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jeudi, 23 octobre 2014

Luthers Türkenschriften

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Luthers Türkenschriften

von Marc P. Ihle

Ex: http://www.blauenarzisse.de

Der Zeitgeist übt sich gerne in Kritik am vermeintlich intoleranten Martin Luther. Doch dessen „Türkenschriften“ zeigen, dass er auf eine bis heute aktuelle Bedrohung reagierte.

Die über den Balkan in Europa einfallenden Osmanen stellten für Karl V., den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ein permanentes Problem dar. Der Fall Konstantinopels 1453, dreißig Jahre vor Luthers Geburt am 10. November 1483, war in lebendiger Erinnerung. 1529 stehen die Türken erstmals vor Wien. Luthers große Türkenschrift Heerpredigt wider die Türken wird ein Jahr später veröffentlicht. Bereits in den 1520er Jahren, nachdem die Rechtfertigungslehre als Kern der Reformation die Unterstützung vieler Fürsten gewonnen hatte, wendet sich Luther auch zeitpolitischen Fragen zu. Dies geschieht unter Eindruck seiner Interpretation der Geschichte als Heilsgeschichte. Mit voranschreitendem Alter neigte Luther jedoch zur Apokalyptik.

Luthers Angst: Eine Allianz zwischen den Türken und dem Papst

Historische Ereignisse werden ihm zum Gottesurteil über das eigene reformatorische Werk. Dessen Schicksal wird paradoxerweise durch den Türkeneinbruch begünstigt, da dieser den Kaiser bindet und zu Zugeständnissen an die protestantischen Stände zwingt. Denn auf deren militärische Unterstützung bleibt der Herrscher angewiesen. Luthers briefliche Bemerkung an den Reformator Philipp Melanchthon im Jahre 1530 über den Kampf gegen die „einheimischen Ungeheuer unseres Reiches“ zeigt, dass Luther vorerst den Hauptfeind nicht in den heranrückenden Türkenheeren, sondern im römischen „Antichristen“, dem Papst, sieht. Noch wenige Jahre vor seinem Tod ist Luther besessen von der Furcht vor einer antiprotestantischen Allianz von Papsttum und Türken. Eine Furcht, die in umgekehrter Konstellation auch der Kaiser teilte.

Luthers persönliche Haltung zum Islam hat eine ähnliche Entwicklung genommen, wie seine heute behauptete, angebliche Judenfeindlichkeit. Wie seine Zeitgenossen bezog er seine Kenntnisse über den Islam aus Sekundärquellen. Der Historiker Heinz Schilling unterstellt dem großen Reformator in seiner Anfang diesen Jahres erschienenen Biographie Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs eine grundsätzliche Toleranz gegenüber dem Islam. Das mag freilich bezweifelt werden. Zu Beginn seiner Auseinandersetzung mit Türken und Juden stellten diese für Luther potentiell zu missionierende Gruppen dar. Zugleich nimmt Luther aber die Türkengefahr nicht als realpolitische Bedrohung, sondern als „Zuchtrute Gottes“ wahr. In seinem heilsgeschichtlichen Verständnis wird der Türkeneinbruch als Strafe und Bußangebot Gottes gedeutet. Grund dafür seien die angeblichen Häresien der römischen Kirche.

Luther lehnte einen Kreuzzug ab

Der darin sich äußernde, beim späten Luther ganz verschwundene politische Optimismus gehört in die frühe Phase der rasanten Ausbreitung der Reformation. Luthers Weltbild verbaute dem Reformator zunächst den Blick auf die identitäre Bedrohung, die mit der Türkeninvasion verbunden war. Denn zu diesem Zeitpunkt bildete die Geschichte für Luther nur einen Austragungsort des Kampfes Gottes gegen die päpstliche Verfälschung des Evangeliums.

Einen Glaubenskrieg lehnte Luther ab, da religiöse Argumente in den geistlichen Kampf gehörten, nicht aber in den weltlichen Bereich des Schwertes. Das war bei weitem kein Pazifismus. Denn das Gewaltmonopol lag für Luther bei den Fürsten und dem Kaiser, die auf ihre Weise in der politischen Welt Ordnung schaffen sollten. Das betonte Luther auch ausdrücklich, als er sich gegen den Bauernaufstand von 1525 aussprach. Doch diese Aufteilung hinderte die Reformation einerseits an einem Missionierungskrieg gegen die Papsttreuen, zum anderen auch an einer Kreuzzugsidee gegen die Türken.

Luther hat drei große Türkenschriften verfasst: Vom Kriege wider die Türken (1528), Heerpredigt wider die Türken (1530), Versuchung zum Gebet wider die Türken (1541). 1529, zeitgleich mit der sogenannten „Protestation von Speyer“, als Anhänger Luthers sich auf dem Reichstag gegen seine Ächtung aussprachen, verdunkelt sich Luthers Sicht auf die Türken. Sie werden nun zu apokalyptischen Feinden des Christentums. Die Kreuzzugsidee lehnt der Reformator jedoch ab, da er dem Papsttum dafür jede Autorität, insbesondere die geistliche Autorität, und die Zuständigkeit im Allgemeinen abspricht. Gott allein muss nach Luther für die Sicherheit des Evangeliums in seinem Reich sorgen, der Kaiser aber für die territoriale Integrität.

Die Wende in Luthers Haltung zu den Türken

Die Türkenbelagerung Wiens 1529 jedoch zeigt auch Luther die Grenzen seiner politischen Zwei-​Reiche-​Lehre auf. Denn die Zukunft des Christentums wird durch den islamischen Konkurrenzanspruch zu einer politischen und religiösen Frage. Das geistliche Regiment kann, das hat Luther auch durch die landesfürstliche Protektion seiner protestantischen Landeskirchen erkennen müssen, nur durch militärische Macht geschützt werden.

Bei Luther scheint es vielmehr ab 1530 zu einer Vermischung heilsgeschichtlicher und politischer Motive zu kommen. Wie Schilling zutreffend sagt, wären die Türken nun für ihn „die Feinde der Deutschen und der Christen allgemein“, weil sie zu einer Bedrohung der kulturellen Identität Europas geworden sind. Diesen Gedanken hat Luther natürlich nicht formuliert, da es für ihn keinen Unterschied zwischen Geschichte, Heilsgeschichte, Europa und Glaube geben konnte. Doch seiner Begeisterung in der Heerpredigt mag eine Ahnung zugrunde liegen von der Korrelation politischer, ethnischer und kultureller Bedrohung und der Möglichkeit der eigenen Vernichtung. Die christlichen Soldaten sollten „die Faust regen und getrost dreinschlagen, morden, rauben und Schaden tun, so viel sie immer vermögen“, schreibt Luther fanatisch.

Luthers Lektion: Keine Toleranz für Eindringlinge

Diese Empfehlung Luthers unterscheidet sich unwesentlich von Kampfesreden universalistischer Kreuzritter unserer Tage. Es handelt sich zugleich aber auch um nichts anderes als eine realistische Beschreibung dessen, was eine Kultur in einem Abwehrkampf unternimmt. Denn dieser wurde ihr unfreiwillig von außen durch die Türken aufgezwungen. Dennoch wird Luther in der Gegenwart in einer eigenartigen, ahistorischen Perspektivlosigkeit unter Rubriken wie „Toleranz“ oder „Antisemitismus“ gelesen oder gar zum Fürsprecher eines aggressiven Kulturkampfes gemacht.

Doch heute, ebenso wie zur Zeit der Expansion der Osmanen, geht der Zusammenprall der Kulturen nicht von Europa, sondern eben vom Islam aus. Deshalb ist die Bewertung Luthers unter Kriterien der Politischen Korrektheit abwegig. Aber genau dies versuchen die Stellungnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Reformationsjubiläum. Und das ist auch der Tenor der Arbeiten eines sogenannten „Studierendenwettbewerbs“ zum Thema „Luther und Islam“, den das Bundesinnenministerium bereits 2013 ausgeschrieben hat. Namentlich der Beitrag von Marcus Meer mit seinem programmatischen Titel Martin Luther zum Islam. Ein frühneuzeitlicher Beitrag zur Toleranzdiskussion der Gegenwart? unterstreicht diese Tendenz. Meer erhebt zugleich Vorwürfe gegen Luthers Christologie, welche diesem in ihrem für den Autor verwunderlichen Wahrheitsanspruch die Einsicht in die „Wahrheit“ anderer Religionen verwehrt habe. Schließlich verhängt der Autor sein Verdikt gegen Luther: Mit dessen Toleranz sei es nicht weit her. In Fragen der „Anerkennung von Andersheit“ habe Luther dringenden Nachholbedarf gehabt.

Luthers Türkenschriften zeigen Perspektiven für das Zeitalter des erzwungenen Multikulturalismus auf. Wie damals gibt es heute keine freiwillige kulturelle Begegnung von Christentum und Islam, sondern eine auf Eroberung angelegte, feindliche und gewaltsame Landnahme. Diese führt stringent mindestens zu einer Relativierung der christlichen Kultur.

Der Antitoleranzvorwurf an Luther, der lediglich seine eigene Kultur verteidigte, mutet da absurd an. Nicht Luther, das Reich oder gar der Papst wünschten sich die Türkenpräsenz auf dem Kontinent. Die Osmanen drangen gewaltsam und mit klaren machtpolitischen Absichten in Europa ein, um Land zu rauben, Menschen zu unterwerfen und ihr Kulturmodell an die Stelle des Christentums zu setzen. In der Rückschau können wir Luther als aufrechten Streiter für abendländisches Christentum sehen – eine Rolle, die heute weder evangelische Bischöfe noch Päpste wirklich ausfüllen. Und Luther erteilt uns eine wichtige Lektion in Sachen Toleranz: Niemand ist zu Duldung gegenüber unerwünschten Eindringlingen verpflichtet. Zumindest niemand, der sich nicht selbst abschaffen möchte.

Bild: Martin Luther, Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. (1529)

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