Ok

En poursuivant votre navigation sur ce site, vous acceptez l'utilisation de cookies. Ces derniers assurent le bon fonctionnement de nos services. En savoir plus.

vendredi, 13 janvier 2012

Euro, Krieg und Frieden

HelmutSchmidt1.jpg

Euro, Krieg und Frieden

Ex: http://www.zuerst.de/

Helmut Schmidt auf dem Berliner Parteitag der SPD: Wie das Idol meiner Jugend sich um Kopf und Kragen redete

Ich ging eigentlich nur wegen Helmut Schmidt hin. Und wäre dann auch fast wieder umgekehrt: Die Hintergrundfarbe, in die die Sozis ihren Parteitag getaucht hatten, war zum Davonlaufen. Nannte man sie nicht mal „die Roten“? Übrig geblieben ist eine Mischung aus giftigem Magenta und Pink, mit der früher die Puffmütter ihre Fußnägel lackiert haben. Kann man sich vorstellen, daß unter diesen Farben demonstriert oder gar gestreikt wird?

Ich würgte meinen Ärger runter, es ging ja um Helmut Schmidt. Er war der Schwarm meiner jungen Jahre gewesen. Mei, wie hat der fesch ausgesehen, als Verteidigungsminister und als Kanzler: den Scheitel wie mit einem Skalpell gezogen, die preußische Haltung, die Gesichtsmuskeln straff vom vielen Rauchen. Einziger Nachteil: die Körpergröße. Aber Humphrey Bogart war auch nicht höher gewachsen, und trotzdem nahm man ihm immer ab, wenn er – zumindest in der deutschen Synchronisation – Ingrid Bergmann in Casablanca als „Kleines“ bezeichnete („Ich schau dir in die Augen, Kleines“). Alles eine Frage der Ausstrahlung. Die hatte Bogart, die hat Schmidt. Selbst wenn er, wie an diesem Tag, mit dem Rollstuhl hereingerollt wird.

Für mich war Schmidt immer die Verkörperung des patriotischen Sozialdemokraten gewesen. Diesen Typus, den man sich heute bei den ganzen Zottelbären wie Thierse und den parfümierten Silberfüchsen wie Steinmeier gar nicht mehr vorstellen kann, hat es einst tatsächlich gegeben: Ruß­geschwärzt von Steinkohle und Reval standen die Bergleute an der Ruhr wie ein Mann hinter dieser Partei, oder – wie in Schmidts Heimat – die Schauer- und Seeleute aus den Hafenstädten. Proletarier aller Länder, das war nicht ihre Anrede – es waren vielmehr die Bataillone der „königlich preußischen Sozialdemokratie“, wie ihre kommunistischen Gegner einst spotteten. Sie lagen in den Schützengräben des Ersten oder – wie Schmidt – an den Fronten des Zweiten Weltkriegs. Sie ließen sich, wie Kurt Schumacher, in die Konzentrationslager sperren und kamen mit zerschlagenen Beinen wieder heraus – und kämpften auf Krücken weiter für Deutschland, gegen den „Alliiertenkanzler“ (Schumacher über Adenauer). Willy Brandt kritisierte John F. Kennedy wegen der Preisgabe Berlins beim Mauerbau, und seinen größten Wahlsieg fuhr er 1972 mit der Parole ein: „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land“. Die Kombination von „deutsch“ und „stolz“ – das würde man heute wahrscheinlich flugs der NPD zuordnen.

Nach Brandt kam Schmidt mit seinem Wahlslogan vom „Modell Deutschland“. Wenn er auf den Bundeskongressen der Jusos einritt, schaute er sie aus seinen Offiziersaugen an und schien ihnen sagen zu wollen: „Stillgestanden! Alle Spinner wegtreten, und zwar zackzack!“ In seinen Kanzlerjahren (1974 bis 1982) verteidigte er deutsche Interessen: Er wies Jimmy Carters Drängen nach einer weicheren, also unsolideren deutschen Geldpolitik schroff zurück. Den Saudis wollte er, gegen die Ausfälle des damaligen israelischen Premiers Menachim Begin, deutsche Leopard-Panzer liefern. Unvergessen sein Auftreten im Terrorjahr 1977: An der Spitze des Krisenstabes kommandierte er den Sturm der GSG-9 auf die entführte Lufthansa-Maschine in Mogadischu – vermutlich die erste deutsche Kommandoaktion nach dem Zweiten Weltkrieg.

Voll mit diesen Erinnerungen fieberte ich an diesem schmuddeligen Dezembertag des Jahres 2011 Schmidts Rede entgegen – und wurde gnadenlos enttäuscht. Der Begriff, den er am häufigsten strapazierte, war die notwen­dige „Einbindung“ Deutschlands, das kam mindestens fünf oder sechsmal. Begründung: „Deutschland hat Stetigkeit und Zuverlässigkeit nötig.“ Denn: „Deutschland (löst) seit einem Jahrzehnt Unbehagen aus – neuerdings auch politische Besorgnis.“ Wodurch denn? Durch unsere Abstinenz bei den Überfällen auf den Irak und Libyen? Weil wir brav die Finanziers der EU und des Euro-Systems geben? Weil wir Musterschüler in Sachen Multikulti und Gender Mainstreaming sind?

Schmidt wäre nicht Schmidt, wenn er die notwendige „Einbindung“ Deutschlands nicht in einem langen historischen Rückblick mit Focus auf die NS-Zeit begründet hätte. „In absehbarer Zeit wird Deutschland kein ‚normales‘ Land sein.“ Das sei im „strategischen Interesse“ Deutschlands – „auch zum Schutze vor uns selbst“. Da ist er wieder, der „ewige Deutsche“ als der „ewige Nazi“, das Antifa-Pendant zum „ewigen Juden“ … Immerhin verschweigt Schmidt nicht, daß ihn dieses Denken einst in eine „ernstzunehmende Kontroverse“ mit Kurt Schumacher geführt hatte. Der war dann doch aus anderem Schrot und Korn.

Vor diesem Hintergrund redete Schmidt dem Parteitag ins Gewissen, bei den aktuellen Fragen der Euro-Rettung fünfe gerade sein zu lassen und das deutsche Füllhorn zur Finanzierung der defizitären Mitgliedstaaten zu öffnen. Eurobonds? Her damit! Aufkauf maroder Staatspapiere durch die EZB? Gerne! Schmidt urteilte apodiktisch: „Zwangsläufig wird auch eine gemeinsame Verschuldung unvermeidbar werden. Wir Deutschen dürfen uns dem nicht nationa­l­egoistisch verweigern.“ Stattdessen sollen wir zahlen, zahlen, zahlen …

Dabei teile ich Schmidts Grund­ansatz, daß Deutschland die Integration in Europa braucht und als wirtschaftlich stärkste Macht auch etwas für die Schaffung eines prosperierenden und fried­lichen Kon­tinents opfern muß. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß sich unsere Nachbarn deutsche Kontrolle und Dominanz nicht bieten lassen, und der dann regelmäßig folgende Krieg war verlustreicher, viel ver­lustreicher als jede Euro-Rettung. Aber Schmidt übersieht, daß dieser kluge Ausgleich nur möglich ist nach dem Modell der europäischen Integra­tion bis 1991 – als Bund souveräner Nationalstaaten mit gegenseitigen Handelsvorteilen und abgestimmter Geldpolitik, aber ohne Binnenmarkt und gemeinsame Währung, wie sie der Maastrichter Vertrag von 1991 auf den Weg gebracht hat. Die weit überdehnte Form der Integration, wie wir sie jetzt haben, wird geradewegs zu einem erneuten Gegensatz zwischen Deutschland und „den anderen“ und im Extremfall zum Krieg führen – also genau zu dem, was Schmidt mit Recht verhindern will. Denn was im Augenblick läuft, ist die Übernahme der Schulden, die Länder wie Griechenland und Italien gegenüber privaten Gläubigern haben, durch die Europäische Zentralbank und damit durch Deutschland als deren größtem Eigentümer. In der von CDU wie SPD gleichermaßen befürworteten Fiskalunion werden nicht die ursprünglichen Profiteure der Schuldenmacherei, die privaten Großbanken, für eine seriöse Tilgung sorgen müssen – sondern Deutschland als neuer Hauptgläu­biger.

Schon wird in Athen, Lissabon und selbst in Paris die betuliche Hausfrau Angela Merkel nicht etwa mit der strengen Hausfrau Maggie Thatcher verglichen – sondern, darunter macht man es ja nicht, mit Adolf Hitler. Die „gemeinsame Verschuldung“, die Schmidt wie die gesamte politische Klasse befürwortet, führt zu einer geschlossenen Abwehrfront der meisten EU-Staaten gegen den deutschen Kern – also zu der Isolation unseres Landes, die er aus geschichtlicher Erfahrung verhindern will. Die mögliche Alternative sieht Schmidt nicht: Rückführung der europäischen Integration auf den Status vor den Maastrichter Verträgen 1991. Die Europäische Gemeinschaft (EG, früher EWG) hat nach dem Zweiten Weltkrieg für Frieden gesorgt – die Europäische Union (EU) hat ihn in der Folge gefährdet und droht ihn zu zerstören.

Katerina Stavropoulos

Les commentaires sont fermés.