jeudi, 29 octobre 2015
Vico, der Vorläufer Spenglers
Vico, der Vorläufer Spenglers
von Carlos Wefers Verástegui
Ex: http://www.blauenarzisse.de
Der Geschichtstheoretiker und Kulturphilosoph Giambattista Vico (1668−1744) ist, wenn überhaupt, nur als „Vorläufer Spenglers“ bekannt.
Zu Unrecht, denn der Neapolitaner Vico ist Spengler in Sachen Eingebungskraft, Selbständigkeit und Reichhaltigkeit des Denkens überlegen. Er verdient es, als Bildungsmacht neben den ganzen Deutschen Idealismus gestellt zu werden, aber auch Wilhelm Dilthey, Friedrich Nietzsche – vor allem der geniale Nietzsche von „Lüge und Wahrheit im außermoralischen Sinne“ – und Ferdinand Tönnies sind Vico ebenbürtig. Vicos leidenschaftliche, aber dennoch den Tatsachen auf den Grund gehende Beschäftigung mit der Geschichte lassen ihn vorteilhafter als Spengler erscheinen. Anders als die herkömmlichen Geschichtsphilosophen neigt Vico nicht zu Ideologie und politischer Auswertung der Vergangenheit.
Bedeutung Vicos für den Konservatismus
Dass Vico immer noch so wenig bekannt ist, liegt vor allem daran, dass er im Gegensatz zu Spengler keinen durch Zeitumstände bedingten Erfolg hatte. Sein Hauptwerk, die „Neue Wissenschaft“ (Scienza Nuova), war seiner Zeit derart voraus, dass es über ein Jahrhundert lang einsam dastand und auch später meist unverstanden blieb.
Erst die Arbeiten des italienischen Philosophen Benedetto Croce sowie die Forschungen Deutscher, wie Richard Peters, aber auch Karl Löwith, haben die Viquianische Methode der historischen Einsicht in ihrem Wert wiedererkannt. Auch konservative Gelehrte, wie Werner Sombart und Carl Schmitt, haben Vico durchaus die Wertschätzung zuteil kommen lassen, die er verdient. Der ehemalige Spann-Schüler Eric Voegelin hat in ausdrücklicher Anlehnung an Vico seinem Hauptwerk den Titel „Die neue Wissenschaft der Politik“ gegeben.
Gemäß ihrem Schöpfer ist die neue Wissenschaft eine teologia civile e ragionata della provvidenza divina, frei übersetzt: eine „auf Vernunftbelege gegründete politische Theologie der göttlichen Vorsehung“. Hinter dem barocken Ausdruck verbirgt sich eine Philosophie des Geistes, ähnlich imposant wie die Hegelsche. Dazu gesellen sich noch eine empirische Geschichte oder, wie Croce präzisiert, „eine Gruppe von verschiedenen Geschichten“, sowie eine Gesellschaftswissenschaft. Obwohl Vico den Begriff nicht gebraucht, ist sein Werk als eine umfassende Kulturphilosophie zu bezeichnen, die sich bereits im Übergang zu einer konservativen Soziologie befindet.
Ideale ewige Geschichte
Nach Vico bezeichnet seine Wissenschaft eine „ideale ewige Geschichte“. Dieser idealistische Begriff geht auf zwei Gegenstände Viquianischer Eingebung zurück: durch die Erfassung des Heroenzeitalter Homers ist er im Mythos verankert, die römische Geschichte hat ihm als Vorlage für alles Weitere gedient – sie stand geradezu Modell für Vicos geschichtliche Zyklenlehre der corsi und recorsi. Vicos Geschichtsbild gemäß dieser „idealen ewigen Geschichte“ ist aufs innigste verwand mit romantischen Naturgeschichtsvorstellungen, wie denen Heinrich Leos oder Wilhelm Roschers, aber auch Othmar Spanns universalistische Geschichtstheorie gehört hier her.
Das Geschaffene ist das Wahre
Wie leicht es ist, Vico mißzuverstehen, beleuchtet Spanns Fehlurteil über Vico als eines „naturalistischen Geschichtsphilosophen“. Der Ernst von Vicos System ist, wie bei Spann, „objektiver Idealismus“. Auch führte Vico konsequent die fundamentale Unterscheidung zwischen Natur und Kultur, zwischen physischer Welt und Welt des Geistes als erkenntnistheoretischer Grundlage einer von den Naturwissenschaften geschiedenen und, im Gegensatz zu diesen, wahren Wissenschaft – der vom menschlichen Geist nämlich – ein.
Dadurch, dass Vico seinen Gottesglauben gedanklich ausführte, kam er zu der Feststellung: In Gott sind Einsicht, Erkennen und Schaffen eins. Nur Gott, als dem Schöpfer, gebührt vollkommene Einsicht in sein Werk, nur er besitzt wahres Wissen über alles. Der Mensch aber findet sich in einer natürlichen Welt zurecht, die er nicht geschaffen hat, und über die er deshalb nur „Gewissheit“, niemals aber „wahres Wissen“ erlangen kann. Nur was der Mensch selbst schafft, vermag er auch vollkommen zu erkennen, wahres Wissen erlangt er nur über seine eigenen Erzeugnisse.
Vico stützt sich in seinen Untersuchungen auf die Fähigkeit des menschlichen Geistes, Erkenntnis über sich selbst zu erlangen, auf die Einheit des Menschengeschlechtes sowie die (relative) Unveränderlichkeit der Menschennatur. Relativ unveränderlich ist die Menschennatur deshalb, weil Vico sich der Geschichtlichkeit des Menschen sowie seiner individuellen Abhängigkeit vom geschichtlichen Schicksal der „Völker und Nationen“ sicher ist.
Gegen Naturrecht, Rationalismus und Atheismus
Diese dogmatische Erkenntnisvoraussetzung nimmt bei Vico die Gestalt einer Kritik des Rationalismus sowie der utilitaristischen Naturrechtslehren, vor allem von Hobbes und Spinozas, an. Am Ende dieser Kritik steht bei Vico eine entschieden fromme Philosophie der Autorität, die für sich beansprucht, die gesamte Überlieferung, den Mythos, die Phantasie und überhaupt die Intuition wieder in ihr angestammtes Recht eingesetzt zu haben. Überhaupt ist die Frömmigkeit bei Vico erster und letzter Begriff.
Erst der Fromme besitzt den Schlüssel zum wahren, nämlich einfühlsamen Verständnis der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt. Gegenüber dem Frommen und seiner wahren Einsicht nehmen sich die Naturrechtler und Rationalisten toll und hochmütig aus; die Wahrheit bleibt ihnen auf immer verschlossen, und sie merken es nicht einmal. Derselbe tolle Hochmut macht für Vico auch die Atheisten so hassenswert. Über hundert Jahre später übernimmt der spanische Reaktionär Juan Donoso Cortés dieses Viquianischen Argument in seinem Kampf gegen die politischen Nachfahren der Rationalisten und Naturrechtler, die Liberalen und Sozialisten.
Die Rolle der „Vorsehung“
Als strenger Theist ist Vico der Ansicht, dass die Geschichte, die ihm immer eine Geschichte der „Völker und Nationen“, niemals von Individuen ist, zwar von Menschen gemacht ist, dass aber hinter den Menschen und selbst durch die Menschen hindurch unentwegt die göttliche Vorsehung wirkt. Die Selbsterkenntnisfähigkeit des menschlichen Geistes ist ein Beweis für dieses Wirken der Vorsehung, ja, sie nähert den Menschen selbst in gewisser Weise an Gott an.
Dieses Vergnügen in der Gewissheit, in der Erkenntnis der menschlichen Dinge über sich selbst als Menschen herausgewachsen zu sein, macht Vico zu einem würdigen Nachfahren und Geistesverwandten Machiavellis, der für sich – und für intelligente Leser ebenfalls – stillschweigend beanspruchte, die politischen Dinge sowohl von der Ebene als auch zugleich von der Anhöhe aus zu betrachten. Was aber bei Machiavelli verhohlener Stolz und eine kleine Eitelkeit gegenüber den Fürsten ist, ist bei Vico freudige Demut ob der errungenen wahren Einsicht im Angesicht Gottes.
Gott besitzt die vollkommene Einsicht, nur er besitzt die ganze Wahrheit, und sich ein wenig zu ihm emporgerungen zu haben, ist keine Kleinigkeit für den menschlichen Geist. Darauf ist Vico stolz. Die Menschen spielen sich nämlich dauernd selbst Streiche, sie irren über die wahren Beweggründe ihres Handelns. Sie meinen, etwas zu wollen oder zu tun, erreichen aber etwas ganz anderes, was ihnen nicht aufgeht – es ist die Vorsehung, die die Selbstsucht, die Triebe, den Ehrgeiz, die Laster, die Leidenschaften, die Irrtümer und überhaupt alles Streben der Menschen dazu benutzt, das Allgemeinwohl hinter dem Rücken der Akteure und über ihre Köpfe hinweg zustande zu bringen.
Machiavellischer Realismus und geschichtliche Dialektik
Vicos „Vorsehung“ hat zwar auf den ersten Blick etwas von Adam Smiths „unsichtbarer Hand“, die gerade da die allgemeine Wohlfahrt befördert, wo jeder seinem eigenen Vorteil nachgeht. Ihre genaue Entsprechung ist jedoch Hegels List der Vernunft: dadurch, dass die Menschen sich in ihren wesentlichen Überzeugungen, Glaubensartikeln, Ansichten und Zwecksetzungen täuschen bzw. sich grundsätzlich irren, machen sie sich letzen Endes selbst, nämlich freiwillig und ohne dass sie irgendetwas davon ahnten, zu Werkzeugen der Vorsehung.
Diese eigentümliche dialektische Spannung zwischen Existenz, Bewusstsein und Handeln des Individuums und dessen eigentlicher, ungeahnter Bewandtnis innerhalb von Gottes Vorsehung, sagt trotz ihrer, für heutiges Empfinden mythologischen Einkleidung, tatsächlich etwas über die Struktur der menschlichen Wirklichkeit aus. Sie tut es auf die gleiche Weise, wie es Machiavelli mit dem Hinweis getan hat, dass der Fürst sich auch darauf verstehen müsse, nach Notwendigkeit böse zu handeln. Nur ist bei Vico das Aktivistische von Machiavellis individualistischer Handlungstheorie eben zum überindividuellen Prozess der Vorsehung ausgeweitet, der so zur geschichtlichen Dialektik wird. Die Vorsehung ist gerade deshalb, weil sie göttlichem Ratschluss, Gottes Vernunft und Autorität in einem, entsprungen ist, gut und gerecht; in der Notwendigkeit des geschichtlichen Verlaufs rechtfertigt, d.h. reinigt, heilt und korrigiert sie diesen.
Sympathie für barbarische Heroen
Als tief einem in der Tradition verwurzelten Katholiken fehlte Vico jeder Begriff von „Fortschritt“. Trotzdem beinhaltet seine „Neue Wissenschaft“ eine intensive Auseinandersetzung mit dem Aufstieg und Verfall der Völker und Nationen. Nach Vico liegt der Anfang der Völker in einem dunklen Heroenzeitalter. Dies ist gekennzeichnet durch barbarische Gefühlsausbrüche und körperliche Sinnlichkeit. Doch gerade dieses unmenschliche Zeitalter der rohen Gewalt und Barbarei ist ganz im Sinn der Vorsehung, und zwar zum Besten der Menschen: sie sind der Urkeim eines wahrhaft geselligen Zustandes, der erst ein menschenwürdiges Zusammenleben möglich macht. Obwohl Vico nicht mit groben Bezeichnungen für seine barbarischen Helden spart, behandelt er diese Vorzeit mit Liebe und Verständnis, ja sogar mit Sympathie für die „Riesen und Polypheme“, wie er die Barbaren nennt. Ihr Zeitalter ist das einer unschuldigen Jugend, reichlich ausgestattet mit Phantasie und ursprünglicher Schaffenskraft.
Sind es auch Barbaren, so sind sie doch edelmütig und aufrichtig bei aller Gewalttätigkeit. Indem sie ihr zyklopisches Heroenrecht gegenüber anderen Barbaren und, vor allem, den nichtheroischen Schwachen durchsetzten, wurden sie zu Stiftern der Zivilisation. Die Schwachen machten sie sich unterwürfig, nahmen sie in ihre Obhut und gewährten ihnen so ein erträgliches Dasein.
Den weiteren Fortschritt der Kultur zeichnet Vico, hauptsächlich anhand der römischen Geschichte, als eine Folge von Kämpfen, Klassenkämpfen und Bürgerkriegen, zwischen Adligen und Niedriggeborenen, einheimischen Patriziat und fremdstämmigen Plebejern. Nach jedem dieser Kämpfe kommt es zu einem Ausgleich, der immer mehr diese „Gemeinen“, die für Vico die eigentliche Menschheit ausmachen, begünstigt. Dadurch, dass die Plebejer in der Geschichte gegenüber den sich immer mehr weibischen Adligen an Boden gewinnen, wird die mildeste und den Schwachen gemäße Zeit eingeläutet: das „menschliche Zeitalter“. In diesem sichert ein rechtlicher Zustand den Schwachen das Dasein, die „Gesellschaft“ – im Gegensatz zur Gemeinschaft. Auch die Regierungsformen ändern sich während dieses Prozesses: die Aristokratenrepublik, bestehend aus Heroennachkommen, weicht dem demokratischen „Volksstaat“, welcher am Ende in einen Cäsarismus bei bloß „sozialer“ Demokratie ausläuft.
Demokratie bloß eine Durchgangsphase
Die gesellschaftliche Entwicklung geht dabei vom Notwendigen zum Nützlichen. Darauf folgen nacheinander das Bequeme, das Gefällige und, schließlich, der völkerverderbende Luxus. Die „humanen Zeiten“ sind nicht dazu bestimmt, eine den Leuten zuträgliche demokratische Staatsform zu stabilisieren. Nach Vico wissen die „Menschen“ mit ihrer Sicherheit und ihrem Wohlsein nichts Besseres anzufangen, als sich immer mehr in ihrem Eigennutz und ihrer Genussucht gehen zu lassen.
Auch ihren hochentwickelten Verstand benutzen sie nur zu Falschheiten – zur Gemeinheit und Niedertracht. Entgegen den Behauptungen eines Forschers zeigt Vico überhaupt kein besonderes Interesse an der „Demokratie“, sondern sieht diese nur in ihrer geschichtlichen Notwendigkeit und Bestimmung in Egoismus und Unrecht umzuschlagen. Auf sie folgt wieder der ungesellige Zustand, es wird unerträglich für alle. Wegen dieser unerträglichen Ungerechtigkeit des Daseins legt nun die Vorsehung bei der idealen ewigen Geschichte als einem obersten Weltgericht „Berufung“ – ricorso – ein.
Drei Möglichkeiten sind es nun, die sich dabei auftun: 1. Der Retter kommt, gleich Oktavian-Kaiser Augustus, aus den eigenen Reihen. Es ist die cäsarische Lösung. 2. Es kommt ein fremder Eroberer, der über die erwiesenermaßen sich selbst zu regierenden Unfähigen herrscht – zu ihrem eigenen Besten. 3. Es ist zu spät, die zivilisatorisch überfeinerte Gemeinheit und die Barbarei des Verstandes gehen so lange weiter, bis die Völker sich total heruntergebracht haben. Hier greift nun die Vorsehung rettend ein und gewährt der Menschheit nach all dem Schmerz und Unrecht eine zweite Chance – ein neues Mittelalter bricht an. Nur dieser völlige Rückfall in eine ganz ursprüngliche und gewalttätige Barbarei, wie die, die das Mittelalter ermöglichte, ist in der Lage, die zivilisierte Menschheit zu läutern und von sich selbst, als einem leidigen Übel, zu kurieren.
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