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jeudi, 12 avril 2012

Grass und seine Kritiker

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Grass und seine Kritiker

Von Thorsten Hinz

Ex: http://www.jungefreiheit.de/

Der Schriftsteller sieht sich nach seiner Kritik an Israel mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert

Was sich über Ostern an einem läppischen Gedicht von Günter Grass entzündet hat, verdient die Bezeichnung „Debatte“ nicht. Grass hat eine sehr schlichte politische Stellungnahme verfaßt, sie mit Selbstreflexionen vermengt, in Zeilchen zerhackt und als Gedicht unter die Leute gebracht. Er sieht die Gefahr heraufziehen, daß Israel den Iran mit Atomwaffen angreift, einen Weltkrieg heraufbeschwört, und daß Deutschland, weil es atomar nutzbare U-Boote an Israel liefert, sich mitschuldig macht und in den Konflikt hineingezogen wird.

Nun wird der Iran in der Tat dämonisiert, während Israel in der Atomfrage doppelte Standards zugestanden werden, indes es zum Präventivschlag bläst. Wer mag garantieren, daß sich die Lüge um irakische Chemiewaffen nicht wiederholt? Andererseits wird Grass den Gefahren und Risiken, denen Israel ausgesetzt wird, nichtmal ansatzweise gerecht. Aus seinen Versen spricht auch das bundesrepublikanische Unverständnis über einen Staat, der sich seiner Haut zu erwehren weiß.

Nibelungentreue zu Israel

Kurzum, es handelt sich um eine hochkomplizierte politische, geopolitische, militärische, religiöse, auch demographische Gemengelage, die kein Gedicht der Welt erfassen kann. Allerdings wissen Politik, Wissenschaft und Medien in Deutschland ebenfalls nichts dazu zu sagen. Mit der Aussage, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, hat Kanzlerin Merkel die Deutschen auf die Nibelungentreue zu Israel festgelegt. Dem verbreiteten Unbehagen daran hat Grass einen verquasten Ausdruck verliehen. Die Tatsache, daß seine Haltung mehrheitsfähig ist, macht wiederum die Politik und Medien nervös und läßt sie hysterisch reagieren.

Weder Grass noch seine Kritiker argumentieren politisch, sondern moralisch. Die Moral und Merkels „Staatsräson“ stützen sich dabei auf eine Metaphysik, die um den Mord an den europäischen Juden herum errichtet worden ist.

Diesen Kern des Problems hat Grass zwar nicht formuliert, aber unbewußt berührt. Es geht gar nicht primär um Israel und den Iran, vielmehr um das kranke Nervenzentrum des eigenen Landes, um den Zwang der „belastenden Lüge“, deren Aufkündigung als Strafe „das Verdikt ‘Antisemitismus’“ nach sich zieht. Nun hat Grass viele Jahre eigenhändig an dem geistigen Gefängnis gebaut, gegen dessen Reglement er nun anrennt, und bleibt dabei weiterhin sein überzeugter Insasse. Das wird klar, wenn er von „meinem Land“ schreibt und seinen „ureignen Verbrechen, / die ohne Vergleich sind“. Er beschwört eine metaphysische Untat und leitet daraus seine anhaltende Treue zu Israel ab.

Teufelskreis

Um innerhalb des Teufelskreises, den er nicht durchbrechen kann, Israel kritisieren zu können, muß er ihm unterstellen, seinerseits ein absolutes Verbrechen zu planen: die Auslöschung des iranischen Volkes. Was, wie der stets besonnene und noble Avi Primor kommentierte, einfach „lächerlich“ ist.

Was können wir aus all dem lernen? Nichts, was wir nicht schon wußten. Substantiell ist die sogenannte Grass-Debatte eine weitere Runde im Totentanz des BRD-Diskurses. Gegen Ende von Goethes „Faust“ zitiert Mephisto die Bewohner der Unterwelt herauf: „Herbei, herbei! Herein, herein! / Ihr schlotternden Lemuren, / Aus Bändern, Sehnen und Gebein / Geflickte Halbnaturen.“ Sie helfen ihm noch beim Täuschen und Tricksen, etwas Vernünftiges bringen sie nicht mehr zustande.

vendredi, 06 avril 2012

Günter Grass und die schuldstolze Agitprop

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Erik LEHNERT

Günter Grass und die schuldstolze Agitprop

Ex: http://www.sezession.de/

Günter Grass ist wieder rückfällig geworden. Damit ist nicht der moralische Zeigefinger gemeint, den er sowieso immer ausgestreckt hält, sondern sein merkwürdiger Zwang, Gedichte schreiben zu müssen. Unter „Gedicht“ kann man eine ganze Menge verstehen. Ob es allerdings reicht, einen sehr kurzen Text durch einige Umbrüche zu strukturieren, um daraus ein Gedicht zu machen, ist zweifelhaft. Wenn Heiner Müller auf diese Weise „dichtete“, kamen dabei wenigstens Unterhaltsames und Nachdenkenswertes heraus.

Bei Grass ist es Agitprop geworden, die auf eine Weise platt daherkommt, daß man niemals auf die Idee käme, daß es sich beim Autor um einen Nobelpreisträger handelt. (Gut, Dario Fo ist auch einer, aber der ist wenigstens nicht humorfrei.) Dabei geht es weniger um den Inhalt (Iran/Israel etc.), sondern um die märtyrerhafte Form der Darbietung: „Was gesagt werden muß“ – und sich keiner traut, weils keiner sagen darf. Nur Günter traut sich, er nimmt alle Last auf sich, um stellvertretend für alle Deutschen die Wahrheit zu sagen. Er ist ein Märtyrer. Danke, Günter, wir werden Deiner gedenken.

Auf den ersten Blick geben ihm die Reaktionen auf sein „Gedicht“ sogar recht: Henryk M. Broder holt die größte Keule raus, die er finden kann und nennt Grass den „Prototypen des gepflegten Antisemiten“ und alle folgen ihm: Grass war immer Nazi, damals in der Waffen-SS und später als Linker, worüber soll man sich da noch wundern. Daß Grass nur ein Prototyp des gepflegten Moralisten ist, fällt dabei kaum jemanden auf. In seinem „Gedicht“ heißt es ja, daß er Sorge um den Weltfrieden hat, ein Freund Israels ist und überhaupt nur das Gute befördern helfen will.

Ganz in diesem Sinne äußert sich ausgerechnet ein SPD-Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern, der den „reflexhaft erhobenen Vorwurf des Antisemitismus“ kritisiert und (Achtung, Achtung!) diesen Reflex „so stark im deutschen Schuldstolz verankert“ sieht, daß Grass´ Freundschaft zu Israel nicht wahrgenommen wird. (Die Schuldstolz-Studie des IfS scheint es also bis in den Schweriner Landtag geschafft zu haben.)

Ist Grass also wirklich ein Märtyrer, der es auf sich genommen hat, als Antisemit (der schlimmsten aller Zuschreibungen) zu gelten, um die Wahrheit zu sagen? Wohl kaum. Der Versuch, ihn zur Strecke zu bringen, wird scheitern: Grass hat wichtige Verbündete in Politik und Medien (sonst wäre das „Gedicht“ gar nicht gedruckt worden) und, da hat Broder recht, nicht wenigen spricht die simple Logik aus der Seele. Wenn seine Bigotterie in Sachen persönlicher Vergangenheitsbewältigung ihm nichts anhaben konnte (er forderte von anderen Aufklärung, schwieg aber selbst), wird das hier wohl erst recht nicht geschehen.

Zumal Grass in einem ganz wichtigen Punkt auf Linie ist. So heißt es in dem „Gedicht“:

Warum aber schwieg ich bislang?

Weil ich meinte, meine Herkunft,

die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,

verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit

dem Land Israel, dem ich verbunden bin

und bleiben will, zuzumuten.

Nun wird er mit seiner Herkunft kaum seine kaschubische, sondern seine deutsche Abstammung meinen. Und der „nie zu tilgende Makel“ ist vermutlich die Schuld gegenüber den Juden, mit der alles Deutsche behaftet ist und bleiben wird. Das Wort „Herkunft“ legt in diesem Zusammenhang nahe, daß der Makel vererbbar und somit eher genetisch veranlagt ist. Also kann Grass nichts für diesen Makel und kann eben doch die Wahrheit sagen (zumal er ja lange im Sinne des Makels gehandelt hat). Und, so wird man sagen können, Grass trägt diesen Makel der Schuld nicht ohne Stolz. Er gibt seinem „Gedicht“ erst den richtigen Sound.