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lundi, 02 novembre 2015

Don Quijote und die Konservativen

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Don Quijote und die Konservativen

von Carlos Wefers Verástegui

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Der „Ritter von der traurigen Gestalt“ ist den meisten als eine komische Figur, das Buch über Don Quijote selbst als eine Parodie mittelalterlicher Ritterromane bekannt.

Doch in Wahrheit steckt viel mehr in ihm, als sich ahnen lässt. Der Quijote ist nämlich eine konservative Symbolfigur. Zur Zeit des Quijotes, im 17. Jahrhundert, gab es zwar noch die Wertewelt des Mittelalters mit ihren idealen Vorstellungen von Adel und Königtum. Doch diese hatte sich von den tatsächlich bestehenden Institutionen und Würdenträgern getrennt.

Der Adel tat es seinen in Cervantes´ Roman auftauchenden Repräsentanten gleich: der Schwertadel war zu einem weitgehend funktionslosen Landadel geworden und zur Müßigkeit verurteilt. Der Hochadel, obwohl er noch einiges Gewicht besaß, übte sich zunehmend darin, sich auf immer feinere und spielerische Weise die Zeit zu vertreiben und überhaupt das Dasein zu versüßen, als dass er sich dem Gemeinwesen verpflichtet fühlte. Das eigene Königtum – der König – hatte aufgehört, das Ideal des Ritters und Kriegers beispielhaft zu verkörpern. Es war zu einer Gewalt mutiert, die zwar überall, gleich einem Schatten, bedrohlich hin(ein)fallen konnte, doch selbst da, wo sie ihre Macht aufs deutlichste spüren ließ, haftete ihr doch stets etwas Schattenhaftes an.

Ein abgeklärtes und „entzaubertes“ Zeitalter

In dieser abgeklärten Atmosphäre, einem, den Untertanen fernen und unpersönlichen, eben schattenhaften Absolutismus, in der Ehrgeiz und Gewinnstreben mehr auszurichten vermochten als persönliche Tugend, wurde den ritterlichen Idealen kein besonderer Ernst mehr entgegen gebracht. Der Titel „Ritter“ selbst war käuflich geworden oder wurde, aus bürokratischem Verdienst, an die „Räte“ des absolutistischen Verwaltungsstaats verliehen.

Diese wirkliche Welt des Landedelmanns Alonso Quijano stand im krassesten Gegensatz zu den imaginierten Traumländern und Wundergeschichten, von denen er aus seinen heißgeliebten Ritterromanen erfahren hatte. Sowohl Alonso Quijano als auch sein höheres Selbst, Don Quijote, waren sich ihrer höchst nüchternen Realität nur allzu bewusst. Der unüberbrückbare Gegensatzes zwischen ihr und der den Ritterromanen entnommenen besseren Wertewelt des Mittelalters brachte diese Einsicht fast zwangsläufig mit sich.

Don Quijote brauchte deshalb nicht erst auf Max Weber zu warten, um zu wissen, was „Entzauberung“ und „stahlhartes Gehäuse“ bedeutet: beides war ihm längst zur bitteren Gewissheit geworden, sein Zeitalter ihm ganz folgerrichtig ein „greuliches“. Alonso Quijano-​Don Quijote besaß ein unzweifelhaft richtiges Bewusstsein von seiner Realität.

Alonso Quijano wird zu Don Quijote

Als einem Nachfahren echter Ritter zeichnete sich Hidalgo Alonso Quijano durch eine ihm eigene Kühnheit aus: aus den besonderen Umständen seines müßigen Daseins heraus musste sie eine geistige Richtung nehmen. Diese Kühnheit Alonso Quijanos ging so weit,dass er das Rittertum vollständig beim Wort nahm. Nachdem seine Phantasie aus den Fugen geraten – durch zahlreiche Übernächtigungen – und übermäßig gereizt – durch den ungesunden Genuss von Ritterromanen – , sein „Gehirn ausgetrocknet“, sein Verstand überwältigt ist, beschließt er doch tatsächlich, Ritter zu werden.

Seine „Verrücktheit“, die eigentlich eine Steigerung seiner geistigen Kühnheit ist, besteht darin, Wertewelt und Phantasiegebilde der Ritterromane gleich ernst genommen zu haben. Der Hidalgo Alonso Quijano wird zu Don Quijote dadurch, dass er das, was er liest und was ihn anreizt, so für richtig befindet und deshalb auch für würdig, als Ganzes in die Wirklichkeit überführt zu werden. Die geistige Kühnheit artet dabei aus, Alonso Quijano wird – verrückt. Cervantes lässt seinen tragischen Helden Alonso Quijano-​Don Quijote absichtlich über das Ziel hinausschießen. Er lässt ihn von vornherein „verrückt sein“, vielleicht aus vorausgreifender, vorsichtiger Rücksichtnahme auf die sich übervernünftig ankündigende Wirklichkeit seiner Zeit.

donquichotte6.jpgEdmund Burke ist Don Quijote

Als der „Vater des Konservatismus“ Edmund Burke der Französischen Revolution seine „Betrachtungen“ entgegenschleuderte, bediente er sich des Bildes des „metaphysischen Ritters“. Er wollte die Revolutionäre als abstrakte Fanatiker entlarven. Don Quijote war damals eine bekannte komische Figur. Burke konnte voraussetzen, dass er verstanden wurde. Nur war Burke im eigentlichen Sinne Don Quijote, weil er es wagte, der Revolution die Stirn zu bieten – im Namen der Ritterlichkeit – , und dabei im gleichen Atemzug verkündete: „Doch das Zeitalter der Ritterlichkeit ist nun vorbei. Die Sophisten, die Ökonomen, die Erbsenzähler haben gewonnen. Und die Herrlichkeit Europas ist nicht mehr.“

Im gleichen Sinne wie Burke zog aber der „metaphysische Ritter“ aus wider sein Zeitalter der „Greulichkeit“, trotzdem er zu genüge wusste: Es gibt keine fahrenden Ritter mehr. Don Quijote und Burke gleichen sich auf Haar in ihrer jeweiligen Kampfansage, die bei ihnen Verneinung und Bejahung der Gegenwart in einem ist. Beiden wird ihre Gegenwart zur eigentlichen Herausforderung, sie wird ihnen zum Prüfstand ihrer eigenen ritterlichen Tugend: sie ist ein Material, welches sie sich in Wahrheit gar nicht anders wünschen könnten, in ihr gilt es nämlich sich zu bewähren.

Romantischer Politiker und Antikapitalist

Die konservative Bedeutung Don Quijotes ist der Deutschen Romantik früh aufgegangen. Sie sah in ihm einen Wesensverwandten. Später ist Carl Schmitt von dieser konservativ-​romantischen Entdeckung des Quijotes ausgegangen, um den unsterblichen Typus des „romantischen Politikers“ – eines echten Politikers im Gegensatz zum „politischen Romantiker“ – anhand des Quijotes darzustellen.

Werner Sombart hat seinerseits Don Quijote als einen hervorragend antikapitalistischen Typus betrachtet. Bei seinem ersten „Auszug“ kommt der Ritter gar nicht darauf, dass er bei der Ritterfahrt eine derartige Trivialität wie „Geld“ nötig haben könnte. Das muss ihm erst ein verschmitzter Gastwirt beibringen. Besonders grell leuchten die gegensätzlichen Prinzipien von Antikapitalismus und Geldreichtum bei Don Quijotes Zusammenstoß mit Seidenhändlern auf. Am Ende dieser unseligen Begegnung liegt der wackere Held hilflos und gedemütigt auf der Erde, seine Lanze wird zu Kleinholz gemacht, er selbst von einem gemeinen Maultierjungen mit den Lanzenresten geprügelt.

Absage an die Moderne

Die „Modernität“ des Quijotes ist von der Literaturwissenschaft oft betont worden. Weniger oft bemerkt wurde die seltsame Spannung, in der sich die literarische Modernität des Buches mit der Antimoderne des Helden befindet. Eines der genialsten Kapitel des Quijotes, das, „Welches von der merkwürdigen Rede handelt, die Don Quijote über die Waffen und die Wissenschaften hält“, ist in seiner leidenschaftlichen Parteinnahme für den seine Waffen tragenden Soldaten und gegen den Rechtsgelehrten ein großartiger Versuch, das vom Mittelalter ererbte Bildungsideal „Waffen und Wissenschaften“ wiederherzustellen.

Wie tief dabei die Absage an die Moderne geht, wird im Vergleich zu Hegel deutlich. Der Gegenstand, von dem beide in ihrer jeweiligen Auseinandersetzung mit der Moderne ausgehen, sind die Feuerwaffen. Dass die Bewertung dabei unterschiedlich ausfällt, liegt auf der Hand, die Gründe aber, die sie anführen, sind überraschenderweise die gleichen.

In der „Philosophie des Rechts“ (§ 328) teilt Hegel die Verwünschungen und die Entrüstung Don Quijotes nicht. Hegel bejaht den Fortschritt, den Weg, den der „Geist“ zu sich selbst, zum modernen Staat, nimmt. Im Herzen dieses Epoche machenden Prinzips „der modernen Welt“ – nach Hegel: der Gedanke und das Allgemeine – steht die Überwindung der feudalen Welt. Hegel begreift philosophisch, was Don Quijote-​Cervantes am eigenen Leibe erfahren und begriffen hat. Nur verneint Don Quijote die Moderne aus Gründen, die sich aus seiner existenziellen Situation und seiner Wesensart ergeben.

Während der deutsche Protestant eine historische Rechtfertigung der „Entwicklung“ liefert, treibt der existentielle Protest den spanischen Edelmann und Ritter Alonso Quijano-​Don Quijote zum Handeln an. Don Quijote scheitert zwar, bleibt aber, wie er auch am Ende wieder „zu sich kommt“ und kurz darauf als einfacher „Hidalgo Alonso Quijano der Gute“ tot und begraben liegt, einem ganzen Zeitalter gegenüber im Recht.

 

 

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