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mardi, 19 mai 2009

Veit Harlan revisited

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Veit Harlan revisited

Martin LICHTMESZ - http://www.sezession.de/

Um meine kleine, ungeplante Harlan-Serie abzuschließen, möchte ich noch auf den sehr guten Dokumentarfilm „Harlan – Im Schatten von Jud Süß“ von Felix Moeller hinweisen, der zur Zeit im Kino zu sehen ist. Moeller hat den vielköpfigen Harlan-Söderbaum-Körber-Klan (Hilde Körber war Harlans zweite Ehefrau, Söderbaum die dritte) bis zu den Enkeln hinab zu dem berüchtigten Patriarchen befragt.

Dabei sind etwa dreiviertel der Interviewten ebenfalls im Film-und Showbusiness tätig, am bekanntesten wohl Stanley Kubricks Witwe Christiane, eine Nichte Harlans, und ihr Bruder Jan, Kubricks „Executive Producer“. Es ist interessant zu sehen, wie auf sie alle der „Schatten von Jud Süss“ gefallen ist,  und wie sich die ganze Familie immer noch mehr oder weniger daran abarbeitet.

Am extremsten ist dabei sicher der 1929 geborene älteste Sohn Thomas Harlan, seines Zeichens selbst Filmemacher,  für den die Bewältigung der tatsächlichen, vermuteten oder unterstellten Schuld des Vaters zur lebenslangen Obsession geworden ist.  Dafür wird er von seinen eher moderaten Geschwistern, die eine überwiegend positive emotionale Bindung zu ihren Eltern haben, auch recht kritisch betrachtet. Es ist erschütternd mitanzusehen, wie dieser nunmehr 80jährige Mann immer noch vom Gespenst des Vaters heimgesucht wird. Sein Film „Wundkanal“ aus dem Jahr 1984 gehört zu den wohl krassesten Exponaten einer auf die Spitze getriebenen, nahezu pathologischen Vergangenheitsbewältigung (die Edition Filmmuseum wird ihn im Juni auf DVD herausbringen). Harlan engagierte sich seit den Fünfziger Jahren auf der radikalen Linken, wovon nicht zuletzt „Wundkanal“ mit seiner offenen Sympathie für die RAF zeugt. Harlans anklägerische Besessenheit erinnerte mich an Horst Mahler und seine 180 Grad-Wendungen: beide sind für mich Zeugen, daß der deutsche Rechtsextremismus und Linksextremismus ein- und demselben Knacks entspringen, und der eine nur die Kehrseite des anderen ist.

„Harlan“ kann man als einen weiteren Eintrag in einem Subgenre des „Bewältigungsfilms“ sehen, das ich als die „Familiengeschichte“ bezeichnen möchte. Andere Beispiele der letzten Jahre waren Malte Ludins „Zwei oder Drei Dinge, die ich von ihm weiß“ (2004), Jens Schanzes „Winterkinder“ (2005) und Rosa von Praunheims „Meine Mütter“ (2008) . Dabei ist zu verzeichnen, daß die jüngeren filmischen Aufarbeitungen (Ludin ist natürlich das Gegenbeispiel) sich immer mehr von der Anklage weg zum Versuch des distanzierten Verstehens hin bewegen. So läßt auch Felix Moellers Film den unterschiedlichen Perspektiven und Urteilen der Familienmitglieder einen beträchtlichen Spielraum, ohne selbst Partei zu ergreifen.

Als exponierter, herausragender Künstler ist Veit Harlan bis heute einer der bevorzugten Sündenböcke des Dritten Reichs. Es mutet seltsam an, seine Kinder und Enkel, die allesamt unverkennbar seinen und Kristina Söderbaums physiognomischen Stempel tragen, im Banne der „Schuld“ ihres Ahnherren zu sehen. Diese Identifikation oder zumindest schandhafte Affizierung durch das „Blut“  ist ein ebenso irrationaler wie seelisch schlüssiger Vorgang. Eine der Enkelinnen Harlans merkt in dem Film an, daß es ihr natürlich lieber wäre, wenn ihr Großvater ein „Widerstandskämpfer“ gewesen wäre, aber rational betrachtet würde das genausowenig einen besseren oder einen schlechteren Menschen aus ihr machen wie ein „Nazi“-Großvater.

Dennoch bleibt diese eigentümliche Affizierung, gleich einer Art von Erbsünde zurück, wobei der Grad der Emotionalität bei den Familienmitgliedern sehr verschieden ist. Man kann Moellers Film auch als eine Art von „Familienaufstellen“ sehen, frei nach der therapeutischen Schule des („umstrittenen“) Psychologen Bert Hellinger. (Über dessen ebenso seltsames wie genialisches Konzept kollektiver seelischer Kausalitäten und Verstrickungen kann man „kritisch“ hier und hier nachlesen.)

Hellinger postuliert die Existenz einer Art „Familienkarma“, das über Generationen hinweg schicksalshaft fortwirkt. Man muß den Begriff nicht unbedingt „mystisch“ nehmen – mir gefällt er als Metapher, mit der man auch die seelische Verfassung der Deutschen als Volk beschreiben könnte, die sich immerhin aus der Gesamtheit von vielen Millionen Familiengeschichten- und -schicksalen speist. Wer das bis heute weitervererbte Schuldgefühl und Unbehagen der Deutschen an sich selbst allein auf „Umerziehung“ und politische Idoktrinierung zurückführt, greift meines Erachtens zu kurz. Die „Seelengeschichte“ der Deutschen, das ist etwas, das immer noch nicht in seiner Tiefe ergründet worden ist.

Erwähnen möchte ich noch, daß der Film auch die faszinierende Seite von Harlan nicht unterschlägt. Seine schwerblütigen, zum Teil kitschigen und morbiden Melodram-Exzesse in berauschendem Agfacolor wie „Die goldene Stadt“ (1942), „Immensee“ (1943) oder „Opfergang“ (1944) haben auch heute noch ihren eigentümlichen, unverwechselbaren Reiz bewahrt. Sie mit neuen Augen sehen lernen kann man mithilfe der exzellenten und materialreichen Harlan-Biographie „Des Teufels Regisseur“ von Frank Noack. Noack scheut sich nicht vor kühnen Urteilen, und wartet mit vielen, zum Teil überraschenden historischen Details auf, die einen hochdifferenzierten Blick auf den Regisseur und seine Arbeit erlauben.

Zum Schluß noch eine Abbitte. Neulich schrieb ich „Nach dem Krieg ließ Stalin heroische Filme drehen, die dem Stil von „Kolberg“ aufs Haar glichen und den Sieg über den „Faschismus“ feierten,  etwa 1948 in Farbe „Die Schlacht um Berlin“. Nachdem ich nun „Die Schlacht um Berlin“ (1949) zur Gänze gesehen habe, muß ich zu Harlans Gunsten sagen, daß „Kolberg“ auch nicht nur annähernd so plump und naiv ist wie diese stalinistische Sowjetproduktion.

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