dimanche, 15 mars 2015
Ein deutscher Revolutionär
Ein deutscher Revolutionär
von Philip Stein
Ex: http://www.blauenarzisse.de
Vor 75 Jahren wurde der führende 68er Rudi Dutschke geboren. Etablierte Medien erinnern an ihn als „Ikone der Linken”. Doch Dutsche war Patriot und Querdenker.
Als am 11. April 1968 vor dem Büro des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes” (SDS) am West-Berliner Kurfürstendamm drei Schüsse fallen, geht ein Ruck durch Deutschland. Rudi Dutschke, das charismatische Sprachrohr, die Ikone einer ganzen Generation, war Opfer eines Attentates geworden und schwebt in Lebensgefahr.
Die Bilder dieser hinterlistigen Attacke, bei der Dutschke zweimal in den Kopf und einmal in die linke Schulter getroffen wurde, füllen tagelang die deutschen Fernsehsendungen und Magazine, beschäftigen Journalismus und Politik.
Linksnationale 68er?
Unter den Studenten verbreitet sich die Nachricht vom Dutschke-Attenat wie ein Lauffeuer. Es folgen Massenproteste, Kundgebungen und schlussendlich schwere Ausschreitungen vor dem Gebäude des Springer-Verlags. Der schwerverletzte Dutschke überlebt knapp das Attenat. Doch auf die große Bühne kehrt er nie zurück, bleibt fortan ein Schatten seiner selbst. Der Mythos um Dutschke lebt jedoch weiter. Auch heute ist der einstige Studentenführer, der Provokateur und charismatische Intellektuelle der 68er-Generation, nicht aus den Diskursen von links bis rechts verschwunden.
Der Name Dutschkes steht vor allem für das linke, sich als revolutionär begreifende studentische Milieu von 1968. Bei genauerer Betrachtung symbolisiert er jedoch auch für eine merkwürdige Art von Querfront, eine bisweilen linksnationale Ausprägung der 68er-Generation. Diese sprach durchaus deutlich von einer nationalen Identität und deutschen Traditionen. Wie stark Dutschke selbst dieser Identität verbunden blieb, zeigt schon seine Biographie: Auch durch seine Verwurzelung im evangelischen Christentum hat er viele konservative Werte gelebt.
Politisch links, privat konservativ
Dutschke war ein absoluter Familienmensch, vom bäuerlichen Leben geprägt, und als seine Freunde die freie Liebe predigten, heiratete er früh – nämlich im Alter von 26 Jahren. Mit seiner US-amerikanischen Frau Gretchen Dutschke-Klotz hatte er drei Kinder. 75 Jahre nach seiner Geburt fragen wir uns nun: Wer war Rudi Dutschke? Und wie national tickte er?
Der im brandenburgischen Luckenwalde am 7. März 1940 geborene und dort aufgewachsene Dutschke verbrachte seine Jugend in der DDR. Schon in jungen Jahren entwickelte der sowohl evangelisch als auch sozialistisch geprägte Dutschke eine Renegatenhaltung: Sie äußert sich vor allem in der Ablehnung der SED und der von ihr angestrebten Gesellschaft. Als im August 1961 der Bau der Berliner Mauer beginnt, handelt Dutschke wie viele junge Deutsche in der DDR. Er begeht „Republikflucht“ gen Westen.
Mit seiner Immatrikulation an der Freien Universität (FU) in West-Berlin – in den Fächern Soziologie, Philosophie, Ethnologie und Geschichtswissenschaft – beschreitet der junge Student einen Weg, der ihn zum entscheidenden Kopf der 68er-Bewegung machen sollte. Zusammen mit Bernd Rabehl gründet Dutschke 1962 die Berliner Gruppe der „Subversiven Aktion“ und wird auch politisch tätig.
Hassobjekt des Bürgertums
Ab 1965 – Dutschke war nun im politischen Beirat des SDS – bestimmt er maßgeblich dessen Richtung und organisiert in Folge eine Vielzahl von provokanten, doch wirksamen Demonstrationen und bundesweiten, international besuchten Kongressen. Der SDS verknüpft realpolitische Probleme – vorrangig den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze der ersten großen Koalition – mit der angeblich fehlenden sowie verdrängten gesellschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus durch die deutsche Eltern– und Großelterngeneration.
Was 1967 folgt, verändert die junge Bundesrepublik nachhaltig. Im Mittelpunkt stehen nun die Erschießung Benno Ohnesorgs und die bundesweiten Proteste und Ausschreitungen der Studentenbewegung. Dutschke wird medial und politisch zum Rädelsführer einer aufsässigen, unverständlichen Generation stilisiert. Er gilt nun als Symbol des Bruches zwischen Jung und Alt, zwischen der „autoritären“ Bundesrepublik und einer neuen, herbeigesehnten freien Welt der Gleichheit und des Sozialismus. Dutschke wird aber nicht nur zur Ikone einer jungen Generation, sondern auch zum Feind und Hassobjekt der etablierten Medien und Politik. So wird er mehrfach körperlich attackiert, in Zeitungen und Magazinen als „Volksfeind“ dargestellt und schlussendlich Opfer eines beinahe tödlichen Attentates.
Antikapitalistischer Patriot
Er wollte für die „Abschaffung von Hunger, Krieg und Herrschaft“ durch eine „Weltrevolution“, und gegen eine „autoritäre“ und „faschistische“ Gesellschaft kämpfen. Einen weltweiten, ausbeuterischen und unfreiheitlichen Kapitalismus sah er als Wurzel des Übels an. Doch Dutschke äußerte sich nach dem Attenat auf seine Person auch oft und dezidiert zur nationalen Frage. Seine Äußerungen – immerhin die Worte eines überzeugten „revolutionären Marxisten“ – werden in heutigen linken Zusammenhängen gerne und kategorisch verschwiegen.
Verschiedene Renegaten der 68er- Bewegung, etwa Günter Maschke, Horst Mahler oder Dutschkes Freund und Weggefährte Bernd Rabehl, haben nach ihrem „Seitenwechsel” zur politischen Rechten versucht, die Geschichte Rudi Dutschkes aus nationaler Sicht zu rekonstruieren. Viele Renegaten behaupten überdies, Dutschke würde im Deutschland dieser Tage mit seinen politischen Ansichten rechts der Mitte stehen. Dass solche Prognosen gehört, doch durchaus auch kritisch beleuchtet werden müssen, steht außer Frage. Die nationalen Traditionslinien innerhalb der „Neuen Linken“ werden durch Dutschke jedenfalls deutlicher denn je.
Gegen die Besatzer
So sprach Dutschke etwa von einer „Kontinuität von Dresden bis Vietnam“, scheute sich nicht, von „Kriegsverbrechen gegen das deutsche Volk“ zu schreiben oder die Teilung Deutschlands auch als Verlust der eigenen deutschen Identität zu titulieren. Zur Teilung seiner Heimat äußerte sich Dutschke vielfach. Er schreibt etwa: „Gleichermaßen empfinde ich es aber als Beleidigung, Jahre nach dem Kriege noch besetzt zu sein. Die Amerikanisierung der BRD und die Russifizierung der DDR, drückt die Spaltung, die Verunmöglichung der Einheit des Landes aus.“
Und weiter: „Es ist für mich außer Zweifel: In der DDR ist alles real, bloß nicht der Sozialismus, in der Bundesrepublik ist alles real, bloß nicht die Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, bloß keine reale Demokratie. Wie gesagt, Amerikanisierung und Russifizierung sind vorangeschritten, leider aber nicht die Wiedergewinnung eines realen Geschichtsbewusstseins der Deutschen. Ganz zu schweigen von einem nationalen Klassenbewusstsein der deutschen Arbeiterklasse.“
Mit seiner gleichermaßen vorhandenen Ablehnung sowohl der Sowjetunion als auch des Westens unter Führung der USA ist Dutschke derzeit aktueller denn je.
Denn ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Rechten sowie verschiedener Querfrontbewegungen blickt gegenwärtig hoffnungsvoll gen Osten. Als „Putin-Versteher“ erhoffen sie, der Russe bringe dem Deutschen als neuer Bündnispartner die nationale Identität zurück.
Weder Ost noch West
Doch Dutschke argumentiert dagegen unverblühmt national. Er weiß klug zu differenzieren: „Anlässlich des ungarischen Volksaufstandes von 1956 wurde mir eines klar. Welches Volk sich auch immer in Mitteleuropa erheben möge, die Amerikaner und Russen werden ihre Herrschaftszonen mit allen Mitteln verteidigen und die andere nicht berühren. Selbstständigkeit, heute Autonomie genannt, ist nicht erwünscht.“
In Bezug auf die Wiedervereinigung erklärt Dutschke weiter, dass beide Großmächte selbstverständlich imperiale Interessen verfolgten: „Warum ist die Linke in der Bundesrepublik so blind in Bezug auf die deutsche Frage? Die USA wünschen sich so wenig ein wiedervereinigtes Deutschland wie die Sowjetunion. Wünschen es überhaupt noch die Deutschen?“ Schlussendlich bringt er mit einer Kritik an den Linken seiner Zeit zum Ausdruck, dass die nationale Frage für ihn von ungeahnter Bedeutung ist: „Die Verquickung der Nationen im internationalen, kapitalistischen Produktionsprozess hat nicht die geschichtlich nationale Substanz aufgehoben. Das gilt besonders für unser Land, für die sozialistische Wiedervereinigung zwischen Rhein und Oder-Neiße. Diese Aufgabe wird immer mehr eine der Arbeiterklasse in der DDR und BRD.“
Linke Ansätze zum Nationalismus
Dutschke machte sich also für die nationale Frage stark, ohne dabei zu verkennen, dass sowohl „Amerikanisierung“ als auch „Russifizierung“ auf das deutsche Volk einen destruktiven Einfluss ausübten. Ein weiteres prägnantes Dutschke-Zitat bringt es auf den Punkt. Es stammt aus einem 1978 publizierten Aufsatz Dutschkes mit dem bemerkenswerten Titel Wer hat Angst vor der Wiedervereinigung?: „Über die kapitalistische Amerikanisierung ging der zyklische Auflösungsprozess der geschichtlichen und nationalen Identität bruchlos vor sich. Über die asiatische Russifizierung erfolgte dagegen eine subversive und widersprüchliche Festigung derselben – das ist eine These von mir.“ Eine solch kluge und differenzierte Analyse zu finden, die vor allem die nationale Frage sinnvoll in den Vordergrund stellt, ohne sich klar gen Westen oder Osten zu richten, ist heute äußerste Mangelware. Schon deshalb lohnt sich eine eingehende Lektüre der Schriften Rudi Dutschkes. Zahlreiche der hier genannten Zitate – und interessante Aufsätze – finden sich in der Dutschke-Textsammlung Mein langer Marsch. Reden, Schriften und Tagebücher aus zwanzig Jahren.
Sein langjähriger Weggefährte und Freund Bernd Rabehl äußerte überdies schon 1967: „Die marxistische Linke muss Ansätze des Nationalismus weiterentwickeln, gerade auf den neuralgischen Punkt, dass Deutschland geteilt wurde, durch den Bundesgenossen USA, der diese Teilung ab Teheran sanktionierte. Der Nationalismus in dieser Form ist eine Art Sammlung, schafft ein Bündnis zwischen den einzelnen Sozialisten, die dadurch aktiv werden können.“ Dutschke selbst greift das erst nach dem Attentat auf seiner Person dezidiert wieder auf. Er schreibt zehn Jahre nach Rabehl folgende Sätze im Allgemeinen Deutschen Sonntagsblatt: „Unter solchen Bedingungen fängt der linke Deutsche an, sich mit allem möglichen zu identifizieren, aber einen Grundzug des kommunistischen Manifestes zu ignorieren: Der Klassenkampf ist international, in seiner Form aber national.“
Die nationale Arbeiterklasse
Schon 1977 ernteten Dutschkes Aussagen innerhalb der deutschen Linken Empörung, Distanzierung und Unverständnis. Doch auch heute hagelt es für Dutschke Kritik. Der ehemalige Maoist und heutige Politikwissenschaftler Götz Aly stellt Dutschke in seinem Buch Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück etwa indirekt in Reihe mit Dr. Joseph Goebbels, wenn er schreibt: „Ähnlich wie später Dutschke forderte Goebbels sein akademisches Publikum zur Bildung revolutionärer Bewusstseinsgruppen auf (…)“. Auch Jürgen Elsässer, der heute vor allem durch sein Magazin Compact bekannt ist, übte am 22. April 1998 in der Jungle World noch in dem Artikel Rudis Reste-Rampe scharfe Kritik an „Rudi Dutschkes Metamorphose“.
Es ist erstaunlich, wie sehr Dutschke die nationale Frage in den Siebzigerjahren zu beschäftigen schien. Von einem Wandel seiner politischen Ansichten zu sprechen, ginge vermutlich zu weit. Doch Sätze wie die folgenden, geschrieben im Jahr 1976, lassen wenig Zweifel an einem nationalen Verständnis des eigentlichen Marxisten: „Die deutsche Sozialismusfrage ist auch eine Frage der Identifikationsgeschichte. Die italienischen Sozialisten und auch die französischen haben einen ungeheuren Vorteil: Sie haben noch eine nationale Identität, nicht die Identität der Bourgeoisie, sondern eine nationale Identität des Volkes und der Klasse. Nach dem 2. Weltkrieg, durch die Teilung des Landes, ist eine Situation entstanden, wo die Arbeiterklasse in diesem Land einen besonderen Identitätsverlust erlitten hat. (…) Auf der einen Seite gilt es, die nationale Besonderheit als solche zu reflektieren, und damit wieder Identität zu gewinnen. Schwer genug, in der Tat — ein gebrochenes Land — damit Identität zu gewinnen, national und sozial, extrem schwierige Angelegenheit. Aber auf der anderen Seite unerläßlich, um die Sozialismusfrage hier stellen zu können.“
Weder links noch rechts
Bei allen nationalen Bekenntnissen Rudi Dutschkes darf jedoch nie vergessen werden, dass er schlussendlich auch für eine antiautoritäre und marxistische Welt eines „Internationalismus“ kämpfte und nicht leichtfertig, gar ausschließlich national interpretiert werden kann. Ihn ohne entsprechende Hinweise als „nationalrevolutionär“ einzuordnen, so wie Henning Eichberg es tat, geht fehl. Dutschke war vieles, aber ein Nationalist im klassischen Sinne definitiv nie. Vielmehr kann Dutschke als Beweis dafür gesehen werden, dass die Kategorien „links“ und „rechts“ schon damals nicht mehr aktuell waren.
Ob Dutschke nun einen neuen Typus des „Linksnationalen“ verkörperte, ist nicht von Relevanz. Viel wichtiger ist es, in ihm einen Anstoß zu sehen, Gedanken aus einem vermeintlich anderen politischen Lager nicht kategorisch abzulehnen, sondern sich zumindest stückweise gegenüber einer sogenannten „Querfront“ aus kompatiblen Elementen offen zu zeigen. Unsere europäischen Mitstreiter haben das längst erkannt. Dutschke ist mit seinem Engagement bei den frühen, nationalen Grünen – u.a. mit Herbert Gruhl und Baldur Springmann – diesen Schritt kurz vor seinem Tod am 24. Dezember 1979 noch gegangen.
00:05 Publié dans Histoire | Lien permanent | Commentaires (0) | Tags : histoire, allemagne, berlin, rudi dutschke, mai 68 | | del.icio.us | | Digg | Facebook
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