mardi, 01 septembre 2009
Der Zweite Weltkrieg hatte viele Väter
Der Zweite Weltkrieg hatte viele Väter
Wir nähern uns dem 1. September und damit einem für unser Volk sehr bedeutsamen Tag, dem 70. Jahrestag des Kriegsbeginns. Jedem Deutschen ist dieses Datum durch Schulbücher, eine umfangreiche Geschichtsliteratur sowie durch Film- und Fernsehproduktionen ein Begriff. Das Bild, das sich dabei in den Jahrzehnten dieser Geschichtspräsentationen in unseren Köpfen festgesetzt hat, ist so eingängig und „schwarz-weiß“ wie es verzerrt ist und in Teilen falsch.
Dieses Bild zeigt ein Deutschland, das 1939 über Polen herfällt, eine Sowjetunion, die sich die Hälfte Polens raubt, und ein Polen, das dabei nur Opfer ist. Was diese Darstellungen der Geschichte in aller Regel auslassen, sind die Gründe, die zur Kriegseröffnung führten, die sich fast ein Jahr hinziehenden Bemühungen der damaligen deutschen Regierung, die deutsch-polnischen Probleme auf dem Kompromisswege zu lösen, sowie die intensiven und frühen Kriegsvorbereitungen auch in Polen.
Der Vertrag von Versailles hatte dem Deutschen Reich und Polen drei Problembereiche hinterlassen. Zum ersten wurde die zu 97 Prozent deutsch bewohnte Hansestadt Danzig von Deutschland abgetrennt und zur teilsouveränen Republik „Freie Stadt Danzig“ erklärt. Damit wurde sie zu einem eigenen Staat gemacht. Die Hypothek, die die Sieger den Danzigern dabei mitgegeben hatten, bestand darin, dass sie der Republik Polen besondere Zoll-, Post-, Bahn- und Handelsrechte in Danzig eingeräumt sowie die außenpolitische Vertretung Danzigs übertragen hatten. Ansonsten stand die Freie Stadt unter dem Protektorat des Völkerbunds, also der Siegermächte selbst.
Die Republik Polen begann alsbald, eine Vielzahl von Behörden im Freistaat einzurichten. Die Mischung polnischer und Danziger Behörden in den Bereichen Post, Bahn, Zoll und Wasserstraßen erzeugte ein endloses Kompetenzgerangel. Als der Staat Polen in den Folgejahren versuchte, sich Danzig in einer Serie vieler kleiner Schritte einzuverleiben und den Hohen Kommissar des Völkerbundes mit immer neuen Forderungen bombardierte, um den in Versailles erhobenen Anspruch auf Danzig doch noch durchzusetzen, erwies sich, dass dieses Konstrukt eines selbständigen Kleinstaats mit vielen ihm entzogenen Hoheitsrechten auf Dauer so nicht lebensfähig war.
Polen musste sich in den 20er Jahren wiederholte Male vom Völkerbund belehren lassen, dass es keine Oberherrschaft über Danzig auszuüben habe. Der Rat des Völkerbunds in Genf musste sich bis 1933 106mal mit Streitfällen zwischen Polen und der Freien Stadt befassen. Die Streitigkeiten zwischen Danzig und der Republik Polen nahmen bis zum Kriegsbeginn kein Ende.
Das zweite Faktum war, dass der größte Teil Westpreußens mit immerhin 70 Prozent deutscher Bevölkerung und der Provinz Posen mit noch 38 Prozent Deutschen sowie ein Teil Oberschlesiens von Deutschland abgetrennt und Polen zugesprochen worden waren. Damit waren rund zwei Millionen deutsche Bürger gegen ihren Willen polnische Staatsbürger geworden.
Als 1938 erst Österreich und dann die Sudetengebiete mit dem Deutschen Reich vereinigt wurden, stieg die Angst der Polen, Deutschland könnte auch von ihnen Land und Menschen aus dem Bestand des alten Deutschen Reichs zurückverlangen. Die Feindschaft der Polen gegen ihre deutsche Minderheit nahm wieder einmal scharfe Formen an. Terrorakte gegen Deutsche, die Zerstörung deutscher Geschäfte, die Schließung deutscher Firmen und die Brandstiftungen an deutschen Bauernhöfen nahmen 1939 ständig zu. Die Lage wurde unerträglich. Im Sommer 1939 schwoll die Zahl der Volksdeutschen, die dem entkommen und Polen „illegal“ verlassen wollten, ständig an. Bis Mitte August waren über 76000 Menschen ins Reich geflohen und 18000 zusätzlich ins Danziger Gebiet. Die Berichte über den Umgang der Polen mit ihrer deutschen Minderheit und die Schilderungen der Geflohenen waren Öl aufs Feuer des deutsch-polnischen Verhältnisses in den letzten Wochen und Tagen vor dem Kriegsausbruch.
Die dritte deutsch-polnische Belastung ergab sich ebenfalls aus der erzwungenen Abtretung Westpreußens an Polen. Damit entstand ein polnischer Landstreifen zwischen dem Kern des Deutschen Reichs und der von nun an von Deutschland abgetrennten Provinz Ostpreußen. Es entstand der „polnische Korridor“. Auf diese Weise hingen Ostpreußens Wirtschaft und besonders seine Energieversorgung auf einmal von den Verkehrswegen durch nun polnisches Gebiet ab. 1920 war dazu vertraglich festgelegt worden, dass die Verkehrsverbindungen nach Ostpreußen für Personen, Waren und vor allem Steinkohle aus Oberschlesien über acht Eisenbahnstrecken durch Polen laufen sollten, und dass die Transitgebühren dafür in Zloty zu entrichten wären. Während und nach der Weltwirtschaftskrise nahm Deutschland im Außenhandel jedoch nicht mehr genug Zloty ein. Um die Gebühren zu entrichten, überwiesen die deutschen Behörden die an Zloty fehlenden Beträge monatlich in Reichsmark. Doch Polen sah darin einen Vertragsbruch, was es streng nach dem Vertragstext ja auch war, und schloss zur Strafe ab 1936 eine Bahnverbindung nach der anderen. 67 Prozent der Eisenbahntransporte jedoch dienten der Energieversorgung Ostpreußens. Sie fuhren Kohle aus Oberschlesien für Industrie, Gewerbe, den Hausbrand und die Stromerzeugung in die abgeschnittene Provinz. Schließlich drohte die polnische Seite damit, bei weiterhin unvollständigen Zloty-Überweisungen auch die letzten Strecken zwischen Ostpreußen und dem Reichsgebiet zu schließen. Damit wäre Ostpreußen von seiner Energieversorgung abgeschnitten und dem wirtschaftlichen Ruin preisgegeben worden. So kam im Reichswirtschaftsministerium die Idee auf, mit den Polen statt über Zloty-Zahlungen über exterritoriale Verkehrsverbindungen von Pommern nach Ostpreußen in deutscher Hoheit und Regie zu sprechen.
Mit den drei Problemen, der Gründung eines eigenen Staates Danzig, mit der Zwangsunterstellung von zwei Millionen Deutschen unter Polens Herrschaft und mit der territorialen Abtrennung des Landesteiles Ostpreußen vom deutschen Kernland hatten die Siegermächte in Versailles so viel Konfliktstoff für Deutschland und für Polen aufgetürmt, dass ein gedeihliches Nebeneinander der zwei Nachbarstaaten ohne spätere Korrekturen fast ausgeschlossen war.
Nachdem Adolf Hitler Warschau im September 1938 im Streit mit Prag um das Gebiet von Teschen unterstützt hatte, sah er den Zeitpunkt als günstig für eine deutsch-polnische Verständigung an. Er ließ Verhandlungen mit Polen um Danzig, die Transitwege durch den Korridor und die Einhaltung der Minderheitenrechte der Deutschen in Polen eröffnen. Sein erstes Angebot: die Anerkennung der polnischen Gebietserwerbungen seit 1918 und die Verlängerung des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages von zehn auf 25 Jahre. Im Januar 1939 legte Hitler noch einmal nach. Er schlug vor: „Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen.“
Am 14. März 1939 beging Hitler seinen großen Fehler. Er erklärte die Tschechei entgegen früher gegebenen Versprechen zum deutschen Protektorat und ließ sie besetzen. Nun brauchten die Briten Verbündete gegen Deutschland. Sie boten Polen einen Beistandspakt an. Polen schloss Ende März 1939 einen Vertrag mit England, machte seine Truppen teilweise mobil und verdoppelte seine Truppenstärke, stellte sieben Armeestäbe auf und ließ Truppen in Richtung Ostpreußen aufmarschieren. Das alles im März 1939.
Hitler reagierte. Er gab am 3. April 1939 der Wehrmacht erstmals den Befehl, einen Angriff gegen Polen vorzubereiten.
Nun herrschte Eiszeit zwischen Deutschland und Polen. Die polnische Regierung erklärte, der Status der Freien Stadt Danzig beruhe ja nicht auf dem Vertrag von Versailles, sondern auf der jahrhundertelangen Zugehörigkeit Danzigs zu Polen, und Posen und Westpreußen gehörten de jure und de facto längst zu Polen. Die angebotene deutsche Anerkennung sei keine Gegenleistung.
Hitler bat danach die englische Regierung, für Deutschland bei den Polen zu vermitteln. Am 30. August 1939 machte Hitler Polen einen 16-Punkte-Vorschlag. Er schlug als wesentliche Punkte vor: „Die Bevölkerung im Korridor soll in einer Volksabstimmung unter internationaler Kontrolle selbst entscheiden, ob sie zu Polen oder zu Deutschland gehören will. Der Wahlverlierer bekommt exterritoriale Verkehrswege durch den Korridor. Bleibt der Korridor bei Polen, erhält Deutschland exterritoriale Verkehrswege nach Ostpreußen; geht der Korridor an Deutschland, bekommen die Polen exterritoriale Verkehrswege zu ihrem Hafen an der Ostsee, nach Gdingen.“ Und – auch das gehört zum Vorschlag – „der Hafen und die Stadt Gdingen bleiben unabhängig vom Wahlausgang bei Polen, damit Polen einen Ostseehafen hat. Und Polen behält außerdem seine Handelsprivilegien in Danzig.“ Das war der letzte deutsche Vorschlag vor dem Krieg.
Es bleibt noch nachzutragen, dass Polen seinen Kriegsaufmarsch mit der Mobilmachung am 23. März 1939 eingeleitet hatte, während die ersten neun deutschen Heeresdivisionen erst drei Monate danach, am 26. Juni 1939 an die deutsch-polnischen Grenzen verlegt worden waren. Soweit zum deutschen „Überfall“ auf Polen.
Wenn Polen Hitlers Kompromissvorschlag vom Januar 1939, „Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen“, akzeptiert hätte, hätten sich wahrscheinlich auch die andern zwei deutschen Differenzen mit Polen überwinden lassen. Dann wäre Europa der furchtbare Zweite Weltkrieg vielleicht erspart geblieben.
Gerd Schultze-Rhonhof
Der Autor dieses Beitrages ist Verfasser des Buches „1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte – Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg“, 6., verbesserte und erweiterte Auflage, Olzog, München 2007 gebunden, 608 Seiten.
von Gerd Schultze-Rhonhof
00:10 Publié dans Histoire | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : histoire, deuxième guerre mondiale, seconde guerre mondiale | | del.icio.us | | Digg | Facebook
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