Geheimtipp
Bei der Rezeption der politikwissenschaftlichen Theoriegeschichte nach 1968 kam niemand an den Gutachten und Theorieentwürfen von Carl Schmitt vorbei. Dieser Grenzgänger zwischen bürgerlicher Demokratie und Diktatur hatte durchaus Berührungspunkte mit Karl Marx und W. I. Lenin. Allein sich zu bemühen, einen „Begriff des Politischen“ im Zeitalter der Krisen, Revolutionen und Weltkriege zu entwerfen, der den Ausnahmestaat oder „Sondergesetze“ zum Inhalt hatte, erinnerte an die vielfältigen, marxistischen Diskussionen über den Charakter und das Ziel der „Diktatur des Proletariats“. Schon deshalb gehörte Carl Schmitt zur geheimnisvollen „Theoriegeschichte“, die in den sechziger und siebziger Jahren im Zentrum der akademischen und politischen Diskussionen stand.
Die Übergänge und Umbrüche einer Studentenrevolte, die die unterschiedlichen, historischen Ideologien aktualisiert hatte, nahm irgendwann die vielfältigen Themen der „Diktatur“ im Marxismus auf und aktualisierte sie. Die Massnahmen der Reformuniversität und die Bildungspolitik einer Sozialliberalen Koalition lenkten zu Beginn der siebziger Jahre die Diskussionen auf die Realität des Bildungs-, Sozial- und „Notstandsstaates“. Der dissidente Marxismus, den die jüdische Emigration nach 1945 an die westdeutschen Universitäten, vor allem nach Frankfurt/Main und an die FU gebracht hatte, beeinflusste die einzelnen Exponenten der Studentenbewegung und ihrer Nachgänger, sich mit der Bedeutung der Marx’schen Kapitaltheorie und mit den „politischen Schriften“ des Marxismus zu befassen. Es entstand nach 1970 ein Interesse an der theoretischen „Rekonstruktion“ des Marxismus von Marx, Lenin, Trotzki, Stalin u. a.. Eine Marxismusrenaissance öffnete den Blick für die europäische Sozialgeschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts.
Diese Theoriewendungen erklärten sich aus der Radikalisierung einer Studentenrevolte, die sich sehr bald zwischen den Extremen des illegalen Partisanenkrieges der RAF und des sozialdemokratischen Reformismus bzw. der kommunistischen „Realpolitik“ der DDR und der neu zugelassenen DKP auflöste. Ein derartige Kampf der „Linien“ fand sein Echo im inneruniversitären Streit zwischen den unterschiedlichen Theoriefraktionen des Neomarxismus, der Kulturtheorie und der „bürgerlichen Soziologie“. Er wurde zwischen den „alten Professoren“ und den neuen Dozenten, Assistenten und „Zeitprofessoren“ ausgetragen und gehörte zugleich zu den Streitpunkten der Studenten und Assistenten, die sich den unterschiedlichen kommunistischen Gruppen angeschlossen hatten. Die Reformuniversität hatte die Ziele einer „Kulturrevolution“ und Studentenrevolte in die Lehre und Forschung übersetzt und dadurch entschärft und entpolitisiert. Dem „theoretischen Radikalismus“ wurde die Praxis und die „revolutionäre Aktion“ genommen. Er fand Platz in den theoretischen Disputen und Streitigkeiten der unterschiedlichen „Kader“ an der Universität und verlor im akademischen und studentischen Milieu trotzdem die Schärfe, zur „politischen Entscheidung“ zu drängen. Dieser Radikalismus, der für die Sozialwissenschaften bisher vollkommen fremd war, befruchtete und „ideologisierte“ die sozialwissenschaftliche Debatten in den unterschiedlichen „Fachbereichen“ der westdeutschen Universitäten und der FU.
Die entstehende „Massenuniversität“ nahm die Widersprüche der Gesellschaft und des geteilten Europas auf. Die neuen Lehrkräfte hatten den wachsenden Zugang von Studenten pädagogisch zu „verarbeiten“ und sie erweiterten das Lehrangebot durch die skizzierten, neuen Themen. Über den „Marxismus“ nahm zugleich die Propaganda und die „grosse Ideologieindustrie“ der DDR Einfluss auf die Sozialwissenschaften. Die unzähligen „Kapitalkurse“ wurden ergänzt durch die Themen der Sozialpsychologie, der Familiensoziologie, der Sozialgeschichte, des „Faschismus in seiner Epoche“, der Staatstheorie und durch die DDR – Forschung bzw. durch den „Systemvergleich“. Die Gegenüberstellung der Marx’schen Staatsauffassung mit der Max Weber’schen Herrschaftssoziologie öffnete die Diskussionen hin zu W. I. Lenins „Staat und Revolution“ und zu Antonio Gramscis Interpretation von Machiavelli und der Sicht des „virtu“ und der „Hegemonia“, die die Legitimation von Opposition und Staat begründen sollten. Plötzlich wurden die Arbeiten von Carl Schmitt entdeckt und interessant, der zwar als Parteigänger der Militärdiktatur und der NS – Herrschaft galt und durch Georg Lukacs, Herbert Marcuse und Karl Löwith den Makel des Zerstörers der Demokratie und der „Vernunft“ erhalten hatte, trotzdem in seiner Charakterisierung des demokratischen „Parlamentarismus“, des „Politischen“ und der Fragen der „Legitimation“ von Staat und Opposition die Fragen ansprach, die durch Marx, Lenin und Gramsci nicht gelöst wurden: Wie gelang es der Staatsmacht oder einer „Führerpartei“, die Massen für die eigenen Ziele zu gewinnen und zu begeistern? Inwieweit gehörten die Feindmobilisierung, die „Ausnahmegesetze“ und die „Entscheidungsfähigkeit“ einer Regierung zur Grundlage der modernen „Staatlichkeit“? Konnte eine „ausserparlamentarische Opposition“ eine hegemoniale „Macht“ in den jungen Generationen entfalten und sich in einer „feindlich gesinnten Gesellschaft“ durchsetzen?
Radikalität und Faschismus
Aber nicht nur von der marxistischen Staatstheorie her wurde auf Carl Schmitt aufmerksam gemacht. Ralf Dahrendorf und Jürgen Habermas, die die soziologische Zwischengeneration zwischen der „jüdischen Emigration“, den ehemaligen „Wehrmachtsoffizieren“ und Professoren an der Universität, dem „Widerstand“, der soziologischen „Klassik“ und den neuen Dozenten verkörperten, diskutierten in den sechziger Jahren die westeuropäische und die deutsche Demokratiegeschichte. Habermas benutzte in seiner Darstellung von „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ sogar die Schmitt’sche Parlamentarismuskritik und inspirierte eine rebellische Studentenschaft in ihrer Kritik der Parteienpolitik des Bundestages, der Medienkonzerne und der Rolle des Springerkonzerns in der Öffentlichkeit und der Gesellschaft. Über Schmitt wurde die Demokratiekritik radikalisiert und sie gewann in diesen Kreisen eine „anarchistische“ Interpretation. Habermas vollzog als „Vorbild“ und Ideengeber der Revolte im Juni 1967 deshalb einen Positionswechsel, indem er die Frage des „Linksfaschismus“ in die Debatte warf und von der Zerstörung der Errungenschaften der „europäischen Rationalität“ durch die unterschiedlichen Fraktionen der Studentenrevolte warnte.
Rudi Dutschke war für ihn ein typischer Vertreter des Neoanarchismus und des „Linksfaschismus“. Habermas wandte sich schnell dem Hegel’schen Staatsidealismus zu und benannte die „Notwendigkeit“ der Kommunikation und des sozialen Ausgleichs als Ausdruck des „positiven Rechts“ und der progressiven „Staatlichkeit“. Von Carl Schmitt wechselte er zum Rechtspositivismus von Hans Kelsen, dem theoretischen Gegner von Schmitt. Habermas entsprach dadurch dem Zeitgeist, die Politik der Sozialliberalen Koalition mit dem Auftrag der westlichen Zivilisation zu verbinden, sich gegen den „Extremismus“, gegen den östlichen „Sozialismus“ und gegen die faschistische bzw. nationalsozialistische Vergangenheit zu behaupten. Carl Schmitt stand plötzlich bei den „Marxisten“, bei der „Kritischen Theorie“ und innerhalb der „bürgerlichen Soziologie“ im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.
Carl Schmitts Werk schien eine Parallelität in den Arbeiten von W. I. Lenin zu besitzen Dieser hatte in „Was tun“ und in der Schrift über den „Imperialismus“ den bolschewistischen Politikbegriff gegen die Sozialdemokratie und gegen den Liberalismus entworfen. Eine „Verfassungslehre“ wurde in den Schriften über „Staat und Revolution“ und über die Notwendigkeit des „Kriegskommunismus“ sichtbar. Die Schriften und Polemiken über den „Linksradikalismus“ als „Kinderkrankheit des Kommunismus“ enthielten Fragestellungen der Kritik der „politischen Romantik“ und der „Theologie“ bei Carl Schmitt. Lenin arbeitete situativ und interpretierte jeweils den Stand der sozialen Revolution oder der Transformation der Diktatur nach den Massgaben einer Ideologie, die als Weltanschauung theologische und religiöse Merkmale besass. Ähnlich ging Carl Schmitt vor, indem er die unterschiedlichen Umbrüche von Staat und Gesellschaft, des Kaiserreichs, der Militärdiktatur nach 1916, der Revolution und der Konterrevolution zwischen 1918 und 1923, der Weimarer Republik, der Notverordnungsdiktaturen 1930/1933, der Hitlerdiktatur 1933/1945, der Besatzungsdiktatur 1945/49 und der Bundesrepublik ab 1949 interpretierte, analysierte und „repräsentierte“. Als Gutachter und Jurist und als Vertreter des Ausnahmestaates rechtfertigte Schmitt jeweils die autoritären Eingriffe des zentralen Staates, die die Entscheidungsgewalt und die Souveränität des Staates begründen sollten.
Lenin und Schmitt waren durchaus vergleichbar. Lenin setzte sich für die zentrale Macht einer Diktatur und eines Planstaates ein, der sich allerdings aus der asiatischen Tradition des russischen Zarismus und des Polizeiterrors ableiten liess. Carl Schmitt begründete als katholischer „Konterrevolutionär“ den Ausnahmestaat und die Militärdiktatur, die jeweils den Bürgerkrieg beenden oder über die zentrale Entscheidungsgewalt in der Gesellschaft verfügen sollten. Schmitt diskutierte das geltende Recht als Machtfaktor. Für Lenin bildeten die zentralistische Partei und das hierarchische Entscheidungsprinzip von oben nach unten den Ausgangspunkt, Staat und Gesellschaft als Medium der Intervention der Berufsrevolutionäre einzuschätzen. Der Katholik Schmitt näherte sich ab 1933 dem nationalsozialistischen Führerstaat an und war von den Werten der NS – Ideologie beeindruckt. Nach Nikolai Berdjajev und nach Ernst Nolte inspirierte die bolschewistische Revolution und Politik den europäischen Faschismus und beeindruckte über Hans Rosenberg und Joseph Goebbels den Nationalsozialismus. Schmitt als Vertreter der katholischen Ordnungsprinzipien dieser Zeit verringerte durch seine Begeisterung für die NS – Ideologie die Distanz zum atheistischen Bolschewismus. Er blieb jedoch misstrauisch gegenüber dem „jüdischen Bolschewismus“. Wichtig war für ihn die „Diktatur“ als Ordnungsfaktor und Garant der sozialen und politischen Stabilität gegen die Entscheidungsunfähigkeit der parlamentarischen Demokratie und des Parteienstaates.
Die historischen Umbrüche und die juristische Anpassung Carl Schmitts an die neuen Aufgaben des Staates liessen sich mit der Gabe Lenins vergleichen, die politische Taktik der Bolschewiki auf die politische Lage zu orientieren. Ein derartiger Realitätssinn hatte vorerst nichts mit Opportunismus zu tun. Die „Verfassungslehre“, die Schriften über die „politische Romantik“, den „Parlamentarismus“ und die „Diktatur“, über den „Begriff des Politischen“, über die „Raumrevolution“ und über den „Nomos der Erde“ enthielten wie bei Lenin Ansätze einer modernen „Staatsphilosophie“, die vergleichbar wären mit den Arbeiten von Thomas Hobbes, Machiavelli, Hegel, Marx und Kelsen. Schmitt dachte über seine Zeit hinaus und entdeckte in Staat und Verfassung Tendenzen, die in die Zukunft wiesen. Schmitt argumentierte jedoch äusserst subtil „theologisch“ oder „ideologisch“. Als Advokat berief er sich auf die juristische Sprache und deutete die Gesetzeslage bzw. die Machtfaktoren, die in Recht und Verfassung sichtbar wurden.
Carl Schmitt als Ideologe und Wissenschaftler
Carl Schmitt hatte nach 1943 bereits deutlich gemacht, wie er sich selbst sehen wollte, welche Bedeutung und welche Grenzen er hatte. Nach seiner Überzeugung würde die deutsche Landmacht den „Weltbürgerkrieg“ verlieren und andere Verfassungsordnungen aus USA oder sogar aus Russland würden die deutsche Rechts- und Verfassungstradition überwinden und eine neue Politik und neues Verfassungsrecht begründen. Schmitt blieb bewusst, dass die neuen Welt- und Besatzungsmächte ihn zur Verantwortung ziehen würden. Er bereitete sich auf eine innere Emigration, auf einen „Prozess“ oder auf eine Haftzeit vor, denn er hatte in seinen Kommentaren und Rechtsgutachten drei gravierende Fehler gemacht, die das „universalistische Recht“ des Westens oder die „Prinzipien“ der Diktatur des Proletariats ihm ankreiden würden. Er hatte 1934 den Mord an seinen konservativen Freunden, General v. Schleicher, Edgar Jung und Klausner in der Schrift „Der Führer schützt das Recht“ gerechtfertigt. Sie wurden bei den Aktionen von GESTAPO unnd SS im „Röhmputsch“ umgebracht. Auf einem Kongress gegen das „Judentum in den Rechtswissenschaften“, den er in Berlin an der Universität organisiert hatte, hatte er 1936 den jüdischen Rechtsgelehrten jegliche Kapazität und Konsistenz abgesprochen und sie aus der deutschen Rechtstradion ausgeschlossen. Fast zum gleichen Zeitpunkt rechtfertigte er den „Führerbefehl“ und wollte ihn in das Strafgesetzbuch des Reiches aufnehmen, um den inneren „Feind“ direkt zu bekämpfen und zu liquidieren. Der Jurist Schmitt hatte die pure Willkür und den Staatsterror zum Prinzip des Führerstaates erhoben.
Jetzt, 1943, vollzog er einen Rückzieher und bereitete seine Verteidigung gegen die westlichen oder östlichen Ankläger vor. Nach seiner Überzeugung war der „wissenschaftliche Jurist“ kein „Theologe“ und kein „Philosoph“. Allerdings war er auch keine „blosse Funktion“ des „gesetzten Sollens“. Er wehrte sich gegen eine „subalterne Instrumentalisierung“. Gegen den philosophishen und theologischen Anspruch und gegen die Unterwerfung des Juristen zum „Funktionsträger“ und „Staatsdiener“ wollte er sich als „Wissenschaftler der Jurispondenz“ behaupten. Hier lag seine „geistige Existenz“. Er musste sich als Denker und Wissenschaftler bewähren, obwohl die unterschiedlichen Ordnungen, Machtwechsel und Staaten unterschiedliche Anforderungen an ihn stellten. In diesen „wechselnden Situationen“ wollte und musste er die Grundlagen eines „rationalen Menschseins“ definieren und feststellen. Die „Prinzipien des Rechts“ mussten in den Umbrüchen vom Kaiserreich zur Weimarer Republik, von dieser Republik zur NS Diktatur und von der Diktatur zur Bundesrepublik bewahrt werden. Zu diesen „Prinzipien“ zählte Schmitt die gegenseitige Achtung und Anerkennung des Juristen und Wissenschaftler als „Person“. Der „Sinn für Logik“, die „Folgerichtigkeit der Begriffe und Institutionen“, der „Sinn für Reziprozität“ und für das „Minimum eines geordneten Verfahrens“ und einen „due process of law“, ohne den es kein Recht geben würde, sollten weitere Kriterien der objektiven Rechtsanwendung sein. Es kam ihm darauf an, den „unzerstörbaren Kern des Rechts“ zu erhalten. Darin lag die „Würde“ des Juristen, dieses „Minimum“ in allen Systemen und Staaten einzuklagen. (Carl Schmitt, in: „verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1985 (3. Auflage), S. 385, 442)
Schmitt selbst stellte sich als ein „situativer Denker“ vor, der je nach Lage, den Staat beriet und Gutachten anfertigte, jedoch auf „Objektivität“ und „Rechtsausgleich“ bestand. Dabei wollte er den „unzerstörbaren Kern des Rechts“ einhalten und sich je nach Institution um den rechtslogischen „Begriff“ und um die „Wiederholbarkeit“ und „Logik“ des Verfahrens kümmern. Neben der opportunistischen Anpassung an den Zeitgeit und die Macht des Staates musste der Jurist seine „geistige Existenz“ und seinen „Anspruch des Rechtsgelehrten“ verteidigen. Schmitt konnte, wurden diese Zeilen auf den juristischen Stand angewandt, als Exponent seiner Generation und der juristischen Wissenschaften erklärt werden. Der Seinsgrund seines Denkens entsprach dem politischen Wechsel und den unterschiedlichen Situationen. Trotzdem mussten die Widerstände nachweisbar sein, die der Jurist gegen die Willkür und den Staatsterror entwickeln würde. Mit vielen anderen Wissenschaftlern, Ideologen, Philosophen und Juristen genügte er jedoch dem Karriereangeboten der unterschiedlichen Staatsformen und wollte sich der jeweiligen Staatsmacht andienen. Zugleich musste er die unterschiedlichen Wendungen vor seinen wissenschaftlichen und moralischen Ansprüchen legitimieren, verarbeiten und interpretieren.
In den Arbeiten von Reinhard Mehring: „Carl Schmitt, Aufstieg und Fall, eine Biographie“, München 2009, Bernd Rüthers, Carl Schmitt im Dritten Reich, München 1990 und Heinrich Meier: „Die Lehre Carl Schmitts“, Stuttgart 1994, wurde dieser Selbstbespiegelung widersprochen. Allerdings wurde Carl Schmitt in Nürnberg nach 1945 freigesprochen. Ossip K. Flechtheim, amerikanischer Ankläger, Offizier und später Professor an der Freien Universität, zugleich Mentor und Beschützer des SDS, redete später davon, dass ein „Voltaire“ nicht in die Strafanstalt geschickt werden konnte. Schmitt wurde allerdings von der Lehrtätigkeit an einer Universität ferngehalten. Jacob Taubes, Philosophieprofessor und Religionswissenschaftler an der FU, nahm zu diesem konservativen Theoretiker und Juristen Schmitt Kontakte auf, um mit ihm die „Raumrevolution“ der Zukunft und die „Theorie des Partisanen“ zu diskutieren. Derartige Ideen erreichten den Republikanischen Club und den SDS.
Carl Schmitt erschliesst sich uns heute als Charakter und Generationstyp durch die soziale Herkunft, durch den sozialen Aufstieg, durch das Milieu und durch die Institutionen, in denen er sich bewegte und arbeitete. Die Verbindungen zum wohlhabenden Onkel und später zu den Vorgesetzten, Lehrern und Professoren gaben ihm Impulse und Orientierung. Die Freundes- und Kollegenkreise und der Einfluss der Mentoren und Ideengeber bezeichneten die Situation und den sozialen Hintergrund von Aufstieg. Sie wurden bis auf Ausnahmen bei jedem Karriereschritt ausgetauscht und durch neue Kreise und Verbindungen ersetzt. Die Institution der Universität, des Staates oder des Militärkommandos, der Verbindungen oder der „Partei“ wiesen Hindernisse und Potentiale auf, die Schmitt jeweils erkennen musste, um sich behaupten zu können. Er musste allerdings seine Intelligenz, zugleich seine Anpassungsfähigkeit und seinen juristischen Geist als Gutachter und Textschreiber unter Beweis stellen. Primär durch Leistung, durch „geniale Ideen“, Fleiss und Beweisführungen, durch Anpassung und Subsumtion unter Personen und Ideen fand er die Anerkennung seiner Vorgesetzten und seiner Förderer und konnte dadurch den Weg nach oben nehmen. Diese Nähe zu den informellen Hierarchien und Entscheidungsträgern und die Leistungsfähigkeit des Juristen Schmitt erklärten den Aufstieg als Fachberater und Wissenschaftler, der als Gutachter bei den unterschiedlichen Gremien, Stabsstellen und später Regierungen oder Ministerien auftrat und als Porfessor Anerkennung finden konnte. Sowohl die kleinbürgerliche Herkunft und die künstlerische Begabung erzeugten bei Schmitt den „Willen“ und eine spielerische Bereitschaft, die unterschiedlichen sozialen und funktionalen Barrieren zu überwinden. Der „Drang“ in eine andere Schicht aufzusteigen, „richtiges Geld“ zu verdienen und zu Wohlstand zu gelangen, beschrieb eine wichtige Seite des Charakters dieses Juristen. Seine Intellektuellität und die Begabung, vor allem sein künstlerisches Talent, gaben ihm die Fähigkeit, Texte zu formulieren und Ideen zu entwickeln, die gut juristisch fundiert waren und hinausgigen über die Fachsprache oder die gängigen Dispute.
Diese Selbstbehauptung war typisch für Carl Schmitt. Dadurch entsprach er einer Zeitfigur, einem Typus von Juristen und Experten, einer bestimmten Physiognomie und „Maske“, die innerhalb der deutschen Intelligenz zwischen 1914 und 1945 und nach dem „Zeitbruch“ tausendfach zu finden war. Seine Begeisterung für die NS- Diktatur kam aus der Überzeugung einer funktionalen Intelligenz, dass die „nationale Revolution“ und die Ausschaltung der „Marxisten“ und „Juden“ den Weg an Universität und Staat für sie selbst freigab, in neue und lukrative Funktionen zu kommen. Ausserdem war er von der Durchschlagkraft dieser Führerdiktatur überzeugt, die eine Neuordnung Deutschlands und Europas einleiten würde. Die NS – Ideologie begeisterte und trug das Ziel, für eine längere Periode die neue Macht zu sichern. Dieser „Kulturbruch“ bzw. politische „Umsturz“ und die Öffnung der Staats-, Kultur- und Wissenschaftsapparate nach 1933 machten auch Carl Schmitt blind, das „Hintergründige“, das „Extreme“, den „Vernichtungswillen“, den Niedergang dieser Führerdiktatur oder die Niederlage im Krieg überhaupt zu bedenken. Er redete im NS – Jargon und steigerte sogar den Antisemitismus in die Überzeugung, dass ihm vorerst nichts passieren konnte. Er wurde deshalb zum willfähigen Diener dieser Diktatur, die zugleich die Grundlage seines Erfolgs abgeben sollte. Erst als die SS Professoren aus dem „Schwarzen Korps“ und der „Sicherheitsdienste“ ihm die Grenzen zeigten, und er an seinen „konservativen Katholizismus“ und an seine „Judenfreundlichkeit“ in „Weimar“ erinnert wurde, wurde er vorsichtig und er kehrte zurück zum subtilen und feinfühligen Opportunismus seiner frühen Jahre. Der juristische, wissenschaftliche Ansatz erlangte erneut ein Primat.
Die genialen Visionen, die Carl Schmitt entwickelte, kamen aus diesen Zeitbrüchen nach 1918 und nach 1942. Diese Weitsichten gaben ihm die Grösse der historischen Staatsphilosophen. Als Vertreter der Militärdiktatur setzte er auf einen zentralen Staat, der die eindeutige Befehlsgewalt über einen Generalstab oder über einen Präsidenten aufwies. Er kritisierte den Liberalismus und Parlamentarismus als Methode der Zersplitterung, des Zerfalls, der Relativierung, der Geheimdiplomatie und der Machenschaften der Cliquen und Klüngel und er hatte das Thema der „politischen Romantik“ und der „Lage des Parlamentarismus“ gefunden. Die Diktatur als Entscheidungsgewalt und Definitionsmacht des inneren und äusseren Feindes erlaubten ihm, eine „allgemeine Verfassungslehre“ und den „Begriffs des Politischen“ allgemein zu definieren. Schmitt nahm durch diese Schriften den Niedergang der Weimarer Republik vorweg. Nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad 1942 und nach der Landung der Westalliierten in Marokko und Sizilien wandte er sich der Thematik der „Landnahme“ zu. Die NS- Diktatur würde zerschlagen werden. Europa und vor allem Deutschland würde in der Zukunft von den Seemächten USA und England bestimmt werden. Sie würden die Grundlagen von Politik, Verfassung und Recht legen. Der „Nomos“ und die Theorie der „Raumrevolution“ erblickten das Licht der Welt.
Die Diktatur in der bürgerlichen Demokratie
Carl Schmitt musste primär als Jurist, Advokat und zugleich als ein moderner Denker gesehen werden, dessen Analysen noch heute aktuell sind, weil sie richtige Fragen aufwerfen. Dadurch bestätigte er die „Politisierung“ der Sozialwissenschaften. Ihre juristische Erschliessung konnte zwar ideologische Einflüsse nicht überwinden, trotzdem enthielt sie objektivierende Ansprüche und zeigte sich als Mittel und Methode, den Zustand von Staatsmacht, Recht und Verfassung zu ergründen. Wer würde sich in den Machtkämpfen durchsetzen? Worin lag das Ziel des Staates? Würde die finanzkapitalistische Weltmacht USA über die NS – Raummacht oder den realen „Sozialismus“ Russlands triumphieren oder würden nach dem weltpolitischen Sieg der USA neue Machtzentren, etwa in China sich herausbilden, die das Völkerrecht oder die internationale Raumpolitik umdefinieren würden?
Die theoretishen Denktraditionen und Vorbilder dieses Juristen sind deshalb zu benennen. Sie gipfelten nicht etwa nur in den Bezügen zu Machiavelli oder zum spanischen Konterrevolutionär Donosso Cortes. Schmitt entwickelte eine feinfühlige Marxismuskritik, die sich auf Max Stirner und auf die Lebensphilosophie von Soren Kierkegaard bezog. Schmitt übernahm die Kritik am „massiven Rationalismus“ der materialistischen Theorie, die alles Denken als Funktion und „Emanation vitaler Vorgänge“ auffasste. Durch diesen Rückzug auf logische, mathematische, naturwissenschaftliche und ökonomische „Gesetze“ und Vorgänge in der Gesellschaft schlug dieser Materialismus in eine „irrationale Geschichtsauffassung“ um. Sie blendete wichtige politische, humane und soziale Zusammenhänge aus. Sie wurde zu einem sinnlosen „Funktionalismus“, der alles zu erklären schien, trotzdem aktuelle und konkrete Zeitgeschichte nicht aufnehmen und deuten konnte. Selbst Georges Sorel mit seinem Gespür für mythologische Vorgänge in der Gesellschaft durch das weite Spektrum von Gewalt und Macht fand bei Schmitt keine Anerkennung, solange er an der Marxschen Theorie des „Klassenkampfes“ festhielt.
Schmitt gewichtete die Kriegspolitik des internationalen „Finanzkapitals“ vor 1914 und nach 1918, das auf Eroberung, Herrschaft, Unterwerfung, Vormacht und Diktatur drängte, mit Geld operierte und manipulierte, um die „Fremdherrschaft“ und die „Unterdrückung“ der Völker in Europa einzuleiten. Die deutsche und europäische Kultur sollte nach Schmitt im I. Weltkrieg und durch den Versailler Vertrag zerschlagen und grundlegend umgewertet werden. In dieser historischen Kriegserklärung entstand eine „Feindschaft“, die so einfach nicht zu erkennen war und deshalb verharmlost wurde, jedoch gegen die deutsche und europäische Substanz von Kultur, Recht, Verfassung und Staat gerichtet war. Dieser „Feindbegriff“ würde das „Wesen einer Epoche“ bestimmen. Er besass einen politischen Anspruch von dominierender Macht und Herrschaft. Dieser „Feind“ verfolgte das Ziel, den Willen des deutschen Staates zu brechen und das Volk und die Eliten zu zermürben. Er unterminierte den Widerstandswillen. Er war enthalten in den unterschiedlichen Ideologien. Gab sich unerkennbar, verschleierte und verdrängte den Anspruch auf Vormacht. Nicht die Ökonomie als „Funktion“ und Grundlage von Gesellschaft war wichtig, sondern die Feindbestimmung wurde bedeutsam und liess sich über das Völkerrecht, internationale Verträge und politische Auflagen und Bündnisse entschlüsseln. Schmitt hatte sein Thema und seinen Ansatz gefunden, über die Rechts- und Staatsanalyse den „Feindbegriff“ zu thematisieren und zu ergründen.
Machiavelli wurde dadurch zu einem Vordenker und Vorbild für ihn, denn er bestimmte die Staatstypen über den stattfindenden Bürgerkrieg in Norditalien des späten Mittelalters. Daraus ergab sich, daß die Stadtrepubliken sich jeweils nur als Diktaturen, „oligarchische Demokratien“ oder Herrschaftsformen erhalten konnten, in denen bestimmte Familien, Parteien, Machtgruppen oder Geheimgesellschaften dominierten. Allerdings benötigten derartige „Republiken“ oder „Diktaturen“ die Anerkennung durch das Volk, wollten sie „Kontinuität“ bewahren und sich längere Zeit gegen die Feinde behaupten. Eine derartige „Legitimation“ wurde über die Propaganda und die Mobilisierung des Volkes gegen vermeintliche oder echte Feinde erreicht. Der Staat als „Fürst“ oder „Macht“ musste die zentrale Entscheidungsgewalt gegenüber den demokratischen Gruppen und Institutionen behaupten und er erlangte eine unbedingte Souveränität, konnte er ein Gleichgewicht im potentiellen Bürgerkrieg herstellen und über die Ausnahmesituation verfügen. Der entstehende, moderne Staat liess sich nicht aus einem „Gottesgnadentum“, dem Auftrag der christlichen Religion oder einer überhistorischen Mission der Fürsten, Könige oder „Familien“ ableiten. Der Staat liess sich auch nicht aus den Aufgaben eines „Weltgeistes“ erklären. Er wurde nicht über das positive Recht definiert, das als abstraktes Postulat Gerechtigkeit und den „ewigen Frieden“ herstellen würde. Der „amtierende Staat“ war auf keinen Fall der „Überbau“ der ökonomischen und kapitalistischen Entwicklung. Er folgte dem Auftrag, sich gegen den „Feind“ zu behaupten, der seine Grundlagen zerstören und das Volk in Elend und Not treiben würde. „Feindschaft“ zeigte sich als „Kulturbegriff der Umwertung und der Dekadenz“. Sie würde Wirtschaft und Handel, Staat und Politik zersetzen, zerstören und in den Ruin treiben. Sie unterminierte den Stolz und der Widerstandwillen der Eliten und Völker.
Hier folgte Schmitt den Überzeugungen von Max Weber. Eine Analyse der vorherrschenden Herrschaftsformen, die sich aus der „Tradition“, dem rationalen Aufbau von Wirtschaft und und Staatsbürokratie ergaben und dem charismatischen, mystischen Führungsansprüchen historischer Persönlichkeiten folgten, liessen sich nur bedingt ökonomisch, psychologisch, religionswissenschaftlich oder soziologisch erklären. Sie benötigten die „Machtanalyse“ über Recht und Verfassung. Bei dieser Vorgehensweise wurde deutlich, dass Schmitt seine Ideen wie ein Dramaturg in die historischen Vorbilder, Hobbes, Machiavelli, Hegel, Weber u. a. projizierte, um sie in seinem Sinn erfolgreich zu zitieren. In dieser Vorgehensweise unterschied er sich kaum von anderen Wissenschaftlern. Er gab jedoch dadurch zu erkennen, dass er selbst einen „Weltplan“ anerkannte, der nicht über die idealistische Philosophie, nicht über eine Utopie oder das positive Recht begründet werden konnte. Er war enthalten in den Zielen der feindlichen Weltmacht, die als Leviathan die Landmacht Behemoth besiegen wollte.
Nach Schmitt wurde die „bürgerliche Gesellschaft“ über die nordamerikanische Unabhängigkeit und über die Französische Revolution begründet. Sie wurde schnell in die Abhängigkeit zur Geldaristrokratie gebracht und enthielt keinerlei Ziel, Wahrheit, Leidenschaft oder Heldentum. Sie bewegte sich je nach „Lage“ zwischen den sozialistischen Ideen und der politischen Reaktion, akzeptierte die Geldmanipulationen, verkam in den entscheidungslosen Diskussionen zur labilen, schwachen Macht und zerredete jedes Engagement, jede Entscheidung und zerstörte dadurch die „Staatlichkeit“. Der „demokratische Staat“ zeigte sich offen für derartige Manipulationen und leitete über den Parlamentarismus die Selbstaufgabe der bürgerlichen Gesellschaft ein. Die Mittelklassen lösten sich auf. An der Spitze agierten die Milliardäre der Finanzspekulation. Unten verkam das pauperisierte Volk in Dekadenz, Kriminalität und Armut.
Dagegen behauptete die „Theologie“ der Gegenrevolution den Schöpfungsgedanken und die Hierarchie einer katholischen Ordnung, die die Einheit der Welt und die „Menschgeltung“ nach christlichen Werten restaurieren wollte. Das biologische Mass des Menschen wurde anerkannt, jedoch durch das Gottesgebot gehegt. Eine derartige Ordnung besass keinen „rationalen Aufbau“, folgte nicht dem „Profit“, sondern besaß eine menschliche, katholische Disposition. Reformation, Atheismus, Utopismus und Liberalismus lieferten die Gesellschaft an die Interessen der Geldaristrokratie und der Spekulanten aus, die ihre „Demokratie“ als potentielle und unfassbare „Diktatur“ einrichteten. Die Lobbygruppen der Geldmanager bestimmten Parteien und Regierung.
Schmitt sympathisierte mit der „katholischen Reaktion“ eines Donosso Cortes und machte deutlich, dass er die bürgerliche Ordnung primär als eine Art „Verschwörung“ betrachtete. Er konnte diese einseitige Festlegung über die Verfassung, das geltende Recht und das Strafgesetzbuch belegen. Die Ausnahmegesetze sicherten der „politischen Klasse“ die Macht. Trotzdem blieb bedenklich, eine juristische Staatssicht des „Liberalismus“ als eine pure Manipulation oder Verschwörung zu sehen. Schmitts „Theologie“ kannte als Alternative zur „bürgerlichen Demokratie“ die Militär- oder Präsidialdiktatur, weil der Soldat oder der Beamte fähiger und toleranter zu sein schien als der liberale Macher und Manipulateur. Das machiavelistische „Virtu“ wurde durch Schmitt als Verantwortungsethik, Kapazität, Überzeugung und Willen übersetzt und einer bestimmten Schicht und Religion zugeschrieben. Schmitt wurde bestätigt bei der Reichswehr oder bei den katholischen Reichskanzlern der Weimarer Republik. Sogar das Bündnis zwischen Wehrmacht, NSdAP, Industrie und konservativer Staatsbürokratie schien noch diesen „Willen“ zu enthalten. Er zersprang bereits mit dem Machtantritt Hitlers 1933 und nach 1939 und 1941 in dem Augenblick, wo der Krieg in einen totalen Technikkrieg gesteigert und der Terror gegen den „inneren Feind“ forciert wurde.
Die Analyse von Marx über die bürgerliche Gesellschaft im Bürgerkrieg in Frankreich und Nordamerika kam zu ähnlichen Resultaten wie Schmitt. Sie enthielt über die staatliche Zentralbürokratie, Verfassung und Recht die innere Tendenz zur Diktatur. Marx analysierte die Rolle des Finanzkapitals in Frankreich und USA und kam zum Ergebnis, dass dieses „Kapital“ als Geld- und Zentralmacht den zentralen Staat über den „Präsidenten“ fügen und kontrollieren wollte. Es finanzierte die aufwendigen Wahlkämpfe und es unterstützte die Regierungen, sich gegen demokratische Kontrollen abzusichern. Es finanzierte die Rüstung und war an Kriegen interessiert, um Raum und Markt für die Finanzspekulationen zu erweitern. Das Finanzkapital nahm die Währungen, die Rohstoffe, die Industrie, die Immobilien, den Handel zum Objekt und verwandelte sie in die Derivate, Aktien oder Anleihen. Nur als internationale Macht konnte es sich behaupten und bildete gegenüber dem Nationalstaat einen internationale, staatsähnliche Macht, die die Bedingungen von Wirtschaft und Politik diktieren würde. Nach Marx enthielt das Finanzkapital sozialistische Prinzipien der Planung, der Zentralisation, der Arbeits- und Konjunkturpolitik, um sie allerdings „privat“ umzusetzen. Dadurch wurde es zur Macht der Zerstörung und zum „Feind“ gesellschaftlicher Ziele, um über Zerstörungen neue Methoden und Mittel des „Aufbaus“ und der Spekulation zu finden. Krieg und Chaos waren in diesem finanzkapitalistischen System vorgegeben. Es bedeutete die „negative Aufhebung“ des Kapitalismus auf „kapitalistischer Grundlage“ und war an Diktatur und Krieg interessiert. Es zerstörte die „bürgerliche Gesellschaft“ und zielte auf die „soziale Paralyse“ und den Polizeistaat, denn diese Politikformen erleichterte die Regentschaft der wenigen Milliardäre über die Masse der Völker. Für Marx bildete allerdings die „proletarische Revolution“ und die „Diktatur des Proletariats“ als „Negation der Negation“ die Alternative.
Lenin dachte ähnlich wie Schmitt und Marx über die demokratische Republik. In seiner Imperialismusschrift und den Vorarbeiten dazu diskutierte er die Rolle der Banken und des Finanzkapitals bei der Organisierung der Monopole und Trust. Ihr Einfluss auf den Staat und die imperialistische Kriegspolitik wurde unterstrichen. Die „Fäulnis“ und die „Dekadenz“ der politischen Eliten war für Lenin Anlass, nach seiner Rückkehr im April 1917 nach Petrograd auf den bolschewistischen Aufstand zu drängen. Er hatte keinerlei Bedenken, sich die Durchfahrt von der Schweiz nach Russland durch Deutschland durch den deutschen Generalstab „gewähren“ zu lassen. Die „Provisorische Regierung“ und ihre Parteien zeigten sich unfähig, den Krieg mit Deutschland zu beenden, obwohl die Arbeiter und die unzähligen Bauernsoldaten kriegsmüde waren und desertierten. Das Entente – Kapital und hier wieder die finanzkapitalistischen Investoren der Kriegsindustrie bestanden auf der Kriegsbereitschaft Russlands, um die deutschen Truppen in einem Zweifrontenkrieg endgültig niederzuringen. Der „bolschewistische Sturm“ auf das Winterschloss hatte die symbolische Kraft, die bürgerliche Regierung auszuschalten und zu verhaften und die Auflösung der Front einzuleiten und Frieden mit Deutschland zu schliessen. Die Oktoberrevolution fand lediglich in zwei, drei Grosstädten statt, hatte jedoch das Echo im weiten Land, in den unzähligen Landumverteilungen und in den Streiks der Arbeiter. Die „Fäulnis“ hatte die herrschenden Eliten machtunfähig gemacht. Der republikanische Staat wurde durch die Revolutionäre zerschlagen und ersetzt durch die unterschiedlichen Initiativen, eine „Rote Armee“ zu fügen, die „Tscheka“ einzusetzen und eine kriegskommunistische Umverteilung und soziale „Reproduktion“ zu organisieren. Die Bolschewiki wollten im entstehenden Bürgerkrieg eine organisatorische und waffentechnische Überlegenheit erreichen. Aus diesen „Organen“ entstand eine neue Variante der asiatischen „Staatlichkeit“.
Das „Revolutionäre“ dieser Oktoberrevolution stammte aus dem wachsenden Chaos. Die Organisationskraft der Bolschewiki, die zentrale Propaganda und der Einsatz der „Produktivkraft“ des Terrors gegen Sozialdemokratie, Liberalismus, Konservatismus und das „alte Russland“ nahmen diesen revolutionären Schwung auf. Die „Massen“ folgten einem „Glauben“ der Erlösung. „Stenka Razin“ erlebte eine historische „Auferstehung“. Lenin interpretierte diese Eigendynamik einer Revolution und zog erst dann die Notbremse, als die Selbstzerstörung der Revolution einsetzte. Schmitt, der sicherlich die Leninschriften kannte, verglich die Situation seit 1929 in Deutschland mit dem Jahr 1917 in Russland, so die Vermutung. Nach Lenins Überzeugung waren die wachsende „Fäulnis“ und die „Selbstparalyse“ einer Gesellschaft Bestandteil der Profitsucht der finanzkapitalistischen Milliardäre und ihrer Zuhälter. „Fäulnis“ bezeichnete den Gegensatz zur Verantwortungsethik oder zum „virtu“ einer produktiven Machtelite. Eine fatale Gesinnung der Mächtigen steckte die ganze Gesellschaft an und trieb sie in die Lethargie und in den inneren Zerfall. „Revolution“ bedeutete Erneuerung und den radikalen „Austausch“ der Eliten, die nun aus den unverbrauchten, jungen Generationen kamen.
Der Triumph des „Leviathan“
Schmitt unterschied in seiner Kritik des Völkerrechts und des Varsailer Vertrages generell zwischen der Landmacht Behemoth und der Seemacht Leviathan. Für ihn gab es zwei grundverschiedene Rechtssysteme, die jeweils bei der europäischen Landmacht angesiedelt waren und die ihre Wurzeln in der Seemacht Englands oder der USA hatten. In der Landmacht, so seine These, wurzelt alles Recht auf einem „bodenhaften Urgrund“, in dem Raum und Recht, Ordnung und Ortung zusammentrafen. Die Seemacht kannte keine festen Beziehungen. Je nach Macht und Situation wurde das Recht umgeschrieben und es diente den Mächtigen als eine vorläufige Legitimation, bis die nachfolgenden Mächtigen ihr neues Recht verkündeten. Vor allem in der Auseinandersetzung mit Thomas Hobbes begründete Schmitt dieses doppelte Weltrecht.
Der Völkerbund und das Völkerrecht schrieben nach 1918 den Versailer Vertrag fest und sicherten den bestehenden „Besitzstand“. Im Völkerbund wurde nicht Recht oder Gerechtigkeit vertreten, sondern die historische Entwicklung und die bestehende Machthierarchie zwischen den Staaten und Völker festgeschrieben. Es wurden Verträge geschlossen, die bei nächster Gelegenheit gebrochen wurden. Die Souveränitätsansprüche der Mittelmächte und Russlands wurden eingeschränkt und das Völkerrecht fragmentiert und in Ost- und Zentraleuropa in eine Vielzahl von Sonderzonen und Gebietsforderungen aufgelöst. Die Eigenstaatlichkeit wurde durch internationale Verträge relativiert und zugleich durch die Forderung der Freiheit der Meere und der Rohstoffe der Zugriff der Seemächte gestärkt. Die Gültigkeit des Völkerrechts kannte keinerlei Rechtslogik und war nicht einer allgemeinen Moral verpflichtet, sondern fügte sich dem Gewohnheitsrecht oder wurde von der us – amerikanischen Grossmacht je nach Situation interpretiert. Die Moroedoktrin, die die Freiheit des Handels einklagte und die Freiheits- und Menschenrechte gegen den katholischen Imperialismus Spaniens und Portugal einforderte, wurde nach 1918 auf Europa übertragen und sollte den Landmächten Deutschland und Russland die Souveränität nehmen und ein vages Interventionsrecht begründen.
Die Landmächte sollten ihre innerstaatliche Souveränität verlieren und sollten von aussen durch das Völkerrercht begründet werden. Der demokratische Willen der Völker wurde dadurch ignoriert oder aufgelöst und den Seemächten ein politischer Eingriff garantiert. Über internationale Verträge oder Bündnisse, Absprachen, Abkommen wurde das natioanle Recht ausgehöhlt und den einzelnen Staaten die Souveränität genommen. Internationale Gremien, durchaus anonym, nicht durch Wahlen legitimiert, unkontrolliert, übernahmen die Aufgabe, sich in die inneren, nationalen Belange der Einzelstaaten einzumischen. So entstand eine bürokratische Diktatur, die im Auftrag des internationalen Finanzkapitals agierte, jedoch vollkommen unabhängig war von der demokratischen Kontrolle der Völker und Wähler. Selbst die nationalen Regierungen hatten ihren Direktiven zu folgen. Es fällt auf, dass Schmitt die Vorbehalten gegen den westlichen Liberalismus und das Finanzkapital auf die Staatsform und den „Imperialismus“ der Seemächte übertrug. Allerdings schien ihm die strikte Analyse der Vertragsformen und des Völkerrechts Recht zu geben, obwohl die positive und negative Idealisierung dieser zwei Staatstypen sichtbar war.
Nach 1939 nahm Schmitt diese Kritik aus den zwanziger Jahren auf. Jetzt reduzierte er die bisherige „Weltgeschichte“ auf eine Geschichte des Kampfes der Seemächte gegen die Landmächte. Die Welt zerfiel in zwei Lager, die jeweils unterschiedliche Wirtschaftsformen, Gesellschaftstypen, Staatsstrukturen und Rechtsnormen aufwiesen. 1941 kommentierte Schmitt die Atlanticcharta, die durch den amerikanischen Präsidenten Roosevelt und den englischen Premier Churchill aufgestellt wurde und die eindeutig gegen die NS – Diktatur in Deutschland gerichtet war, die sich jedoch auf Russland und später auf China übertragen liess. Schmitt veröffentlichte bei Reclam in Leipzig drei Aufsätze zu diesem Thema: „Das Meer gegen das Land“, „das neue Problem der westlichen Hemisphäre“ und „Land und Meer“. Die alliierten Konferenzen in Casablanca, 1943 und in Teheran und Yalta, 1945, die die bedingungslose Kapitulation Deutschlands festschrieben, schienen ihn zu bestätigen. Die USA würden Westeuropa und Deutschland besetzen und in einer „Landnahme“ rechtlich und politisch umwälzen und nach dem Vorbild der USA gestalten. Nicht primär Europa wurde von dieser Umwälzung betroffen. Die ganze Welt sollt nach der Perspektive des Leviathans geordnet werden. In der „Marinerundschau“ vom August 1943 gab Carl Schmitt dieser weltpolitischen Tendenz in dem Aufsatz über „die letzte globale Linie“ Ausdruck.
Es interessiert, ob nicht die Landmächte Deutschland und Russland, die ihre Verfassungen der NS – Diktatur geöffnet hatten bzw. der bolschewistischen „Revolution“ keinen Widerstand entgegensetzen konnten, ob diese Landmächte, die als Rechts- und Verfassungsstaaten sich dem politischen Massnahmestaat unterwarfen, ob diese Landmächte nicht notwendig ersetzt werden mussten durch das nordamerikanische Prinzip von Verfassung und Politik. Bei Schmitt klingt wiederum eine „Verschwörung“ an. Deutschland und Russland als Militärmächte, Planstaaten und Diktaturen konnten ihre Ambitionen von „Raumpolitik“ und „Weltmacht“ nur über den Massenterror und durch den totalen Krieg eröffnen und scheiterten letztlich an der USA bzw. an der Taktik, Russland gegen Deutschland in Front zu bringen. Nach 1945 wurde auf West- und Zenraleuropa das amerikanische Prinzip von Politik, Medienmacht, Demokratie und Verfassung übertragen. Es garantierte den Zugriff der nordamerikanischen Grossmacht auf die Innenpolitik der europäischen „Volksparteien“ und Staaten. Nach 1989 wurde Russland und Osteuropa diesem Prinzip unterworfen. Widerstand würde entweder in Fernost, in China oder in den islamischen Republiken entstehen, die die Wurzeln der Landmacht konservierten. Daneben entstand im Volk die Idee des „Partisanen“, sich gegen die wachsende Dekadenz, gegen die Armut, das Verbrechen und die Willkür zu wehren. Schmitt erinnerte in diesen Überlegungen an Marx, der eine „negative Dialektik“ kannte, die seiner Utopie des Fortschritts widersprach. Negative Zuspitzungen von Krisen, Chaos und Krieg kannten den Widerspruch und den Widerstand, die sich zusammenführen liessen aus den Resten von Tradition und Überlebenswillen der einzelnen Eliten und Völker.