Verbindung nach Bulgarien und Rumänien, die unter nordamerikanischen Einfluss gestellt werden sollten. Griechenland schuf die Garantien für ein europäisches Mittelmeer. Es bildete eine Voraussetzung für ein „Grossisrael“, das sich gegen die arabischen Anreinerstaaten behaupten musste. Nordafrika oder die Nahoststaaten sollten militärisch und politisch dem Einfluss des islamischen Fundamentalismus entwunden werden. Sie sollten wie der Irak und Syrien einer Neuordnung unterliegen. Der zukünftige Krieg gegen den Iran benötigte die geostrategische Position Griechenlands und die finanzielle Unterstützung Deutschlands. Dieser deutsche Staat wurde von den USA angewiesen, das südeuropäische „Afrika“ und Israel zu stabilisieren. Es wurde zugleich darauf vorbereitet, in der Zukunft den Bestand der Mafiastaaten Bulgarien und Rumäniens zu gewährleisten. Frankreich entzog sich der Verpflichtung und geriet selbst in eine Finanzkrise. Deutschland sollte den geldpolitischen Hintergrund für ein „nordamerikanisches Europa“ bilden, das sich gegen Russland, gegen China und den Iran in Front brachte. Die Hauptabsatzmärkte der deutschen Wirtschaft lagen in diesen „feindlichen Regionen“ und im Gegensatz zu dem Aufmarsch wäre eine friedliche Koexistenz mit diesen Ländern notwendig. Deutschland als Wirtschaftsmacht und Griechenland als machtpolitischer Dominostein bildeten eine erzwungene Einheit. Den Deutschen wurde ein neues „Versailles“ aufgedrängt, an dem es kaputt gehen konnte. Das konnte Schäubele alles wissen. Er konnte sich den Auflagen und Befehlen der NATO und der USA schwer entwinden. Er fühlte sich inzwischen als Vertrauensmann dieser Mächte. Er hatte Schwierigkeiten, sich diesen Manipulationen zu entziehen. Die Frage stand im Raum, wie lange er diese Rolle aufrechterhalten wollte?

Der Finanzminister war innerlich erregt, denn er konnte nicht begründen, warum er der deutschen Republik derartige Zahlungen zumutete. Ihm fehlte jedes plausible Argument. Also schrie und pöbelte er. Jetzt im Ausschuss, Ende November, kommentiert durch FAZ, FR und FTD, fühlte er sich von der Linksabgeordneten Pau angegriffen und er wehrte sich gegen den SPD – Hinterbänkler aus Hamburg, der nicht einmal wusste, worum es ging, sondern für Würde und Anstand sorgen wollte. Schäubele brüllte über zehn Minuten in den Saal hinein und gab zu erkennen, dass er die Übersicht verloren hatte.  Er ahnte wohl, dass die europäische Krise wie in Argentinien 2001 in einem Staatsbankrott enden konnte. Er wusste, dass er deutsche Interessen kaum noch wahrnahm. Er konnte auch die Tatsache nicht verdrängen, dass er die Ziele der NATO, der EU und der USA bediente und dadurch die staatliche Souveränität Deutschlands unterminierte. Seit Ende der achtziger Jahre hatte er sich in der Regierung Kohl als ein Mann der „Kompromisse“ bewährt. Jetzt steuerte er die Finanzpolitik der Regierung von Angela Merkel und würde den Wohlstand der Mittelklassen in Deutschland riskieren und die Armut der millionenfachen Habenichtse in dieser Gesellschaft vergrössern. Die Zahlungen an Griechenland würden die Inflation und die Steuern steigern. Er wusste, dass Europa sich auf einen Krieg zubewegte. Sehr bald musste die Bundesregierung den Einsatz deutscher Soldaten in der Türkei, in Syrien, Ägypten und im Iran rechtfertigen. Schräuble schrie seine masslose Wut heraus, denn sein unbedachtes Spiel wurde offenkundig.

Planspiele

Listen wir die einzelnen Massnahmen auf. An die wirtschaftliche Konsolidierung der südeuropäischen Staaten durch eine gezielte Entwicklungspolitik wurde in Brüssel und Berlin nie gedacht. Statt die Riesensummen für die Spekulanten, die Absahner und die Mafia zu vergeuden, wäre es durchaus sinnvoll gewesen, den Ausbau der Infrastruktur dieser Länder zu finanzieren, um eine industrielle Grundlage zu schaffen. Allerdings hätten die EU – Institutionen die Kontrolle der Investitionen übernehmen müssen, um den korrupten Poltikern der Zugriff zu entziehen. Statt Israel mit Atom- U – booten auszurüsten und Militärausgaben zu übernehmen, hätte Deutschland die israelische Wirtschaft stabilisieren können, um einen Friedensprozess des Ausgleichs gegen die Kriegspropheten in diesem Land einzuleiten. Derartig Visionen durften nicht einmal erwähnt werden. Jede rationale Politik wurde von EU und NATO verworfen. Stattdessen einigten sich der griechische Staat und die Europäische Zentralbank darauf, die finanziellen Griechenlandhilfen, von denen Deutschland den Anteil von etwa 70% aufbrachte, zu einem „Schuldenschnitt“ zu nutzen. Die Schuldenagentur in Athen legte Rückkaufwerte für die ausstehenden Staatsanleihen für „private Investoren“ fest. Sie erreichten einen höheren „Preis“, als von den griechischen und nordamerikanischen Investoren erwartet worden war. Der „Internationale Währungsfonds“ (IWF) sollte ruhig gestellt werden. Zugleich wurde es wichtig, die Verluste der Anleihen zu begrenzen und die Inhaber zu veranlassen, die Papiere zu einem nicht erwarteten Wert zurückzugeben. Der „Umtausch“ bzw. der „Rückkauf“ der Staatsanleihen durch die staatliche Agentur wurde mit Hilfe des europäischen und deutschen Hilfsgeldes attraktiv gestaltet, um die Gläubiger zu veranlassen, die fälligen Staatsschulden abzugeben. Der griechische Staat sollte dadurch einen Anfang gestalten, die riesigen Schulden zu tilgen.

Der internationale Anleihenmarkt reagierte mit einem Kurssprung der griechischen Staatspapiere. Sie stiegen von 4.31 Punkten auf 40.06 Zählern. Sogar der Euro konnte im Kurs gegenüber dem Dollar zulegen und stabilisierte seinen Kurswert, weil die Griechen zu einem nicht erwarteten Teilpreis die „Privatschulden“ bezahlten. Die Regierung in Athen verfolgt den Plan, mit Mitteln des Euro – Rettungsfonds (ESFS) die von Privatinvestoren oder Fondsgesellschaften gehaltenen Anleihen im Umfang von 10 Milliarden Euro zurückzukaufen. Es handelt sich um Papiere, die Griechenland im Frühjahr 2012 im Verfahren einer Umschuldung aufgelegt hatte. Der Rückkauf soll die Schulden, da der Preis  zum Ursprungswert halbiert wurde, um rund 20 Milliarden Euro senken. Etwa Eindrittel der von Privatbanken gehaltenen Schulden wären durch diesen Rückkauf beglichen. Den Grossteil der griechischen Schulden, ein paar 100 Milliarden Euro, halten die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und einzelne europäische Staaten. Die genaue Höhe dieser Werte fand bisher keine „öffentliche Zahl“. Gehen die Privatbanken auf dieses angebotene Geschäft des Rückkaufes ein, gibt es einen Wegweiser für die Freigabe der seit Juni „eingefrorenen“ Hilfsgelder. Die Entschuldung Griechenlands könnte langfristig über einen geregelten Rückkauf, über Staatsverträge und über den notwendigen Umbau des Sozial- und Steuerstaates angegangen werden.

Der vorsichtige Anleihenrückkauf verfolgt das Ziel, bis 2020 die Verschuldung auf 124% des Bruttoinlandsprodukts zu senken. Ohne derartige Massnahmen würden die Schulden Griechenlands „explodieren“ und den Staat in den Bankrott treiben. Ein derartiger Staatspleite würde das Land unregierbar machen, denn Teile der Betriebe der Dienstleistung, der Verwaltung, der Kommunen, der Staatswirtschaft würden schliessen müssen und zugleich die anderen „Südstaaten“ der EU in den Strudel der Staatspleiten reissen. Massenstreiks und soziale Unruhen waren zu erwarten. 2014 hätten die Schulden fast 200% des skizzierten Inlandsprodukts erreicht. Der Schuldenrückkauf musste deshalb sicherstellen, dass die Privatinvestoren auf das Geschäft eingehen und sich verpflichten, die angebotene Teilsumme zu akzeptieren. Die Staats- und staatlichen EU – Bankschulden wurden über Staatsverträge geregelt, an die sich die privaten „Spekulanten“ nicht halten mussten. Sie konnten internationale Gerichtshöfe anrufen, ihr Geld einklagen und den Schuldnerstaat in die Pleite jagen. Das passierte 2001 in Argentinien. 2012 wurde der Staatsbankrott des südamerikanischen Staates nicht abgewendet, denn die einzelnen Privatfonds bestanden auf der Zahlung des „gesamten Preises“ der Schulden. Die Konstruktion des Schuldenrückkauf war auch für Griechenland schwierig und der Staat musste eine „wacklige Normalität“ organisieren. Das komplizierte „Kartenhaus“ konnte schnell zusammenstürzen.

Die Entschuldung Griechenlands kannte drei Phasen. Zuerst mussten die Privatkunden, privaten Banken und Spekulanten in die Massnahmen eingebunden werden. Danach regelten Staatsverträge und Abmachungen den Rückkauf der Schulden von den Staatsbanken und Einzelstaaten. Unter Umständen wurde die Summe der Schulden Griechenland erlassen, falls nicht die anderen Schuldnerstaaten wie Spanien, Portugal, Italien, Irland u. a. die gleichen Bedingungen „einklagen“ würden. Der Schuldenrückkauf lief deshalb in der Form einer „Auktion“, um die Stimmungen und Interessen auf dem „Schuldenmarkt“ zu testen. Die Investoren und Gläubiger mussten ihre Preisvorstellungen offenlegen. Danach wurde von der Staatsagentur das Kaufangebot unterbreitet. Griechenland bot seinen Gläubigern je nach Laufzeit der Anleihe zwischen 30,2% und 38,1% des Nennwerts der jeweiligen Staatsanleihe. Den Zuschlag erhalten die Höchstgebote, die zwischen 32% und 40% liegen konnten. Auf dem freien Markt war lediglich mit einer Offerte zwischen 20% und 30% zu rechnen. Für einen begrenzten Zeitraum konnten die Spekulanten mit einem Zuschlag von etwa 10% rechnen.  Sie hatten oft die Papiere auf dem niedrigen Stand von ca. 8% des Kurswerts gekauft und verdienten so nebenbei ein paar hundert Millionen Euro, denn Deutschland hatte nun zugesagt, weiterhin für die Schulden Griechenlands aufzukommen. Stimmten sie zu und schalteten nicht die internationalen Gerichtshöfe ein, konnte die zweite und dritte Phase eingeleitet werden. Nicht nur der deutsche Finanzminister zeigte sich nervös. Alles hing an einem „seidenen Faden“.

In Argentinien war 2001 eine derartige Planung gescheitert, die nordamerikanischen Spekulanten und die unterschiedlichen Staatsbanken unter einen „Hut“ zu bringen. Der Staatsbankrott zerstörten den argentinischen Mittelstand, der in Bezug auf Bildung, Dienstleistung, Sicherheit, Gesundheit, Fürsorge, Erziehung usw. vom Staat anhängig war und auf die Strasse gesetzt wurde. Dieser Mittelstand hatte die Elektro-, Mode-, Computer-, Nahrungsmittel-, Bau- und Autoindustrie „gefüttert“ und diese Branchen durch die Arbeitslosigkeit und Pleiten in den Ruin getrieben. Die Immoblienpreise zerfielen. Die Hedgefonds hatten sich am Spiel der „Entschuldung“ nicht beteiligt. Bis heute wird das ausländische Kapital angeklagt, Argentinien in den Abgrund zu treiben. Der Populismus von Cristina Kirchner bekam Auftrieb und aktualisierte den antiimperialistischen Kampf. Vor allem der Hedgefonds Eliot Capital und Aurelius Capital und der Internationale Währungsfonds (IWF) verklagten den argentinischen Staat auf die Zahlung von 1,5 Milliarden Dollar. Sie erhielten 2012 vor dem amerikanischen Gerichtshof Recht. Bereits Ende 2005 beglich Argentinien die Schulden beim IWF, bevor die anderen Gläubiger abgefunden wurden. Der IWF hatte 2001 einen Kredit zurückgehalten und den Staatsbankrott ausgelöst. Argentinien pocht heute auf Souveränität und ist bemüht, den Einfluss des internationalen Finanzkapitals zurückzudrängen, um so etwas wie „Souveränität“ zu erlangen. Die genannten Hedgefonds beteiligten sich nicht am „Schuldenschnitt“. Sie klagten vor dem US – Gericht auf Gleichbehandlung. Die Klage wurde in der ersten Instanz anerkannt. Muss Argentinien zahlen, wäre ein zweiter Staatsbankrott angesagt. Dieses Beispiel beweist, dass der Prozess und die Phasen der Entschuldung eine weitere Komplikation enthalten, ziehen die Spekulanten nicht mit. Sie verfolgen andere Ziele als die Staaten und sind primär an hohen Gewinnen und an der Sicherung der Rohstoffe, Ländereien und Immobilien interessiert. Sie setzen wie in Südeuropa auf Krieg, um die „Landmächte“ Iran, Russland und China zu entmachten. Die „Logik“ ihrer Spekulation ist schwer zu durchschauen. In Nordamerika und in Europa begründeten sie eine Doppelmacht zum Präsidenten oder zu den Staaten der EU, da eine Bankkontrolle fehlte bzw. zu Beginn der neunziger Jahre abgeschafft wurde. Die neuen Rohstoffe, Industrien und Immobilien in Osteuropa, Russland und Afrika sollten gesichert werden.

Die griechische Staatsanwaltschaft demonstrierte der europäischen Öffentlichkeit nach der letzten Zahlung der Hilfsgelder, was die griechischen Spekulanten mit dem leicht verdienten Geld aus der EU anfingen. Die Staatsanwaltschaft untersuchte Vorwürfe gegen knapp 2000 Griechen, die Bankkonten bei der Genfer Filiale der britischen Grossbank HSBC eingerichtet hatten. Ihnen wird Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Finanzbetrug vorgeworfen. Illustre Namen aus Politik, Bankgeschäft und Mafia sind auf der Liste der Betrüger zu finden. Sie belegen Verbindungen, die vorher nicht einmal vermutet wurden. Mit dem Namen von Magret Papandreou tauchten Hinweise auf die Spitzen der politischen Elite auf. Sie lenkten auf raffinierte Weise Zahlungen aus der EU auf ihre Konten, überwiesen die Summen auf Schweizer, britische oder nordamerikanische Banken und kauften mit diesem Geld etwa in Berlin, München oder Frankfurt/ Main Immobilien, Mietshäuser, Grundstücke und landwirtschaftliche Nutzflächen. Die einzelnen Wohnungen wurden mit „Eigenbedarf“ belegt, verkauft und die Mieter vertrieben. Das Geld kam also nach Deutschland zurück und wurde in „sichere Anlagen“ investiert, weil Zentraleuropa für die Spekulanten eine gute Adresse war. Zugleich wurden die deutschen Steuerzahler, die die Zahlungen nach Griechenland aufbrachten und soweit die Wohnhäuser von den neuen griechischen Hausbesitzern „besetzt“ wurden, aus ihren Wohnungen gejagt.

Die griechische Staatsanwaltschaft deckte diese Machenschaften auf, um den Gremien der EU und Deutschlands die europäische Normalität des Rechtsstaates in Griechenland zu signalisieren, falls weiterhin die Unterstützungsgelder flossen. Sie brachten „Bauernopfer“, ohne den Kreislauf oder den Geldtransfer kaschieren zu wollen. Das europäische Geld wurde teilweise in Griechenland abgezweigt und landete auf den Konten  in der Schweiz. Von dort wurde das Geld zum Immobilien- und Landkauf in Europa eingesetzt oder wurde genutzt, Ländereien oder Wälder  in West- oder Ostafrika zu erwerben. Das „Holz“ wurde geschlagen und die Wälder gerodet. Anschliessend wurden riesige Soya-, Mais- oder Zuckerrohrfarmen errichtet, um aus diesen genmanipulierten Naturrohstoffen Biogas oder Bioöl herzustellen, das in Europa teuer zu Weltmarktpreisen verkauft wurde. Die afrikanischen Bauern wurden vertrieben und schlugen sich nicht selten als Flüchtlinge nach Europa durch. Allein an diesem Beispiel lässt sich die „negative Funktion“ der Finanzspekulation und des Finanzkapitals aufzeigen. Die Zerstörung aller „Produktivkräfte“ enthielt keinerlei Schaffenskraft oder eine Zielsetzung, die Weltgesellschaften zu stabilisieren. Falls die Regierungen der Zerstörungswut und der Raffgier dieses Kapitals keinen Einhalt boten, würde es über den Weltmarkt Not und Elend tragen. Die enge Kooperation der Spekulanten mit den Ganoven der Mafia und der politischen Eliten, die die griechische Staatsanwaltschaft aufgedeckt hatte, entwarf ein erstes „Gesicht“ dieses Kapitals, das keinerlei Moral oder Verantwortungsethik kannte. Erstaunt waren die Berichterstatter der Zeitungen, dass die Parteien des Bundestages, etwa die Grüne Partei und die CDU zu fast 100% der Griechenlandhilfe zustimmten. War die Erwartung einer zukünftigen „Koalition“ so gross, dass diese Parteien die aktuelle „Raumrevolution“ des Finanzkapitals nicht zur Kenntnis nahmen und sich diesen Manipulationen auslieferten? Würde ein Verteidigungsminister Trittin, deutsche Soldaten in die Türkei und in den Iran schicken? Gab es keinen „Karl Liebknecht“ bei den grünen Aufsteigern? Wurde die ganze Biographie dieser Poitiker für einen Staatsjob riskiert?

Fragen des Weltmarktes

Wieso konnte Afrika in Gestalt der Misswirtschaft, der niedrigen Arbeitsproduktivität, der Arbeitslosigkeit, der Überbevölkerung, der Verschuldung nach Südeuropa hineinragen? Warum wurde Russland „asiatisiert“? Wie konnte es passieren, das Afrika, Asien und Lateinamerika sich in den nordamerikanischen Kontinent eingruben? Die Kriterien sollen entschlüsselt werden in der je spezifischen Form des Kapitalismus der einzelnen Gesellschaften und Regionen. Die Übersetzung der technologischen Revolutionen in die Produktivität der Industrie und in den rationalen Aufbau von Staat, Recht und Verwaltung bestimmen ein weiteres Thema.  Berücksichtigt werden soll das Ausmass der Konzentration und Zentralisation der Produktion, der Banken und des Handels. Die Machtpolitik der Kapitalfraktionen, vor allem des Finanz- und Medienkapitals und der politischen Klasse, bildet einen anderen Gesichtspunkt. Die Kriegs- und Rüstungswirtschaft, gekoppelt mit den unterschiedlichen Ansätzen von Diktatur, mit der Neudefinition der Klassen und Völker und mit den politischen Bündnissen der einzelnen Eliten, umreissen einen weiteren Masstab der kapitalistischen Durchdringung der einzelnen Kulturen und Erdteile. Wichtig bleibt in diesem Zusammenhang von Machtpolitik und Imperialismus die Disposition der Ideologie und die Umsetzung in Propaganda, Reklame und politische Religion. Der Okkultismus der herrschenden Cliquen gewinnt an Bedeutung, denn sie reagieren auf eine wachsende Rationalität von Organisation und Planung, auf die Unregierbarkeit von „Massen“, die durch Automation und Denkmaschinen aus Arbeit und „Brot“ gedrängt werden. Die herrschenden Machteliten  verbergen über rassische, religiöse oder völkische Mythologien die Potentialitäten der sozialen Frage und der „Freiheit“. Sie begründen über Verschwörungen und parapsychologische Phantasmen den Führungsanspruch. Im Angesicht einer technisch begründeten Produktionsordnung radikalisieren die Spekulanten und Ideologen den Irrationalismus und zerren die Neuzeit zurück in das dunkle Mittelalter. Wie lassen sich nun derartige Differenzen und die Formen von Machtpolitik skizzieren?

1.    Differente Akkumulationsbedingungen des Kapitals im Weltmaßstab: Entscheidend für die potentielle Einheit und für den hierarchischen Aufbau des Weltmarktes sind und waren die unterschiedlichen Akkumulationsbedingungen des Kapitals. Marx und Engels skizzierten bereits die unterschiedlichen Formen einer ursprünglichen Akkumulation des Kapitals in England, Frankreich, Preussen, Russland und Nordamerika. England wies die klassische Form des Kolonialismus, der Vertreibung, des Handels, des Manufakturkapitals, der „industriellen Revolution“ und der Proletarisierung der eigentumslosen Bauern und Städter auf. Frankreich und USA kannten neben dem Staat die Unterstützung des Finanzkapitals, das jeweils die Kredite für die industrielle Akkumulation zur Verfügung stellte. Die Rüstungswirtschaft und der Aufbau einer modernen Armee und Flotte wurden Motor einer technologischen „Revolution“, die sich an den neusten Waffensystemen orientierte. Die staatlichen Investitionen wurden durch Kredite unterstützt, die das Finanzkapital zur Verfügung stellte. Es favorisierte die Herausbildung der Monopole, der Trust und Syndikate, um die organisatorische und wertmässige  Konzentration der Produktion durch eine Zentralisation der „Produktivkräfte“ zu steigern, die eine bessere Arbeitsteilung und eine enge Kooperation der Betriebe und Regionen ermöglichten. Preussen bereits übersetzte über Staat und Armee die technologischen und industriellen Errungenschaften des „Westens“ in Reformen und in eine staatskapitalistische Kriegswirtschaft, die auf der Privatwirtschaft fusste, zugleich jedoch die Erfindungen und Entdeckungen, die Forschung materiell und produktiv in der Rüstung umsetzte. Die Mischformen staatlicher und privater Initiativen wurden bedeutsam. Diese wiederum beeinflusste die zivile Produktion. Über eine weitgefächerte Bildung der Berufs- und Ingenieursschulen und über das System der Forschungsstätten, der Naturwissenschaften und technischen Universitäten wurde ein Mittelstand geschaffen, der als Unternehmer, Forschungsintelligenz, Management, Verwaltungsspezialist, Offizier die Effiziens und die Breite der industriellen Produktion in Gross- und Kleinbetrieben förderte. Über diese technologische und bildungspolitische Kooperation manifestierten sich politische Bündnisse zwischen den Facharbeitern und Ingenieuren, Gewerkschaften und Unternehmern, Parteien und Armee. Die Kriegswirtschaft als staatskapitalistisches Unternehmen bewährte sich nach 1945 als eine enge Zusammenarbeit der gesellschaftlichen Kräfte. So „gewann“ das westliche Deutschland in den fünfziger Jahren durch ein „Wirtschaftswunder“ nachträglich den II. Weltkrieg.

2.    Staatskapitalistische Erweiterung der kapitalistischen Industrialisierung: In Russland und USA wurde dieses „preussische Modell“ (Stolypin nach 1905, New Deal nach 1934) übernommen, wirkte jedoch unterschiedlich. Russland wollte den preussischen Reform- und Militärstaat übertragen, scheiterte jedoch an der Schwäche der Staatseliten und des russischen Industriekapitals. Die Arbeiterklasse als legale Gewerkschaft konnte sich nicht formieren. Die bolschewistische Diktatur errichtete nach 1917 einen Kriegskommunismus, der primär über Terror und Zwang die industrielle Akkumulation umsetzte. Zugleich wurden die Klassen und Völker über die Staatsdespotie und die Zwangsarbeit umdefiniert in „werktätige Massen“. Die Rüstung stand im Mittelpunkt, erlangte jedoch nie die Produktivität des westlichen Kapitalismus und konnte nur bedingt auf die zivile Produktion übertragen werden. Trotz einer Bildungsreform fehlten in einer Mangelwirtschaft die produktiven Facharbeiter und Ingenieure. In einem Zwangssystem verpasste die Propaganda und die politische Ideologie die Erziehung selbstbewusster und produktiver Arbeitskräfte. Bis 1989 konnte die Diktatur über Polizei- und Militärgewalt das russische Imperium bewahren, das danach unter den Schlägen des westlichen Kapitalismus sehr schnell zusammenbrach. Die  russische Macht, eingeklemmt in den Methoden von Staatskapitalismus, Planwirtschaft, despotischer Präsidialmacht und Privatkapital, hatte Probleme die innere Konsistenz gegen die vielen Völker und nationalen Märkte zu behaupten. Der Präsident Putin nahm deshalb die Ziele der bolschewistischen Expansion erneut auf, um sich gegen das US – Finanzkapital behaupten zu können, das an den Rohstoffen  und an den Zerfall Russlands in Einzelrepubliken interessiert ist.

3.    Finanzkapitalistische Formen der Konzentration und Zentralisation des Kapitals: In USA sorgte das Finanzkapital für die wirtschaftpolitische Besonderung und „Funktion“ der Monopole und Syndikate, die durch Armee und Flotte unterstützt und durch die Präsidialmacht finanziert und kontrolliert wurden. Schon deshalb erlangte hier das Finanzkapital den Zuschnitt einer Doppelmacht, die Einfluss nahm auf die „Politik“ und die Medien und ausserhalb der Verfassung innen- und aussenpolitische Ziele verfolgte. Es sicherte sich den Zugriff auf die Weltrohstoffen und forderte die Unterstützung von Armee und Flotte. Es konkurierte mit dem europäischen  und asiatischen Imperialismus und übernahm sehr bald die Erbschaft des spanischen, portugiesischen, französischen und englischen Imperialismus. Der dreissigjährige Krieg mit Deutschland und Japan nach 1914 liess sich nicht vermeiden. Der Sieg über Japan und Deutschland machten Russland und China zu den Hauptgegnern. Nicht der amerikanische Präsident propagierte den Mythos von „Feindschaft“ und „Okkupation“, sondern das Finanzkapital folgte hier der Logik von Profit, Macht, Markt und Rohstoffsicherung, kaschierte jedoch diese Ansprüche unter den Handels-, Freiheits- und Menschenrechten. Es sorgte dafür, dass über internationale Verträge und Militärstützpunkte die mediale „Inszenierung“ und Gestaltung der Demokratie und die Herrschaft der Machteliten auf die Einflusszonen übertragen wurden. Neben den russischen und chinesischen „Reichen“ und „Kontinenten“ wurde nach 1918 und vor allem nach 1945 und 1989 ein nordamerikanisches „Imperium“ gefestigt und ausgedehnt.

4.    Der chinesische Weg der Industrialisierung: China kombinierte die russische Erfahrung von Staatskapitalismus und Planung mit einer Öffnung zum Weltmarkt und zum westlichen Finanzkapital. Es sicherte vielfach das chinesische Reich über staatliche Grossbetriebe, Zwangsarbeit, Kleinwirtschaft, „Kommunen“, das Primat der “Partei“, Militarisierung der Gesellschaft und Polizeiwillkür. Die Gefahr der Verselbständigung einer „Despotie“ sollte durch die materiellen Anreize eines mittelständischen Privatkapitalismus und der „Konkurrenz“ der staatlichen Grossbetriebe auf dem Weltmarkt aufgebrochen werden. Jedoch nicht die kapitalistischen Investoren oder das private Kapital sollte die Oberhand gewinnen und dem westlichen Finanzkapital Einfluss und Herrschaft gewähren. Der chinesische Staatskapitalismus improvisierte als Staatshandel und Staatsbank die westlichen Methoden der Spekulation und der Kreditvergabe und koppelte diese „Kapitalisierung“ mit einer ökonomischen Politik des privaten Handels, des Mittelstands und der Bauernwirtschaft. Zugleich produzierten die Staatsbetriebe vorerst Ramschprodukte für den Weltmarkt, stellten sich jedoch auf eine Qualitätsarbeit im Auto- und Maschinenbau ein. Ob dieser Kriegskommunismus als Friedenswirtschaft Erfolg haben wird, wird sich zeigen. Eine Rüstungswirtschaft, moderne Armee und Flotte belegen die Ziele eines chinesischen Imperialismus, der seinen Einfluss in Asien und Afrika ausbaut. Hatte Russland Mühe, sich als europäische und asiatische Macht zu konsolidieren, stemmte sich die Volksrepublik China gegen die us-amerikanischen Ansprüche von Weltmacht und Einflusszonen.

5.    Mischformen der Industrialisierung: Der asiatische Kontinent weist neben dem japanischen und chinesischen Weg zum Kapitalismus Wirtschaftsexperimente auf, die sich an Europa, die USA, Russland oder das britische Empire orientieren. Die wachsende „Überbevölkerung“ kann durch eine mässig wachsende Wirtschaft nicht absorbiert werden. Sie wandert ab, gefördert durch den Weltmarkt oder durch ein EU – Recht oder illegal, nach Europa, Russland oder Nordamerika. Dadurch entstehen in diesen Gesellschaft „kulturelle Zonen“, die die ursprüngliche, nationale Kultur zersetzen oder zu einem neuen, anderen Zusammenhalt kombinieren.

6.    Die Teilmärkte unter dem Druck des Weltmarktes: Der Weltmarkt teilt sich auf in die unterschiedliche Teilmärkte, die zwar der industriellen Produktivität „Rechnung“ tragen und sich den Durchschnittpreisen, Gewinnen und Profiten annähern, trotzdem die Politik und den Staat als Regulator benötigen. Dieser Staatseingriff wird durch das nordamerikanische Finanzkapital in Lateinamerika, Europa, Afrika, Australien, Asien, Russland und China aufgebrochen. Die Sicherung der Weltrohstoffe wird als Ursache der Intervention genannt. Es geht jedoch darum, jede Souveränität und Unabhängigkeit auszulöschen, um über einen Weltmarkt die eigene Ordnung zu sichern, die eine Konkurrenz der kulturellen Werte, der politischen Mächte oder gar des Fremdkapitals nicht dulden kann. Die Sicherung der Macht des Finanzkapitals benötigt den Staat und die Legitimation über eine „parlamentarische Demokratie“, die allerdings den Interessen der Lobbygruppen des Kapitals folgen muss. Diese „Legitimation“ durch die „Massen“ benötigt die mediale Inszenierung von Politik und Wohlbefinden und sie ist auf die Einfluss- und Machtlosigkeit der „Bürger“ und „Wähler“ angewiesen. Schon deshalb werden die Partei- und Staatseliten kontrolliert, „bezahlt“ und „verwaltet“. Derartige Herrschaftsmethoden und Feindbilder gegen Russland, China, den Iran, den Islamismus erfordern die politische, wirtschaftliche und kulturelle Einheit des Imperiums.

7.    Die Theorie des staasmonopolistischen Kapitalismus und die Fragen der „Raumrevolution“: Nikolai Bucharin und Eugen Varga begründeten eine Theorie des „Staasmonopolistischen Kapitalismus“ (Stamokap), die von einer doppelten Negation der finanzkapitalistischen Intervention auf Wirtschaft und Staat ausging. Die Existenz der „Sowjetunion“ und der kommunistischen Arbeiterbewegung zwang nach diesem theoretischen Kalkül das Finanzkapital, einen Sozialstaat anzuerkennen und zu fördern und zugleich gegen die kommunistische Herausforderung faschistische oder konterrevolutionäre Parteien oder Formationen zu formieren. Mit Hilfe dieser „konterrevolutionären Kräfte“ wurden Kriege vorbereitet, konnte Georgij Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale berichten. Ein ausserökonomischer Faktor verlangte neben den Verfassungsrechten die Anerkennung sozialer Rechte im Staatsaufbau. Zugleich fand der „Faschismus“ Unterstützung, um die kommunistischen Ansprüche einzugrenzen und zu überwinden. Wir folgen dagegen der Einschätzung von Karl Marx, Rudolf Hilferding, W. I. Lenin, Rosa Luxemburg, Max Horkheimer und Herbert Marcuse. Die Arbeiten der konservativen Denker um Max Weber, Carl Schmitt und Ernst Forsthoff über die Herrschaftsformen und über den Status von Recht und Verfassung geben weitere Einblicke.

8.    Zur Theorie der Doppelmacht: Das Finanzkapital formierte neben dem nationalen Staat eine internationale Doppelmacht. Die Staatsinterventionen bzw. die Methoden des Staatskapitalismus wurden genutzt, eigene Interessen umzusetzen. Die „Inszenierung“ der Demokratie als Parteienherrschaft und als Medienmacht sollte sicherstellen, die politischen Eliten in Abhängigkeit zu bringen und die sozialen Klassen und Interessengruppen zur Anerkennung bestehender Herrschaft zu zwingen. Die Umdefinition der Klassen in Publikum, Konsument, Zuschauer usw. sicherte neben der Subsumtion der politischen Eliten unter die kapitalistischen Interessen die Macht des Finanzkapitals, ohne Widerstand oder Widerworte zu riskieren. Die „Paralyse“ und die „Chaotisierung“ der Gesellschaft, ihre Pauperisierung und Verwahrlosung garantierten die finanzkapitalistische Macht als demokratisch inszenierte Diktatur. Diese Macht wirkte expansiv und empfand jeden Widerspruch als politische Herausforderung, so dass neben dem Sicherheitsstaat der Sozialstaat die Ausmasse eines totalen Staates gewann, ohne allerdings eine offensive „Militarisierung“ und „polizeistaatliche Kontrolle“ der Gesellschaft zu eröffnen. Die Sicherung der Weltrohstoffe und die massive Aufrüstung trugen die Potenzen neuer Kriege. Neue Regionen und Kontinente sollten vom Imperium besetzt werden.

9.    Finanzkapitalistische Machtprinzipien und die Zerstörung der kontinentalen Ordnung: das Beispiel Russland. Der Zusammenbruch des russischen Kriegskommunismus Ende der achtziger Jahre hatte viele Ursachen. Die Planwirtschaft verlor die Übersicht über die industriellen und materiellen Ressourcen. Die Hierarchie der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger potenzierte einen Bürokratismus, der auf die produktiven und technologischen Veränderungen der industriellen Produktion nicht mehr reagieren konnte. Die Mangelwirtschaft schuf Unzufriedenheit im Volk. Die Arbeitsethik wurde zerstört. Schlamperei, Diebstahl, Gleichgültigkeit und Sabotage gehörten zum Arbeitstag der Ingenieue und Arbeitskräfte. Die ideologische Propaganda verlor jede Resonanz. Die Mangel- und Planwirtschaft gab den russischen Werktätigen „überschüssiges Geld“, das sie nicht ausgeben konnten, weil es nichts zu kaufen gab. Die Korruption zerfrass eine geplante „Reproduktion“ der Wirtschaft. Ein „geheimer Kapitalismus“ breitete sich über den Schwarzmarkt und über die organisierte Kriminalität in der Wirtschaft und in den „Staatsorganen“ aus. Den Rüstungswettstreit zwischen USA und UdSSR musste die russische Diktatur verloren geben. Die Rüstungswirtschaft befruchtete nicht die Konsumindustrie. Sie kostete Riesensummen Rubel. Forschung und Spionage waren schlecht mit der Wirtschaft koordiniert. Armee und Geheimpolizei konnten die Gesellschaft nicht länger „militarisieren“ oder kontrollieren. Im wachsenden Chaos konnte sich das finanzkapitalistische Prinzip von Macht und Geschäft ausbreiten, wie Michail Chodorkowski in „Mein Weg, ein politisches Bekenntsnis“ beschreibt. Erste Reformen legalisierten zum Ende der achtziger Jahre den „grauen“ und den „schwarzen“ Markt. Ein eigenständiges „Wirtschaften“ sollte die Kooperation zwischen den Staatsunternehmen und den Universitäten erleichtern. Die Kosten sollten für die staatlichen Grossbetriebe gesenkt werden. „Private Kooperative“ sollten die Möglichkeiten schaffen, mehr Konsumgüter herzustellen.  Chodorkowski organisierte in Moskau an der Universität und an der Akademie der Wissenschaften junge Forschungsspezialisten, die neue technische Produkte entwarfen und für den Konsummarkt aufbereiteten. Vor allem die Computertechnik, die Produktion künstlicher Diamanten oder Kunststoffe, Farben wurden für russische Verhältnisse übersetzt, verändert und für die Massenproduktion vorbereitet. „Leistungsverträge“ zwischen den einzelnen Abteilungen der Universität und den Staatsbetrieben wurde geschlossen, um an „Material“ oder Rohstoffe heranzukomen. Ein staatliches Komitee für Preise behinderte weiterhin die Flexibilität der Kooperativen und sorgte für langwierige und bürokratische Verfahren. Das „übeschüssige Geld“ der Betriebe und der Konsumenten verlangte nach einem „freien Handel“, der schliesslich von der staatlichen Preisaufsicht gewährt wurde. Die Planwirtschaft zerbrach. Jetzt liefen sogar die Geheimpolizisten zu den neuen Unternehmern über und lieferten Informationen. Chodorkowski erlangte dadurch von der Staatsbank die Erlaubnis, eine „Geschäftsbank“ zu gründen und mit Devisen und ausländischen Waren, etwa mit amerikanischen Computern, „russifiziert“ im Sprachprogramm und in der „Logistik“, zu handeln. Als erfolgreicher Unternehmer unterstützte er Jelzin bei der Präsidentenwahl Mitte der neunziger Jahre. Es gelang ihm, Erdölquellen und Rohstoffelder zu erwerben und gründete im neuen Jahrtausend den Yukos – Konzern. Er kooperierte eng mit den nordamerikanischen Chevron – Konzern und wollte eine Pipeline nach China und nach Murmansk errichten. Von Chevron übernahm er unterschiedliche Technologien, die das nordamerikanische Patent trugen, die als „Privileg“ die Dieselproduktion aus Erdgas „revolutioniert“ hätten. Chodorkowski  finanzierte die russischen Parteien Jabloko, Einheitliches Russland, sogar eine Kommunistische Partei. Zugleich wollte er Fernsehsender aufkaufen, Universitäten und Forschungsakademien einrichten und sich als Präsidentschaftskandidat gegen Putin aufstellen lassen. Er verkörperte ohne Zweifel die amerikanische „Freiheit“ in Russland, trotzden stand die „Struktur“ von Politik und Öffentlichkeit, Technik und Patentrecht, Finanzkapital und Rohstoffverarbeitung, Wissenschaft und Forschung nicht in der „russischen Tradition“. Der Schutz des Volkes, der Rohstoffe und der Wirtschaft liess sich mit dieser „Kapitalisierung“ nicht vereinbaren. Nicht aus dem „russischen Kontinent“ wurden neue Formen der Demokratie, des Rechts und des Marktes aus dem „Kriegskommunismus“  ertrotzt, sondern das Prinzip des westlichen Finanzkapitalismus wurde „aufgeproft“. Das mag der Grund sein, warum der Präsident Putin Michail Chodorkowski verhaften liess.

10.    Die vier Säulen der nordamerikanischen Zivilisation: In Strategiepapieren des Center for a New American Security (CNAS) und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) werden die vier Säulen der nordamerikanischen Weltordnung herausgestellt. Sie umfassen Frieden, Wohlstand, Demokratie und Menschenrechte. Sie werden gesichert und ausgebaut über die Welthandelsordnung (WTO), Weltfinanzordnung (IWF), Seefahrtfreiheit (UNCLOS), die Nichtverbreitung von Atomwaffen und die Menschen- und Freiheitsrechte. In Russland und vor allem in China werden diese Säulen des nordamerikanischen Imperiums nicht anerkannt. Die chinesische Volksrepublik unterläuft durch Staatsunternehmen, durch die Staatsbank und durch die Kopie der finanzkapitalistischen Methoden in Handel und Kreditmarkt die Welthandelsordnung. China untergräbt durch eigene Kreditvergaben den internationalen Währungsfonds und wickelt den Welthandel nicht über den Dollar, sondern über den chinesischen Yuan ab und vergibt eigenständig Kredite an afrikanische und lateinamerikanische Staaten. Diese Grossmacht benutzt den Dollar zur „Gegenspekulation“, um die manipulierte Staatsverschuldung und Währungspolitik des nordamerikanischen Finanzkapitals in den Staatsbankrott der USA zu überführen. China verstösst gegen das internationale Seerecht, denn es beansprucht Inseln im südchinesischen Meer. Es will die Rohstoffe und Erdöllager für die chinesische Volkswirtschaft sichern. Der Bau der Atomwaffe wird durch China in Nordkorea und im Iran unterstützt. Es akzeptiert nicht die westlichen Handels-, Menschen- und Freiheitsrechte und unterstützt eine politische Ordnung, die sich grundsätzlich von der nordamerikanischen Demokratie unterscheidet. Dadurch gibt primär China sich als „Feind“ der USA und Westeuropas zu erkennen. Cuba, Venezuela, Iran, Russland wären machtunfähig, würde China nicht für die Souveränität dieser Staaten einstehen.

11.    Die USA und die „Swingstaaten“: Um China zu isolieren, orientieren die USA sich auf die „Übergangs- und Swingstaaten“, die eine eigenständige Industrialisierung durchführen und zugleich Teilmärkte des Welthandels bilden. Es handelt sich um Brasilien, Indien Indonesien und die Türkei. Diese Staaten sollen überzeugt werden, die chinesische Wirtschaftsexpansion zu stoppen. Im Rahmen der WTO sollen Schutzzölle gegen chinesische Importe erhoben werden. Mit den einzelnen Unternehmerverbänden sollen Verhandlungen aufgenommen werden, die chinesische Konkurrenz einzudämmen und zu vermeiden, chinesische Kredite anzunehmen. Freihandelszonen mit den USA sollen gegründet werden, um die eigene Wirtschaft zu fördern und den Einfluss des IWF zu gewährleisten. Aus diesem Währungsfonds sollen die Nationalbanken und Staaten Kredite aufnehmen. Eine Kooperation mit Brasilien sollen die USA befähigen, in Afrika eine neue Entwicklungspolitik aufzunehmen, die sich nicht primär um die Rohstofflager kümmert, sondern die wirtschaftlichen Grundlagen der einzelnen Staaten fördert. Die chinesischen Erfolge in Afrika beunruhigen die USA, die Brasilien einsetzen müssen, um auf die afrikanische Kultur und Sozialstruktur eingehen zu können, ohne die korrupten Eliten zu unterstützen. Die Militärmacht der Türkei wird angesprochen, die arabischen Armeen in Saudiarabien zu trainieren und die Verbindungen zur NATO und zur Bundeswehr zu verstärken. Das türkische Militär soll zur politischen Stabilisierung der Region beitragen, falls ein interner Bürgerkrieg die staatliche Struktur Syriens und des Iraks zerstört. Die türkische Armee soll die Intervention der USA oder Israels „übernehmen“ und zugleich den Nahen Osten im Sinne der nordamerikanischen Ordnung befrieden. Der Türkei wird zugestanden, dass kein kurdischer Staat gegründet werden kann. Ausserdem soll die Türkei Teil der EU werden, um diesen Staatenbund und die NATO in den potentiellen Krieg gegen den Iran und gegen Russland einzubinden. Diese Swingstaaten sollen angeregt werden, Parteien und politische Eliten im nordamerikanischen Sinn aufzubauen. Ausserdem sollen Nichtregierungsorganisationen (NGO) den chinesischen Einfluss in Indonesien und in den arabischen Staaten zurückdrängen.

12.    Die Weltüberbevölkerung und die sozialen Völkerwanderungen: Die Produktivität der kapitalistischen Industriezweige und das Wachsen der Weltbevölkerung „produzieren“ eine Überbevölkerung, die von den bestehenden Arbeitsmärkten der einzelnen Staaten nicht aufgenommen werden kann. Eine grosse Masse, junge und alte Arbeitskräfte, Flüchtlingen, Vertriebene, Verelendete, Arme, Emigranten werden durch Sozialhilfen und Hilfsgelder ernährt. Sie erlauben primär in Zentraleuropa, in Deutschland und in einzelnen Städten und Staaten der USA den Betroffenen ein „Überleben“, das lediglich den Bruchteil des Wohlstands des Mittelstands erreicht. Fast Eindrittel der europäischen Bevölkerung geriet in den Status der Hilfsbedürftigen. Sie „geniesst“ einen Lebensstandard, der zwar im Masstab des Landes „erbärmlich“ bleibt, trotzdem gegenüber Afrika, Asien und Lateinamerika eine „Verheissung“ vorstellt. Dort darben fast Zweidrittel der Völker ohne Land, ohne Auskommen und Arbeit in den Slumgrosstädten. Eine industrielle Entwicklung scheint unmöglich zu sein, weil die imperialistischen Mächte an Rohstoffen, Urwald und Land interessiert sind und die korrupten Eliten diese Interessen bedienen. Vor allem die Jugend kennt deshalb nur ein Ziel, nach Europa oder Nordamerika zu kommen, um hier zu überleben. Dieser Sozialstaat und dieses Flüchtlingslager in Europa müssen polizeiliche Methoden der Kontrolle einsetzen, um diese Massenbevölkerung der Paupers unter Aufsicht zu halten. Nicht allein der Ausnahmestaat, Rüstung und Militär bedrohen den Rechtsstaat, er wird zugleich durch den Sozialstaat untergraben, der die Hilfsgelder verteilen muss. Neben dem Ausbau des Sicherheits-, Militär- und Polizeistaates übernimmt der Sozialstaat Polizeiaufgaben, denn Einkommen, Bankkonten, Geschäfte, Krankheit, Geburt, Gesundheit der einzelnen Bürger werden durch diesen Staat registriert und verwaltet. Die kleine Schicht der Millionäre und Milliardäre aus dem Sektor der Finanzspekulation wird allerdings von diesen Massnahmen ausgenommen.

13.    Jugendarbeitslosigkeit: Nach Berechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat die aktuelle Krise fatale Auswirkungen auf die Sockel- und Jugendarbeislosigkeit. Die produktive Industrie, Wirtschaft und Verwaltung können in Europa die Masse der Arbeitslosen nicht mehr aufnehmen und beschäftigen. Selbst wenn die Konjunktur irgendwann wieder anspringen würde, wäre diese Massenarbeitslosigkeit nicht überwindbar. In Spanien etwa lag die strukturelle Arbeitslosigkeit Ende 2011 bei 12,6% der arbeitsfähigen Bevölkerung. Diese Arbeitslosen würden zu keinem Zeitpunkt mehr einen Arbeitsvertrag erhalten. Griechenlands „bereinigte“ Erwerbslosenrate wies die Ziffer von 12,8% auf. Vor allem die Südländer der EU gewannen für Investoren keinerlei Attraktivität. Sie errichteten die neuen Autofabriken oder Zuliefererfirmen in China, Indien oder in USA. Die miserable Schul- und Berufsausbildung, die schlechte Arbeitsmoral und die Kosten schreckten die Finanziers ab. Dadurch stieg die „Trendarbeitslosigkeit“ in Südeuropa noch weiter. Vor allem junge Menschen sind von dieser Arbeitslosigkeit betroffen. Ihre Biographie wird kaum eine Beschäftigungskarriere aufweisen, falls sie nicht nach Nordeuropa auswandern. Bei den jungen Menschen unter 25 Jahren ist in Europa fast jeder vierte ohne Arbeitsplatz, Die Arbeitslosigkeit erreicht in dieser Gruppe oder „Generation“ der Erwerbslosen über 25%. Eine wachsende Verwahrlosung der Jugend ist zu erwarten. Soziale Unruhen und Radikalismus finden in dieser hoffnungslosen Jugend ein Echo. Zwar sollen staatliche Massnahmen eine „Bildungspolitik“ ergänzen, die die Jugend bisher an die Universitäten, Schulen und Fachhochschulen versetzt hatte, ohne ihr gesellschaftlich notwendige Berufe oder Fachwissen zu vermitteln. Derartige Bildungsmassnahmen sind kaum finanzierbar, werden jedoch von der EU erweitert und auf die Unterschichtsjugend ausgedehnt, ohne zu wissen, welche Ziele diese „Beschäftigungstherapie“ verfolgt. Sie in die Armeen zu stecken, die Gesellschaften zu militarisieren, würde die Gewaltbereitschaft und die Kriegsgefahr erweitern. Den Zynismus der Politiker kann sich niemand vorstellen, die Jugenderwerbslosigkeit und die Massenarbeitslosigkeit über Kriege regeln zu wollen.

14.    Die Neugeburt des nordamerikanischen Kontinents: Eine neue Lage auf dem Weltmarkt entstand, als sich herausstellte, dass in den USA riesige Erdöl- und Erdgaslager gefunden wurden. Die Preise für Energie mussten nicht ausschliesslich über die Sicherung der Weltrohstoffe gewährleistet werden. Das US – Finanzkapital verfügte über Rohstoffreserven, die für eine Reindustrialisierung Nordamerikas eingesetzt werden konnten. Die industrielle Infrastruktur wurde bisher durch den europäischen Maschinenbau, die Auto-, Chemie- und Pharmaindustrie gefährdet. In USA war ausserdem die Bildungskapazität der Facharbeiter, der Ingenieure und des mittleren Managements unterentwickelt. Neben der Spitzenforschung und neben den Spezialisten und Forschern in der Rüstungsindustrie fehlte der Unterbau einer grundlegenden Fach- und Berufsausbildung. Durch die billigen Energiepreise für Kohle, Diesel, Bezin und Elektrizität verlangten die Hilfs- und Massenarbeiter keine hohen Löhne, denn die Sozial-, Renten- und Gesundheitsabgaben waren gering. So kann passieren, dass der deutsche Maschinenbau, die Autoindustrie und die anderen produktiven Industriezweige in Nordamerika neue Betriebe aufbauen und die Gesellschaft bildungs- und berufsmässig „kultivieren“. Der Schaden, den die Finanzoperationen und Spekulationen in Nordamerika angerichtet hatten, wird plötzlich durch die nordeuropäischen Kulturleistungen relativiert und zurückgenommen. Es ist jedoch anzunehmen, dass das US – Kapital aus den alten Fehlern nichts lernen wird. Erneut wird das Prinzip des „Catch is catch can“ alle Aufbauleistungen zerfetzen. Ein „europäischer“ Reform- und Bildungsstaat wird nicht existieren.

15.    Über den Okkultismus als Herrschaftsprinzip: Die Marx’sche Religionskritik und die konservative Feindanalyse stimmen in einzelnen Punkten überein. Für Marx stand in der Kritik am Christentum fest, dass der Geldfetisch, das Finanzgebaren, die Spekulation, die Gesinnungsethik des Geldgeschäfts alle Religionen erfassten, die wie die jüdischen, katholischen, protestantischen und islamischen Religionen von einem einzigen „Menschengott“ sprachen, der im Leben der Menschen und zugleich in der Geschäfts- und Arbeitsethik „verkörpert“ wurde. Nicht nur dass die Menschen in diesen Religionen sich als Menschheits- und Sozialprinzip selbst anbeteten, sie übertrugen nach Marx die Geldakkumulation und die Mühen der notwendigen Arbeit auf die Religion als Schuld und Verheissung. Dadurch verloren die religiösen Menschen das Bewusstsein von Freiheit und Gerechtigkeit. Sie leiteten die Freiheits- und Menschenrechte aus den frühen und entstehenden Kapitalismus ab. Ein „Geld- und Warenfetisch“ wurde nach Marx auf den Liberalismus und auf die unterschiedlichen Utopien und „politischen Religionen“ übertragen. Durch diese Übermacht der religiösen Mysterien im menschlichen Denken wurden die die nachfolgenden Ideologien als „politische Religionen“ einem wachsenden Irrationalismus ausgesetzt. Je technisch rationaler die Gesellschaft durch den modernen Kapitalismus gestaltet wurde, desto irrationaler wurde der Glauben bzw. die ideologische Weltsicht.  Völkerhass, Rassismus, Astrologie, Weltuntergang, Wunderglauben und Mystik steigerten den irrationalen „Verstand“ in einer durchrationalisierten und technologisch vollkommenen „Gesellschaftsmaschine“. Dieser religiöse Okkultismus war deshalb nach Marx Mittel, die Aufklärungsphilosophie zu verfälschen und die soziale Angst und Entwurzelung zu politisieren. Die Herrschaft der wenigen Geldmagnaten und Mächtigen konnte nur gelingen, wenn die Klassen, Völker und Nationen jeden Gedanken an die eigene Stärke und Tradition verloren und sich in einem Kampf der Religionen und Kulturen verschleissen liessen. Marx sprach diese Religionskritik wiederholt als Form der „Entfremdung“ und der „reellen Subsumtion“ der Arbeitskräfte unter die Kapitalbedingungen von Markt, Geld, Lohn, Profit, Preis und Produktion an. Dem atheistischen Materialisten interessierten nicht die moralischen, ethischen und kulturellen Aufgaben der „Menschengottreligionen“, um so ewas zu garantieren wie „Gottvertrauen“, Moral und Verantwortungsethik. Die Religion gewann bei den Konservativen einen anderen Stellenwert. Die konservativen Kritiker des Liberalismus und der modernen Ideologien setzten eine Feindanalyse an den Anfang der Staats- und Demokratiekritik. Der Feind und Gegner der eigenen Kultur, der die Lebens- und Arbeitsbedingungen bedrohte oder sogar zerstörte, sollte analytisch bestimmt werden, um einen fatalen „Funktionalismus“ bzw. eine Rechtfertigung der kapitalistischen Produktion oder des Bankgeschäfts zu vermeiden. Katholizismus oder Protestantismus bezeichneten den Ausgangspunkt der Feindsicht. Der wachsende Irrationalismus, die Dekadenz, die Zerstörungswut, die „Fäulnis“ des Feindes sollte benannt werden, um sich der eigenen Kraft und Gesellschaftlichkeit zu vergewissern. Die christliche Religion bildete die Voraussetzung der Feindanalyse. Sie gab Grundwerte und Tradition. Diese Vorgehendweise lässt sich in der Philosophie von Martin Heidegger, in der Soziologie von Hans Freyer, in den Arbeiten von Ernst Jünger und in der Staatstheorie von Carl Schmitt aufspüren.

Skizzen einer „Raumrevolution“ in Europa

Die USA übertrugen nach dem II. Weltkrieg ihre Herrschaftsmethoden und die Prinzipien der Macht auf Westeuropa und Japan. Nach 1989 wurden Versuche gestartet, Osteuropa, Russland, die Türkei und sogar den Nahen Osten nach diesen Ordnungsfaktoren zu gestalten. Die USA betätigten sich in diesen Gesellschaften nicht offen als Kolonialmacht, Diktatur und Unterdrücker, obwohl der militärische Sieg und die Besetzung der genannten Länder erst die Garantie bot, die eigenen Interessen umzusetzen. Formal wurden die Freiheits- und Demokratierechte eingeführt und sogar Wirtschaftskonjunkturen angestossen, die dazu beitrugen, das Elend und die Folgen der Kriege und Diktatur zu überwinden. Die Werte und Formen einer instrumentalisierten „Demokratie“ wurden aus USA übersetzt und verbunden mit einem kapitalistischen Lebensstil, Medienkult und Konsumideologie. Die Vereinzelung und Zersplitterung aller sozialen Klassen, Schichten, Bürger und Interessen durch derartige Methoden sicherte den kleinen Gruppen in Wirtschaft und Staat die Macht. In den zwei, drei Grossparteien verwalteten und gestalteten ausgesuchte und überprüfte Eliten, Cliquen und Gruppen eine parlamentarische Demokratie, die den Widerspruch und die Konkurrenz der unterschiedlichen Demokratieformen nicht kannte. Die Wähler wurden zu den „Konsumenten“ und Zuschauern von Ereignissen, Debatten und politischen Szenen, ohne selbst entscheiden zu können. Eine „Einheitspartei“ inszenierte Demokratie als Spektakel.

Westdeutschland gewann ab Mitte der fünfziger Jahre über den Marshall – Plan durch eine „Wohlstandsgesellschaft“ sogar nachträglich gegenüber einzelnen West- und Oststaaten den II. Weltkrieg. Ohne die Unterstützung der USA wäre die Wiedervereinigung der zwei Deutschlands nach 1989 unmöglich gewesen. Umgekehrt half  das geeinte Deutschland den USA, in Osteuropa, in Asien und Nordafrika Einflüsse zu gewinnen, um die Rohstoff- und Absatzmärkte zu sichern. Die enge Kooperation der deutschen und nordamerikanischen Wirtschaft war Ausdruck der Präsenz und der direkten Eingriffe der USA. Umgekehrt profitierten die deutschen Märkte von der Dynamik und der Politik Nordamerikas. Allerdings vermieden die deutschen Regierungen, sich in die Interventionskriege dieser Grossmacht hineinziehen zu lassen. Weder in Korea, in Vietnam, im Irak, in Syrien kämpften deutsche Truppen oder Legionäre. Der Krieg in Afghanistan dokumentierte eine ersten „Waffenbrüderschaft“ und es ist zu vermuten, dass ein Angriff auf den Iran eine deutsche, militärische Teilhabe verzeichnen würde. Die Bundesrepublik stabilisierte im Sinne der USA Westeuropa und erleichterte den Zusammenbruch des „Kriegskommunismus“ in Osteuropa. Trotzdem wiesen beide Mächte eine eigene und andere Tradition von Wirtschaft und Politik auf. In der Gegenwart scheint die zerstörerische Kraft des Finanzkapitals dieses „Bündnis“ und die Stabilität der gemeinsamen Ziele zu untergraben.

Der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, setzte auf eine enge Zusammenarbeit mit den USA, um einen neuen, deutschen Teilstaat aus den Resten bzw. Trümmern der NS – Diktatur und der preussischen Tradition zu begründen. Ihm war zugleich wichtig, die westdeutsche Wirtschaft technologisch zu erneuern und über eine Wirtschaftskonjunktur, die „Eingliederung“ der vielen Flüchtlinge, Ausgebombten und „Heimkehrer“ zu gewährleisten. Aus dem Schutt der NSdAP zwei Grossparteien zu errichten und zu zwei politischen, fast „identischen“ Lagern zu fügen, ohne der NS – Ideologie einen Auftrieb zu geben, konnte ohne die USA nicht gelingen. Diese Grossmacht verzichtete auf eine „antifaschistische Neuordnung“, die in Potsdam zwischen der UdSSR und den Westalliierten ausgehandelt wurde und stützte sich auf deutsche Kämpfer und „Partisanen“ aus den Wehrmachtverbänden, der GESTAPO und der SS, um einen russischen Angriff abwehren zu können. Präsident Harry Truman und sein Geheimdienstchef Allan Dulles waren überzeugt, dass die russische Gegenmacht die revolutionären Unruhen in China, Indien, Persien, Griechenland, Westeuropa und Afrika ausnutzen würde, um mit den kampferprobten Panzerverbänden bis zum Atlantik vorzustossen. Die deutschen Kämpfer sollten einen Partisanenkrieg eröffnen und die Rote Armee aufhalten, bis die nordamerikanischen Bomberverbände den Vormarsch zusammemschiessen würden. Eine Geheimarmee, Gladio,  von ein paar zehntausend Mann, wurde mit amerikanischen Waffen und Offizieren ausgerüstet. Die USA als Siegermacht schienen mit dem Anspruch der Freiheits- und Menschenrechte die Anschauungen eines „Führerstaates“ und die Utopien der kommunistischen Ideologie endgültig zu widerlegen und durch den materiellen Realismus einer Konsumgesellschaft, des Wohlstands und der wehrhaften Demokratie zu begründen. Endlich „kämpfte“ das westliche Restdeutschland auf der richtigen Seite.
Im Sog dieser geheimen Militarisierung des entstehenden „Kalten Krieges“ entdeckte der ersten Bundeskanzler der deutschen Westrepublik die Chance, aus den unverbrauchten „Resten“ des deutschen Volkes und aus den produktiven Beständen von  Wirtschaftsfachleuten, Managern, Militär und Sicherheitsdiensten einen neuen Staat aufzubauen. Die katholische Bourgeoisie des Rheinlandes, Schwabens und Bayerns sollte das soziale Fundament des neuen Staates abgeben. Die katholische und christliche Arbeiterbewegung, alles tapfere Soldaten und Facharbeiter, sollten die bürgerlichen Ansprüche ergänzen und zu einer Bündnis- und Volkspartei vereinen. Der Antipreusse Adenauer nahm die Reform- und Bündnispolitik des preussischen Staates auf, internationalisierte sie jedoch durch den europäischen Katholizismus, der die Grundlagen des europäischen Faschismus und deutschen Nationalsozialismus pragmatisch und ideologisch überwinden sollte. Ihm war zugleich wichtig, den Staat Israel anzuerkennen und eine Politik der Wiedergutmachung an den Juden einzuleiten, um zu vermeiden, dass die zionistischen Kreise in Israel, Europa oder USA Front bezogen gegen den westdeutschen Teilstaat. Der neue Bundesstaat und die Kanzlerdemokratie waren auf die Unterstützung der USA angewiesen, um das Experiment der Neugründung mit den alten, belasteten Beamten und Funktionären zu starten und die politischen Wurzeln einer „Volkspartei“, der CDU/CSU zu stabilisieren, die gerade nicht eine Fluchtburg der Parteigenossen der NSdAP werden sollte. Dieses doppelte Experiment einer Staatsgründung und der Formierung einer Parteiendemokratie gelang, weil der Kanzler Adenauer den Auflagen des Besatzungsstatutes, der „Kanzlerakte“ und der Verträge mit den USA genügte. Er spielte den „Kanzler der Alliierten“, wie Kurt Schumacher höhnte, und erschuf aus den Trümmern der deutschen Kriegswirtschaft und des totalen Staates eine neue Ordnung und Ökonomie. Diese Politik folgte den Direktiven und Vorbehalten der USA und besass trotzdem eine deutsche Tradition. Die Bündnis- und Reformpolitik, die Verbindung von Sozial- und Sicherheitsstaat, die staatliche Konjunkturpolitik, das weitgefächerte Bildungsprogramm, der wachsende Wohlstand, die Einrichtung einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“, der soziale Aufstieg eines geschundenen Volkes nahmen die Tradionen Preussens und der „deutschen Reiche“ seit 1871 auf.

Die Bundesrepublik überrundete sehr schnell Frankreich und England. Es mussten keine Koloialkriege geführt werden. Ausserdem musste kein „Kolonialreich“ finanziert werden. Es war nicht nötig, die vielen Wirtschaftsflüchtlinge aus Nordafrika und dem „Empire“ aufzunehmen. Die Bundesrepublik verfügte über das Fachwissen und den Aufbauwillen eines Restvolkes, das die Wirtschaftsräume Ostdeutschlands und Osteuropas aufgeben musste. In Westeuropa behinderten die Kolonien ein „Neubeginnen“. Stattdessen siedelte Nordafrika in Südfrankreich und Kalkutta breitete sich in London und Manchester aus. Die Kolonialkriege erreichten die „Mutterländer“ und destabilisierten Wirtschaft und Politik. England und Frankreich verloren nachträglich den II. Weltkrieg und waren auf die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik angewiesen, um selbst ein labiles Gleichgewicht zu halten. General De Gaulle bewunderte deshalb den Kanzler Adenauer und wollte die westdeutsche Politik aufnehmen und erweitern in ein Europa der „Vaterländer“. Nach diesem Muster sollte eine „Europäische Union“ errichtet werden. Die Bundesrepublik wurde zum wirtschaftlichen und kulturellen „Drehpunkt“ des neuen Europas erklärt. Eine derartige „Integration“ lag durchaus im Interesse des nordamerikanischen Finanzkapitals. Vorerst musste deshalb eine neue Ostpolitik eingeleitet werden, um Russland und Osteuropa zu destabilisieren.

Die beiden Deutschlands, die Bundesrepublik und die DDR, wurden in den Plänen der NATO und des Warschauer Paktes als Regionen des Krieges, des Aufmarsches und des Einsatzes von Raketen gesehen. Diese beiden Deutschlands wären in eine Mondwüste bei Ausbruch des modernen und totalen Krieges verwandelt worden. Die westdeutschen Kanzler und die Staatsratsvorsitzenden der DDR wussten, welchem Zwang und welcher Verantwortung sie ausgesetzt wurden. Die USA beobachteten misstrauisch die Angebote Stalins an den Kanzler Adenauer, die deutsche Einheit und einen Friedensplan zu riskieren. Er lehnte ab, denn die USA hielten die Bundeswehr, den Bundesnachrichtendienst und die Regierung unter Kontrolle. Die Nato- und die Wirtschaftsverträge nahmen neben dem Besatzungsrecht und den Stationierungsauflagen der Bundesrepublik die Souveränität. Adnauer verhandelte mit Nikita S. Chrustchew Mitte der fünfziger Jahre über die Rückkehr der deutschen Kriegsgefangenen. Erste Handelsverträge wurden geschlossen. Ludwig Erhardt weigerte sich, die Kriegspolitik der USA in Vietnam und im Nahen Osten in den sechziger Jahren zu unterstützen. Die Studentenrevolte war ihm willkommerner Anlass, vor einem Kriegseinsatz deutscher Soldaten im Ausland zu warnen. Die Regierungen unter den Kanzlerschaften von Georg Kiesinger und Willy Brandt setzten die Adenauerpolitik fort, denn die Sozialdemokratie hatte die „List der Vernunft“ des alten Kanzlers übernommen und sie war wie die CDU daran interessiert nach 1961, nach dem Mauerbau in Berlin, die Kriegsfronten im Osten durch einen Reform- und Gullaschkommunismus aufzuweichen. Die Verwestlichung der Oststaaten und der DDR lag durchaus im Interesse der USA und im Kalkül der finanzkapitalistischen „Doppelmacht“.

Erst 1989, beim Zusammensturz des Kriegskommunismus, traten Widersprüche auf. Kanzler Helmut Kohl wurde von der US – Regierung und vom Finanzkapital auf die Chancen der „deutschen Einheit“ aufmerksam gemacht. Es wurde wichtig, die Generalität und das Offizierkorps der „Volksarmee“ und der „Sovetskaja Armija“ abzufinden und ihnen den Verteidigungswillen zu nehmen. Noch wichtiger wurde es, dem Geheimdienst, KGB, MfS und HVA, neue Aufgaben in der Wirtschaft zu übertragen, ohne eine „revolutionäre Rachejustiz“ einzuleiten. Nicht vergessen werden durfte, die Parteiführung von SED und KPdSU zu schonen und ihre Legalisierung in einer neuen Republik zu gewährleisten. Die Formel der „friedlichen Revolution“ im Osten umschrieb die Manöver, den alten Führungskadern aus Politik, Militär und Sicherheit im Osten Straffreiheit zu gewähren und sie unterzubringen im Sozialstaat und in der Wirtschaft. Voraussetzung dafür war, die entstehende „soziale Revolution“ aufzuhalten und stattdessen die Ordnung der alten Bundesrepublik als Rechtsstaat und als Parteiendemokratie in den Osten zu überführen. Gelang diese „Transformation“ der BRD in die DDR, konnte sie in Osteuropa und in Russland als Programm der „Demokratisierung“ wiederholt werden. Diese Vereinigung der beiden Deutschlands und der beiden Europas kostete mehrere hundert Milliarden DM. Weitgehend die deutsche Wirtschaft brachte diesen Betrag auf und wurde belohnt mit neuen Absatzmärkten, Immobilien und billigen Industrieinvestitionen. Als Verhandlungsführer dieser komplizierten „Übertragung“  wirkte im Auftrag von Helmut Kohl der Staatssekretär Schäubele, heute Finanzminister und Geburtshelfer eines europäischen Einheitsstaates.

Irgendwann nach 1990 entstanden Gegensätze in den politischen Perspektiven des europäischen Kontinents gegenüber der Weltmacht USA. Als finanzkapitalistische und politische Doppelmacht waren die USA an der Zerschlagung Russlands als Grosstaat, Imperium, Kultur, Rohstoffreserve, Industriegigant und asiatische Gegenmacht interessiert. Russland sollte in viele Kleinstaaten zerlegt werden. Die wichtigen Rohstoffregionen sollten durch nordamerikanische Konzerne besetzt werden. Die ehemaligen, russischen Sateliten sollten durch nordamerikanische Stützpunkte und Finanzhilfen unter die Hegemonie der USA gestellt werden. Vor allem Deutschland musste dagegen am russischen Teilmarkt interessiert sein. Wie nach 1871 waren deutsche Investitionen  und industrielle Aufbauhilfen gefragt, um den alten morbiden Planstaat, den Sicherheits- und Militärapparat zu überwinden. Die Kombination von Staatskapitalismus, kapitalistischer Grosswirtschaft und Handel, von Mittelstand- und Sozialspolitik und der Einführung einer weitgefächerten Berufsbildung boten Alternativen zum „Kriegskommunismus“, aber auch zur Negativkraft des Finanzkapitalismus, dessen Zerstörungswut in USA und Südeuropa zur Deindustrialisierung, zur Massenarmut, Arbeitslosigkeit und zur Prassucht der Superreichen verleitet hatte. Die „Negation“ der Aufbauarbeit oder das Fehlen einer „neuen Schaffenskraft“, aus den Trümmern neue Initiativen, Technologien und produktive Ansätze zu „zaubern“, wiesen auf eine tiefe Krise der finanzkapitalistischen Spekulation. Der Verlust an Möglichkeiten oder die Realität einer „negativen Aufhebung“ des Kapitalismus auf kapitalistischer Grundlage belegten den Einbruch aller Potenzen. Eroberungskriege wiesen auf einen letzten Ausweg. Selbst die neuen Rohstoff- und Erdölfunde in den USA und die Hineinnahme der europäischen und deutschen Bildungs- und Wirtschaftskraft zum Neuanfang einer Industrieproduktion demonstrierten den grundlegenden Widerspruch, dass der US – Staat die Zerstörungswut des Finanzkapitals nicht länger zügeln konnte. Oder war zu erwarten, das die lateinamerikanischen und afrikanischen Völker in USA das „Steuer“ herumrissen und einen neuen Reform- und Gesundheitsstaat schufen und der finanzkapitalistischen Spekulation Aufsicht und Regulation aufzwangen?  Der europäische Kontinent und hier Deutschland und Russland würden aus der kombinierten staats- und privatkapitalistischen Wirtschaft und vor allem aus einer „Revolution von oben“ neue Anfänge hervorbringen.

Diese Alternativen sind öffentlich kaum diskutierbar, weil die Medien, die Parteien und die Politik, die „Negativkräfte“ der fianzkapitalistischen Spekulation in Südeuropa, in Griechenland und USA nicht erörtern und darstellen. Darüber darf nicht gesprochen werden. Die Überwindung oder „Abschaffung“ der Arbeiterbewegung in Deutschland hat alle Konflikte und gegensätzliche Interessen eingeebnet. Die Forschungsinstitute der Parteien und Universitäten sind angewiesen, über den „Negativfaktor“ Finanzkapital keinerlei grundlegende Analysen zu erheben. Die Medien hüllen sich in „Schweigen“ oder in vagen Andeutungen. Es bleibt trotzdem erstaunlich, dass die Hintergründe der aktuellen Krise nicht benannt werden dürfen. Das mag an der Doppel- bzw. Parallelmacht des Finanzkapitals liegen, das über „Logen“, Geheimbünde, Absprachen, Verschwörungen Staat und Wirtschaft durchziehen und die Medien beherrschen. Die devoten Eliten in Parteien und Staat wagen es nicht, aufzubegehren, um ihren Lebensstandard und ihre Position nicht in Frage zu stellen. „Verschwörungen“ bringen letztlich keinerlei Lösung. Sie verstärken ein Chaos durch Entscheidungslosigkeit der Eliten oder durch eine „Paralyse“, die die gesamte Gesellschaft erfasst. Schon deshalb werden Ereignisse auftreten, die wie ein Befreiungsschlag wirken werden.

Mit der nordamerikanischen Doppelmacht des Finanzkapitals ist nicht etwa eine „jüdische Plutokratie“ oder eine „jüdische Weltherrschaft“ gemeint. Diese Form des Kapitalismus lässt sich nicht auf eine Ethnie festschreiben. Die antisemitische Polemik eines Joseph Goebbels diente dem Weltmachtanspruch der NS – Diktatur und entbehrte jeder wissenschaftlichen Grundlage. Dass es auch jüdische Banker und Spekulanten gibt, verleiht diesem Kapital nicht ein irgendwie „jüdisches Wesen“. Der Finanzkapitalismus folgt einer geldspezifischen und finanzpolitischen Logik, die sich aus der „Struktur“ des Geldes, der Spekulation, der Aktie, des Fonds, der Börse, des Handels usw. ergibt. Selbst der Existenzkampf des israelischen Staates hat mit den finanzkapitalistischen Operationen wenig zu tun. Allerdings liegt er in einer Region, deren Bodenschätze für die Spekulation interessant sind. Kurzschlüsse in die skizzierte Richtung zu vollziehen, lässt sich aus den anwachsenden okkultischen Strömungen im modernen Kapitalismus erklären, einen „Schuldigen“ oder das „Böse“ schlechthin zu finden.

vendredi, 11 janvier 2013

Dutschkes deutscher Weg zum Sozialismus

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Dutschkes deutscher Weg zum Sozialismus

Gespräch mit Professor Dr. Bernd Rabehl, einst engster Vertrauter des Studentenführers

(Oktober 2004)

Ex: http://sachedesvolkes.wordpress.com/

Ein Interview mit Bernd Rabel aus dem Jahr 2004. Veröffentlicht in der Nationalzeitung.

Im Dezember 2004 jährt sich der Todestag Rudi Dutschkes zum 25. Mal. Zum 20. Jahrestag seines Todes hatten Grüne, SPD und PDS im Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen, Dutschkes Grab auf dem Zehlendorfer St. Annen-Friedhof zum Ehrengrab zu erklären. Alle drei Parteien würden Dutschke gerne ihrer Ahnengalerie hinzufügen. Das dürfte kaum mehr möglich sein, seit Professor Dr. Bernd Rabehl, ehemals engster Vertrauter des Studentenführers, in seiner 2002 erschienenen Dutschke-Biografie „Rudi Dutschke – Revolutionär im geteilten Deutschland“ dargestellt hat, wie Dutschke dachte und fühlte. Rechtsanwalt Gerhard Frey hat mit Professor Rabehl gesprochen.

„Man würde ihn gerne vereinnahmen“

Herr Professor Rabehl, wie wird das bundesdeutsche Establishment mit dem 25. Todestag Rudi Dutschkes umgehen, nachdem Sie mit Ihrer Dutschke-Biografie klarstellten, dass sein Hauptinteresse nicht dem Internationalismus, sondern der deutschen Frage galt?

Rabehl: Man würde ihn ja gerne vereinnahmen und aus Dutschke einen Helden der Sozialdemokratie oder einen Legendenmann der Grünen machen. Aber das wird nicht gelingen. Deshalb habe ich die Biografie geschrieben – damit er nicht vereinnahmbar ist für eine Partei ohne Tradition und ohne Persönlichkeiten.

Wurde in den anderen Werken über Dutschke dessen nationale Einstellung aus Ihrer Sicht bewusst unterschlagen?

Rabehl: Es war den Autoren einfach peinlich. Wobei Michaela Karl in ihrer Dissertation „Rudi Dutschke – Revolutionär ohne Revolution“ schon darauf hinweist. Die anderen wollten das nicht. Das war ein Thema, das ihnen nicht passte.

Die „taz“ sieht in Ihnen, Herr Professor Rabehl, einen deutlichen Beleg für die „dunkle Seite der deutschen 68er“. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?

Rabehl: Ich bin darüber erstaunt. Wieso dunkle Seite? Das ist eigentlich die typische Seite.

Das ist manichäistisch gedacht: Hie die Guten, da die Bösen – und Sie gehören zu den Bösen.

Rabehl: Klar. Aber das ist Quatsch.

Sie waren am Tag des Attentats auf Dutschke, dem 11. April 1968, an dem Marsch auf den Springer-Konzern in Berlin maßgeblich beteiligt. Ein Agent provocateur des Verfassungsschutzes, Peter Urbach, verteilte damals Molotowcocktails, mit denen dann Fahrzeuge angezündet wurden. Hat die Kriminalisierung der Revolte das Genick gebrochen?

Rabehl: Urbach hat eine Tendenz unterstützt, die schon da war. Es war eine Gewalttätigkeit da, auch eine Verzweiflung. Man wollte aus dem legalen Rahmen ausbrechen. Und ich glaube, diese Tendenz, die man sicherlich im Verfassungsschutz diskutiert hat, hat der Urbach provokativ eingesetzt, um die APO in diese Richtung zu drängen – was auch gelungen ist.

Meinen Sie, dass Urbachs Chef, der Berliner Innensenator, der damals auf dem Dach des Springer-Hochhauses stand, über die Aktion, die unten ablief, informiert war.

Rabehl: Ich vermute, ja.

„Der KGB trachtete ihm nach dem Leben“

Rudi Dutschke war davon überzeugt, dass der sowjetische oder der DDR-Geheimdienst hinter dem Attentat auf ihn stand. Teilen Sie diese Auffassung?

Rabehl: Ja, ich teile diese Auffassung. Ich habe in den Akten eine entsprechende Anfrage eines Verfassungsschutzmitarbeiters gefunden. In der Stellungnahme eines Stasi-Offiziers heißt es dazu: Nach unseren Kenntnissen sind wir mit dieser Sache nicht befasst. Man vermutete dahinter offenbar die Sowjetunion, den KGB. Dutschke muss einen Hinweis darauf gehabt haben, dass der sowjetische Geheimdienst dahinter steckte. Man trachtete ihm nach dem Leben, weil sich bei ihm der Zorn gegen den Despotismus entwickelte.

„Er hat sich mit Thomas Müntzer identifiziert“

Rudi Dutschke hat geschrieben, er sehe keinen Gegensatz zwischen Christentum und Sozialismus. Er war auch christlich geprägt. Wie stand er zur Gewalt? Hat er sich wirklich immer von terroristischen Aktionen klar abgegrenzt?

Rabehl: Er hat sich mit Thomas Müntzer identifiziert, dem Anführer im Bauernkrieg, Gegenpol Martin Luthers. Da hat Dutschke schon mit der Gewalt geliebäugelt. Aber die APO sollte nach seiner Ansicht darauf achten, die Legalität zu wahren, denn sie konnte sich mit dem Staatsapparat nicht anlegen. Sozusagen an der Grenze der Legalität, aber in deren Rahmen. Das war diese komplizierte Dialektik von Legalität und Illegalität. Dutschke hat dann auch die Unterscheidung entwickelt: Gewalt gegen Sachen ja, aber nicht gegen Personen. Das war natürlich reine Scholastik. Aber man merkt: Er wollte eigentlich diesen Schritt nicht machen.

Was war denn aus Ihrer Sicht das Besondere an Dutschkes deutschem Weg zum Sozialismus?

Rabehl: Einmal sein radikaler Antisowjetismus, der sich entwickelte und nach dem Attentat besonders stark wurde. Dann sein Bezug auf die Bibel – er war Christ unter Atheisten – und der Versuch, aus der deutschen Geschichte, auch gerade aus der Thomas-Müntzer-Geschichte, Gemeinschaften anzudenken, die in Deutschland als Alternative entstehen sollten.

Rudi Dutschke und Sie waren an der Konzipierung einer grünen Partei beteiligt. Was würde Dutschke Ihrer Meinung nach zu den heutigen Grünen sagen?

Rabehl: Die heutigen Grünen sind eine Art FDP, Liberale. Sie repräsentieren die Staatsanwälte, Richter, Advokaten, Architekten, die aus ’68 hervorgegangen sind und einen hohen Lebensstandard genießen. Außerdem sind sie eine proimperialistische Partei geworden, die sich für Israel und vor allem die USA einsetzt und die nicht Rechenschaft darüber gibt, warum ihr Antiimperialismus plötzlich in Proimperialismus umgeschlagen ist. Auch ist zu vermuten, dass einige der Akteure schlicht gekauft wurden.

Aber dagegen, dass die Grünen Liberale seien, spricht, dass sie die Bannerträger der zunehmenden Tabuisierung sind, die Sie beklagen.

Rabehl: Das hat ja nichts mehr mit dem ursprünglichen Liberalismus zu tun. Die Grünen sind liberal im FDP-Sinn: eine Position zu besetzen, die einen bestimmten akademisch-intellektuellen Mittelstand repräsentiert. Die Grünen wollen die Rolle der FDP übernehmen, sowohl als Zünglein an der Waage als auch hinsichtlich der Klientel.

„Katastrophal, wie man mit Hohmann umgegangen ist“

In jüngster Zeit haben Sie den Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann verteidigt. Was hat Sie bewogen, für ihn einzutreten?

Rabehl: Dass er einer Hetze ausgesetzt war. Er hat die Frage jüdischer Täter in der Tscheka und im KGB und die Rolle von Juden in der bolschewistischen Revolution diskutiert, wie darüber ja auch in Russland selbst diskutiert wird, von Solschenizyn besonders. Und ich fand die Art und Weise, wie man mit Hohmann umgegangen ist, katastrophal.

Rudi Dutschke ging nach dem Motto vor: “Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen.“ Ist Provokation in der gegenwärtigen Zeit fortschreitender Tabuisierung nicht ein besonders naheliegendes und reizvolles Mittel? Oder sind die Strafen zu drastisch, die dann ausgeteilt werden?

Rabehl: Man muss provozieren, weil alles so zugedeckt ist, dass bestimmte Sachen gar nicht mehr reflektiert werden können. Es sind so viele Tabus aufgebaut worden, dass man über einige Themen gar nicht mehr nachdenken kann. Man muss diese Tabus brechen, um überhaupt einen Raum zu finden, darüber zu sprechen. Gleichzeitig ist die Bestrafung besonders einschneidend: Gerüchte entstehen, Denunziationen werden veranstaltet, die einen kaputtmachen sollen.

Also eine schwierige Gratwanderung. Aber die Maxime “Ohne Provokation werden wir überhaupt nicht wahrgenommen“ ist nach wie vor zutreffend?

Rabehl: Ja, genau.

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mercredi, 05 janvier 2011

Prof. BerndRabehl - Die 68er Revolution

 

Prof. Bernd Rabehl - Die 68er Revolution

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vendredi, 31 décembre 2010

Die Furie des Bösen in der modernen Gesellschaft

Die Furie des Bösen in der modernen Gesellschaft

von Bernd Rabehl

Ex: http://www.hier-und-jetzt-magazine.de/

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Gesellschaften, vor allem in der Formation ihrer erweiterten ökonomischen und technologischen Reproduktion vollziehen als kulturelle und historische Gemeinschaften nach Konrad Lorenz permanente ,,Pendelschläge“. Sie erleiden Mutationen und Pathologien und finden trotzdem, erfolgt nicht der Kollaps, zurück zu einer inneren, allerdings relativen Stabilität und Ordnung. Allen diesen unterschiedlichen Pendelbewegungen entsprechen ,,kulturelle Werte“. Sie tragen auf der ,,linken Seite“ den Anspruch der Individualität und ihrer freien Entfaltung. Auf der ,,rechten Seite“ fordern sie die soziale und kulturelle ,,Gesundheit“. Erst ihre Überspitzungen als soziale Gleichheit oder organische Ordnung führen zu den Prozessen der nationalsozialistischen oder kommunistischen Diktaturen. Deren militärische Zerschlagung oder innerer Zusammenbruch erreichten schließlich eine ausgewogene Mitte, etwa die westliche Demokratie, ehe das Pendel sich weiter bewegte und neue Instabilitäten schuf.

Historisch und persönlich sind Konrad Lorenz und die einzelnen Vertreter der ,,Kritischen Theorie“, etwa Erich Fromm, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Franz Neumann u. a. durch diese Pendelbewegungen hindurchgegangen und waren Zeuge der sozialen Exzesse. Der Naturwissenschaftler und Verhaltensforscher, Konrad Lorenz, hatte allein durch seine Forschung und wissenschaftliche Tätigkeit Berührungen mit der rassistischen Weltanschauung des Nationalsozialismus, die ab 1933 eine allgegenwärtige staatliche Macht verkörperte. Sie trumpfte ähnlich wie ihr Gegenpart, der stalinistische Kommunismus, wissenschaftlich auf und schien eine vermeintliche Rassenhierarchie in Europa und der Welt naturwissenschaftlich zu begründen. Dieser wissenschaftliche Anspruch verdeckte allerdings nur oberflächlich die ideologische Zielsetzung. Biologen und Verhaltensforscher, die in Deutschland zu diesem Zeitpunkt arbeiteten, gerieten über ihre Arbeiten und Forschungsinstitute in die Nähe zur NS-Ideologie.

Diese Korrespondenzen waren objektiv gegeben, reichten heute jedoch nicht zum Vorwurf gegen Konrad Lorenz aus, mit dieser Diktatur kollaboriert zu haben. Solange eine langwierige Trennung von diesem „Rassismus“ über die wissenschaftliche Arbeit erfolgte und er selbst nicht Anteil hatte an der „sozialen Pathologie“ von rassistisch begründetem Massenmord, konnte ein derartiger Vorwurf nicht erhoben werden. Die Mitgliedschaft in der NSDAP, in einer fast 10 Millionen starken Transformations- und Massenpartei, die die Bedingung und Voraussetzung sozialer Kontrollen der Bürger in der Diktatur war, bot nicht das Material für eine Anklage, selbst wenn Lorenz sich dem damaligen politischen Jargon verschrieb. Kollaborationen bezogen sich nie auf einen Punkt oder einen Augenblick, sondern mußten über lange Zeitspannen beobachtet werden. Seine wissenschaftlichen Erfolge und Differenzierungen vor und nach 1945 begründeten den Freispruch. Dem immanenten Kreislauf eines sozialen Systems konnte er sowieso nicht entfliehen, es sei denn, daß seine Tätigkeit in der Wehrmacht nach 1942 als eine derartige Flucht angesehen wurde.

Die Vertreter der sogenannten ,,Frankfurter Schule“ verließen Deutschland kurz nach 1933, weil sie keinerlei Illusionen hatten, daß diese Diktatur eine aus den Fugen geratene Welt stabilisieren könnte. Im Gegenteil war diese Macht Auslöser und Faktor wachsender Kriegsgefahr. Sie gingen als deutsche Juden nach Frankreich und danach sehr schnell in die USA, denn die deutsche Unruhe schien Europa zu erfassen und mit Krieg und Gewalt zu überziehen. Hier in den USA blieben sie theoretisch mit der deutschen Kultur verbunden. Sie dachten weiterhin ,,deutsch“ und bemühten die Philosophien von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx, aber vor allem von Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche, um diesen Umschlag sozialer Entwicklung in Diktatur und Haß zu verstehen. Allein weil ihre Fragen sich auf Aggression, Angst, Entfremdung, Psychologie und Moral bezogen, nahmen sie die Arbeiten von Sigmund Freud und C.G. Jung auf. Ein historischer Optimismus war ihnen so fremd wie die Illusionen über das historische Zeitmaß. Deshalb trennten sie sich vom Kommunismus und der politischen Arbeiterbewegung und standen dem amerikanischen Liberalismus und Konservatismus äußerst skeptisch gegenüber. Letztlich blieben sie deutsche Denker in einem fremden Land. Aber auch sie wurden von dem Pendelschlag gesellschaftlicher Mutationen erreicht. Die USA machten militärisch mobil gegen Japan und das Deutsche Reich und Herbert Marcuse und Franz Neumann stellten sich der Organisation of Strategic Services (OSS), dem Vorläufer der CIA, zur Verfügung.

Gefangen im Labyrinth

Sie bereiteten die militärische Besetzung Deutschlands und Europas vor, indem sie Untersuchungen über den sozialen und ideologischen Zustand der deutschen Gesellschaft vornahmen. Sie schrieben dabei gegen Pläne des amerikanischen Finanzministers Morgenthau an, Deutschland durch einen Bombenkrieg militärisch zu zerstören, politisch zu zerstückeln und zu deindustrialisieren. Nach ihrer Überzeugung hatte das ,,deutsche Volk“ nur bedingt Anteil an dem totalen Krieg gegen die Juden und andere europäische Völker. Ein hochindustrialisiertes Land mit seinen Facharbeitern, Ingenieuren, Wissenschaftlern und Spezialisten durfte weder zerschlagen, bestraft oder erniedrigt werden, sondern mußte zurückgeführt werden in eine westliche Friedensordnung. Die deutschen Kulturleistungen durften nicht ignoriert oder gar zerstört werden. Es wäre heute vollkommen abwegig, Marcuse oder Neumann die Mitarbeit in OSS und CIA vorzuwerfen, zumal sie im Sinne der deutschen Kultur dort positive Arbeit verrichteten. Die politischen Verstrickungen von Konrad Lorenz und den Repräsentanten der ,,Kritischen Theorie“ mit Diktatur oder Geheimdienst waren die Voraussetzungen und die Bedingungen ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Niemand konnte dem Labyrinth gesellschaftlicher Zusammenhänge entfliehen. Bedeutsam blieb, inwieweit sie ,,Schuld“ auf sich nahmen und Anteil hatten an den sozialen Exzessen von Diktatur oder ,,Kriegsmaschine“. Es ist deshalb verständlich, daß Konrad Lorenz Herbert Marcuse verteidigte, dem von Seiten der französischen Studentenrevolte nach 1968 vorgeworfen wurde, CIA-Agent gewesen zu sein.

Bei allen methodischen und gedanklichen Unterschieden zwischen dem Naturwissenschaftler und Ethologen Konrad Lorenz und den Philosophen, Psychologen, Rechtswissenschaftlern und Soziologen der ,,Kritischen Theorie“ bestand eine erstaunliche Übereinstimmung in der Einschätzung der ,,sozialen Krankheiten“ der modernen Gesellschaft, deren Inkarnation die USA waren. Lorenz hatte hier vor 1933 studiert und besuchte nach 1948 immer wieder die nordamerikanischen Forschungseinrichtungen, Kongresse und Universitäten. Neumann und Marcuse wurden US-Bürger, andere wie Adorno und Horkheimer kehrten nach 1945 nach Frankfurt/Main zurück, wo sie das Institut für Sozialforschung neu einrichteten. Alle kannten sie die Größe und die Absurditäten dieser Gesellschaft. Was hier passierte, würde sehr bald den ,,Rest“ der Welt erreichen.

Für Lorenz und die kritischen Kritiker waren die USA Ausdruck sozialer Pathologien oder Neurosen, die die soziale Stabilität auflösten und in ein Extrem von ,,Wahnsinn“ und Brutalität trieben. Nach Lorenz wurden hier ökologische Katastrophen vorbereitet und entstanden Menschenkrüppel, die durch ihre Gefühlskälte, durch ihren Konsumtrieb, Arbeitshetze und die wachsende Gleichgültigkeit parasitäre und asoziale Verhaltensweisen vorbereiteten, die jede Lebensgemeinschaft oder Soziität zerfetzen mußten. Die menschliche Gattung bewegte sich in die Selbstzerstörung durch Atomkrieg oder durch ökologische Katastrophen.

Soziale Pathologien

Für die ,,Frankfurter“ waren die USA Beleg für eine ,,negative Dialektik“. Nicht der technologische und soziale Fortschritt wurde durch die gesellschaftliche Entwicklung vorbereitet, sondern der allgemeine Niedergang, Dekadenz und Zerfall zeigten sich in dieser entwickelten Gesellschaft des modernen Kapitalismus. Die NS-Diktatur, der Stalinismus oder der Realsozialismus waren jeweils nur Durchgangspunkte zu einem modernen Totalitarismus, der in den USA seine ,,weiche“ Heimstatt gefunden hatte. Die Auflösung der Klassen und die Formierung von Massen als Objekte politischer oder marktmäßiger Inszenierungen schufen einen konvertiblen Massenmenschen, der mit seiner ,,Persönlichkeit“ den Charakter verloren hatte und der durch die unbewußten Ängste und Aggressionen beliebig manipulierbar war. Er war ein Bündel aus Haß und Wut, der den Fremden als permanente Bedrohung sah und deshalb empfänglich war für rassistische Ideologien oder für eine autoritäre Ordnung. Der Nationalsozialismus feierte in den USA als ,,alltäglicher Faschismus“ seine subtile Auferstehung.

Der Mensch wurde zu einem psychopathologischen Reaktionswesen erklärt, das jeweils auf Reize, Farben, Töne, Versprechungen, Wünsche und Bilder reagierte und von außen geformt wurde und keinerlei Gewissen oder Verantwortung mehr besaß. Der Tod war ihm so egal wie die Liebe. Der Tod wurde verdrängt oder zum Medienspiel verdünnt und die Liebe auf pure Sexualität, Besitz und Macht beschränkt. Der ,,eindimensionale“ Mensch hatte keinerlei Moral und war ein Aggregat aus Reizen und Emotionen, eine Freß-, Sauf- und Konsummaschine, ein Machwerk aus Funktionen und Frustrationen, ein außermenschlicher Mensch, der von Diktatoren oder Manipulatoren beliebig einsetzbar war. Soziale Widersprüche fanden ihren Endpunkt. Das Ende der Geschichte war erreicht. Die Menschen würden sich selbst zerstören und ihre organischen Systeme als Familien, Staaten und Gesellschaften austilgen. Der Planet würde die Gattung Mensch durch die Machenschaften der Menschen verlieren.

Konrad Lorenz würde die Aussagen dieser Kritiker verstehen, aber ihre Begründungen nicht nachvollziehen können, waren sie doch philosophisch, religiös und moralisch angelegt. Umgekehrt würden diese Philosophen Zweifel anmelden, ob soziale Verhaltensweisen, die bei Tieren beobachtet wurden, auf die menschliche Gattung übertragbar waren und ob über Mutationen und Selektionen neue Instinkte beim Menschen entstanden, die alle Kulturleistungen überdeckten bzw. diese umformten. Für diese kritischen Philosophen und Soziologen gab es eine Barriere zwischen Mensch und Tier. Der Mensch als ,,soziales Tier“ distanzierte sich über Sprache, Moral, Religion, Gesellschaft von den Tieren und verlor weitgehend die Instinkte bzw. ersetzte sie durch Denken, Arbeit, Arbeitsteilung, Kultur, Erziehung, Institutionen, Technologie, Maschinen, Religion und Ideologie. Umgekehrt würde Lorenz diese Grenze nicht akzeptieren und deutlich machen, daß sie aus ideologischen und religiösen Gründen gezogen wurde, um das ,,Tier“ im Menschen nicht zu benennen, den ,,Urmenschen“, der aus dem Tierreich gekommen war und viele seine Verhaltensweisen und Instinkte in die entstehenden Gesellschaften hinübergerettet hatte.

Soziales Tier oder „Black Box“?

Konrad Lorenz wußte von den unterschiedlichen Vereinnahmungen der Naturwissenschaften und der Ethologie durch die totalitären Ideologien, bei denen der Marxisrnus-Leninismus viel konsequenter auftrat als der oberflächlich „improvisierte“ Rassismus im Nationalsozialismus. Lorenz war deshalb bestrebt, die Grenzen und Übergänge von Naturwissenschaft, Soziologie und Psychologie zu benennen. Die Denker der Frankfurter Schule würden eher der Logik Hegels folgen und den Widerspruch zwischen Natur- und Sozialwissenschaften herausstellen. Beide Wissenschaftsformen hatten unterschiedliche Objekte ihrer Forschung zur Grundlage und ließen sich nur bedingt übertragen und diese Übersetzung benötigte eine grundlegende Reflektion, um banale und gefährliche Analogieschlüsse zu vermeiden. Bei Lorenz dominierte das Interesse, die Konditionierung von Verhaltensweisen bei Tieren und Menschen, die Instinktbildung und die fortlaufende Pathologisierung bei schnellen Veränderungen der äußeren Bedingungen nachzuweisen. Bei den Frankfurtern interessierten philosophische Fragestellungen, die Trieb und Aggressionslehre der Psychoanalyse, die Fetischisierung von Markt und Marketing.

Die amerikanische Verhaltenswissenschaft stand den Forschungsansätzen der Ethologie von Lorenz konträr entgegen, denn sie ignorierte die natürliche, verhaltensmäßige und soziale Vorgeschichte und Tradition des Menschen und behauptete, daß er als eine ,,black box“ zu behandeln sei, eine ,,tabula rasa“ darstellte, und daß nur interessant war, was er unmittelbar aussagte, vorstellte und welchen Reizen er folgte. Eine derartige ,,Freisetzung“ des Menschen von allen natürlichen und sozialen Bindungen entsprach der amerikanischen Ideologie von Freiheit, Raum und Bewegung und diente dem amerikanischen Traum, alles zu erreichen. Eine derartige Sichtweise akzeptierte, daß der ,,traditionslose“ Mensch Objekt der Manipulationen, Indoktrinationen und Inszenierungen wird.

1 Konrad Lorenz: Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, München 1973, S. 819, S. 27, S. 33 ff.; Konrad Lorenz in: Enceklopaedia Britannica, 1994 – 2001; Herbert Marcuse: Antidemokratische Volksbewegungen, in. Ders.: Nachgelassene Schriften: Das Schicksal der bürgerlichen Demokratie, Peter Erwin Jansen (Hg.), Lüneburg 1999, s.29 ff;

Ders. Der eindimensionale Mensch, Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied 1985, 5.
15,3.18; Alfons SölIner. Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland – eine Forschungshypothese zur theoretischen Praxis der kritischen Theorie im amerikanischen Geheimdienst‘ Frankfurt 1987, S. 7ff.;

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jeudi, 30 décembre 2010

Bernd Rabehl: American Democratic Dictatorship is Merely Another Form of Fascism

Bernd Rabehl: American Democratic Dictatorship is Merely Another Form of Fascism

Ex: http://de-construct.net/

rabehl.jpgHow was Germany Occupied, Subjugated and Colonized Under the Guise of “Denazification”

Berlin University Professor Dr. Bernd Rabehl, closest associate of Rudi Dutschke (leader and spokesman of the left-wing German student movement of the 1960s), is regarded by the followers and critics alike as the “most important theoretician of the 1968 student movement in Germany”. One of the first genuine dissidents in the West who fought against both left and right-wing dictatorship, Rabehl asserts the U.S. hegemony has destroyed freedom and culture in Europe, under the pretext of spreading democracy and “American way of life”.

“American war against Serbia was first and foremost directed against Russia. What I don’t understand is why did the German government allow itself to be drawn in the war against Serbia. Because, one of the most important tasks for Germany should be precisely building good relations with Russia. Germany has missed a historical opportunity — we already fought the blood soaked wars with Russia, it is the last minute to finally start a long-term policy of peace with Kremlin,” Rabehl told Nikola Živković, Belgrade journalist.

Q: Together with Dutschke, you have created the concept of the Green Party. What do you think about that political party today?

A: Present-day Greens are indistinguishable from the liberals. They defend the interests of lawyers, judges, architects… They were active in the student movement in 1968, but today they too enjoy the highest standard of living, immersed in materialism. At the world stage, they became the chief advocates of an imperial idea. I’m including here the former German Minister of Foreign Affairs Joschka Fischer, although he didn’t play a significant role in the 1968 student movement.

Present-day Greens unconditionally support the U.S. and Israel policy. They are in no way disturbed by the fact they protested against the American imperial policy in Vietnam in 1968, while today they support the United States imperial policies everywhere. I assume some of them were bought and some were blackmailed.

Q: Rudi Dutschke would say: “If we don’t provoke, no one will pay attention to us”. Today too, it doesn’t do without provocations…?

A: There is no other way, we must provoke, but only within the bounds of law and constitution. There are so many taboos today, especially in Germany, subjects one is prohibited to even think about! Veritable crusades are lead against those who dare to violate those taboos.

Dutschke and I always spoke about the need to liberate Germany on a national level. We were against the American policy. We never lost sight of the fact Germany is not free, it is an occupied country.

Q: How would you define present-day Germany?

A: As a democratic dictatorship. The proof is the widespread corruption and affairs only shreds of which are allowed to reach the media. The power is in the hands of a clique which is slowly but surely extinguishing the last benefits of democracy. There are no real disagreements between the political parties — there is only a ritual and circus staged for the wide population, where the TV carries a Bundestag “debate” about the social problems, for example. The voters go to elections, but they really do not decide about anything. Two leading political parties are being sold to the voters in the same way the best known TV or car brands are sold. The voters are asked: “Sony” or “Philips”, “Volkswagen” or “Peugeot”?

“Democratization” as Leveling all the Cultural and National Differences

Q: Jürgen Habermas [German sociologist adhering to American pragmatism] called you and Dutschke the “left fascists”…

A: Neither Dutschke nor I are in any shape or form the “left fascists” — we could perhaps say that for Goebbels.

Habermas attacked Dutscke in 1967, but not as a professor who uses arguments, but as a denunciator. He wasted no time to declare Dutschke a state enemy number one. In such a situation, critical thinking becomes useless. Habermas simply asserts that everyone who criticizes United States is a “left fascist”. Habermas supported the bombardment of both Serbia and Iraq, he is an ideologist of the ruling socio-liberal clique and, as such, he was given countless awards by the establishment in Germany and West in general.

Q: You say the European countries have no sovereignty, that they are in a vassal relationship with Washington. Does that include Germany?

A: Even Brzezinski has admitted this. In addition to the economic, monetary, military and technological superiority, United States are striving to impose some sort of civilizational, ideological hegemony — an “American way of life”. This term involves not only the way of life, which boils down to consumerism, but also the “industry of culture”. The main goal of American “culture” is destruction of the traditional European culture. The US is striving to destroy the old Asian cultures too, mainly the culture of China, India and Japan. United States are “democratizing” — leveling all the cultural forms. When Washington speaks about the “end of history”, it wants to say it plans to ensure and secure American hegemony for all the time.

Q: That, of course, is impossible…

A: Of course. American ruling establishment is no longer maintaining the culture of dialogue and critique. There are only phrases, commercials, pictures offering new products. What dominates is the neutral, non-political tone. Over ten American aircraft carriers are cruising the world seas at all times, in the state of readiness 24/7. Only United States can afford such a pricey luxury. Their superiority and riches have a fascinating appearance. But our European or Chinese memory is much longer than Washington itself and we know very well from the history that no superpower can last forever.

Q: Where does the danger lie for Washington?

A: Not in the outside enemies, but on the inside. In the past half a century the non-European immigrants have flooded United States, so the white, European population will soon become a minority. The most numerous workers will be from Latin America, and the economic and scientific elite will consist of the Asians, primarily Chinese. Brzezinski is also expressing fear that in the near future “American” elite will become Asian. The only question is when. Some say in 20 years or so, the others are convinced this will happen sooner.

Debt to American Banks Made European States Easy Prey to American Imperialism

Q: Let’s go back to our Europe. After 1945 it has lost sovereignty…

mein-freund-rudi-dutschke-21016595.jpgA: United States even today have the right to intervene in the internal affairs of every European Union member state, and especially in Germany. It is not necessary to use military force for this. How was that achieved? After 1945, German elite went through the process of re-education. US was also exerting influence over the policies of German syndicates and political parties.

Q: When did the decisive American influence on Europe take place?

A: This influence started with the First World War. England and France were buying war supplies, wheat, machines in United States. American banks approved credits for purchase of these goods. England, France and the other Entente powers were indebted by the American banks and American government. After 1918, these debts represented the basis for American influence in Europe. After 1918, a defeated Germany was also given credits by the American banks. This was felt already in 1919, during the Versailles Conference, where the new European order was being created.

The U.S. Dictatorship — Reducing Collective to a Mass of Impotent Consumers

Q: Tell us more about the “re-education” of Germany…

A: After Germany was militarily defeated in 1945, American occupation forces organized consultations and meetings with American sociologists, psychologists, economy experts and anthropologists. A number of German Jews were involved in the project, as well as German emigrants (mostly social-democrats), who spent the war years in United States. The main subject was how to solve the “German question”. Some 2,000 scientists were involved in this project, which was headed by the Organization of Strategic Services [OSS], controlled by the American military leadership stationed in Germany.

The OSS had a task to describe, as precisely as possible, the economic, cultural and social situation in conquered Germany. Still, there were disagreements among the scientists.

Q: Who were the prominent critics of this project?

A: Two philosophers gained prominence among the critics of the blind copying of American model: Max Horkheimer and Theodor Adorno. They started from the premise that totalitarian dictatorship which existed in Nazi Germany does not represent some specifically German case. There is a democratic dictatorship in United States, which managed to prevent the conflicts between the social organizations and classes, simply because all of them became a part of the regime. Instead of confronted classes, in U.S. there are only consumers. There is no collective, only individuals who buy and spend. The entire industry is involved in satisfying the needs of consumers: media, commercials, advertising, market, sports and show business. In that way the individual is more thoroughly encompassed and controlled then it was ever possible in the authoritarian society of the Nazi Germany or Soviet Union under Stalin. The mobilization of the masses in American society is carried out far more efficiently, because there, as opposed to the Nazi regime, there is no need to ever reach for the enforcement of the state apparatus. The “values” promoted by the advertising agencies represent an ideal of every American citizen.

Q: This was also the position of Herbert Marcuse, the main ideologue of the 1968 student movement?

A: Marcuse fascinated us with the radical ideas. According to him, the Nazi movement wasn’t a specifically German product, but a logical consequence of a developed industrial society. The Nazi dictatorship and American hegemony are not two opposed social systems, they are rather the two forms of the authoritarian power system. Hitler was mobilizing masses with immense military parades, American type of democracy achieves this mobilization much more completely and less expensively with TV commercials, sport competitions and spectacles, where the people are reduced to the faceless mass, the audience.

Scientists as Controllers and Denunciators

Q: Who were the advocates of the concept which opposed Horkheimer, Adorno and Marcuse?

A: This group was headed by [American sociologist] Talcott Parsons. He advocated the view according to which the American society was a result of “productive symbiosis of democratic ideas and institutions”. He claimed that, unlike Germany, American society has succeeded to successfully repress the “reactionary forces”. According to Parsons, that is why the US managed to develop democratic dynamics in politics, economy and in culture, and that is why this type of democracy should serve as a blueprint for Europe.

This line of thinking sees the main task of sociologists, politicologists, communication experts and psychologists in pedantically analyzing the state of society, in order to give a timely warning to the political and economic leaders in case of a national discontent.

Therefore, the scientists become the carriers of the covert control and the hegemony of the system. They believe they can forecast the crisis, so the ruling elite shouldn’t worry. Scientists are also employed in state services, in the ministries, police force, political parties, army, secret services… The scientist’s job is to find and expose the opponents of the system, and then to persuade them every struggle is predestined to fail. In short, every resistance to the existing American system is futile. If they do not succeed to persuade them, the state scientists utilize threats and denunciations. In Germany after 1968, this role was given to Jurgen Habermas.

Q: What tasks have these American experts set before themselves back in 1945?

A: The aim of the project was to replace the Nazi elite, to reshape the people’s psyche and destroy the German national tradition. They mostly succeed.

Power-Hungry Establishment Served by Dishonorable NGOs

Q: Some of your buddies from 1968 are today ministers…

rudi_dutschke.jpgA: I was shocked when I saw how quickly people can discard their ideals, literally overnight, and step in the roles of “important politicians”. I’m horrified by the barefaced hatred of these people towards their own German nation. Tossed in the garbage bin are the great achievements of the German workers’ movement, German conservatism and liberalism. I, on the other hand, believe the European culture can only exist as the sum of different, national cultures, and not some amorphous mass drowned in the common cauldron as a unified “Coca-Cola culture”.

Q: In today’s Germany, each opposition party which calls for national tradition is labeled “extremist” or “neo-Nazi”. How does one defend oneself from the rampant branding?

A: With the clear and precise language, with the force of arguments. The ruling parties and non-governmental organizations which serve them are showing that the danger of a new totalitarian society is coming from themselves.

After the fall of the Berlin wall, we have more and more obvious concentration of power in the West. The capital, media and politics represent the “holy trinity” of the unchecked power not only in United States, but also in Europe. The most influential Westerners are most often resembling the Warsaw Pact leaders. In order to preserve privileges, establishment is using manipulations and denunciations, exerting efforts to criminalize every attempt at true opposition. “Political correctness” also serves this purpose. In this, the non-governmental sector plays a very important, dishonorable role. This particular maneuver discourages every attempt to think for oneself and suffocates a desire for national freedom. The very recalling of national history is instantly stigmatized as the “right-wing radicalism”.

History as a Tool in Demonizing the Enemy of the Day

Q: Germany took part in the NATO aggression against Serbia. It did not take part in the war against Iraq, but today German troops are present both in Afghanistan and now even in Lebanon…

A: In 1966 Washington was forced to give up on the idea of sending German soldiers to Vietnam. Today the slogans “Germans to the front!” are becoming ever louder. German soldiers, of course, are not taking part in the interventions as an independent factor which would take care of its own national interests, but as the cannon fodder — the more Germans get killed, the more American lives will be spared. This is regarded as the Germans still paying off the WWII debts. After 1945, Germans were reared to become the “nation without tradition and culture”. It is easy to manipulate such nation. German political elite feels no responsibility whatsoever for their own country.

Q: Do you view NATO bombardment in the same context?

A: Yes, quite. German media also took part in the propaganda war against Serbia. Together with German politicians, our media outlets were actively involved in demonization of the Serbian state. They simply compared it with Nazi Germany. It seems that for such people history exists only to allow drawing of the cheap parallels, in order to be able to successfully demonize the enemy of the day.

For example, German television showed the mound of corpses from Auschwitz as an illustration of what Serbia allegedly could do… And all of it, of course, in the name of “human rights, protection of minorities and justice”. Therein lies the cynicism of the “leader of the free world” and the alleged advocate of the freedom of media.

Q: How was it possible to bomb a capital of a European state at the end of 20th century?

A: In this case Germany must have resisted American requests. After all, it violated its own constitution, which prohibits Germany to conduct wars, and this bombardment didn’t even have a UN mandate.

Secret Services Blocking Movements for Reaffirming Cultural Identity

Q: Your political engagement hasn’t been unnoticed. What is the goal of your political activism?

A: I am fighting to finally have a dialogue opened. The process of European unification shouldn’t have only economic but, most of all, a cultural dimension. This cannot be achieved with the European political elite and its bureaucracy. I am fighting for the European cultural identity in which the main role will belong to the European nations. Of course, I’m perfectly aware this cannot be achieved by an individual. Foreign secret services operating in Germany and other EU states are doing all in their power to block this process. This is especially true for the secret services from allegedly friendly states, the most active of which in Germany are the American and Israeli secret service — CIA and Mossad.