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vendredi, 04 décembre 2015

Prof. P. Gottfried: Die deutsche Nation

Die deutsche Nation

von Prof. Dr. Paul Gottfried
Ex: http://www.blauenarzisse.de

Prof. Paul Gottfried stellt in diesem Beitrag das Denken von Bernard Willms und insbesondere sein Buch „Die deutsche Nation“ vor.

willms.pngDer den Freitod wählende Staatsdenker und weltbekannte Hobbes-​Sachkenner Bernard Willms (19311991) zählte zu den eigenständigsten Promovierten von Joachim Ritter. Wie Ritter, der eine beträchtliche Reihe von namhaften konservativ ausgerichteten Gelehrten promoviert hat, wurde Willms von Hegels Rechtsphilosophie stark angetan. In einem beweisbaren Sinn versinnbildlicht Hegel einen Fixpunkt für Willms’ politische und weltanschauliche Orientierung. Gewiss wurde Willms von anderen Staatsdenkern, insbesondere Fichte, Hobbes und Carl Schmitt und nicht zuletzt von Heideggers Seinsphilosophie unauslöschlich geprägt.

Besät ist sein Band Die deutsche Nation mit weitgehenden Hinweisen auf Fichte und Hobbes (ganz von Heideggers Vorstellung der „Seinsvergessenheit“ zu schweigen). Diese Vordenker sind in Hülle und Fülle herangezogen, als es versucht wird, eine „politisch organisierte“ Lebensform und eine zum Selbstbewußtsein wachgerufene deutsche Volksnation in Verbindung zu bringen. Zusätzlich wartet Willms mit Auszügen aus Fichtes „Reden an die deutsche Nation“ auf. Ebenso wie im frühen neunzehnten Jahrhundert, als gegen Napoleon mobilisierte Patrioten auf eine deutsche Erweckung abzielten, bedürfen bis heute die Deutschen eines Programms der Nationalerziehung, damit sie es dazu bringen können, eine „Fremdherrschaft“ loszuschütteln.

Der Vernunftstaat

Die unübersehbaren Hegelschen Begrifflichkeiten bei Willms treten aus seinem Ansatz hervor, die Gründung oder Bewahrung einer nationalen Allgemeinheit auf das Werden und Wirken eines Staates zu beziehen. Nach seiner aus Hegel entlehnten Formulierung hängt die Beschützung einer „Kulturnation“ vom geeigneten Staatsgefüge ab. Beides macht ein „wirklichkeitsbezogenes“ Gespann. Willms borgt Hegels Wendung des „Vernunftstaates”, um die erwünschte Zusammenfügung von Denken und Geschichtsnotwendigkeit zu kennzeichnen. Er verweist auf eine in Nachkriegsdeutschland in Schwung gekommene Absicht, eine wiederhergestellte Nation der Dichter und Denker anzustreben. Diesen Idealisten fehlte es allerdings an einem geübten Verhältnis zur Geschichte. Ohne eine staatliche und staatserzieherische Unterstützung verlief der Plan, Deutschland als eine reine Kulturnation zurückzubringen, im Sande.

Gemeinsame Selbstbehauptung

Auch zu beachten ist, dass Willms dem Hegelschen Gedankengang folgend eine „verwirklichte Nation” als eine ausgeprägt „begriffene Allgemeinheit” erfasst. Egal auf welche Weise sie urzeitig oder urwüchsig sich zusammenfaßte, ist die neuzeitliche Nationalgemeinschaft nur als eine ausgedachte Volksidentität zu verwirklichen. Und die Zeit fordert dringlich, dass eine Staatsregierung, die die dazugehörige Nationalität gewährleistet, ins Leben gerufen wird. Willms richtet sich an deutsche Patrioten, die eine aus der Vergangenheit entstandene und auf die Zukunft hinausgreifende kollektive Existenz geistig sowie emotional behaupten. Nicht ein dumpfes Gefühl der Zusammengehörigkeit sondern eine gemeinsame Selbstbehauptung, der sich alle einzelnen Mitglieder anschließen, und die eine vereinigende Staatsform annimmt, prägt die zum Nationalstaat gehobene Volksgemeinschaft der Neuzeit aus.

Ein Schwerpunkt, der bei Willms kaum zu übersehen ist, stellt seine Thematisierung der Neuzeit dar. Von den medialen Seitenhieben auf ihn als einen abstoßenden Reaktionär absehend, erachtet sich Willms als Vollblutvertreter der Moderne. Immer wieder streitet er den Linken ihre Vereinnahmung der Moderne ab. Er konstatiert, dass die Moderne dem Wesen nach nicht in erster Linie mit einer Konsumgesellschaft oder mit dem Kultus der sogenannten Menschenrechte gleichzustellen ist. Die „Neuzeit“ habe vielmehr Erscheinungen hervorgebracht wie die protestantische Reformation, der Aufstieg einer gebildeten, selbstbewussten Bürgerschaft, das Schaffen des Nationalstaates und eines überall im Westen geltend gemachten Völkerrechts.

Liberale Demokratie und deutscher Idealismus

Ebenso hervorstechend bei seiner Zeitanalyse ist ein anderer von Willms vorgetragener Gegensatz, zwischen den nach dem Zweiten Weltkrieg den Geschlagenen aufgezwungenen „liberaldemokratischen“ Leitsätzen und dem zur gegenwärtigen Stunde in Mißkredit geratenen „deutschen Idealismus“. Beide Weltanschauungen nehmen für sich in Anspruch, die Neuzeit zu vollführen, aber Willms stellt fest, dass nur die letztere das Gütesiegel trägt. Die zur Staatsreligion aufgewertete liberaldemokratische Grundlehre führt dazu, einer einstigen Nation sowohl ihre Selbstverwirklichungsmöglichkeit wie ihre Selbstachtung abzunehmen. Statt ein Durchdenken ihres Nationsdefizits zu erwecken, hat die liberaldemokratische Gängelführung zur Folge, die Deutschen sich selbst zu entfremden und ihren Siegern unterzuordnen. Die Sache erschwerend gibt diese Einstellung einer genießerischen Lebensweise Nahrung, als sie darauf gerichtet ist, die Deutschen von der Wiedererlangung einer Nationalidentität dauernd abzulenken.

Willms bezeichnet gezielt die „deutsche Philosophie“, den Idealismus von Kant bis Heidegger, als den Weg für seine selbstentfremdete Nation ins Freie. Dadurch versteht er die Wiederaneignung einer Selbstidentität über einen punktuellen Denkprozess. Ein Grundzug der Moderne, betrachtet von der Sichtweise der deutschen Idealisten her, war die Vorpräparierung eines bedachten nationalen Eigenwesens, deren Ergebnis auf eine Allgemeinheit übertragbar war. Eine Idee von dieser Ausprägung entsprang der Zukunftsvision und dem Geschichtssinn der Philosophen, die für die Deutschen eine Nationalgemeinschaft vorgreifend umrissen. Das Ergebnis war nur insoweit möglich, als das betreffende Denken eine historische Notwendigkeit philosophisch widerspiegelt.

willms35.JPGWer national ist, wird als Antidemokrat beschimpft

Die liberaldemokratische Herrschaft, die mit der französischen Besatzung während der napoleonischen Zeitepoche verglichen wird, verweigert den Deutschen ein wahres Recht, die „Nationalfrage“ zur Diskussion zu stellen. Diesem Denkverbot zuwiderzuhandeln, tut jeder Freidenker auf die Gefahr hin, sich als „Antidemokrat“ stempeln zu lassen. Dennoch riet Willms seinen Mitbürgern einen „demokratischen“ Kurs nicht kategorisch ab.

In Die deutsche Nation nimmt Willms eine Reihe von antinationalen Strömungen ins Visier, einschließlich der moralisierenden antideutschen Geschichtsschreibung, des Kollektivschuldfimmels und der Anstrengungen der Eliten den Deutschen ein erfundenes „weltgemeinschaftliches“ Eigenwesen unterzuschieben. Unter seinen Zielscheiben befindet sich ebenso eine auf die Spitze getriebene Konsumgesellschaft. Hier beruft sich Willms auf Rousseau und Fichte, die von der Zucht der gesetzten Staatsbürger als ausgesprochenes Charakteristikum der wohlgeordneten Gemeinschaft sprachen.

Die Jugend und die Mobilisierung der Nationalidentität

Auch klagt Willms die jüngere Generation an, die samt und sonders „gehäufte irrationalistische Ausbrüche aus dem Zirkel der Sinnlosigkeit” zum Schaden der deutschen Nation entladen. Zu einer „Mobilisierung der Nationalidentität” würden diese Gestrauchelten nicht im entferntesten taugen.

Meine beliebtesten Stellen aus dem Buch Die deutsche Nation beinhalten jedoch Willms’ Ansatz, gestützt auf die Wertkritik von Max Weber und Carl Schmitt, die liberaldemokratische Höchstwertsetzung auseinanderzunehmen. Ohne mit demokratischen Spielregeln vorliebzunehmen, drängen die „Gesinnungsdemokraten“ dazu, ihrem Verfahren eine unbestreitbare Heiligkeit zu verleihen. Mit einer nüchternen Wertung der jeweiligen Existenzlage hat das nichts zu tun. Die Zeitwirklichkeit kann so aufgefasst werden, dass wegen zweier verlorener Kriege eine von ihren Eroberern vorgeschriebene Staatsform den Deutschen aufgedrängt wurde, zusammen mit einem geschmälerten außenpolitischen Spielraum.

Der Höchstmaßstab für politisches Handeln

Statt eine verhaltene Haltung dem Unausweichlichen gegenüber anzunehmen, münzen die Gesinnungsdemokraten den Willensakt ihrer Besieger in eine Staatskirche um. Willms macht uns klar, dass diese Anbetung keinem philosophisch oder geschichtlich begründeten Standpunkt entspricht. Wie Weber stellt er fest, dass weder Menschenrechte noch wechselnde Parteiregierungen, sondern das Weiterbestehen einer Nation den „Höchstmaßstab” für politisches Handeln bildet. Willms weist darauf hin, dass Weber, der altliberal ausgerichtet war, nicht von einem ausufernden Deutschnationalismus angetrieben war. Der berühmte Soziologe war bestrebt, die von ihm begriffenen politischen Verhältnisse der Neuzeit darzulegen.

Durch seine akademische Laufbahn hindurch besetzte Willms eine Professur an der Universität Bochum. Dort konnte er sich seinem freimütigen Schreiben und scharfsinnigen Referaten unbehelligt hingeben. Ebenso augenfällig war sein Erfolg beim Platzieren seiner Buchtexte bei ansehnlichen Verlagshäusern, wie Suhrkamp, Kohlhammer und Bertelsmann. Seit seinem Tod werden Willms’ vielfältige Schriften totgeschwiegen, wenn nicht verunglimpft. Wenn Willms nicht seine Lebensjahre verkürzt hätte, dann hätte er schon erkannt, dass ihm der Zeitgeist unverkennbar abgewandt ist. Als geschichtlich orientierter Denker musste er aber wissen, dass der Zeitgeist nicht von selbst her handelt. Die sachbezogene Frage heißt nicht, wer über den Ausnahmefall entscheidet, sondern wer die „liberaldemokratische” Deutungshöhe zur Ausschließung der Nichtangepassten besetzt.

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