Meine Generation dankt langsam ab. Sie hat ihren Part gespielt, ihre Aufgabe an der Geschichte vollzogen. Hedonisten ohne Plan, die der großen Symbolzertrümmerung den nötigen Schub gaben, damit alles über die Kante fiel. Es war wohl nötig. Die Kinder der „Generation Kohl“, welche ihre Lektion aus der „geistig-moralischen Wende“ gezogen hatten. Das es nämlich keine Geistigkeit und keine Moral gebe und auch keine Wende, sondern nur einen sinnlosen Trott, dem der Mensch folgt. Wir waren eine materialistische, eine nihilistische Generation. Das Produkt und die Gegenwart waren uns alles, denn alles war im Überfluss vorhanden. Der Westen war Trumpf im drögen Spiel, es galt nur zu kollaborieren und zufrieden zu verwesen. Alles gemacht.
Heute ist nichts mehr im Überfluss vorhanden. Das Wort Freizeit, vorher noch Gebot der Stunde, hat einen schalen Klang bekommen, sogar einen leicht despektierlichen. Von meinen Bekannten und Freunden gleichen Alters sind ungefähr ein Viertel durch Suizid abgetreten, ein großer Teil hat immerhin hart dorthin gearbeitet. Die Party ist vorbei! Der Rest wurde eskapistisch oder verschwand in ominösen Berufen fernab der Gegenwart. Eine ganze Generation auf dem Rückzug, in Auflösung begriffen wie eine geschlagene Armee. Was wir der Jugend kurz hinter uns lassen, ist ein zweifelhaftes Geschenk: Das früher alles besser, alles leichter war. Das der beste Teil gelaufen sei und man nicht mehr so einfach durchs Leben komme. Das es nun mühevoll sei. Doch keine Party. Ich stehe hier ein bisschen zwischen den Stühlen. Ich war nicht richtig meiner Generation angeschlossen, aber ich teilte wohl doch mehr Punkte mit ihr, als mir lieb ist. Freilich lehnte ich den Hedonismus ab. Meine Exzesse hatten immer etwas Verbissenes an sich, zeugten von einer durchaus masochistischen Neigung; sich mit Lust selbst zu zerstörten, weil man keinen Sinn kannte und keine Autorität akzeptierte. Es war der Schrei, der ein Echo verlangte: Gewaltig, versessen und ohne ein Gefühl von Verantwortung. Pure gegenwärtige Energie. Ein Kraftakt gegen sich selbst und die verlornen Ordnungen. Ein Verlangen nach elementarer Antwort im Ausdruck absoluter Katastrophe. Schön und dumm – wie die Jugend eben ist. Ich vermisse sie nicht. Die neuen Ordnungshüter kamen wie Phoenix aus der Asche Heute ist aber eine Generation schneidiger Erneuerer angetreten und hebt sich – scheinbar wie Phoenix aus der Asche – aus den Ruinen einer ruinierten Gesellschaft. Den kaputten Kollektiven wird da mit einem trotzigen Ordnungswahn entgegengegangen, der jeder Beschreibung spottet. Man ist bereit einen Unterschied zu machen und betet einen Katalog an Forderungen und an Leistungswille hinunter: Der Mensch muss arbeiten, er muss glauben, er muss bereit sein sich zu fügen im Großen, in seinem Umfang aber die irre gewordene Welt zur Ordnung rufen. Lauter selbst ernannte Kreuzritter, die den Katalog der Sekundärtugenden ebenso aufsagen können wie Stellen aus der Bibel. Man hißt alte Symbole: Das Kreuz Christi, die Fahne der BRD, die Fahne Preußens, man hat das „Buch der Bücher“ am Nachttisch und übt sich in früher Monogamie (so gut es geht...). Ausgezogen, aufgezogen den Weltenlauf gerade zu rücken. Konservative Revolution mit dem Ruf nach Autorität; dem Anspruch darauf? Es regiert Lovecraft und keine Konservative Revolution: Über den negativen Pessimismus Alles Mumpitz. Was regiert ist das „Prinzip Lovecraft“. Gestorben ist der seltsame, bittere Mann im Jahre 1937 mit gerade mal 46 Jahren. Gelebt hat er nicht, aber viel geschrieben. Eine Ehe geführt, welche wie ein peinlicher Zufall wirkt. Die Migrantenströme im New York der 20er-Jahre besehen und für rassischen Dreck befunden. Zurückgeflohen in die nicht vorhandene Idylle der Provinz, wo er sich vor dem Leben versteckte und von der Epoche abkapselte, die er so sehr hasste. Bis er endlich unter den qualvollen Schmerzen des in ihm wuchernden Krebses verstarb und damit seiner puritanischen Meinung scheinbar nachdrücklich Gewicht gab, dass der Körper, das Fleisch widerlich seien. Was da nach den ruinösen Resten meiner Generation verglühend vergangenen Träumen hinterherjagt, ist keine Konservative Revolution, denn das bedürfte eines offensiven Gestus, eines aggressiven Optimismus mit Sendungsbewusstsein. Das ist nicht vorhanden, sondern der Wille zur erzwungenen Ordnung im beschränkten Kreis des eigenen Selbst. Es ist kein Aufstand, sondern ein Angstruf gegenüber einer Zeit, die man nicht versteht und nicht kontrollieren kann. Was man vertritt, ist Ruhe und Ordnung beim Tanz auf dem Vulkan. Pardon. Natürlich beim Gleichschritt hin zum Krater. Die schöne Bundesrepublik, das Altersheim Man verlangt sich selbst und andere zur Ordnung zu rufen, weil man das Chaos als unerträglich empfindet und die Zeit als Barbarei. Man huldigt der Xenonphobie. Europa als bedrängte Welt und Deutschland als Schlachtfeld zerfallender Kultur, die man quasi im Wohnzimmer konservieren muss. Reformieren: Ja. Revoltieren: Nein. Das Alte soll bewahrt werden. So schön ist die BRD, wenn nur nicht so viele Idioten und Türken da wären. Sehnsucht nach dem „Eisernen Besen“ in der Stille der musealen Eigentumswohnung. Ruhe muss gewahrt werden durch die leise Reform abseits vom Leben. Sich selbst zügeln, damit man andere hoffentlich zügelt. Und hoffen, dass der große Umbruch an einem selbst noch einmal vorbeizieht. Denn eigentlich will man nur in Ruhe und Frieden leben. Ähnlich wie in einem Altersheim. Niemals aufgeschreckt durch Veränderung oder vitale Energieentladung. Die konservierenden Konservativen sind in Wahrheit Nihilisten Das ist kein Konservatismus, das ist ein konservierter Raum, bestückt mit Symbolen und Werten, die man Marken gleich übernommen hat. Es wird eine Scheinwelt konstruiert mittels derer man sich auf der Flucht vor dem Leben befindet. In diesen Raum hinein soll dann die Saat geworfen werden: Die Familienplanung als Keimzelle zur Rettung bedrohter Ordnung. Lächerlich. Versponnen. Feige. Wie Lovecraft ist diese Generation nicht wirklich konservativ, sondern im Kern nihilistisch. Sie erkennt die Macht der Sinnlosigkeit absolut an und setzt dieser ein Gemälde entgegen, gegenständlich im Ausdruck. Bitte nicht berühren, nicht interpretieren. Bewegungslosigkeit als Kraftprobe. Jesus als Pantomime. Disziplin im Stilstand. Preußen als ewiger Haltbefehl – auf dem Friedhof. Wie Lovecraft auch, so hat diese Generation etwas nekrophilies an sich. Ghule, die sich an der deutschen und europäischen Geschichte vergreifen und das faulige Fleisch von den alten Knochen ziehen. Schamlos. Peinlich. Neurotisch. Scham vor der eigenen Lebensunfähigkeit Deshalb reagieren sie auch aufgeschreckt und verlegen, wenn man ihre Grabschändungen ans Licht zerrt. Sie kümmert die Geschichte nicht, weil sie das Leben und die Menschen lieben, sondern weil sie nach Ausreden suchen, um sich an der Historie zu vergreifen um der Gegenwart zu entgehen. Selbst für einen rauschhaften Totentanz sind sie noch zu träge, darin den leichenfressenden Guhlen, die nicht umsonst die niedrigsten Kreaturen der Nacht darstellen, gleich. Kein deutscher Furor, kein römischer Stoizismus. Nicht Pracht, nicht Herrlichkeit von geistiger Aristokratie. Nur morbide Gärgase einer Bewegung auf mikroskopischer Ebene. Die Generation Lovecraft. Lovecraft starb am Ende aus Scham ob der eigenen Lebensunfähigkeit.
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