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jeudi, 09 mars 2017

Politische Theologie der jetzigen Demokratie

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Politische Theologie der jetzigen Demokratie

Eine dieser Fragen, auf die es selbst in der Demokratie keine endgültige Antwort gibt, lautet so: Wozu und, besonders, für wen, sind Recht und Staat eigentlich da?

Die Forderung der Demokratie lautet bekanntlich „gleiches Recht für alle“. Ursprünglich war diese Forderung polemisch gemeint im Gegensatz zu „ungleiches Recht“, d.h. Privileg für einige wenige – der Kampf gegen das Privileg hat die demokratische Revolution von Anfang an begleitet. Er ist eine logische Konsequenz des demokratischen Gerechtigkeitsempfindens, welches Gleichheit mit Gerechtigkeit in eins setzt.

Und tatsächlich hält noch heute der radikale Demokrat Gleichheit für den Gipfel der Gerechtigkeit, Ungleichheit dagegen für die Verletzung eines Menschenrechts, z.B. der Menschenwürde. Die Idee der Verletzung ist hierbei keine Bagatelle, sondern bezeichnet tatsächlich eine der physischen Leidzufügung und Schindung genau entsprechende moralische Schädigung des Menschen. Wird letztere aufgrund ihrer Schwere als „Schändung“ bezeichnet, wird ersichtlich: Hier handelt es sich eher um die Beleidigung eines religiösen als eines moralischen Empfindens. Die Verletzung eines Menschenrechts ist Gotteslästerung innerhalb einer theokratischen Weltsicht, in der der Mensch nicht mehr bloß Herr der Schöpfung, sondern selbst Gott ist.

Problematik der Menschenrechtsverletzung und Dogmatik der „Priester“

Das Problem der Verletzung eines Menschenrechts bestünde nun nicht, wenn der Gott Mensch sich als Gott selbst verletzte, sich tatsächlich selbst lästerte. Die allgemeine Theokratie des Menschen – im weitesten Sinne „Herrschaft“, zu der auch Naturbeherrschung gehört –, die sich im Menschenreich in einer Priesterherrschaft, genauer: in einer „Ideokratie“ bestehend aus Intellektuellen und Juristen ausdrückt, hat aber nur solange bestand, wie das Problem selbst besteht.

Dass das Problem als solches aufrechterhalten wird, dafür sorgt die vom Priesterstand der Juristen und Intellektuellen eigens besorgte Dogmatik: Gott, der Mensch, kann sich an seinen eigenen Rechten nicht vergreifen, die Menschenrechte sind genauso unantastbar für den Menschen wie seine nur ihm zukommende Würde, Gott lästert nicht sich selbst. Diese dogmatische Lösung bringt dabei unausweichlich die Konsequenz einer Aufsplitterung mit sich: entweder die Aufsplitterung des Menschentums selbst in zwei Menschengattungen, oder aber die Aufsplitterung  des Menschenreiches in zwei Menschenreiche. Ersteres führt zur Unterscheidung zwischen gottfernen, d.h. unmenschlichen Menschen und einem gottnahen, also „menschlichen“ und, von daher, „richtigen“ Menschen. „Menschlichkeit“ gilt dann als Ausweis der eigenen Göttlichkeit. Zweites führt zur Unterscheidung zwischen einem menschlichen Gottesreich („Reich des Guten“) sowie einem unmenschlichenTeufelsreich („Reich des Bösen“).

Zwischen Verteufelung und machtloser Göttlichkeit

Empirische Beispiele für beide Unterscheidungsformen bieten jeweils die USA und die europäischen Staaten: Während in den USA ein Terrorist seine grundsätzlichen Menschenrechte verwirkt hat – der Terrorist ist drüben ganz folgerichtig „des Teufels“, wenn nicht der Teufel selbst – werden in Europa den Terroristen mehr oder minder penibel, trotz allem, was sie angerichtet haben können, Menschenrechte zuerkannt.

Während in den USA der Menschenrechtsverletzer durch die Selbstverletzung, die eine Versündigung an der eigenen Gattung – ein wahrhaft luziferinischer Abfall! – darstellt, seine Rechte nicht nur verliert, sondern sogar selbst zum Teufel herabsinkt, sinkt er in Europa gegenüber der unangreifbaren Majestät sowie der eigenen Göttlichkeit der Menschenrechte ideell zur Machtlosigkeit herab: egal, was er auch tut, gegenüber seinen eigenen Menschenrechten ist er machtlos. Egal wie schlimm seine Gräueltaten auch sein mögen, sie tun dabei seiner eigenen Göttlichkeit nicht den geringsten Abbruch. Schlimmstenfalls kommt dabei ein „machtloser Gott“ – immerhin ein Gott – raus, der seinen sich gegen sich selbst versündigten Menschen gerade im „Reich des Bösen“ geparkt bzw. für immer abgestellt hat.

Aufgrund dieser theologischen Voraussetzung der real existierenden Demokratie kommt es in Europa immer wieder zu Spannungsverhältnissen gegenüber dem Staatsbetrieb. Dieser ist im Gegensatz zu den USA viel nüchterner, eben human-„untheologisch“ und, darum, unmenschlich. Der Staat in Europa verfährt grundsätzlich eben nicht nach demokratischem Stand-, sondern rein nach pragmatischem Gesichtspunkt, ohne darum ins Fadenkreuz radikal demokratisch gesinnter Intellektueller zu geraten.

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Gerechtigkeit und gültiges Recht, Volk und Staat fallen auseinander in Europa

Demokratisches Rechtsempfinden – d.h. die aus dem Grundsatz der Gleichheit sich ergebende Notwendigkeit von Vergeltung und Widervergeltung – steht in Europa gegen kodifiziertes Recht – ein Gegensatz, der so in den USA eher selten vorkommt. Man drehe und wende es, wie man wolle, innerhalb der Regierungspraxis eines europäischen Staates ist das technisch umgesetzte Recht keineswegs ein „gleiches Recht für alle“.

Das wäre bestenfalls noch hinzunehmen, wenn wenigstens der Geltungsgrund des Rechts noch in der theologischen Voraussetzung der Demokratie, die geschichtlich zum Begriff der Volkssouveränität geführt hat, läge. Tatsächlich aber liegt der echte, nicht der fiktive Geltungsgrund des Rechts in Sacherfordernissen begründet, die sämtlich auf das einfache, voraussetzungslose Faktum, nicht aber auf das Juridicum, von Regierung hinweisen. Lincolns berühmte  Formel „Demokratie ist die Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk“ wird in Europa nicht einmal ansatzweise erfüllt. Das liegt nicht etwas daran, weil Lincolns Volksbegriff problematisch wäre – das ist er beileibe nicht –, sondern weil die Demokratie in Europa recht frühzeitig in die Hände von eigenständigen Priesterkollegien („Ideokratie“: Juristen und Intellektuelle) gelangt ist, die die effektive Machtausübung an eine aus Berufspolitikern, Bürokraten und bestimmten Journalisten bestehende Dienerschaft delegieren.

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Die Herrschaft der Juristen

Zuweilen machen sich diese Diener gegenüber ihren Herren selbständig, doch wollen sie im Sattel bleiben, müssen sie immer wieder auf sie zurückkommen. Der alte Gerechtigkeitsgrundsatz, der auch in der amerikanischen Demokratie weitgehend verwirklicht ist, dass Recht und Staat schlechthin für auf sie passende Menschen da sind, liegt in Europa offensichtlich außer kraft, ohne dass darum gefährliche Konsequenzen für die Stabilität der Staaten zu befürchten wären. Ihre Stabilität gibt ihr nämlich nicht das „Volk“ – weswegen das „Volk“ gut Nebensache sein kann – sondern sie kommt von ebenbesagten Kollegien und Dienerschaften her. Praktisch umgesetzt wäre die demokratische Forderung eines „gleichen Rechts für alle“ damit eine Gegensetzung zu gültigem Recht. Gerechtigkeit – darunter wird in der Demokratie immer nur verstanden der Grundsatz der Gleichheit – und Recht fallen auseinander in Europa.

In der Wirklichkeit ergeben sich rechtliche Normierungen nur aus faktischer Machthabe. Die Probe aufs Exempel machen dabei die Juristen selbst: Wenn sie auch nicht selbst am Ruder sitzen, ist es doch mehr als nur ausreichend für sie, dem faktischen Machthaber unentbehrlich zu sein. Und so sehen wir sie überall in der neueren Staatengeschichte: mal vor, mal neben, mal hinter dem jeweiligen Machthaber, der noch dazu ein x-Beliebiger sein kann, nur in den allerseltensten Fällen, und auch dann nur zufällig, mit ihm selbst identisch.

Anarchistische Intellektuelle finden die Ideokratie erträglich

Heinrich Leo zufolge ist jede Ideokratie nur an der Erhaltung ihres Systems, nicht aber an der Befolgung ethischer Normen – und dazu gehört trotz seiner Sonderbarkeit auch der demokratische Grundsatz der Gleichheit – interessiert. Zur Ideokratie gehört immer die Privilegierung eines bestimmten Priesterstands, so Leo. Warum nun gerade radikale Demokraten und Apostel der Gleichheit, wie z.B. der Ideokratie fern, dahingegen dem Anarchismus nahe stehende Intellektuelle, sich trotzdem für unsere europäischen Demokratien, die allesamt solche von Leo dargestellten Ideokratien sind, erwärmen, ist schnell gesagt: der Wille zur Macht vermag hier eben mehr auszurichten als die herkömmliche Logik oder einfach nur Redlichkeit.

Auch sind die meisten Intellektuellen, die von der einen grenzenlosen Menschheit träumen und schon von Berufs wegen für Gleichheit schwärmen, selbst privilegierte Nutznießer verschiedenster Rahmen, von denen sie in ihren unrealisierbaren Sozialutopien geflissentlich abgesehen haben: akademischer Rahmen, staatlicher Rahmen, nationaler Rahmen, westlicher Kulturkreis – auch ein Rahmen, wenn auch ein runder –, ja, sogar der von den meisten verteufelte „Kapitalismus“ ist ein solcher Rahmen.

Auch die Tatsache, dass die Ideokratie auf die verschiedenen Rahmen nicht allzu viel Rücksicht nimmt, macht sie, wenn nicht attraktiv, so doch erträglich für radikaldemokratische Gleichheitsapostel. Da wird dann auf einmal die demokratische Moral beiseite gelassen und, im Gegenzug dazu, dem Opportunismus gehuldigt. Der Zweck heiligt die Mittel. Alles Weitere ist durch die gute Absicht gerechtfertigt. Diese Intellektuellenmoral und -logik zeigt sich hier überaus konsequent: der Weg zum (menschlichen) Himmelreich auf Erden ist mit den guten Absichten der Intellektuellen gepflastert. Wer´ s glaubt, wird selig – selig sind aber immer noch die Armen im Geiste.

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