dimanche, 29 septembre 2013
Montherlant und der nutzlose Dienst
Montherlant und der nutzlose Dienst
von Jens Strieder
Ex: http://www.blauenarzisse.de
Die wichtigsten Auszüge aus Henry de Montherlants 1939 erstveröffentlichter Essaysammlung wurden im Verlag Antaios wieder aufgelegt.
Vielen deutschen Lesern ist der Name Henry Marie Joseph Frédéric Expedite Millon de Montherlant nicht mehr geläufig. Das gilt auch für sein Heimatland Frankreich. Es ist umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass es sich bei dem 1895 in Paris geborenen Literaten um ein Ausnahmetalent handelte, das in nahezu allen Textformen zu Hause war: Montherlant schrieb Romane, Erzählungen, Novellen, Theaterstücke, Essays und Tagebücher. Sein Gedankenreichtum, seine Beobachtungsgabe und die durch ihre Schönheit bestechende Ausdruckskraft, sprechen für sich und machen ihn zu einem der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.
Das Nutzlose liegt nicht im Trend
1939 erschien in Leipzig sein Essay-Band mit dem Titel „Nutzloses Dienen”. Damit diese Texte nicht vollends in Vergessenheit geraten, ist im Verlag Antaios ein Band erschienen, der in Form von fünf Essays eine Auswahl der im Original vertretenen Schriften aus den Jahren 1928 – 1934 versammelt.
Die Namensgebung des Bandes verweist sogleich auf eine literarische, aber auch lebenspraktisch orientierte Selbstkonzeption Montherlants: Eine persönliche Haltung, die einem scheinbar sinnlosen oder gar unsinnigen Handeln einen eigentümlichen Wert jenseits jeglichen oberflächlichen Utilitarismus’ beimisst.
Das Nutzlose liegt nicht im Trend, erschließt sich nicht jedem und ist vornehmlich Selbstzweck, dessen idealistischer Wert in der Herauslösung aus dem Alltäglichen, Banalen und Kollektiven liegt. Dabei dient es Montherlant auch zur Überwindung des Nihilismus: „Was mich aufrecht hält auf den Meeren des Nichts, das ist allein das Bild, das ich mir von mir selber mache”.
Der überzeitliche Wert des eigenen Handelns
Allein dieser Satz macht deutlich, dass sich die Dienerschaft auf den Dienenden selbst bezieht. Eine derartige Selbstkonzeption sollte nicht als Ausdruck von Arroganz oder Narzissmus missverstanden werden. Vielmehr geht es Montherlant darum, dem eigenen Wirken einen ideellen und überzeitlichen Wert jenseits des Egos beizugeben.
Ein solches Verständnis vom irdischen Dasein schlägt sich dann auch in allen fünf hier enthaltenen Texten nieder. Entscheidend scheint hierbei vor allem der Umstand zu sein, dass sich Montherlants Ethik eines nutzlosen Dienstes bei aller inneren Höhe, durch eine spezielle Form von Askese auszeichnet, die nicht nur auf Anerkennung von außen verzichtet, sondern auch nicht nach sichtbaren Bezeugungen giert.
So ist für Montherlant beispielsweise die Architektur ein Spiegel dieser Ethik. Wo das Versailler Schloß in erster Linie durch äußeren Glanz und Prunk wirkt, jedoch nach Meinung von Montherlant nicht darüber hinausschaut, sind beispielsweise die spanischen Paläste durch die Verbindung von Schnörkel und schlichtester Einfachheit ein Zeichen von Strenge, welche zum unabdingbaren Wesensmerkmal echter Größe gehört.
Montherlants Selbstkonzeption als Habitus
Für Montherlant sind deshalb die einzig wertvollen Kronen diejenigen, die man sich selbst gibt, denn „[…] die gute Tat geht nicht verloren, wie vergebens sie auch gewesen ist […].” Entsprechend wird auch die „sittliche Idee” der Ehre verteidigt, die auch dann zu wahren ist, wenn sie anderen als unangemessen oder gar lächerlich erscheinen mag.
Das „Heldentum des Alltags” ist nicht weniger bedeutsam als beispielsweise jenes im Krieg und anderen Ausnahmesituationen. Vielmehr ist es Bestandteil der Würde des Menschen. Montherlant setzt nicht einfach andere Prioritäten als jene, die ihm hier nicht folgen können, sondern er wird auch zum Schöpfer seiner selbst, indem er die Rolle konzipiert, die er als endliches Wesen im Fortgang der Zeit spielen möchte – nicht als Schauspieler, sondern als Resultat eines inneren Bedürfnisses.
Somit ist es nur logisch, sich nicht mit dem von niederen Instinkten geleiteten, hässlichen gemein machen zu wollen. Der nutzlose Dienst ist so auch immer ein Akt der bewussten Sezession.
Die Unabhängigkeit des Schriftstellers
Zugleich grenzt Montherlant in einem ebenfalls abgedruckten Vortrag, den der er am 15. November 1933 vor Offizieren der Kriegsakademie hielt, jenes Handeln aus Pflichtgefühl, Notwendigkeit oder edlen Motiven gegen ein Ehrverständnis ab, das der Unbesonnenheit anheim fällt und aus Dummheit und Leichtsinn Risiken eingeht und andere Leben gefährdet.
In Der Schriftsteller und das öffentliche Wirken fordert Montherlant die Freiheit der Unbhängigkeit des Schriftstellers von gesellschaftlich relevanten Themen ein. Er wendet sich gegen das Schubladendenken und die Erwartungshaltung des Kulturbetriebs, die letztlich den wesentlichen Teil des dichterischen Ausdrucks unterdrücken. Vor dem Hintergrund der heute üblichen, feuilletonistischen Simplifizierungen und Rollenzuschreibungen kann man mit Gewissheit sagen, dass dieses Anliegen berechtigt war.
Existentielle Bedrohung von innen oder außen
In einer Lage existentieller Bedrohung von innen oder außen dagegen sieht Montherlant den Schriftsteller dennoch in der Pflicht, seinen Beitrag zu leisten. Das verdeutlicht, dass die konstatierte Eigenart keine Ausrede für Verantwortungslosigkeit oder Feigheit sein kann. Ein geistig-moralischer Führungsanspruch im Sinne einer „engagierten Literatur” lässt sich hieraus jedoch keineswegs ableiten und wird vom Autor auch verworfen.
Für alle, die sich für diesen großen Geist interessieren, stellt der Band trotz seiner Knappheit den idealen Einstieg für eine tiefergehende Beschäftigung mit dessen Werk und Wirkung dar.
Henry de Montherlant: Nutzloses Dienen. 88 Seiten, Verlag Antaios 2011. 8,50 Euro.
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