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jeudi, 05 juillet 2012

Lovecraft und die Inszenierung der großen Niederlage

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„I Am Providence“ – Lovecraft und die Inszenierung der großen Niederlage. Mahnung und Forderung

 

   

Geschrieben von: Dietrich Müller  

 

Ex: http://www.blauenarzisse.de/

 

„I am Providence” – ich bin die Vorsehung. Diese Worte kann man auf dem Grabstein von Howard Phillips Lovecraft lesen. Es sind irgendwie trotzige Worte, sie wirken seltsam, wenn man sich die Photographien dieses Mannes betrachtet: Ein feminines, leicht verkniffenes Gesicht, das mehr auf unzufriedene Schüchternheit schließen lässt. Das Gesicht eines Hintergrundmenschen. Frei von Ausstrahlung oder zupackender Lebenskraft. Die Worte auf dem Grabstein klingen mehr nach einem Triumph, welchen wir scheinbar nicht entschlüsseln können.

Was für einen Sinn soll es haben, sich mit diesem Mann zu beschäftigen? Er hat eine reiche Korrespondenz hinterlassen und eine überschaubare Anzahl an Geschichten, die dem Horrorgenre zugerechnet werden – das nicht ganz zu Unrecht einen zweifelhaften Ruf genießt. Selbst für einen so früh verstorbenen Mann ist seine Biographie schrecklich mager, sie bietet kaum Höhepunkte, praktisch nichts Erzählenswertes. Geboren, geschrieben, gestorben. Lovecraft in drei Worten.

Was kann die Beschäftigung mit diesem Mann uns schon geben?

Ein Portrait dieses Mannes zu verfassen, scheitert am biographischen Zugriff. Es soll uns auch nur am Rande kümmern, wie er gelebt hat. Aber aus seinen Widersprüchen und seinen Fähigkeiten lässt sich ein Destillat erzeugen, aus dem sich einiges ziehen lässt und gerade dem kritischen Geist Nahrung liefert. Mehr als Fragment kann es freilich nicht sein, das hätte ihm wohl auch gefallen.

Kapitulation hat durchaus etwas Verführerisches. Hat man erst einmal alle Hoffnung persönlich negiert, kann man sich bequem am Leben vorbeidrücken. Widerstand ist anstrengend, nervenaufreibend. Wo man sich an den Zeiten und den Menschen offensiv abmühen muss, da geht es an die Nerven, an die Substanz und der Ausgang bleibt immer mehr als ungewiss. Dem vollendeten Pessimisten ist der Eskapismus nahe.

Beides trifft auf Lovecraft zu. Es ist eine Situation, welche die Kritiker heutiger Zeiten (und gerade die Konservativen und Reaktionäre) mit ihm teilen: Alles wird schlechter, die Entwicklungen werden zur Lawine, wir werden erdrückt. Fast könnte man neidisch werden auf die Kollaborateure und ihr zufriedenes Unzufriedensein zwischen Konsum und banalen Sorgen.

Das Verführerische an der Kapitulation

Viele kennen die Verführung, sich in die Schreibstube zurückzuziehen und abzuwarten, bis die Zeit einen dahinrafft. Diese leise Stimme, dass man sich umsonst abplackt und welch’ hoffnungsloser Irrsinn im dauernden Widerstand liegt. Lieber sich nicht mehr kümmern, nicht mehr teilnehmen. So sind wir doch Lovecrafts Kinder, wenn wir diese Verführung und diese Stimme kennen.

Allein: Das stellt den Zweifel nicht ab. Den Schrecken über soviel Unwissen und Dummheit. Das – durchaus auch wohlige Erschauern – beim Ausblick auf künftige Katastrophen. Man blickt aus dem Fenster und beschaut die lachend-dummen Gesichter und fragt sich, wie sie aussehen werden, wenn das Unheil zu ihnen kommt. Der Gedanke gefällt und beunruhigt uns, er zieht uns magisch an den Schreibtisch, denn ganz können wir es nicht unterlassen, uns doch mitzuteilen – und sei es auch nur dem Papier.

Nicht weil wir Erfolg wünschen oder Ruhm, sondern weil wir den Eselgesichtern einen Vorgeschmack geben wollen auf die bitteren Zeiten, welche sich für uns so klar abzeichnen. Man hat sich zwar versteckt, aber man kann den prophetischen Akt nicht unterlassen, auch weil man das falsche Glück durchschaut, welchem die Kleingeister da huldigen.

Sind wir neidisch auf die Gedankenlosen?

Halt! Moment! Wir wollten doch kapitulieren, uns nicht mehr einmischen! Uns der Passivität hingeben und alles verneinen. Wegducken und in Ruhe vergehen. Der Widerspruch nagt an uns. Sind wir neidisch? Ein unschöner Gedanke. Vielleicht so unschön wie wir und die anderen? Wir leben also weit weg vom prallen Leben. Die Menschen und ihr Alltag widern uns an. Unbegreiflich das dumme Tun und der Lauf der Zeit. Wir künden davon und werden alt. Auch aus der Ferne kann man das Schauen nicht unterlassen, die Gedanken nicht abstellen – die Qual sich zu äußern, die Frage, ob nicht alles anders sein könnte.

Schließlich knüppeln wir die Hoffnung in den Texten tot. Oder versuchen es zumindest. Nicht mehr nur wegen der anderen, viel mehr noch wegen uns selbst. Abfinden wollen wir uns mit dem Ekel und nicht aufbegehren. Die Welt ist uns unbegreiflich, aber wir uns auch. Was soll dieser Unsinn? Das Leben ist und bleibt ein Saustall und es widert uns an. Geht mir aus den Augen! Gehe mir selbst aus den Augen! Ich tue mir selbst furchtbares an, aber wir auch den anderen. Missgunst und Empathie lassen keine Ruhe aufkommen. Auch die Heimat wird Gefängnis.

Welch Verführung, welch Verschwendung! Also zehren wir uns auf

Wir werden alt im Zeitraffer. Und krank. Wir schämen uns einerseits ob des ausgewichenen Lebens und sind doch voller Vorfreude, wenn die Zeit uns endlich dahinrafft. Wir spucken auf das erbärmliche Geschenk dieses unnötigen Lebens. Nur auf die Haltung kommt es noch an, auf die letzten Meter, bevor man endlich diesem Scheißhaufen mit seinen Amöbenexistenzen entfliehen kann. Ob einfach nur ein schwarzer Vorhang fällt oder neue Welten, neue Schrecken sich auftun, ist uns egal. Nur weg! Haben wir doch geahnt (oder nur gemeint?), dass es den ganzen Wahn nicht wert ist.

Welche Verführung, welche Verschwendung! Also zehren wir uns auf: Uns rührt nicht die Frau, die wir nicht hatten, das Kind nicht, welches wir nie wollten, die Nachwelt nicht, welche wir ablehnen wie die Gegenwart. Wir haben ein Beispiel gegeben oder auch nicht. Das soll andere kümmern. Als uns das Sterben schließlich zerfrisst, blicken wir uns noch einmal delirisch um. Sicher war es alles nichts wert. Oder hoffen wir es nur?

Das ist jene drohende, zwiespältige Botschaft, welche Lovecraft, sein Leben und seine Schriften haben. Wir leben in diesem Widerspruch. Die „Fülle der Zeit“ (Gasset) wie im 19. Jahrhundert kennen wir nicht und sie kommt auch nicht wieder. In jedem Zweifler steckt auch ein Nihilist, die wegwerfende Geste, die durchaus auch großartig wirken kann. Dieser Widerspruch und diese Verführung machen uns zu Lovecrafts Kindern. Freilich: Man sollte nicht seinem Beispiel folgen. Der quälende Blick vor dem Ende muss furchtbar sein und ist eine Mahnung.

Auch die Glücklichen vergehen

Aber wenn wir schließlich in seine Texte schauen, wenn wir angenehm erschauern beim Blick in den irrsinnigen Abgrund dieser sirenenhaften Unfassbarkeit, dann spüren wir, wie nahe er uns gewesen ist. Der Ekel über den alltäglichen Menschen in seiner viehischen Zufriedenheit wird uns bestätigt und am Ende kommt das Böse zu allen und bleibt stark in seiner Unfassbarkeit. Auch die Glücklichen vergehen und ihr Sturz ist noch viel tiefer.

Das hilft über manch düstere Momente hinweg. Gerade diese missgünstige Ader, diese Lust am Unglück der Anderen befriedigt Lovecraft für uns. Deswegen redet man auch nicht gerne von ihm, vor allem in Deutschland. Aber auch in der internationalen Rezeption verschanzt man sich hinter schönen Worten oder böser Kritik.

Lovecraft hat der „Leere eine Farbe“ gegeben

Man sieht es nicht gerne, wenn der Menschenhasser und Katastrophenwünscher in jedem von uns bedient wird. Das literarische Establishment meidet seine Schriften und Visionen. Nicht alleine wegen der rassistischen Untertöne, sondern wegen der verführenden Wirkung und dieses unangenehmen Gefühls, beim eignen Widerspruch ertappt worden zu sein.

Er hat der „Leere eine Farbe“ gegeben (Camus), während er konsequent gegen sich selbst lebte. Er ist Verführung und Vergewaltigung zugleich. Destruktiv und autoaggressiv. Selbstbezogen und doch voller Empathie. Ein totaler Widerspruch. Aus der Zeit.

„I am Providence.” Alles hatte er überwunden und negiert. Und doch den Gedanken nicht unterlassen. Daran schließlich zerbrochen. Durch die Zeit hat er über diese und seine bescheidene Herkunft triumphiert, indem er seine Niederlage inszenierte. Und heute vernehmen wir vielleicht ein leises Echo eines boshaften Lachens, das möglicherweise von ihm stammt. Er war mehr als „nur“ Providence.

In unseren aktuellen Thesen-durch-Fakten-Anschlägen haben wir uns ebenfalls mit dem Thema Pessimismus auseinandergesetzt und dazu sechs Thesen formuliert: Pessimismus ist Feigheit!

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