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lundi, 12 mars 2012

„Nach einer westlichen Befreiung würden die Kirchen brennen!“

Im Gespräch mit Manuel Ochsenreiter über Syrien II:

„Nach einer westlichen Befreiung würden die Kirchen brennen!“

     


Geschrieben von: BN-Redaktion  

Ex: http://www.blauenarzisse.de/
 

Im ersten Teil unseres Gesprächs betonte ZUERST!-Chefredakteur Manuel Ochsenreiter, die Medien würden uns falsche Eindrücke aus Syrien übermitteln. „Derzeit sitzt das westliche Publikum wohl einer riesigen Desinformationskampagne auf, geboren in einem Londoner Ladengeschäft, verbreitet durch die großen etablierten Medien“, so der Nahost-Experte. Im zweiten Teil geht es nun um die weltpolitische Bedeutung der Konflikte. Ochsenreiter warnt dabei vor einem großen „Tabula rasa“ in der Nahost-Region.

BlaueNarzisse.de: Wie schätzen Sie die Situation der Minderheiten in Syrien ein? Könnte die Unterstützung Assads ihnen bei einem Erfolg der Revolution zum Verhängnis werden?

Manuel Ochsenreiter: Die religiösen Minderheiten führen in Syrien ein vergleichsweise gutes Leben. Sie verstehen sich vor allem zunächst als Syrer, dann erst als Christen, Alawiten oder Sunniten, um nur diese drei Glaubensrichtungen zu nennen. Auf den Demonstrationen für die Regierung halten Freunde von mir Transparente in der Hand mit dem Schriftzug „Unsere Religion ist syrisch!“. Bei ihnen steht die nationale Identität über der religiösen. Andere Demonstranten halten ein Kreuz und einen Koran in die Höhe, als Zeichen der Gemeinsamkeit. Frauen sind verschleiert oder auch nicht. Bei einigen meiner Freunde weiß ich nicht einmal, ob sie Christen oder Muslime sind, weil das nie ein Thema ist. Besonders loyal ist zudem die armenisch-christliche Minderheit im Land, die nach der brutalen Verfolgung durch die Türken zu Beginn des letzten Jahrhunderts unter anderem auch in Syrien aufgenommen wurde.


Natürlich blicken vor allem jene religiösen Minderheiten – aber auch die Sunniten, die die Mehrheit stellen – mit Sorge auf die internationale Entwicklung. Das Beispiel des Irak führte ihnen vor Augen, was nach einer „westlichen Befreiung“ passiert: Kirchen brennen, Priester und Gläubige werden ermordet, viele Christen sehen sich gezwungen, das Land zu verlassen, in dem sie fast zweitausend Jahre lang leben konnten. Und die syrischen Christen werden sich dann fragen: Wohin?

Radikale Sunniten geben ihnen heute bereits die Antwort und skandieren: „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut!“ Doch der Libanon ist bereits ein Land, das nach 15 Jahren Bürgerkrieg (1975 bis 1990) auf einem brüchigen religiösen Proporz- und Quotensystem basiert. Verändern sich dort die Mehrheiten beispielsweise durch eine Flüchtlingswelle von syrischen Christen, könnten wieder bewaffnete Konflikte drohen. Damit kämen die syrischen Christen vom Regen in die Traufe. Letzter Ausweg wäre dann der Westen – auch Deutschland.

Das ist eine bittere Ironie der deutschen Außenpolitik: Durch die Unterstützung für die bewaffneten Kräfte, die gegen die syrische Regierung kämpfen, könnte die deutsche Politik dazu beitragen, daß wir bald einer Flüchtlingswelle gegenüberstehen. Vor allem CDU-Politiker halten sich in ihren Solidaritätsbekundungen für die sogenannte „Opposition“ kaum zurück. Damit attackieren diese vor allem die Lebensgrundlage der syrischen Christen. Die gleichen Politiker werden später behaupten, sie könnten gar nicht nachvollziehen, wie es zu dem Flüchtlingsdrama kommen konnte und von den Deutschen und Europäern natürlich einfordern, möglichst viele Kriegsflüchtlinge aufzunehmen. Die Leidtragenden sind dabei wie immer die entwurzelten Flüchtlinge und die Aufnahmegesellschaft.

Welche Rollen spielen Rußland und China? Welche eigenen Interessen sind im Spiel?

Vor allem Rußland ist so etwas wie eine „Garantiemacht“ für die syrische Souveränität in diesen Tagen. Rußland unterhält einen Marinestützpunkt an der syrischen Mittelmeerküste, und das bereits seit den Jahren des Kalten Krieges. Damaskus ist ein alter, verläßlicher Verbündeter von Moskau. Rußland durchschaut das Spiel: Wenn die sogenannte „Opposition“, die derzeit in Istanbul logiert, dort das Ruder übernimmt, dürfte es aussein mit den engen Beziehungen. Wenn Sie einen Blick auf eine Landkarte werfen, sehen Sie schnell, daß Rußland – aber auch China – seit dem Ende des Kalten Krieges immer mehr mit US-amerikanischen Stützpunkten „eingehegt“ wird.


Aus dem Afghanistankrieg der Sowjets weiß man in Moskau nur zu gut, daß sich der Westen bei seinen „Regime Changes“ gerne lokaler Kämpfer bedient, die mit Waffen und Material ausgerüstet werden – und zwar ganz unabhängig davon, welches Gedankengut diese Partisanen pflegen. Genau das ist bereits jetzt in Syrien der Fall. Der geheime Krieg tobt längst in Syrien. Die sogenannte „Freie Syrische Armee“ – eine Rebellen- und Terroristentruppe – wird bereits jetzt vom Westen massiv unterstützt. Rußland sieht das und ist an einer Stabilisierung der politischen Situation interessiert. Daher legte das Land auch bei der UN-Sicherheitsratssitzung sein Veto gegen die Sanktionspläne ein. In Syrien wiederum ist vor allem in den letzten Monaten ein regelrechter Rußland-Boom ausgebrochen. Als der russische Außenminister Sergej Lawrow vor einigen Wochen Syrien besuchte, wurde er begeistert empfangen. Auf den großen Demonstrationen werden neben syrischen auch russische und chinesische Fahnen geschwenkt. Es ist sehr bedauerlich, daß wir Deutschen den Syrern derzeit keinen Grund geben, auch unsere Fahnen zu schwenken.

Glauben Sie, daß die Gefahr eines Stellvertreterkrieges zwischen den Ost- und Westmächten besteht und der Syrien-Konflikt auch hinsichtlich eines möglichen Iran-Krieges eine geostrategische Rolle spielt?

Ein solcher Stellvertreterkonflikt ist ja bereits im vollen Gang. Und natürlich geht es dabei nicht um „Menschenrechte“ oder „Demokratie“, sondern um Hegemonialbestrebungen und die Interessen vieler umliegender Staaten. Syrien und der Iran sind sozusagen die „letzten Störenfriede“ in der Region, die sich bislang der Einmischung aus dem Westen erfolgreich widersetzten. Seit Jahren schon pumpen westliche NGOs Geld in die sogenannten „Oppositionsbewegungen“ beider Länder, doch bislang zeigte das keine große Wirkung.


Washington geht dafür wieder ein unheiliges Bündnis mit Saudi-Arabien und den anderen Golfmonarchien ein – Staaten übrigens, die meist weder eine Verfassung noch ein Parlament haben. Doch bei denen sieht man das alles nicht so eng. Während in Syrien und im Iran beispielsweise Christen Glaubensfreiheit genießen, ist in Saudi-Arabien bereits die Einfuhr einer Bibel verboten. Doch man hört aus dem Westen kaum Kritik, sieht man mal von ein paar kleineren Vereinen ab, die das problematisieren. Daher sieht man, daß es nicht um die stets im Munde geführten „Freiheitsrechte“ geht, die man angeblich verteidigen und allen Menschen zuteil werden lassen möchte.

Doch es spielen viele Interessen eine Rolle: Syrien gilt als enger Verbündeter des Iran. Das Interesse Saudi-Arabiens ist die Schwächung des Iran, den man als schiitische Republik als muslimischen Konkurrenten um den Führungsanspruch in der islamischen Welt betrachtet. Der Iran bezeichnet wiederum das saudische Staatssystem als „unislamisch“ und sieht sich als Schutzmacht unterdrückter Schiiten, die in Saudi-Arabien nach offiziellen Angaben etwa zehn bis 15 Prozent ausmachen. Ein Fall Syriens würde den Iran schwächen, seinen Einfluß eindämmen. Die syrische Opposition in Istanbul hat bereits angekündigt, sie werde im Falle einer Machtübernahme die Beziehungen nach Teheran zurückfahren. Solche Aussagen gehen in Riad runter wie Öl. Das gehört zum Kalkül auf der arabischen Halbinsel. Die alte Achse Washington-Riad funktioniert daher.

Die Türkei träumt wieder den alten osmanischen Traum und fühlt sich als Ordnungsmacht in der Region. Das NATO-Land unterstützt die Terroristen in Syrien daher mit Ausbildern, Beratern und Waffen – mit den Amerikanern im Rücken. Gleichzeitig bekämpft man weiterhin brutal die Kurden in der Türkei und läßt schon mal Panzer über die irakische Grenze rollen. Der Westen hält die Füße still und protestiert kaum. Man war bei der Wahl der Verbündeten im Kampf für Menschenrechte und Demokratie ja nie besonders zimperlich.

Was ist Ihr Tip: Wie wird sich der Syrien-Konflikt entwickeln? Könnte durch das Referendum von Assad, das in vielerlei Hinsicht auf die Islamisten zugeht, der Konflikt an Schärfe verlieren und sich das Augenmerk wieder auf den Iran richten?

Es erscheint mir etwas zynisch, angesichts der drohenden Folgen eines Umsturzes mit Bürgerkrieg einen „Tip“ abzugeben. Geht es nach der überwiegenden Mehrheit der Syrer, bleibt die Regierung im Amt und führt die Reformen gemäß der neuen Verfassung durch. Daß es den militanten Gegenkräften gar nicht um Reformen, sondern um einen „Regime Change“ geht, sieht man an den Aufforderungen, die Abstimmung zu boykottieren. Die radikalen Sunniten wollen ja keine „Teilhabe“, sie wollen die Macht ganz und gar. Das ist ein großer Unterschied. Die drohende Tragödie im Falle eines Sturzes von Präsident Baschar al-Assad und seiner Regierung durch radikale Kämpfer im Verbund mit westlichen Truppen würde das Land um Jahrzehnte zurückwerfen.

Daß zeitgleich der Iran immer mehr in die Zange genommen wird und daß nun sogar schon konkrete Termine für einen Angriff auf Teheran öffentlich debattiert werden, zeigt, daß es Pläne gibt, in der ganzen Region einmal endlich „Tabula rasa“ zu machen.

Herr Ochsenreiter, vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte BN-Autor Robin Classen. Hat Ihnen dieses Gespräch gefallen? Dann übernehmen Sie eine Autorenpatenschaft für ihn. Mehr darüber hier.

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